S 19 SO 36/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 36/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 68/09
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für die Aufstellung eines Gangtrainers.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und ist bei der AOK gesetzlich krankenversichert. Im Jahr 2003 erwarb sie aus eigenen Mitteln einen Gangtrainer, den sie zunächst in der Praxis eines Physiotherapeuten aufstellte und dort nutzte. Nachdem der Physiotherapeut die Praxisräume wechselte und die neuen Räumlichkeiten nicht die erforderliche Deckenhöhe aufwiesen, wurde der Gangtrainer in der - zu diesem Zweck eigens umgebauten - Garage der Mutter der Klägerin aufgestellt, die allerdings nicht beheizbar war. Zum 01.02.2008 mietete die Klägerin dann eine "Therapie- und Lagerfläche" von ungefähr 16 qm in einer Mobilitätshelferpraxis in ihrem Wohnort für 130.- Euro monatlich brutto und beantragte am 27.02.2008 die Übernahme der dadurch entstehenden Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe. Nach Aufgabe der Praxis trat eine auf den Namen der Eltern der Klägerin lautende Stiftung in den Mietvertrag über die gesamten Praxisräume ein und schloss mit der Klägerin einen neuen Untermietvertrag, wobei der Mietzins gleichblieb.

Mit Bescheid vom 13.10.2008 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, Kosten für die Anmietung von Lagerräumen etc. seine keine im Wege von §§ 42, 29 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) abzudeckenden Unterkunftskosten. Den am 17.11.2008 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, eine Beschränkung auf Wohnräume i.e.S. sei § 29 SGB XII nicht zu entnehmen. Im Übrigen habe sie Anspruch auf Leistungen der vorbeugenden Gesundheitshilfe. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 24.02.2009 (zugegangen am 27.02.2009) zurück und führte aus, gegen eine Berücksichtigung als Unterkunft spreche bereits, dass der Raum sich mehrere Kilometer von der Wohnung der Klägerin entfernt befinde und offenbar allein zu therapeutischen Zwecken genutzt werde. Außerdem habe auch die vorherige Zustimmung des Sozialhilfeträgers zur Anmietung gefehlt. Ein Anspruch im Rahmen der vorbeugenden Gesundheitshilfe scheide aus, da er seinem Umfang nach der Gesetzlichen Krankenversicherung entspreche. Da im vorliegenden Fall eine Gesetzliche Krankenversicherung bestehe, müsse sich die Klägerin an diese halten.

Hiergegen richtet sich die am 27.03.2009 erhobene Klage.

Die Klägerin führt aus, ein Anspruch ergebe sich jedenfalls aus § 73 SGB XII. Da eine Eintrittspflicht der Krankenkassen mangels Einschlägigkeit des Leistungskatalogs ausscheide, obliege es dem Sozialhilfeträger, der Klägerin die Benutzung des Gangtrainers zu ermöglichen, auf die sie zur Erhaltung ihrer physischen Konstitution dringend angewiesen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 13.10.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2009 zu verurteilen, Mietkosten in Höhe von 130,00 Euro monatlich ab dem 01.02.2008 zu erstatten.

Der Beklagte beantagt,

die Klage abzuweisen.

Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und führt aus, § 73 SGB XII trage nur atypischen Bedarfslagen Rechnung und dürfe insbesondere nicht dazu führen, dass andernorts normierte Leistungsvoraussetzungen umgangen würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angegriffenen Entscheidungen nicht beschwert i. S. d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie hat unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Aufstellung des Gangtrainers.

Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus § 42 SGB XII i.V.m. § 29 SGB XII, denn die hier geltend gemachten Kosten zählen nicht zu den Leistungen für Unterkunft im Sinne der genannten Vorschrift. § 29 SGB XII trägt dem Grundbedürfnis des Menschen nach Wohnen Rechnung (vgl. nur Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., 2008, § 29, Rn. 7). Die Klägerin nutzt den betreffenden Raum jedoch gerade nicht zum Wohnen, sondern zu therapeutischen Zwecken. Dem steht nicht entgegen, dass - wie die Klägerin im Verwaltungsverfahren ausgeführt hat - auch die Räumlichkeiten einer Wohnung nicht immer im engeren Sinne zu Aufenthaltszwecken benutzt werden. Denn Lagerräume etc. sind Nebeneinrichtungen zur Wohnung und damit dem Wohnbedarf funktional zugeordnet.

Einem Anspruch auf der Grundlage der Hilfe zur Gesundheit steht die bestehende Krankenversicherung entgegen, § 2 Abs. 1 SGB XII. Die Hilfen zur Gesundheit (§§ 47 ff. SGB XII) sind gegenüber der Krankenbehandlung nach dem Krankenversicherungsrecht nachrangig (hierzu und zum Folgenden LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.12.2007, L 7 SO 4180/06, juris, Rn. 19 m.w.N.). Der Leistungsumfang im Rahmen der Krankenhilfe ist identisch mit dem der Gesetzlichen Krankenversicherung. Mit dieser Angleichung wollte der Gesetzgeber gezielt eine Besserstellung von Sozialhilfeempfängern gegenüber (anderen) Pflichtversicherten verhindern. Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes - GG) ausführt, die Nutzung des Gangtrainers sei aus medizinischen Gründen unabweisbar indiziert, muss sie dies - so es denn zutrifft - gegenüber dem zuständigen Träger der Krankenversicherung geltend machen. Mit der Einbeziehung von Sozialhilfeempfängern in das System der Gesetzlichen Krankenversicherung hat der Gesetzgeber deren Träger für umfassend zuständig zur Gewährung all dessen erklärt, was unter eine der in § 11 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) aufgeführten Leistungsarten fällt. Insbesondere kommt es - schon um Sozialhilfebezieher nicht besser zu stellen als andere Pflichtversicherte - nicht in Betracht, den Sozialleistungsträger subsidiär für solche Leistungen in die Pflicht zu nehmen, die der Sache nach zu einer dieser Leistungsarten gehören, auf die aber aus anderen Gründen kein Anspruch nach Krankenversicherungsrecht besteht. Die Klägerin kann sich daher gegenüber dem Sozialhilfeträger nicht auf die - ihrer Auffassung nach - mangelnde Eintrittspflicht des Krankenversicherungsträgers berufen, sondern sie muss sich an den Krankenversicherungsträger wenden, dessen einschlägige Leistungsvorschriften ebenfalls im Lichte der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit auszulegen sind (vgl. nur den sog. Nikolausbeschluss des BVerfG vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 = BVerfGE 115, 25 ff.; = SGb 2006, 611 ff.).

Aus denselben Gründen scheitert auch ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe, insbesondere nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII i.V.m. § 26 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX), denn auch insoweit ist für gesetzlich krankenversicherte Hilfebedürftige das Krankenversicherungsrecht vorrangig (Wahrendorf, a.a.O., § 54, Rn. 4).

Auch § 73 Satz 1 SGB XII ist als Anspruchsgrundlage nicht einschlägig. Hiernach können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Eine sonstige Lebenslage in diesem Sinne liegt nur vor, wenn sich die Hilfesituation thematisch keiner der in § 8 SGB XII aufgeführten Hilfen zuordnen lässt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.12.2007, L 7 SO 4180/06, juris, Rn. 23; Wahrendorf, a.a.O., § 73, Rn. 3), denn § 73 SGB XII stellt - wie der Beklagte zutreffend ausführt - nicht etwa eine Möglichkeit zur Verfügung, in Einzelfällen andernorts ausdrücklich normierte Leistungsvoraussetzungen zu umgehen.

Ausgehend hiervon handelt es sich bei der Anmietung des Praxisraums nicht um eine sonstige Lebenslage in diesem Sinne. Der von der Klägerin geltend gemachte Bedarf lässt sich thematisch nicht allgemein als zusätzlicher Platzbedarf etc. identifizieren (was ohnehin zur Folge hätte, dass ihrem Anspruch § 29 SGB XII als grundsätzlich abschließende Regelung entgegenstünde), sondern ist unter funktionalen Gesichtspunkten (die Klägerin betont, dass sie den Gangtrainer nicht etwa einlagern, sondern benutzen möchte) thematisch dem Bereich der Krankenbehandlung, Rehabilitation etc. zuzuordnen, den das Sozialhilferecht in den §§ 47 ff. SGB XII und §§ 53 ff. SGB XII abschließend regelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung (§ 144 SGG) war schon angesichts der bisher aufgelaufenen Mietkosten nicht zu treffen.
Rechtskraft
Aus
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