Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 108/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Abrechnungsbescheid vom 28.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2009 wird in Höhe von 109,01 EUR aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 19/20, die Beklagte zu 1/20. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen für die Quartale 3/2003 bis 4/2004 in Bezug auf die Nr. 157 EBM (Krebsfrüherkennungs-Untersuchung).
Der Kläger ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Bis zum Jahresende 2004 war er in M zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Mit Quartalskonto/Abrechnungsbescheid für das Quartal 2/2008 vom 28.10.2008 verfügte die Beklagte eine Belastung in Höhe von 1.978,41 EUR. Versi- cherte hätten höchstens einmal jährlich Anspruch auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Wegen der Mehrfachabrechnung dieser Untersuchungen pro Kalenderjahr sei die Abrechnung zu berichtigen gewesen. Ausweislich der beigefügten Fallnachweise wurde jeweils der zweite Ansatz der Nr. 157 EBM berichtigt, wobei sich der Berichtigungszeitraum auf die Quartale 3/2003 bis 4/2004 erstreckt.
Diesem Bescheid widersprach der Kläger und erhob die Einrede der Verjährung. Jedenfalls sei Verwirkung eingetreten. Aufgrund des Zeitablaufes von vier Jahren habe er nicht mehr damit rechnen müssen, in Anspruch genommen zu werden. Hinzu komme, dass die Beklagte ihm mit Schreiben vom 25.04.2005 mitgeteilt habe, von der Restzahlung für das Quartal 4/2004 in Höhe von 9.044,45 EUR werde vorsorglich ein Betrag von 1.044,45 EUR einbehalten, bis feststehe, dass kein Prüfungsverfahren anhängig sei und Forderungen der Krankenkassen nicht mehr bestünden. Dann solle der Betrag ausgezahlt werden, wobei als Termin der April 2006 genannt worden sei. Tatsächlich sei der einbehaltene Betrag im Jahre 2006 an ihn ausgekehrt worden. Durch das Zusammenspiel des Zeitmomentes mit diesem Umstandsmoment habe die Beklagte einen Vertrauenstatbestand gesetzt, der zur Verwirkung des Anspruchs führe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die Prüfung habe ergeben, dass der Kläger die Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nach Nr. 157 EBM bei 144 Patientinnen entgegen § 25 Abs. 2 SGB V mehr als einmal im Kalenderjahr abgerechnet habe. Honorarbescheide ergingen unter dem Vorbehalt einer späteren Kontrolle und könnten innerhalb von vier Jahren nach Erlass nachträglich berichtigt werden. Darüber hinaus sei bei ganz offensichtlichen Abrechnungsfehlern auch nach Ablauf dieser Frist eine Berichtigung möglich. Die Durchführung von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen in einem nicht zulässigen Abrechnungszeitraum sei als offensichtlicher Abrechnungsfehler anzusehen.
Hiergegen richtet sich die am 02.06.2009 erhobene Klage.
Der Kläger hält die Forderung der Beklagten weiterhin für verjährt, zumindest für verwirkt.
Der Kläger beantragt,
den Quartalsabrechnungsbescheid für das Quartal 2/2008 vom 28.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), als diese auch für Quartale 3/2003 bis 2/2004 Honorarberichtigungen verfügen. Insofern sind die Be- scheide rechtswidrig. Im Übrigen, d.h. bezüglich der auf die Quartale 3/2004 und 4/2004 entfallenden Berichtigungen, sind die Bescheide rechtmäßig.
Die Beklagte ist nach § 106a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) berechtigt und verpflichtet, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte festzustellen. Festzustellen ist hierbei, ob die Abrechnungen mit den Abrechnungsvorgaben des EBM, den Honorarverteilungsverträgen (HVV) sowie weiteren Abrechnungsbestimmungen übereinstimmen oder ob zu Unrecht Honorare angefordert wurden (vgl. BT-Drucksache 15/1525 S. 117 zu § 106a SGB V). Daneben obliegt der Beklagten gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) und § 34 Abs. 4 des Bundesmantelvertrages-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä) die Prüfung der von den Vertragsärzten vorgelegten Abrechnung ihrer vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Die Kassenärztliche Vereinigung berichtigt ggf. die fehlerhafte Honoraranforderung des Vertragsarztes.
Materiell-rechtlich liegen die Voraussetzungen für die sachlich-rechnerischen Berichtigungen vor. Die Gebührenziffern 157 EBM (bis 31.03.2005) bzw. 01730 EBM 2000plus (ab 01.04.2005) honorieren die "Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen bei der Frau gemäß Abschnitt B der Krebsfrüherkennungs-Richtlinien". Nach der Einleitung zu diesen Richtlinien bestimmen die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 SGB V beschlossenen Richtlinien das Nähere über die den gesetzlichen Erfordernissen des § 25 Abs. 2 und 3 SGB V entsprechenden ärztlichen Maßnahmen zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Nach der insofern in Bezug genommenen Vorschrift des § 25 Abs. 2 SGB V haben Versicherte höchstens einmal jährlich Anspruch auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Diese Vorgabe im Bereich des Leistungsrechts ist somit auch im Bereich des Leistungserbringungsrechts unmittelbar von Bedeutung (sog. Einheit von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht; vgl. BSG, Urteil vom 28.01.2009 - B 6 KA 61/07 R - m.w.N.). Dies bedeutet hier, dass die Nrn. 157 EBM bzw. 01730 EBM 2000plus für den die Früherkennungsuntersuchungen durchführenden Vertragsarzt ebenfalls nur höchstens einmal jährlich abrechenbar sind. Jährlich bedeutet nicht zwingend kalenderjährlich, aber in Abständen von jeweils 12 Monaten. In den streitbefangenen Berichtigungsfällen hatte der Kläger diese Leistungen zweimal jährlich abgerechnet, wie sich aus der dem Bescheid beigefügten Auflistung im Einzelnen ergibt.
Ob und inwieweit die wiederholten Krebsvorsorgeuntersuchungen der Patientinnen medizinisch indiziert waren, ist hierbei unerheblich. Gesundheitsuntersuchungen im Sinne des § 25 SGB V sind Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten. Untersuchungsziel ist die Feststellung von Anzeichen von Vor- und Frühstadien von Krankheiten, wobei Anspruchsberechtigte gerade gesunde oder symptomlose Versicherte sind. Dies bedingt ein einschränkendes Verständnis des gesetzlichen Auftrags der Gesundheitsuntersuchung. Nach der systematischen Stellung der Vorschrift im Vierten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB V ist als Gesundheitsuntersuchung im Sinne des § 25 SGB V nur diejenige (Früh-)Diagnostik zu verstehen, die nicht schon durch offen zutage getretene individuelle Beschwerden oder Risiken veranlasst ist (vgl. Schütze, jurisPK-SGB V, § 25 Rdnr. 6 ff.). Für solche kommen Diagnoseleistungen im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 SGB V in Betracht. Diese sind jeweils einzelfallbezogen und setzen einen konkreten individuellen Untersuchungsanlass voraus. So können ärztliche Untersuchungen nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zur Diagnose von Vor- und Frühstadien von Krankheiten beansprucht werden, soweit der individuelle Gesundheitszustand des Versicherten den hinreichend konkreten Verdacht nahe legt, dass eine nach § 27 SGB V behandlungsbedürftige Krankheit bereits eingetreten ist. Dazu besteht Anlass, soweit die konkreten Umstände im Einzelfall eine nähere Abklärung der gesundheitlichen Situation angezeigt erscheinen lassen, um entscheiden zu können, ob Maßnahmen zur Heilung einer Erkrankung eingeleitet werden müssen oder nicht. Solche anlassbezogenen Untersuchungsleistungen sind jedoch nicht nach den Nrn. 157 EBM/01730 EBM 2000plus abrechnungsfähig.
Die auf dieser Grundlage durchgeführten Berichtigungen sind für den Zeitraum der Quartale 3/2004 und 4/2004 rechtmäßig. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt für sachlich-rechnerische Richtigstellungen eine vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb derer Richtigstellungsbescheide der Kassenärztlichen Vereinigungen dem Betroffenen bekannt gegeben werden müssen. Diese Ausschlussfrist beginnt mit dem Tag nach der Bekanntgabe des Honorarbescheides für das jeweils betroffene Quartal (BSG, Urteil vom 28.03.2007 - B 6 KA 26/06 R -). Diese Frist ist für die Quartale ab 3/2004 gewahrt. Der Abrechnungsbescheid für das Quartal 3/2004 trägt das Ausfertigungsdatum 25.01.2005. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28.10.2008 liegt innerhalb der Vier-Jahres-Frist. Mit der Einrede der Verjährung dringt der Kläger somit nicht durch.
Der Rückforderungsanspruch der Beklagten ist auch nicht verwirkt. Die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitete Verwirkung tritt - auch im Vertragsarztrecht (vgl. BSGE 72, 271, 278; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr. 11) - bei illoyaler Verspätung ein, d.h. insbesondere dann, wenn der Berechtigte ein Recht für längere Zeit nicht ausgeübt hat ("Zeitmoment") und der Verpflichtete sich aufgrund eines besonderen Verhaltens des Berechtigten darauf einstellen durfte, dass dieses Recht nicht mehr ausgeübt werden würde ("Umstandsmoment"; BSG, Urteil vom 12.12.2001 - B 6 KA 2/01 R - m.w.N.). Vorliegend fehlt es bereits am Zeitmoment, denn innerhalb von vier Jahren nach Erlass eines Abrechnungsbescheides sind die Kassenärztlichen Vereinigungen zu dessen sachlich-rechnerischer Korrektur befugt. Bei genauerer Durchsicht des Schreibens der Beklagten vom 25.04.2005 kann aber auch kein Umstandsmoment festgestellt werden. Mit diesem Schreiben teilt die Beklagte mit, sie sei u.a. aufgrund der z. Zt. gültigen Vereinbarungen mit den Krankenkassen verpflichtet, bei Schließung der Praxis Zahlungen an einen Arzt solange auszusetzen, bis festgestellt sei, ob Prüfverfahren anhängig oder Schadensersatzforderungen angemeldet worden seien. Sobald feststehe, dass Regressforderungen von Krankenkassen nicht mehr zu erwarten seien, werde sie den einbehaltenen Betrag wieder auszahlen. Dem mit dem Abrechnungs- und Prüfsystem vertrauten Vertragsarzt musste klar sein, dass sich diese Aussagen nur auf Prüfverfahren im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung beziehen konnten, an denen die Krankenkassen beteiligt sind (§ 106 SGB V). In den entsprechenden Prüfvereinbarungen (hier: in der Fassung ab 01.01.2001; Rhein. Ärzteblatt 6/2001, 109 ff.) sind verschiedene Fristen für die Stellung von Prüfanträgen geregelt (z.B. in §§ 10 Abs. 2, 13 Abs. 6 und 11, 15 Abs. 2 PrüfV), deren längste (für alle routinemäßigen Prüfungen außerhalb der Feststellung eines sonstigen Schadens durch schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten) 12 Monate zuzüglich dreier weiterer Monate für die Nachreichung der Antragsbegründung und der Unterlagen beträgt (vgl. dazu näher LSG NRW, Urteil vom 28.01.2009 - L 11 KA 24/08 -). Bezogen auf das letzte von dem Kläger abgerechnete Quartal 4/2004 erklärt sich hieraus der avisierte Termin April 2006, zu dem der einbehaltene Honoraranteil wieder ausgezahlt werden könne. Denn zu diesem Zeitpunkt liefen alle Antragsfristen für die Krankenkassen ab, und wenn bis dahin keine Prüfverfahren anhängig oder Regressforderungen angemeldet worden sein sollten, hätte für die Beklagte kein Rechtsgrund bestanden, den Honoraranteil weiter einbehalten zu dürfen. Die hier streitige sachlich-rechnerische Berichtigung wird von dem Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 25.04.2005 jedoch nicht berührt. Denn die Prüfung der Abrechnung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit obliegt den Kassenärztlichen Vereinigungen in eigener Verantwortlichkeit ohne Verfahrensbeteiligung der Krankenkassen. Aus der Sicht eines verständigen Vertragsarztes konnte dieses Schreiben daher keinen Vertrauensschutz dahin begründen, dass eine sachlich-rechnerische
Berichtigung der Abrechnung nicht mehr erfolgen würde.
Auch andere Tatbestände des Vertrauensschutzes liegen nicht vor. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (zuletzt BSG, Urteil vom 06.05.2009 - B 6 KA 2/08 R - m.w.N.) sind nachträgliche Honorarberichtigungen auch ausgeschlossen, soweit die Kassenärztliche Vereinigung ihre Befugnis zu sachlich-rechnerischer Richtigstellung bereits "verbraucht" hat, indem sie die Honoraranforderung des Vertragsarztes in einem der ursprünglichen Honorarverteilung nachfolgenden Verfahren auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit bereits überprüft und vorbehaltlos bestätigt hatte. Darüber hinaus ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen Vertrauensschutz zu beachten, wenn die Kassenärztliche Vereinigung es unterlassen hatte, bei der Erteilung des Honorarbescheides auf ihr bekannte Ungewissheiten hinsichtlich der Grundlagen der Honorarverteilung hinzuweisen und dadurch schützenswertes Vertrauen bei den Vertragsärzten hervorgerufen wurde, oder wenn sie die Erbringung bestimmter Leistungen in Kenntnis aller Umstände längere Zeit geduldet hatte, diese später jedoch für den betroffenen Vertragsarzt als fachfremd beurteilt und deshalb insgesamt von einer Vergütung ausschließt. Schließlich ist eine nachträgliche Korrektur von Honorarbescheiden mit Wirkung ex tunc aus Gründen des Vertrauensschutzes auch eingeschränkt, wenn die Fehlerhaftigkeit des Bescheides aus Umständen herrührt, die außerhalb des eigentlichen Bereichs einer sachlich und rechnerisch korrekten Honorarabrechnung und -verteilung liegen und deshalb die besonderen Funktionsbedingungen des Systems vertragsärztlicher Honorierung nicht konkret tangiert sind.
Keiner dieser Gesichtspunkte ist hier einschlägig. Die vorliegende Honorarberichtigung ist Folge der erstmaligen sachlich-rechnerischen Prüfung der Abrechnung der Nr. 157 EBM. Ungewissheiten hinsichtlich der Grundlagen der Honorarverteilung, die ihren Ausdruck etwa in einem pauschalen Berichtigungs- oder Vorläufigkeitsvorbehalt in dem ursprünglichen Honorarbescheid gefunden hätten (vgl. BSGE 89, 62, 72; Urteil vom 26.06.2002 - B 6 KA 26/01 R -), bestanden nicht. Die Abrechnung der Leistung nach Nr. 157 EBM ist auch nicht wegen Fachfremdheit für den Kläger berichtigt worden. Systemische Rechtsanwendungsfehler der Beklagten mit Korrektur zulasten des Klägers liegen schließlich ebenfalls nicht vor.
Soweit sich der streitbefangene Abrechnungsbescheid vom 28.10.2008 auf frühere Quartale als 3/2004 erstreckt, ist die Ausschlussfrist von vier Jahren für sachlich-rechnerische Berichtigungen nicht gewahrt. Dies gilt auch für das Quartal 2/2004. Der Abrechnungsbescheid hierfür datiert vom 25.10.2004. Bei der üblichen Übermittlung durch die Post gilt der Bescheid, wenn er am selben Tage mit einfachem Brief abgesandt worden ist, als am 28.10.2004 bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)). Der Abrechnungsbescheid vom 28.10.2008 gilt danach als am 31.10.2008 bekannt gegeben und liegt somit außerhalb der Vier-Jahres-Frist.
Nach Ablauf dieser Frist ist eine Richtigstellung auf der Rechtsgrundlage des § 106a SGB V bzw. der bundesmantelvertraglichen Richtigstellungsvorschriften ausgeschlossen. Sie ist dann nur noch nach Maßgabe der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 SGB X möglich (BSG, Urteil vom 28.03.2007 - B 6 KA 26/06 R -). Danach kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit (Nr. 3) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Voraussetzung für die teilweise Aufhebung der Honorarbescheide ist danach nicht die vorsätzlich falsche Abrechnung. Andererseits reicht leichte Fahrlässigkeit des Arztes oder des von ihm beauftragten Personals nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 -).
Dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der ihm erteilten Abrechnungsbescheide kannte, ist weder ersichtlich noch von der Beklagten behauptet worden. Die Kammer vermochte sich auch vom Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit nicht zu überzeugen. Als Verschulden in dieser Form ist es anzusehen, wenn die gebotene Sorgfalt, die vom Begünstigten hätte erwartet werden können und müssen, in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, insbesondere einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind (vgl. von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 45 Rn. 24 m.w.N.). Zwar dürfte man davon ausgehen können, dass die Kenntnis einer lediglich jährlichen Anspruchsberechtigung von Frauen auf Krebsfrüherkennungsuntersuchungen regelmäßig zum Allgemeingut eines erfahrenen Gynäkologen gehört. Denn die gesetzliche Regelung wurde bereits durch § 181 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes (BGBl. I 1970, 1770) vor über 30 Jahren eingeführt und durch entsprechende Beschlüsse des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (später: des Gemeinsamen Bundesausschusses) näher ausgestaltet. Andererseits ist die Leistungslegende der Nr. 157 EBM nicht dergestalt formuliert, dass unmittelbar aus ihr selbst die maßgeblichen Untersuchungsintervalle hervorgehen. Diese erschließen sich erst durch Studium der Krebsfrüherkennungs-Richtlinien, die ihrerseits im Laufe der Jahre mehrfach geändert wurden (zuletzt allein in der Zeit seit 01.01.2004 achtmal) und einen nicht unbeträchtlichen Umfang aufweisen (Fassung vom 01.01.2004: 43 Seiten; vgl. http://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/ historie/zur-richtlinie/17). Hinzu kommt vor allem, dass der eingangs skizzierte - restriktive - gesetzliche Auftrag der Krebsfrüherkennungsuntersuchung nicht zwingend jedem Gynäkologen in dieser trennscharfen Deutlichkeit bekannt war, so dass es zu Vermengungen mit inhaltlich gleichen Diagnoseleistungen im Rahmen echter Krankenbehandlung, die nach anderen EBM-Ziffern abrechenbar waren, gekommen sein mag. Dass nicht alle Gynäkologen den Inhalt der Leistung nach Nr. 157 EBM im zutreffenden Sinne verstanden haben dürften, lässt sich auch daran ermessen, dass beim Sozialgericht Düsseldorf in allen für das Vertragsarztrecht zuständigen Kammern mittlerweile eine gewisse Anzahl von Parallelstreitsachen mit derselben Problematik eingegangen ist. Insgesamt ist das Verschulden des Klägers nach Auffassung der Kammer zwar als fahrlässig anzusehen, die Grenze zur groben Fahrlässigkeit aber sicher nicht überschritten.
Die Berichtigungen für die Quartale 3/2003 bis 2/2004 erweisen sich damit als rechtswidrig. Betroffen sind die Abrechnungen bezüglich der Patientinnen D (13,86 EUR), E (13,86 EUR), H (13,30 EUR), I (13,86 EUR), L (13,86 EUR), T1 (13,30 EUR), X, T2 (13,86 EUR) und T3 (13,11 EUR). Die Bescheide waren daher in Höhe von 109,01 EUR aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Wegen der im Hinblick auf die anhängigen Parallelverfahren grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Kammer die Berufung zugelassen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen für die Quartale 3/2003 bis 4/2004 in Bezug auf die Nr. 157 EBM (Krebsfrüherkennungs-Untersuchung).
Der Kläger ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Bis zum Jahresende 2004 war er in M zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Mit Quartalskonto/Abrechnungsbescheid für das Quartal 2/2008 vom 28.10.2008 verfügte die Beklagte eine Belastung in Höhe von 1.978,41 EUR. Versi- cherte hätten höchstens einmal jährlich Anspruch auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Wegen der Mehrfachabrechnung dieser Untersuchungen pro Kalenderjahr sei die Abrechnung zu berichtigen gewesen. Ausweislich der beigefügten Fallnachweise wurde jeweils der zweite Ansatz der Nr. 157 EBM berichtigt, wobei sich der Berichtigungszeitraum auf die Quartale 3/2003 bis 4/2004 erstreckt.
Diesem Bescheid widersprach der Kläger und erhob die Einrede der Verjährung. Jedenfalls sei Verwirkung eingetreten. Aufgrund des Zeitablaufes von vier Jahren habe er nicht mehr damit rechnen müssen, in Anspruch genommen zu werden. Hinzu komme, dass die Beklagte ihm mit Schreiben vom 25.04.2005 mitgeteilt habe, von der Restzahlung für das Quartal 4/2004 in Höhe von 9.044,45 EUR werde vorsorglich ein Betrag von 1.044,45 EUR einbehalten, bis feststehe, dass kein Prüfungsverfahren anhängig sei und Forderungen der Krankenkassen nicht mehr bestünden. Dann solle der Betrag ausgezahlt werden, wobei als Termin der April 2006 genannt worden sei. Tatsächlich sei der einbehaltene Betrag im Jahre 2006 an ihn ausgekehrt worden. Durch das Zusammenspiel des Zeitmomentes mit diesem Umstandsmoment habe die Beklagte einen Vertrauenstatbestand gesetzt, der zur Verwirkung des Anspruchs führe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die Prüfung habe ergeben, dass der Kläger die Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nach Nr. 157 EBM bei 144 Patientinnen entgegen § 25 Abs. 2 SGB V mehr als einmal im Kalenderjahr abgerechnet habe. Honorarbescheide ergingen unter dem Vorbehalt einer späteren Kontrolle und könnten innerhalb von vier Jahren nach Erlass nachträglich berichtigt werden. Darüber hinaus sei bei ganz offensichtlichen Abrechnungsfehlern auch nach Ablauf dieser Frist eine Berichtigung möglich. Die Durchführung von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen in einem nicht zulässigen Abrechnungszeitraum sei als offensichtlicher Abrechnungsfehler anzusehen.
Hiergegen richtet sich die am 02.06.2009 erhobene Klage.
Der Kläger hält die Forderung der Beklagten weiterhin für verjährt, zumindest für verwirkt.
Der Kläger beantragt,
den Quartalsabrechnungsbescheid für das Quartal 2/2008 vom 28.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), als diese auch für Quartale 3/2003 bis 2/2004 Honorarberichtigungen verfügen. Insofern sind die Be- scheide rechtswidrig. Im Übrigen, d.h. bezüglich der auf die Quartale 3/2004 und 4/2004 entfallenden Berichtigungen, sind die Bescheide rechtmäßig.
Die Beklagte ist nach § 106a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) berechtigt und verpflichtet, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte festzustellen. Festzustellen ist hierbei, ob die Abrechnungen mit den Abrechnungsvorgaben des EBM, den Honorarverteilungsverträgen (HVV) sowie weiteren Abrechnungsbestimmungen übereinstimmen oder ob zu Unrecht Honorare angefordert wurden (vgl. BT-Drucksache 15/1525 S. 117 zu § 106a SGB V). Daneben obliegt der Beklagten gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) und § 34 Abs. 4 des Bundesmantelvertrages-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä) die Prüfung der von den Vertragsärzten vorgelegten Abrechnung ihrer vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Die Kassenärztliche Vereinigung berichtigt ggf. die fehlerhafte Honoraranforderung des Vertragsarztes.
Materiell-rechtlich liegen die Voraussetzungen für die sachlich-rechnerischen Berichtigungen vor. Die Gebührenziffern 157 EBM (bis 31.03.2005) bzw. 01730 EBM 2000plus (ab 01.04.2005) honorieren die "Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen bei der Frau gemäß Abschnitt B der Krebsfrüherkennungs-Richtlinien". Nach der Einleitung zu diesen Richtlinien bestimmen die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 SGB V beschlossenen Richtlinien das Nähere über die den gesetzlichen Erfordernissen des § 25 Abs. 2 und 3 SGB V entsprechenden ärztlichen Maßnahmen zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Nach der insofern in Bezug genommenen Vorschrift des § 25 Abs. 2 SGB V haben Versicherte höchstens einmal jährlich Anspruch auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Diese Vorgabe im Bereich des Leistungsrechts ist somit auch im Bereich des Leistungserbringungsrechts unmittelbar von Bedeutung (sog. Einheit von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht; vgl. BSG, Urteil vom 28.01.2009 - B 6 KA 61/07 R - m.w.N.). Dies bedeutet hier, dass die Nrn. 157 EBM bzw. 01730 EBM 2000plus für den die Früherkennungsuntersuchungen durchführenden Vertragsarzt ebenfalls nur höchstens einmal jährlich abrechenbar sind. Jährlich bedeutet nicht zwingend kalenderjährlich, aber in Abständen von jeweils 12 Monaten. In den streitbefangenen Berichtigungsfällen hatte der Kläger diese Leistungen zweimal jährlich abgerechnet, wie sich aus der dem Bescheid beigefügten Auflistung im Einzelnen ergibt.
Ob und inwieweit die wiederholten Krebsvorsorgeuntersuchungen der Patientinnen medizinisch indiziert waren, ist hierbei unerheblich. Gesundheitsuntersuchungen im Sinne des § 25 SGB V sind Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten. Untersuchungsziel ist die Feststellung von Anzeichen von Vor- und Frühstadien von Krankheiten, wobei Anspruchsberechtigte gerade gesunde oder symptomlose Versicherte sind. Dies bedingt ein einschränkendes Verständnis des gesetzlichen Auftrags der Gesundheitsuntersuchung. Nach der systematischen Stellung der Vorschrift im Vierten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB V ist als Gesundheitsuntersuchung im Sinne des § 25 SGB V nur diejenige (Früh-)Diagnostik zu verstehen, die nicht schon durch offen zutage getretene individuelle Beschwerden oder Risiken veranlasst ist (vgl. Schütze, jurisPK-SGB V, § 25 Rdnr. 6 ff.). Für solche kommen Diagnoseleistungen im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 SGB V in Betracht. Diese sind jeweils einzelfallbezogen und setzen einen konkreten individuellen Untersuchungsanlass voraus. So können ärztliche Untersuchungen nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zur Diagnose von Vor- und Frühstadien von Krankheiten beansprucht werden, soweit der individuelle Gesundheitszustand des Versicherten den hinreichend konkreten Verdacht nahe legt, dass eine nach § 27 SGB V behandlungsbedürftige Krankheit bereits eingetreten ist. Dazu besteht Anlass, soweit die konkreten Umstände im Einzelfall eine nähere Abklärung der gesundheitlichen Situation angezeigt erscheinen lassen, um entscheiden zu können, ob Maßnahmen zur Heilung einer Erkrankung eingeleitet werden müssen oder nicht. Solche anlassbezogenen Untersuchungsleistungen sind jedoch nicht nach den Nrn. 157 EBM/01730 EBM 2000plus abrechnungsfähig.
Die auf dieser Grundlage durchgeführten Berichtigungen sind für den Zeitraum der Quartale 3/2004 und 4/2004 rechtmäßig. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt für sachlich-rechnerische Richtigstellungen eine vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb derer Richtigstellungsbescheide der Kassenärztlichen Vereinigungen dem Betroffenen bekannt gegeben werden müssen. Diese Ausschlussfrist beginnt mit dem Tag nach der Bekanntgabe des Honorarbescheides für das jeweils betroffene Quartal (BSG, Urteil vom 28.03.2007 - B 6 KA 26/06 R -). Diese Frist ist für die Quartale ab 3/2004 gewahrt. Der Abrechnungsbescheid für das Quartal 3/2004 trägt das Ausfertigungsdatum 25.01.2005. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28.10.2008 liegt innerhalb der Vier-Jahres-Frist. Mit der Einrede der Verjährung dringt der Kläger somit nicht durch.
Der Rückforderungsanspruch der Beklagten ist auch nicht verwirkt. Die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitete Verwirkung tritt - auch im Vertragsarztrecht (vgl. BSGE 72, 271, 278; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr. 11) - bei illoyaler Verspätung ein, d.h. insbesondere dann, wenn der Berechtigte ein Recht für längere Zeit nicht ausgeübt hat ("Zeitmoment") und der Verpflichtete sich aufgrund eines besonderen Verhaltens des Berechtigten darauf einstellen durfte, dass dieses Recht nicht mehr ausgeübt werden würde ("Umstandsmoment"; BSG, Urteil vom 12.12.2001 - B 6 KA 2/01 R - m.w.N.). Vorliegend fehlt es bereits am Zeitmoment, denn innerhalb von vier Jahren nach Erlass eines Abrechnungsbescheides sind die Kassenärztlichen Vereinigungen zu dessen sachlich-rechnerischer Korrektur befugt. Bei genauerer Durchsicht des Schreibens der Beklagten vom 25.04.2005 kann aber auch kein Umstandsmoment festgestellt werden. Mit diesem Schreiben teilt die Beklagte mit, sie sei u.a. aufgrund der z. Zt. gültigen Vereinbarungen mit den Krankenkassen verpflichtet, bei Schließung der Praxis Zahlungen an einen Arzt solange auszusetzen, bis festgestellt sei, ob Prüfverfahren anhängig oder Schadensersatzforderungen angemeldet worden seien. Sobald feststehe, dass Regressforderungen von Krankenkassen nicht mehr zu erwarten seien, werde sie den einbehaltenen Betrag wieder auszahlen. Dem mit dem Abrechnungs- und Prüfsystem vertrauten Vertragsarzt musste klar sein, dass sich diese Aussagen nur auf Prüfverfahren im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung beziehen konnten, an denen die Krankenkassen beteiligt sind (§ 106 SGB V). In den entsprechenden Prüfvereinbarungen (hier: in der Fassung ab 01.01.2001; Rhein. Ärzteblatt 6/2001, 109 ff.) sind verschiedene Fristen für die Stellung von Prüfanträgen geregelt (z.B. in §§ 10 Abs. 2, 13 Abs. 6 und 11, 15 Abs. 2 PrüfV), deren längste (für alle routinemäßigen Prüfungen außerhalb der Feststellung eines sonstigen Schadens durch schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten) 12 Monate zuzüglich dreier weiterer Monate für die Nachreichung der Antragsbegründung und der Unterlagen beträgt (vgl. dazu näher LSG NRW, Urteil vom 28.01.2009 - L 11 KA 24/08 -). Bezogen auf das letzte von dem Kläger abgerechnete Quartal 4/2004 erklärt sich hieraus der avisierte Termin April 2006, zu dem der einbehaltene Honoraranteil wieder ausgezahlt werden könne. Denn zu diesem Zeitpunkt liefen alle Antragsfristen für die Krankenkassen ab, und wenn bis dahin keine Prüfverfahren anhängig oder Regressforderungen angemeldet worden sein sollten, hätte für die Beklagte kein Rechtsgrund bestanden, den Honoraranteil weiter einbehalten zu dürfen. Die hier streitige sachlich-rechnerische Berichtigung wird von dem Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 25.04.2005 jedoch nicht berührt. Denn die Prüfung der Abrechnung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit obliegt den Kassenärztlichen Vereinigungen in eigener Verantwortlichkeit ohne Verfahrensbeteiligung der Krankenkassen. Aus der Sicht eines verständigen Vertragsarztes konnte dieses Schreiben daher keinen Vertrauensschutz dahin begründen, dass eine sachlich-rechnerische
Berichtigung der Abrechnung nicht mehr erfolgen würde.
Auch andere Tatbestände des Vertrauensschutzes liegen nicht vor. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (zuletzt BSG, Urteil vom 06.05.2009 - B 6 KA 2/08 R - m.w.N.) sind nachträgliche Honorarberichtigungen auch ausgeschlossen, soweit die Kassenärztliche Vereinigung ihre Befugnis zu sachlich-rechnerischer Richtigstellung bereits "verbraucht" hat, indem sie die Honoraranforderung des Vertragsarztes in einem der ursprünglichen Honorarverteilung nachfolgenden Verfahren auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit bereits überprüft und vorbehaltlos bestätigt hatte. Darüber hinaus ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen Vertrauensschutz zu beachten, wenn die Kassenärztliche Vereinigung es unterlassen hatte, bei der Erteilung des Honorarbescheides auf ihr bekannte Ungewissheiten hinsichtlich der Grundlagen der Honorarverteilung hinzuweisen und dadurch schützenswertes Vertrauen bei den Vertragsärzten hervorgerufen wurde, oder wenn sie die Erbringung bestimmter Leistungen in Kenntnis aller Umstände längere Zeit geduldet hatte, diese später jedoch für den betroffenen Vertragsarzt als fachfremd beurteilt und deshalb insgesamt von einer Vergütung ausschließt. Schließlich ist eine nachträgliche Korrektur von Honorarbescheiden mit Wirkung ex tunc aus Gründen des Vertrauensschutzes auch eingeschränkt, wenn die Fehlerhaftigkeit des Bescheides aus Umständen herrührt, die außerhalb des eigentlichen Bereichs einer sachlich und rechnerisch korrekten Honorarabrechnung und -verteilung liegen und deshalb die besonderen Funktionsbedingungen des Systems vertragsärztlicher Honorierung nicht konkret tangiert sind.
Keiner dieser Gesichtspunkte ist hier einschlägig. Die vorliegende Honorarberichtigung ist Folge der erstmaligen sachlich-rechnerischen Prüfung der Abrechnung der Nr. 157 EBM. Ungewissheiten hinsichtlich der Grundlagen der Honorarverteilung, die ihren Ausdruck etwa in einem pauschalen Berichtigungs- oder Vorläufigkeitsvorbehalt in dem ursprünglichen Honorarbescheid gefunden hätten (vgl. BSGE 89, 62, 72; Urteil vom 26.06.2002 - B 6 KA 26/01 R -), bestanden nicht. Die Abrechnung der Leistung nach Nr. 157 EBM ist auch nicht wegen Fachfremdheit für den Kläger berichtigt worden. Systemische Rechtsanwendungsfehler der Beklagten mit Korrektur zulasten des Klägers liegen schließlich ebenfalls nicht vor.
Soweit sich der streitbefangene Abrechnungsbescheid vom 28.10.2008 auf frühere Quartale als 3/2004 erstreckt, ist die Ausschlussfrist von vier Jahren für sachlich-rechnerische Berichtigungen nicht gewahrt. Dies gilt auch für das Quartal 2/2004. Der Abrechnungsbescheid hierfür datiert vom 25.10.2004. Bei der üblichen Übermittlung durch die Post gilt der Bescheid, wenn er am selben Tage mit einfachem Brief abgesandt worden ist, als am 28.10.2004 bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)). Der Abrechnungsbescheid vom 28.10.2008 gilt danach als am 31.10.2008 bekannt gegeben und liegt somit außerhalb der Vier-Jahres-Frist.
Nach Ablauf dieser Frist ist eine Richtigstellung auf der Rechtsgrundlage des § 106a SGB V bzw. der bundesmantelvertraglichen Richtigstellungsvorschriften ausgeschlossen. Sie ist dann nur noch nach Maßgabe der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 SGB X möglich (BSG, Urteil vom 28.03.2007 - B 6 KA 26/06 R -). Danach kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit (Nr. 3) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Voraussetzung für die teilweise Aufhebung der Honorarbescheide ist danach nicht die vorsätzlich falsche Abrechnung. Andererseits reicht leichte Fahrlässigkeit des Arztes oder des von ihm beauftragten Personals nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 -).
Dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der ihm erteilten Abrechnungsbescheide kannte, ist weder ersichtlich noch von der Beklagten behauptet worden. Die Kammer vermochte sich auch vom Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit nicht zu überzeugen. Als Verschulden in dieser Form ist es anzusehen, wenn die gebotene Sorgfalt, die vom Begünstigten hätte erwartet werden können und müssen, in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, insbesondere einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind (vgl. von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 45 Rn. 24 m.w.N.). Zwar dürfte man davon ausgehen können, dass die Kenntnis einer lediglich jährlichen Anspruchsberechtigung von Frauen auf Krebsfrüherkennungsuntersuchungen regelmäßig zum Allgemeingut eines erfahrenen Gynäkologen gehört. Denn die gesetzliche Regelung wurde bereits durch § 181 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes (BGBl. I 1970, 1770) vor über 30 Jahren eingeführt und durch entsprechende Beschlüsse des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (später: des Gemeinsamen Bundesausschusses) näher ausgestaltet. Andererseits ist die Leistungslegende der Nr. 157 EBM nicht dergestalt formuliert, dass unmittelbar aus ihr selbst die maßgeblichen Untersuchungsintervalle hervorgehen. Diese erschließen sich erst durch Studium der Krebsfrüherkennungs-Richtlinien, die ihrerseits im Laufe der Jahre mehrfach geändert wurden (zuletzt allein in der Zeit seit 01.01.2004 achtmal) und einen nicht unbeträchtlichen Umfang aufweisen (Fassung vom 01.01.2004: 43 Seiten; vgl. http://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/ historie/zur-richtlinie/17). Hinzu kommt vor allem, dass der eingangs skizzierte - restriktive - gesetzliche Auftrag der Krebsfrüherkennungsuntersuchung nicht zwingend jedem Gynäkologen in dieser trennscharfen Deutlichkeit bekannt war, so dass es zu Vermengungen mit inhaltlich gleichen Diagnoseleistungen im Rahmen echter Krankenbehandlung, die nach anderen EBM-Ziffern abrechenbar waren, gekommen sein mag. Dass nicht alle Gynäkologen den Inhalt der Leistung nach Nr. 157 EBM im zutreffenden Sinne verstanden haben dürften, lässt sich auch daran ermessen, dass beim Sozialgericht Düsseldorf in allen für das Vertragsarztrecht zuständigen Kammern mittlerweile eine gewisse Anzahl von Parallelstreitsachen mit derselben Problematik eingegangen ist. Insgesamt ist das Verschulden des Klägers nach Auffassung der Kammer zwar als fahrlässig anzusehen, die Grenze zur groben Fahrlässigkeit aber sicher nicht überschritten.
Die Berichtigungen für die Quartale 3/2003 bis 2/2004 erweisen sich damit als rechtswidrig. Betroffen sind die Abrechnungen bezüglich der Patientinnen D (13,86 EUR), E (13,86 EUR), H (13,30 EUR), I (13,86 EUR), L (13,86 EUR), T1 (13,30 EUR), X, T2 (13,86 EUR) und T3 (13,11 EUR). Die Bescheide waren daher in Höhe von 109,01 EUR aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Wegen der im Hinblick auf die anhängigen Parallelverfahren grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Kammer die Berufung zugelassen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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