L 9 R 5785/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 9193/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 5785/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer sowie die Gewährung höherer Rente ohne Verminderung des Zugangsfaktors wegen Inanspruchnahme der Rente vor Vollendung des 63. Lebensjahres.

Der 1965 geborene Kläger, der im März 1980 aus Türkei nach Deutschland zugezogen ist, war im Zeitraum vom 31. August 1981 bis Juli 2005 - zuletzt als Reinigungskraft - versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 28. Juli 2005 ist er - im Wesentlichen wegen der Folgen eines Schlaganfalls - arbeitsunfähig. Bezüglich der einzelnen versicherungsrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 26. Februar 2008 in den Akten der Beklagten verwiesen.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 4. Juli 2006 ausgehend von einem Antrag vom 18. November 2005 und auf Grund eines Leistungsfalles vom 29. Juli 2005 ab 1. Februar 2006 befristet bis 30. September 2007 und - unter Zugrundelegung eines wegen vor Vollendung des 63. Lebensjahres erfolgter Inanspruchnahme der Rente verminderten Zugangsfaktors von 0,892 - Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Widerspruch des Klägers, der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer begehrte, weil die Erwerbsminderung nicht behoben werden könne, sowie höhere Rente ohne Verminderung des Zugangsfaktors erstrebte, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2006 zurückgewiesen.

Grundlage der Entscheidungen waren u. a. der Bericht der Städtischen Klinik Esslingen über eine stationäre Behandlung vom 28. Juli bis 19. August 2005 (Diagnosen: cerebrale Ischämie im vertebrobasilären Versorgungsgebiet bei Verdacht auf Vertebralisdissektion rechts, Hemiparese links, Gangataxie, Schwindel cerebral, Horner-Syndrom rechts, Kopfschmerz, Nackenschmerzen, oberflächliche Thrombophlebitis des rechten Arms, Hypertriglyceridämie, Faktor-V-Leiden Mutation, Protein S-Mangel) und der Bericht über eine stationäre Heilbehandlung in den Fachkliniken Hohenurach vom 15. Dezember 2005 bis 9. Januar 2006 (zusätzliche Diagnose: Verdacht auf Somatisierungsstörung; Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aktuell unter drei Stunden sowie qualitative Leistungseinschränkungen). Ferner lagen den Entscheidungen ein Bericht der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 7. Februar 2006 (Zustand nach Insult 7/2005, depressive Episode, Marcumar, Hemiparese links armbetont), ein MDK-Gutachten von Dr. S. vom 23. September 2005 (u. a. auch zeitweilige Desorientierung) und eine gutachterliche Äußerung der Dr. S. vom 9. Juni 2006 (Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes von wirtschaftlichem Wert seien aktuell nicht möglich, eine neue Leistungsbeurteilung solle in einem Jahr erfolgen, eine Dauerrente komme nicht in Betracht) zu Grunde.

Deswegen hat der Kläger am 30. November 2006 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, mit welcher er die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer sowie die Gewährung höherer Rente ohne Verminderung des Zugangsfaktors erstrebt hat.

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte die Rente mit Bescheid vom 14. März 2008 bis 31. Mai 2010 weiterbewilligt.

Der Kläger hat im Wesentlichen vorgetragen, bei ihm seien ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 sowie die Nachteilsausgleiche "G" und "B" anerkannt. Er habe sich von dem Schlaganfall nicht erholt und er leide unter Hirndurchblutungsstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Kopfschmerzsyndrom, Schlaganfallfolgen, funktionellen Organbeschwerden, depressiver Verstimmung, chronischem Schmerzsyndrom, Schwerhörigkeit mit Ohrgeräusch und Gedächtnisverlust. Ferner bestehe ein erhöhtes Thromboserisiko. Eine Behebung der vollen Erwerbsminderung sei nicht zu erwarten. Sein Gesundheitszustand verschlechtere sich eher langsam. Er sei in Pflegestufe I eingestuft und benötige Krücken. Die Absenkung des Zugangsfaktors sei rechtswidrig.

Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Über die von ihnen erhobenen Befunde haben der Allgemeinmediziner Dr. L.-K. am 3. April 2007, der Urologe Dr. K. am 23. April 2007, der Allgemeinmediziner O. am 26. April 2007, der Orthopäde Dr. F. am 30. April 2007, der HNO-Arzt Dr. Sch. am 31. Mai 2007 und der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. am 28. September 2007 berichtet.

Die Beklagte hat weitere Berichte behandelnder Ärzte und ein Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie H. vom 25. Oktober 2007 vorgelegt. Diese hat die Diagnosen Zustand nach TIA im vertebrobasilären Versorgungsgebiet bei Verdacht auf Vertebralisdissektion, psychische Überlagerung bei erheblicher Regressionstendenz sowie Kiefergelenkarthropathie mit Spannungskopfschmerzen gestellt, das aktuelle Leistungsvermögen auf unter drei Stunden geschätzt und eine Besserung nicht für unwahrscheinlich erachtet. Durch eine medizinische Maßnahme der Rehabilitation sollte die Regression unterbunden und eine Eigenständigkeit erreicht werden, die bei der aktuellen Restsymptomatik sicher zu erzielen sei. Eine Besserung des aktuellen Befundes sei durch eine erneute stationäre Rehabilitation zu erreichen, da der überwiegende Teil der Beschwerden auf die regressive Verhaltensweise und mangelnde Einübung der Selbstständigkeit zurückzuführen sei. Durch eine solche Maßnahme könne die Leistungsfähigkeit erheblich gesteigert werden. Andererseits sei durch die einfache Strukturierung des Klägers und sein mangelndes Verständnis für Möglichkeiten der Rehabilitation die Eingliederung in einen Arbeitsprozess nur durch konsequente Führung und Unterstützung durch die Familie zu erreichen.

Darauf hat die Beklagte dem Kläger vom 29. November 2007 bis 5. Januar 2008 erneut eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in den Kliniken Johannesbad, Bad Füssing, gewährt. Gemäß dem Entlassungsbericht sind eine mittelgradige depressive Episode, ein Zustand nach cerebraler Ischämie im vertebroasilären Versorgungsgebiet bei Verdacht auf Vertebralisdissektion, Spannungskopfschmerzen, eine Hypertonie und ein Tinnitus aurium rechts mit Hörminderung diagnostiziert worden. Das psychosomatische Rehabilitationsverfahren habe keine Steigerung bzw. Stabilisierung des Leistungsvermögens erbracht. Die qualitativen Einschränkungen im Bereich der geistig-psychischen Belastbarkeit der Sinnesorgane (Hörvermögen) und des Bewegungs- bzw. Haltungsapparates seien in der Summe und Ausprägung so gravierend, dass eine Steigerung des Leistungsvermögens über drei Stunden in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Dieses sei aufgehoben. Dem hat sich Dr. S. am 18. Februar 2008 hinsichtlich der Beurteilung des aktuellen Leistungsvermögens angeschlossen. Eine Bewilligung einer Rente auf Dauer komme aber nicht in Frage. Zunächst sollten in 2 Jahren die dann aktuellen medizinischen Befunde ausgewertet werden.

Die Beklagte hat geltend gemacht, es komme nur die Gewährung der weiteren befristeten Rente bis 31. Mai 2010 in Betracht.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 21. November 2008 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, da eine Besserung des gesundheitlichen Zustandes nicht unwahrscheinlich sei. Ferner habe er keinen Anspruch auf Änderung des Zugangsfaktors und somit auf die Gewährung höherer Rente. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gerichtsbescheid verwiesen.

Gegen den am 26. November 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11. Dezember 2008 Berufung eingelegt, mit welcher er die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer sowie ohne Minderung des Zugangsfaktors erstrebt. Gemäß dem Entlassungsbericht der Fachkliniken Hohenurach sei die Erwerbsprognose dauerhaft negativ. Wie das SG in einem anderen Verfahren mitgeteilt habe, sei eine Verfassungsbeschwerde bezüglich der Absenkung des Zugangsfaktors anhängig.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 4. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2006 sowie des Bescheids vom 14. März 2008 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer und ohne Minderung des Zugangsfaktors zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Äußerungen sei es zum Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide vom 4. Juli 2006 und 14. März 2008 nicht unwahrscheinlich gewesen, dass sich innerhalb von drei Jahren bei bestmöglicher Behandlung eine Besserung hätte einstellen können. Hinsichtlich des Zugangsfaktors sei zwar gegen die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. August 2008, B 5 R 140/07 R, eine Verfassungsbeschwerde anhängig, doch sei sie an das geltende Recht und Gesetz gebunden.

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. V. vom 25. August 2009 eingeholt. Dieser ist im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, am 4. Juli 2006 und auch am 14. März 2008 hätten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine dissoziative Bewegungsstörung, eine depressive Störung, ein Zustand nach Hirnstammischämie 2005 mit fraglicher residueller Linkseitensymptomatik und eine Migräne mit visueller Aura vorgelegen. Es hätten sich nun zusätzlich eine Pollakisurie und eine diskrete Harninkontinenz sowie ein Tinnitus beidseits gefunden, deren Auftreten zeitlich nicht eindeutig zuzuordnen sei. Auf Grund der Gesundheitsstörungen seien auch leichte körperliche Tätigkeiten ohne Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit, die Merkfähigkeit und das soziale Anpassungsvermögen über 3 Stunden nicht mehr möglich gewesen. Im Vergleich mit Krankheitsverläufen anderer Patienten mit ähnlichem Krankheitsbild und ähnlichem sozialen Hintergrund habe sich die Behandlung im üblichen Rahmen bewegt. Eine bestmögliche Behandlung habe aber sicherlich nicht vorgelegen. Hierzu wäre insbesondere eine durchgehende psychotherapeutische Behandlung in der Muttersprache, gegebenenfalls auch unter Einbeziehung der Angehörigen, über ein bis zwei Jahre erforderlich gewesen. Bei Erlass der Bescheide vom 4. Juli 2006 und 14. März 2008 sei es nicht unwahrscheinlich gewesen, dass sich innerhalb von 3 Jahren bei bestmöglicher Behandlung eine Besserung hätte einstellen können. Dies deshalb, weil keine wesentlichen hirnorganischen Veränderungen vorlägen, die üblicherweise den Schlaganfallfolgen zugerechnet würden und welche dann nach Ablauf von zwei bis drei Jahren dauerhaft persistierten. Im Gegensatz zu organischen Störungen mit Vernarbungen im Gehirn könne bei psychischen Erkrankungen auch nach mehreren Jahren durchaus noch von einer Dynamik ausgegangen werden, wenn eine entsprechende Behandlung erfolge. Es handle sich um eine seelische Störung, die sehr wahrscheinlich reaktiv auf das ursprüngliche ischämische Ereignis mit Schwindel, Unsicherheit beim Gehen und Ataxie zurückzuführen sei. Im Rahmen der depressiven Störung seien Veränderungen im Sinne einer Besserung der Symptomatik mit Einfluss auf die dissoziative Störung durchaus denkbar, wenn auch eine Chronifizierung vorliege und ein schlechter Verlauf mit einer Persistenz der Symptome wahrscheinlich sei. Unter einer psychotherapeutischen Behandlung, wie oben angeführt, erscheine eine Besserung der Symptomatik aber nicht unwahrscheinlich.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Dieser hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer sowie auf Gewährung der Rente ohne Absenkung des Zugangsfaktors wegen vorzeitiger Inanspruchnahme vor Vollendung des 63. Lebensjahres.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (ab 1. Januar 2008: bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze) Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie - u. a. - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Sie kann verlängert werden, wobei es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn verbleibt (§ 102 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Nach § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI erfolgen Verlängerungen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden gemäß § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann, wovon nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen ist.

Es ist insofern weder erforderlich, dass eine solche Behebung der Erwerbsminderung überwiegend wahrscheinlich ist, noch dass diese in absehbarer Zeit wahrscheinlich sein muss. Unwahrscheinlich im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine rechtlich relevante Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt, wovon erst ausgegangen werden kann, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch danach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Eingeschlossen werden alle Therapiemöglichkeiten nach allgemein anerkannten medizinischen Erfahrungen. Es kommt nicht darauf an, dass eine begründete Aussicht auf Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit besteht. Entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit, das Leistungsvermögen eines Versicherten auf der Grundlage anerkannter Behandlungsmethoden wiederherzustellen. Solange diese Möglichkeit besteht und im Einzelfall keine gesundheitsspezifische Kontraindikation entgegen steht, ist von Unwahrscheinlichkeit der Behebung der Erwerbsminderung nicht auszugehen (vgl. Kater in Kasseler Kommentar, § 102 SGB VI Rdnr. 11 f).

Gemessen an den vorstehenden Voraussetzungen hat die Beklagte dem Kläger zu Recht lediglich eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bewilligt, da es sowohl im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide vom 4. Juli 2006 und 14. März 2008 wie auch weiterhin nicht unwahrscheinlich war bzw. ist, dass die Erwerbsminderung bei optimaler Behandlung behoben werden kann. Der Kläger leidet nach dem Schlaganfall vom 28. Juli 2005 unter einer dissoziativen Bewegungsstörung, einer depressiven Störung, einem Zustand nach Hirnstammischämie 2005 mit fraglicher residueller Linksseitensymptomatik und einer Migräne mit visueller Aura. Diese Gesundheitsstörungen lagen bereits bei Erteilung der angefochtenen Bescheide vor. Hinzugetreten sind eine Pollakisurie, eine diskrete Harninkontinenz und ein Tinnitus beidseits. Diese Gesundheitsstörungen schränken das Leistungsvermögen des Klägers derart ein, dass auch leichte körperliche Tätigkeiten ohne Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit, die Merkfähigkeit und das soziale Anpassungsvermögen über drei Stunden nach wie vor nicht möglich sind.

Allerdings war es zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Bescheide nicht unwahrscheinlich, dass sich innerhalb von drei Jahren bei bestmöglicher Behandlung eine Besserung zu erzielen sein würde. Das ist auch weiterhin der Fall. Dies ergibt sich für den Senat schlüssig und überzeugend aus dem Sachverständigengutachten des Dr. V ... Dieser hat nachvollziehbar dargelegt, dass bislang eine bestmögliche Behandlung des Klägers nicht erfolgt ist, insbesondere keine durchgehende psychotherapeutische Behandlung in der Muttersprache unter Einbeziehung auch der Angehörigen über einen längeren Zeitraum von ein bis zwei Jahren. Es liegen beim Kläger keine wesentlichen hirnorganischen Veränderungen vor, wie sie üblicherweise den Schlaganfallfolgen zugerechnet werden und die dann nach Ablauf von zwei bis drei Jahren dauerhaft persistieren. Maßgebend ist vielmehr eine seelische Störung, die sehr wahrscheinlich reaktiv auf das ursprüngliche ischämische Ereignis mit Schwindel, Unsicherheit beim Gehen und Ataxie, die kurzzeitig im Jahr 2005 organisch verursacht wurden, zurückzuführen ist. Die depressive Störung ist behandelbar und eine Besserung der Symptomatik mit Einfluss auf die dissoziative Störung, wie Dr. V. schlüssig und nachvollziehbar darlegt, ist durchaus denkbar und für den Senat nicht unwahrscheinlich, auch wenn eine Chronifizierung vorliegt. Insbesondere ist eine Besserung der Symptomatik unter psychotherapeutischer Behandlung mit einer Sitzung pro Woche über zwei Jahre und in der Muttersprache sowie unter Einbeziehung der Familienangehörigen nicht unwahrscheinlich. Anders als organische Störungen mit zugrundeliegender Vernarbung im Gehirn kann bei psychischen Erkrankungen auch nach mehreren Jahren durchaus noch von einer Dynamik ausgegangen werden und eine Besserung erzielt werden, so Dr. V. für den Senat schlüssig und überzeugend.

Angesichts dessen hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung der Rente auf Dauer.

Der Kläger hat im Übrigen auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Kürzung des Zugangsfaktors wegen Inanspruchnahme der Rente vor Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,1082 auf 0,892.

Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich nach § 63 Abs. 6 SGB VI i.V.m. § 64 Nr. 1 bis 3 SGB VI durch Vervielfältigung der unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (EPe) mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Wert der Rente. Hierbei ist der Zugangsfaktor ein Berechnungselement der persönlichen EPe, dessen Höhe in § 77 SGB VI näher geregelt ist. Nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 21. Juli 2004 ist der Zugangsfaktor für EPe, die noch nicht Grundlage von persönlichen EPen einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Bei Beginn einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend (§ 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Unter Zugrundelegung dessen hat die Beklagte zu Recht unter Berücksichtigung von 36 Kalendermonaten den Zugangsfaktor 1,0 um 0,108 auf 0,892 vermindert. Zwar hat der vormals für Streitigkeiten aus dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung zuständige 4. Senat des BSG mit verfassungsrechtlicher Begründung entsprechende Rentenabschläge nur für zulässig erachtet, wenn die Rente über das 60. Lebensjahr hinaus bezogen wird (Urteil vom 16. Mai 2006, B 4 RA 22/05 R, in BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr. 3), doch sind diese verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begründet, wie das SG zutreffend ausgeführt hat. Auch haben sich der 13. und 5. Senat des BSG, die inzwischen allein für Streitigkeiten aus dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung zuständig sind, dem ausdrücklich nicht angeschlossen und vertreten die Auffassung, diese Regelung sei verfassungskonform (Beschluss des 13. Senats des BSG vom 26. Juni 2008, B 13 R 9/08 S und Urteile des 5. Senats des BSG vom 14. August 2008, B 5 R 140/07 R sowie B 5 R 88/07 R und vom 25. November 2008, B 5 R 112/08 R, jeweils veröffentlicht in Juris). Dem schließt sich auch der Senat an. Er hält insofern - wie auch der 5. und der 13. Senat des BSG - die hier maßgebliche Regelung in § 77 Abs. 2 SGB VI nicht für verfassungswidrig. Damit wurde die Rente zu Recht mit einem verminderten Zugangsfaktor bewilligt. An dieser Beurteilung ändert auch die Tatsache nichts, dass gegen die Urteile des 5. Senats derzeit beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerden anhängig sind (1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09).

Da sonach die Entscheidungen der Beklagten nicht zu beanstanden sind, weist der Senat die Berufung zurück. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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