L 10 AL 102/09 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 694/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 102/09 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels bemisst sich die Leistungsfähigkeit des Unterhaltschuldners bei einer Abzweigung nach § 48 SGB I nicht nach den Sätzen der Düsseldorfer Tabelle, sondern nach der für das Vollstreckungsverfahren maßgeblichen Norm des § 850d ZPO.
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.03.2009 wird aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren S 1 AL 694/08 vor dem Sozialgericht Nürnberg ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.
II. Der Klägerin wird Rechtsanwältin C. R., B-Stadt, beigeordnet



Gründe:


I.

Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (Az. S 1 AL 694/08). Streitig in diesem Verfahren war die Rechtmäßigkeit der Höhe einer Abzweigung gemäß § 48 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -.
Die 1992 geborene Klägerin ist die Tochter des Beigeladenen D., gegen den die Klägerin einen - durch die vollstreckbare Jugendamtsurkunde (UNr. 457/2000, Gz. 522 - 212 titulierten - Anspruch auf Kindesunterhalt i.H.v. derzeit 291.- EUR monatlich hat. Der Beigeladene erhielt von der Beklagten bis 02.03.2008 laufend Arbeitslosengeld (Alg).
Aufgrund des Bescheides vom 14.08.2007 zweigte die Beklagte vom Alg des Beigeladenen ab 01.08.2007 täglich 0,54 EUR ab.
Den Antrag der Klägerin vom 20.02.2008 auf Überprüfung der Höhe der Abzweigung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.05.2008 ab. Bei der Berechnung des Abzweigungsbetrages sei aufgrund der gefestigten Rechtsprechung des BSG von einem Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen von 770.- EUR monatlich auszugehen.
Hiergegen legte die Klägerin am 04.06.2008 Widerspruch ein. Mit Abhilfebescheid vom 15.10.2008 änderte die Beklagte den Abzweigungsbetrag für die Klägerin ab 05.06.2007 auf 2,14 EUR und ab 01.08.2007 auf 1,07 EUR täglich; dabei wurde der Sohn des Beigeladenen S. nunmehr nicht mehr berücksichtigt. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2008 wies die Beklagte im Übrigen den Widerspruch zurück. Unter Berücksichtigung eines notwendigen Eigenbedarfs des Beigeladenen von 770.- EUR monatlich ergebe sich eine Verteilmasse von 54,10 EUR und daraus für die Klägerin kein über den Betrag des Abhilfebescheides vom 15.10.2008 hinausgehender Abzweigungsbetrag.
Hiergegen hat die Klägerin am 09.12.2008 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, der an die Klägerin auszuzahlende Betrag sei anders zu berechnen. Es sei dem Unterhaltsschuldner lediglich der notwendige Unterhalt gemäß § 850 d ZPO zu belassen, somit 697.- EUR. Der von der Beklagten eingeräumte Selbstbehalt des Beigeladenen i.H.v. monatlich 770.- EUR verstoße gegen die Rechtsprechung des BGH. Mit der Klage ist auch die Bewilligung von PKH für das Klageverfahren beantragt worden.
Mit Beschluss vom 19.03.2009 hat das SG die Bewilligung von PKH abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass die Beklagte die Höhe der Abzweigung rechtlich und rechnerisch richtig festgestellt habe. Nach der Rechtsprechung des BSG seien bei Abzweigungen nach § 48 SGB I die Werte der Düsseldorfer Unterhaltstabelle zu berücksichtigen, somit habe die Beklagte zu Recht den Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen auf 770.- EUR pro Monat festgesetzt.
Mit Urteil vom 14.05.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin am 16.09.2009 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (Az. L 10 AL 149/09) eingelegt.
Gegen den ablehnenden PKH-Beschluss hat die Klägerin am 09.04.2009 Beschwerde zum Bayerischen Landesozialgericht eingelegt und mit im Wesentlichen gleichen Argumenten wie im Klageverfahren begründet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet. Der Klägerin war PKH für das Klageverfahren vor dem SG zu bewilligen.
Nach § 73a Absatz 1 SGG (Sozialgerichtsgesetz) i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO (Zivilpro-zessordnung) erhält PKH eine Partei (im sozialgerichtlichen Verfahren: Beteiligter), die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht zwar nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (BSG vom 17.02.98 - B 13 RJ 83/97 R). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73a Rn.7) ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKH- Beantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen. Allerdings müssen dabei letzte Zweifel an der rechtlichen Beurteilung nicht ausgeschlossen werden, denn eine endgültige und abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Regel nicht möglich und auch nicht notwendig (Peters/ Sautter/ Wolff, SGG, 4.Aufl., Stand 1/2008, § 73a Ziff.13.2 a).
Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Die Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Ehegatten oder den Kindern Unterhalt gewährt (§ 48 Abs 1 Satz 4 SGB I). Das Alg, das der Beigeladene von der Beklagten bezog, war zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt (vgl BSG FamRZ 1987, 274).
Zwischen den Beteiligten ist nicht das Bestehen und die Verletzung einer Unterhaltspflicht streitig, sondern lediglich die Höhe des Abzweigungsbetrages.
Hierbei kann entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten nicht auf die von der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesenen Selbstbehalte - hier 770.- EUR - zurückgegriffen werden. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass sich die Leistungsfähigkeit beim Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels grundsätzlich nach § 850d ZPO beurteilt, vgl. BSG 14. Senat vom 17.03.2009, Az. B 14 AS 34 /07 R. Einen solchen Vollstreckungstitel stellt die Urkunde über die Änderung des Regelbetrages des Jugendamts D-Stadt vom 07.12.2000, UNr. 457/2000, Gz 522 - 212, über den die Klägerin verfügt, dar.
Begründet wird dies damit, dass bei Vorliegen eines Titels eine materiell-rechtliche Prüfung des Unterhaltsanspruchs nicht stattfindet; Maßstab sind somit nicht die für das Erkenntnisverfahren, sondern die für das Vollstreckungsverfahren maßgeblichen Vorschriften. Ansonsten würden in systemwidriger Weise Elemente des Erkenntnis- und des Voll-streckungsverfahrens miteinander vermengt. Bei feststehenden Unterhaltsforderungen ist die Entscheidung über die Abzweigung vollstreckungsähnlicher Natur.
Nach dem BSG besteht in einem solchen Fall in aller Regel auch kein Grund, den Unterhaltsverpflichteten im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB I besser zu stellen als in der Vollstreckung. Andererseits wird durch die Anwendung des § 850d ZPO sichergestellt, dass nicht mehr abgezweigt wird als gepfändet werden kann. Einen ihn über Gebühr belastenden Titel muss der Unterhaltsschuldner im dafür vorgesehenen Verfahren, etwa nach § 323 ZPO ändern lassen.
Dem steht auch nicht die von dem SG zitierte Rspr. z.B. BSG vom 07.10.2004, Az. B 11 AL 13/04 R entgegen. Auch in dem dort entschiedenen Fall betont das BSG, dass ein rechtskräftiger Unterhaltstitel die gesetzliche Unterhaltspflicht i.S.d. § 48 SGB I bestimmt. Aus Gründen der Gleichbehandlung von Unterhaltsberechtigten im engsten Familienkreis sei aber eine Ausnahme dann vorzunehmen, wenn manche der Angehörigen über einen Unterhaltstitel verfügten und andere Angehörige nicht; die Feststellung der Unterhaltspflicht sei dann einheitlich nach den Vorschriften des BGB vorzunehmen. Eine solche Fallkonstellation ist vorliegend aber nicht gegeben.
Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen hatte die Klage somit hinreichende Aussicht auf Erfolg und war nicht mutwillig.
Nach ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind von der Klägerin monatliche Raten nicht zu erbringen.
Ist die Vertretung durch Anwälte, wie im sozialgerichtlichen Verfahren, nicht vorgeschrieben, so wird dem Beteiligten auf dessen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, § 202 SGG i.V.m. § 121 Absatz 2 ZPO.
Der Senat hält im vorliegenden Fall die Beiordnung eines Rechtsanwaltes für erforderlich, § 121 Absatz 2 ZPO, weil rechtliche Fragen zu klären waren, die einen juristischen Laien regelmäßig überfordern. Insofern war die Beratung durch einen rechtskundigen Vertreter und dessen Beiordnung notwendig, um die Klägerin in die Lage zu versetzen, die Möglichkeiten und Chancen des Prozesses, unabhängig von der Beratung durch das Gericht, abzuschätzen.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG, und ergeht kostenfrei.
Rechtskraft
Aus
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