L 20 B 26/09 AY

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 16 AY 3/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 B 26/09 AY
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 AY 1/09 R
Datum
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Beschwerde d.Kl. gegen Beschluss des LSG wird mit Beschluss vom 26.10.10 zurückgewiesen.
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 24.06.2009 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht wird zugelassen.

Gründe:

I.

Mit seiner am 06.03.2009 vor dem Sozialgericht erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen einen Bescheid der Beklagten ("Sozialamt") vom 07.03.2008. Mit diesem Bescheid wurde er, gestützt auf § 68 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), zur Erstattung von nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die aus Kamerun stammende Frau M D J (Schwester der Ehefrau des Klägers) im Zeitraum vom 02.11.2007 bis vorerst zum 31.03.2008 erbrachten Leistungen i.H.v. 1.508,18 EUR aufgefordert. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides ist ausgeführt, es könne dagegen Widerspruch eingelegt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen. Der Kläger begehrt insoweit im Hauptantrag die Verpflichtung der Beklagten zur Bescheidung seines gegen den Bescheid vom 06.03.2009 eingelegten Widerspruchs, hilfsweise die Aufhebung dieses Bescheides.

Nach Anhörung der Beteiligten hat sich das Sozialgericht mit Beschluss vom 24.06.2009 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gem. § 17a Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) an das für Münster örtlich zuständige Verwaltungsgericht Münster verwiesen. Es handele sich um eine Streitigkeit betreffend eine ausländerrechtliche Verpflichtungserklärung. Der Kläger sei kein Empfänger von Leistungen nach dem AsylbLG. Für ausländerrechtliche Streitigkeiten in Münster sei das dortige Verwaltungsgericht zuständig.

Gegen den am 30.06.2009 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 30.07.2009 Beschwerde eingelegt. Seine Klage sei eine Untätigkeitsklage i.S.d. § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). In der Sache werde um die Rückforderung von Leistungen nach dem AsylbLG für Frau J gestritten. Die Beklagte habe in dem Bescheid vom 07.03.2008 den Widerspruch als Rechtsbehelf benannt. Erst im Widerspruchsverfahren habe sie die Auffassung eingenommen, dass das Verwaltungsgericht zuständig und deshalb nach § 6 Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetzes (AG) zur Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) unmittelbar die Klage zum Verwaltungsgericht eröffnet sei. Die Streitigkeit falle jedoch als Angelegenheit des AsylbLG nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG in die Zuständigkeit der Sozialgerichte. Diese Vorschrift sei weit auszulegen. Es komme nicht darauf an, ob er - der Kläger - selbst Leistungsempfänger nach dem AsylbLG gewesen sei. Denn er werde auf der Grundlage des AsylbLG, nämlich im Umfang der nach diesem Gesetz erbrachten Leistungen, in Anspruch genommen; die zu entscheidenden Rechtsfragen richteten sich somit nach dem AsylbLG und nicht nach dem AufenthG. Daran ändere der Umstand nichts, dass die Rechtsbeziehungen zur Beklagten mit einer von ihm nach einer Norm im AufenthG abgegebenen Erklärung begründet würden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ((BSG) Beschluss vom 01.04.2009 - B 14 SF 1/08 R) sei Ausgangspunkt für die Prüfung der sachlichen Zuständigkeit, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt sei. Regelmäßig sei das Gericht anzurufen, welches durch besondere Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den infrage stehenden Anspruch berufen sei. Gehe es nicht unmittelbar um Rechtsfolgen aus der Anwendung des eine Zuweisung an die Sozialgerichte begründenden Gesetzes, sei eine sach- und interessengerechte Abgrenzung zwischen der Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte und der Verwaltungsgerichte herzustellen. Es genüge, wenn eine Zuweisung zwar nicht unmittelbar ausgesprochen sei, sich der dahinter stehende Wille des Gesetzes jedoch aus dem Gesamtgehalt der Regelung und dem Sachzusammenhang in Verbindung mit der Sachnähe eindeutig und logisch zwingend ergebe. Nach der Rechtsprechung des BSG sei deshalb danach zu fragen, ob die Maßnahme in engem sachlichen Zusammenhang zur Verwaltungstätigkeit der in § 51 SGG angesprochenen Behörden stehe. Im vorliegenden Fall zeige sich der Sachzusammenhang schon darin, dass der Bescheid vom 07.03.2008 nicht etwa durch die Ausländerbehörde, sondern durch das Sozialamt der Beklagten, also durch die für die Umsetzung des AsylbLG zuständige Fachstelle, erlassen worden sei. Tatsächlich stehe auch die Anwendung von Normen des AsylbLG und des sozialrechtlichen Verfahrensrechts im Vordergrund, da es sich um eine Rückabwicklung von erbrachten Sozialleistungen handele. Es gehe weniger um Fragen von § 68 AufenthG als um die Frage, ob Ansprüche nach dem AsylbLG in zutreffender Höhe geltend gemacht würden. Letzteres sei jedoch reines Sozialrecht i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG. Dass auch im Rahmen des AsylbLG zum Teil komplexe Fragen des Ausländerrechts zu bearbeiten seien, liege in der Natur der Sache.

Die Beklagte ist demgegenüber der Ansicht, der mit dem Bescheid vom 07.03.2008 geltend gemachte Anspruch resultiere aus einer vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung vom 04.08.2006 gegenüber der Ausländerbehörde des Kreises T. Die Regelungen über solche Erklärungen fänden sich in § 68 Abs. 1 AufenthG, so dass ein sachlicher Zusammenhang der Verwaltungstätigkeit zum Ausländerrecht, nicht aber zum AsylbLG bestehe. Dass die für Leistungen an Asylbewerber zuständige Fachstelle tätig geworden sei, habe seinen Grund nicht in einer Sachnähe zum AsylbLG, sondern in der formalen Zuständigkeitsregelung in § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wonach der - ausländerrechtliche - Erstattungsanspruch derjenigen öffentlichen Stelle zustehe, welche die öffentlichen Mittel aufgewendet habe.

II.

Die zulässige Beschwerde des Klägers ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat sich zu Recht für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsgericht Münster verwiesen (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG).

1.

Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts folgt aus der allgemeinen Zuweisungsnorm für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Eine bundesgesetzliche, ausdrückliche Zuweisung an ein anderes Gericht i.S.d. 2. Halbsatzes der Vorschrift ist nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG keine Zuweisung seiner Streitigkeit zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.

Nach dieser Vorschrift entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des AsylbLG. Entscheidend ist dabei, ob es sich um einen Rechtsstreit handelt, bei dem die Möglichkeit besteht, dass die vom Kläger hergeleitete Rechtsfolge ihre Grundlage im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder - in der im Falle des Klägers einzig denkbaren Alternative - im AsylbLG findet (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 51 Rn. 33a). Die von der Beklagten gegen den Kläger geltend gemachte Forderung hat jedoch ihre Grundlage nicht im AsylbLG, auch wenn von ihm die Erstattung von Mitteln für den Lebensunterhalt einer Ausländerin verlangt wird, welche dieser in Anwendung des AsylbLG gewährt worden sind.

Die Rechtsgrundlage für diese - zwischen den Beteiligten umstrittene - Forderung bildet vielmehr allein § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach hat, wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Der Erstattungsanspruch steht dabei nach § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat. Für Streitigkeit ausländerrechtlicher oder aufenthaltsrechtlicher Art aber sind mangels Sonderzuweisung an ein anderes Gericht die (allgemeinen) Verwaltungsgerichte einzig zuständig.

Daran würde es nichts ändern, wenn im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der von der Beklagten vorgenommenen Anwendung des § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG etwa wegen einer denkbaren Begrenzung des geltend gemachten Anspruchs auf allein rechtmäßige Leistungsgewährungen nach dem AsylbLG inzident zu prüfen sein sollte, ob die Leistungsgewährung an Frau J in allen Einzelheiten den Vorgaben des AsylLG entsprochen hat oder nicht. Bereits die vorrangige Frage, ob überhaupt eine solche Begrenzung der Rückforderung auf allein asylbewerberleistungsrechtlich rechtmäßig erbrachte Leistungen stattzufinden hat, ist eine solche, deren sedes materiae nicht im AsylbLG, sondern allein im AufenthG zu verorten ist. Über sie ist dementsprechend allein von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit als der für Fragen des AufenthG zuständigen Fachgerichtsbarkeit zu befinden.

Allein im Falle ihrer bejahenden Beantwortung wäre sodann als im Rahmen von § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (nur) inzident zu klärende weitere Frage die Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung nach dem AsylbLG zu untersuchen. Dies allerdings könnte die gerichtliche Zuständigkeit nicht zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit verschieben. Wenn der Kläger insoweit darauf verweist, das BSG (Beschluss vom 01.04.2009 - B 14 SF 1/08 R, betreffend einen Rechtsstreit über ein vom Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegenüber einem dortigen Leistungsempfänger ausgesprochenes Hausverbot) fordere eine sach- und interessengerechte Abgrenzung der Zuständigkeiten von Sozial- und Verwaltungsgerichten und orientiere sich insoweit an Sachzusammenhang und Sachnähe der betreffenden Maßnahme, so verkennt er, dass auch nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) eine Bestimmung der Rechtswegzuständigkeit anhand solcher Kriterien nur dann vorzunehmen ist, wenn zwischen den Beteiligten um Rechtsfolgen gestritten wird, die (wie das Hausverbot im vom BSG entschiedenen Fall) ihre normative Grundlage nicht unmittelbar in einer gesetzlichen Regelung haben, bei der eine Zuordnung der Rechtswegzuständigkeit in § 40 Abs. 1 VwGO oder aber in § 51 SGG bereits eindeutig erfolgt ist. Normativ zuzuordnen ist der von der Beklagten geltend gemachte, vom Kläger in Frage gezogene Anspruch jedoch allein § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als der einzig denkbaren gesetzlichen Anspruchsgrundlage.

Allein für die Berechnung des Anspruchs mag ggf. auf Vorschriften des AsylbLG zurückzugreifen sein. Letzteres macht den Anspruch selbst jedoch nicht zu einer asylbewerberleistungsrechtlichen Forderung und damit zu einer Angelegenheit des AsylbLG i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG, wie es etwa der Fall wäre, wenn eine Rückforderung von nach dem AsylbLG erbrachten Leistungen nach § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegenüber dem Leistungsempfänger selbst im Streit stünde. Denn der Anspruch aus § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist kein Erstattungsanspruch, welcher aus einer spiegelbildlichen Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung nach dem AsylbLG folgt. Er ist vielmehr ein eigenständiger Anspruch gegen denjenigen, der eine Verpflichtung zur Erstattung öffentlicher Mittel, die für den Lebensunterhalt eines Ausländers aufgewendet werden, eingegangen ist, selbst wenn der Ausländer einen entsprechenden gesetzlichen Leistungsanspruch haben sollte. Seine Begründung findet dieser Anspruch nicht etwa - wie eine Erstattungsforderung nach § 50 SGB X - in einer rechtswidrigen Leistungserbringung an einen Ausländer, sondern in der vom Herangezogenen freiwillig eingegangenen eigenen Verpflichtung zur Erstattung von (selbst gesetzlich vorgesehenen) Leistungen an den Ausländer. Der Anspruch ist damit kein z.B. asylbewerberleistungsrechtlicher, sondern ein als originär zu qualifizierender Anspruch gegen denjenigen, der sich entsprechend verpflichtet hat.

Dass bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden im Einzelfall die Hauptlast der gerichtlichen Überprüfungstätigkeit nicht auf der eigentlichen ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlichen Seite, sondern auf der inzidenten Überprüfung der Anwendung des AsylbLG liegen kann, kann nach allem auch unter den Gesichtspunkten von Sachnähe oder Sachzusammenhang bzw. Sach- und Interessengerechtigkeit keine andere als die gesetzlich eindeutige Zuweisung der Rechtswegzuständigkeit begründen und liegt im Übrigen in der Natur der Sache. Für den vorliegenden Fall ist ohnehin nicht einmal offensichtlich, dass sich eine solche Verschiebung des gerichtlichen Prüfungsschwerpunkts überhaupt ergeben wird. Denn das hierfür allein zuständige (und im Übrigen auch sachnähere) Verwaltungsgericht wird etwa auch - ganz im Sinne der Zuständigkeitszuweisung für ausländer- bzw. aufenthaltsrechtliche Rechtsstreite - prüfen, ob die Verpflichtungserklärung des Klägers den Schriftformvorgaben des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG genügt, und ob trotz der in Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift vorgesehenen Vollstreckbarkeit einer Verpflichtung nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes überhaupt eine sog. Verwaltungsaktskompetenz für die Geltendmachung der Forderung bestand.

2.

Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Münster folgt aus § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. § 17b Abs. 2 GVG findet keine Anwendung (vgl. BSG, a.a.O.).

IV.

Der Senat hat die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht nach § 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Die Beschwerde ist entsprechend § 173 SGG binnen eines Monats nach Bekanntgabe dieses Beschlusses bei dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Bundessozialgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (vgl. zur entsprechenden Anwendung des § 173 SGG BSG a.a.O., ferner Keller, a.a.O., Rn. 61, jeweils m.w.N.).
Rechtskraft
Aus
Saved