L 8 AS 535/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AS 1348/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AS 535/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Auch in Fällen, in denen das Einkommen einzelner Personen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft zur Deckung ihrer eigenen Bedarfe, nicht jedoch zur Deckung des Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft genügt, ist ein Vorgehen aller Bedarfsgemeinschaftsmitglieder erforderlich, um die für die Bedarfsgemeinschaft insgesamt höchstmögliche Leistung zu erlangen.
2. Indizien für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft sind ein gemeinsamer Haushalt, räumliche Gegebenheiten, die ein Zusammenleben unabdingbar machen und Bekundungen der Partner sie „teilten“ sich ohne Berücksichtigung des individuellen Aufwands die Ausgaben.
3. Gegen die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft können das Ausgabeverhalten beider Partner über einen aussagefähigen Zeitraum und noch bestehenden Bindungen eines Partners zu seiner früheren Familie sprechen.
4. Allgemein ist die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten weder bei der Ermittlung des Einkommens in § 11 Abs 2 SGB II noch in der nach § 13 SGB II ergangenen Alg II-V vorgesehen.
5. Für das SGB II hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 mit § 11 Abs 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II eine Regelung eingefügt, wonach Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen sind.
6. Neuregelung des familialen Unterhaltskonzepts zum 01.01.2008 sind auch im Recht der Sozialhilfe zu beachten. Das Recht der Grundsicherung kann sich nicht den Wertentscheidungen des Zivilrechts verschließen. Nach § 1609 BGB ist die Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter mit dem Vorrang von Kindern gegenüber Partnern einer Bedarfsgemeinschaft neu geregelt.
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts
München vom 13. Juli 2009 abgeändert.
II. Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin ab 15.6.2009
(Antragstellung beim SG) bis zum 30.11.2009, spätestens bis zur Entscheidung
über den Widerspruch vom 12.06.2009 monatlich 100 EUR zu zahlen.
III. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
IV. Außergerichtliche Kosten sind von der Beschwerdegegnerin zu 1/5 zu erstatten.





Gründe:


I.

Zwischen den Beteiligten des Verfahrens über einstweiligen Rechtsschutz ist ungeklärt, ob der Beschwerdeführerin bzw. Antragstellerin (nachfolgend: Ast) ab Mai 2009 wegen des Bestehens einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft weiterhin Grundsicherungsleistungen zustehen.

Am 08.05.2008 zog die Ast. in die 39 qm große Wohnung ihres Lebensgefährten (S. K.). Mit letztem Bewilligungsbescheid vom 18.11.2008 bezog diese Leistungen für die Zeit vom 01.12.2008 bis zum 30.04.2009 ohne Berücksichtigung des Einkommens ihres Partners.

Mit Bescheid vom 02.06.2009 lehnte die Beschwerdegegnerin bzw. Antragsgegnerin (Ag) den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 20.04.2009 ab, da nach einem Jahr Zusammenleben von einer Einstandsgemeinschaft auszugehen sei und das Einkommen des Partners den Bedarf der gesamten Gemeinschaft decke. Bis 07.05.2009 erbrachte die Ag aber Leistungen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 12.06.2009 Widerspruch, über den bislang noch keine Entscheidung vorliegt.

Am 15.06.2009 hat die Ast beim Sozialgericht München (SG) beantragt, die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Arbeitslosengeld II und Leistungen für Unterkunft und Heizung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu bewilligen.

Mit Beschluss vom 13.07.2009 hat das SG den Antrag abgelehnt.

Ein Anordnungsanspruch habe bei abschließender Prüfung der Sach- und Rechtslage ausgeschlossen werden können, womit der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen gewesen sei, obwohl es sich um existenzsichernde Leistungen handele. Denn die Ast. bilde mit ihrem Partner eine Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II). Sie lebe mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt so zusammen, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen sei, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, werde gemäß § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II vermutet, weil die Ast mit ihrem Partner seit dem 08.05.2009 länger als ein Jahr zusammenlebte. Die unsubstantiierte Behauptung, jeder bezahle für seine eigenen Ausgaben, sei in ihrer Pauschalität nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen, da eine getrennte Abrechnung von Ausgaben einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft nicht grundsätzlich entgegenstehe. Sie stehe auch in Widerspruch zu der schriftlichen Erklärung der Ast., wonach die Lebensunterhaltskosten geteilt würden, sowie der Einlassung, dass sie mit Herrn K. "auf Probe" zusammenlebe. Die behauptete Aussage des Partners, er sei für zwei Kinder unterhaltspflichtig und habe "keine Lust, sich eine weitere Verantwortung" aufzubürgen, vermögen die gesetzliche Vermutung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft nicht zu widerlegen. Eine Unterhaltspflicht sei im übrigen mangels Auskunft über die Namen der Kinder und die Höhe des monatlichen Unterhalts nicht belegt.

Hiergegen hat die Ast am 03.08.2009 Beschwerde (weitergeleitet an das Bayer. Landessozialgericht) eingelegt, die bislang noch nicht begründet ist.

Die Ast beantragt,

die Ag unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 13 Juli 2009 zu verpflichten, ihr wie bisher Grundsicherungsleistungen zu erbringen.

Die Ag beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihre Einlassungen im Antragsverfahren, wonach der Gesamtbedarf in Höhe von 955,50 EUR unter Zugrundelegung eines Bruttoeinkommens des S. K. (mit Abzügen von (353,39 EUR) bei einem Nettoeinkommen von 1311,30 EUR gedeckt sei.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und zum Teil begründet.

Das Bayer. Landessozialgericht ist zur Entscheidung über die zulässige Beschwerde in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zuständig (§§ 86b Abs. 3, 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Angesichts einer früheren Monatsleistung von über 500 EUR ist ein Beschwerdewert gegeben.

Das SG hat den Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Arbeitslosengeld II und Leistungen für Unterkunft und Heizung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu bewilligen, nur teilweise zu Recht abgelehnt.

So handelt es sich bei vorzunehmender Auslegung (§§ 123 SGG, 133 BGB) tatsächlich um den Gegenstand einer einstweiligen Anordnung. Ein Widerspruch hätte zwar gemäß § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung, wenn es die Bewahrung bereits erfolgter Rechtsgestaltungen betreffen würde. Die Sondervorschrift nach § 39 Nr. 1 SGB II würde die aufschiebende Wirkung aber nur über eine Anordnung gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG bewirken. Insgesamt ist aber kein mit einer Anfechtungssache abzuwehrender Eingriff durch die Ag erfolgt. Der letzte Dauerverwaltungsakt der Ag vom 18.11.2008 hat sich im Sinne von § 39 Abs. 2 SGB X mit Ablauf der Befristung zum 30.04.2009 erledigt. Daran ändert auch der Bescheid vom 02.06.2009 nichts, wonach mit Wirkung vom 08.05.2009 die Entscheidung über die Bewilligung aufgehoben werde. Denn er wiederholt lediglich das, was im ersten Bescheid vom 02.06.2009 bereits geregelt worden ist, die Verweigerung einer Leistung ab dem 08.05.2009. Er entfällt damit eine eigenständige Regelung, zumal keine Bewilligung ab dem 01.05.2009 vorliegt und Leistungen insoweit ohne Bescheid und befristet erfolgten.

Zutreffend hat daher das SG als Rechtsquelle eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG mit den Voraussetzungen eines Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs (§ 86b Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung) angesehen. Zutreffend hat es auch angeführt, dass in Fällen, in denen es - wie hier - um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht, eine Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund fehlender Erfolgsaussichten der Hauptsache nur dann zulässig ist, wenn das Gericht die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend geprüft hat (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 Az. 1 BvR 569/05 und Beschluss vom 06.02.2007 Az. 1 BvR 3101/06).

Die Bedrohung des Existenzminimums könnte bei der rechtswidrigen Annahme (durch die Ag) einer Bedarfsgemeinschaft (später unter 1) oder zumindest dann vorliegen, wenn beide Partner der Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 Nr. 3 SGB II) ein den Bedarf unterschreitendes Einkommen erzielen (später unter 2). Denn der zu regelnde Gegenstand besteht in Leistungen an alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Auch in Fällen, in denen das Einkommen einzelner Personen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft zur Deckung ihrer eigenen Bedarfe, nicht jedoch zur Deckung des Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft genügt, ist ein Vorgehen aller Bedarfsgemeinschaftsmitglieder erforderlich, um die für die Bedarfsgemeinschaft insgesamt höchstmögliche Leistung zu erlangen (Urteil des BSG vom 19.9.2008, B 14/7b AS 10/07 R, BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1 jeweils RdNr. 13). Wenn ein Partner seinen individuellen Bedarf durch eigenes Einkommen decken kann, steht dies seiner Einbeziehung nicht entgegen. Er wäre selbst dann in die Bedarfsgemeinschaft einzubeziehen, wenn er von Leistungen nach dem SGB II, etwa wegen der Vollendung des 65. Lebensjahres, § 7 Abs 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, ausgeschlossen wäre (vgl BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1 jeweils RdNr 13; BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 3 jeweils RdNr 13; SozR 4-4200 § 7 Nr. 4 RdNr 11).

Beides kann hier nicht in einer abschließenden Prüfung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festgestellt werden. Für die abschließende Feststellung eines Anordnungsanspruchs fehlen neben Erkenntnissen über besondere Bestandteile seiner Vergütung und deren Verwendung insbesondere Umstände der Unterhaltsverpflichtungen des von seiner früheren Ehegattin geschiedenen Partners der Ast. Bekannt ist lediglich, dass S. K. zwei Kindern unterhaltsverpflichtet ist (L. R., geboren 2001 und T. E., geboren 2003) und für diese eine besondere Vergütung von seinem Arbeitgeber erhält.

Nach einer Güter- und Folgenabwägung ist eine einstweilige Anordnung im tenorierten Umfang zu Gunsten der Ast vorzunehmen.

1. Höchstwahrscheinlich bildet die Ast mit S. K. eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 20.07.2006 - Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706). Die entsprechende Vermutung, wenn die Partner länger als ein Jahr zusammenleben, ist seit dem 08.05.2009 eingetreten. Darüber hinaus gibt es Indizien für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft, so ein gemeinsamer Haushalt, räumliche Gegebenheiten, die ein Zusammenleben unabdingbar machen und Bekundungen der Ast. So hat sie ausgeführt, sie "teilten" sich (ohne Berücksichtigung des individuellen Aufwands) die Ausgaben und würden auf Probe zusammenleben. Weitere Ermittlungen durch Betrachtung des Ausgabeverhaltens beider Partner über einen aussagefähigen Zeitraum und zu den noch bestehenden Bindungen des Partners zu seiner früheren Familie lassen zur Zeit nicht vermuten, dass keine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliegt. Jedenfalls ist nicht zu befürchten, dass die Ast, die bislang schon über ein Jahr und jetzt noch immer bei ihrem Partner wohnt, von diesem auch mit reduzierten Leistungen der Ag (siehe dazu unten) Unterstützung erfährt. Denn sein Einkommen ermöglicht dies zu einem gewissen Teil (näheres dazu unten). Bei den bisherigen Erkenntnissen über das Verhalten des Partners der Ast ist anzunehmen, dass er zur Überwindung der Notlage Hilfe im Umfang des existenziell Notwendigen leisten wird. Allein seine Äußerungen, er habe "keine Lust, sich eine weitere Verantwortung" aufzubürden, entkräftet dies nicht. Dem widerspricht auch nicht, dass der Partner der Ast tatsächlich seinen zwei Kindern Unterhalt erbringt, denn insoweit unterliegt er einer strafbewehrten Verpflichtung, der er sich mit oder ohne Bedarfsgemeinschaft nicht entziehen könnte.

Insoweit kommen dem Partner der Ast auch nicht die Privilegien der Haushaltsgemeinschaft zugute. § 9 Abs 5 SGB II stellt nur für in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten lebende Hilfebedürftige die Vermutung auf, dass sie von diesen Leistungen erhalten, soweit dies nach ihrem Einkommen oder Vermögen erwartet werden kann. Zur Konkretisierung bestimmt § 1 Abs 2 Satz 1 Alg II-V, dass die um die Absetzbeträge nach § 11 Abs 2 SGB II bereinigten Einnahmen in der Regel nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Satzes der nach § 20 Abs 2 SGB II maßgebenden Regelleistung zzgl der anteiligen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie darüber hinausgehende 50 % der diesen Freibetrag übersteigenden bereinigten Einnahmen nicht überschreiten. Ferner ordnet § 1 Abs 2 Satz 2 Alg II-V die entsprechende Geltung des § 11 Abs 1 und 3 SGB II an (Urteil des BSG vom 19.2.2009, B 4 AS 68/07 R).

Insgesamt unterliegt die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Auswirkungen auf die Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der mit § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II ausgeübte finanzielle Druck (nämlich der Wegfall eines durch Steuermittel finanzierten Betrages zur Sicherung des Lebensunterhalts eines Partners) beeinflusst die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in ihrer gemeinsamen Lebensgestaltung, auch wenn mit der Regelung keine Rechtspflichten zur gegenseitigen finanziellen Unterstützung statuiert werden. Es werden dabei von der Rechtsordnung Konflikte innerhalb der Bedarfsgemeinschaft in Kauf genommen (vgl. Urteil des BSG vom 13.11.2008, B 14 AS 2/08 R).

2. Unter der Annahme einer Bedarfsgemeinschaft wird wahrscheinlich ein nennenswert den Bedarf unterschreitendes Einkommen ermittelt werden.

Insoweit liegen hinsichtlich des Einkommens von S. K. bereits Erkenntnisse über die Monate April 2008, März 2008, April 2009 und Mai 2009 (Gesamt brutto 2598,56, nicht die von der AG in der Beschwerwiderung angenommen von 2632,51 EUR) vor. Insoweit bedürfte es im Erkenntnisverfahren einer monatsweisen genauen Prüfung. Für die hier vorzunehmende Güter - und Folgenabwägung genügt die Größenordnung. Danach erzielte S. K. schon im April 2008 ein Gesamt-Bruttoentgelt von 2587,78 EUR. Schon damals aber enthielt dieses bestimmte Zuschläge und ein Zehrgeld, deren Qualität als Einkommen nicht abschließend beurteilt werden kann. Insbesondere aber enthalten die Verdienste kinderbezogene Bestandteile (vgl. § 1 Nr. 8 Allg IIVO). Insoweit besteht schon ein massiver Hinweis auf tatsächlich erfüllte Unterhaltsverpflichtungen. Die vorhandene Erkenntnislage (ohne Ermittlungen von Amts wegen im vorläufigen Rechtsschutz) ist damit keineswegs so, wie vom SG dargestellt, dass die angebliche Unterhaltspflicht in keiner Weise durch weitere Angaben belegt werde. In den vorliegenden Gehaltsabrechnungen sind die Kinder mit Alter und Namen aufgeführt. Die vorhandenen Kontoauszüge belegen eindeutig monatliche Zahlungen mit dem Vermerk "Unterhalt" an L. K. in Höhe von 398 Euro. Ebenso die Auflistung der monatlichen Fixkosten vom 09.06.2008 durch S. K. (S. 223, 237, 354).

Zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit ist zwar gemäß § 9 Abs. 2 SGB II auch das Einkommen des Partners zu berücksichtigen. Das zu berücksichtigende Einkommen ist jedoch auch unter Berücksichtigung von Absetzungen (§ 11 Abs. 2 SGB II) von Amtswegen zu ermitteln. Allgemein ist zwar die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten bei der Ermittlung des Einkommens weder in § 11 Abs 2 SGB II noch in der auf der Grundlage des § 13 SGB II ergangenen Alg II-V vorgesehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers regelt § 11 SGB II die Einkommensberücksichtigung im Wesentlichen wie das Sozialhilferecht (BT-Drucks 15/1516 S 53). Dort galt der Grundsatz, dass der Hilfesuchende sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden muss, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (vgl. BVerwGE 66, 342; 55, 148). Mit der bedürftigkeitsabhängigen Sozialhilfe sollte nicht zur Tilgung von Schulden beigetragen werden. Eine Ausnahme hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) aber für den Fall einer Pfändung zur Erfüllung eines Unterhaltsanspruchs gemacht (BVerwGE 55, 148). Für das SGB II hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl I 1706) mit Wirkung zum 1. August 2006 eine entsprechende Regelung als § 11 Abs 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II eingefügt. Danach sind Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen (vgl. dazu auch Urteil des BSG vom 19.9.2008, B 14/7b AS 10/07 R).

Darunter zählen auch Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen. Dies genügt gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II. Lediglich der Begrenzung der Höhe nach wird auf einen Unterhaltstitel oder eine notariell beurkundete Unterhaltsvereinbarung abgestellt. Insoweit sind Ermittlungen anzustrengen, die aber vermutlich das Vorliegen eines Unterhaltstitels ergeben werden. Insoweit ist auch die Neuregelung des familialen Unterhaltskonzepts zum 01.01.2008 zu beachten. Auch das Recht der Grundsicherung kann sich nicht den Wertentscheidungen des Zivilrechts verschließen (vergleiche §§ 32 bis 36 SGB I). Denn gemäß § 1609 BGB ist die Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter folgendermaßen neu geregelt. Sind mehrere Unterhaltsberechtigte vorhanden und ist der Unterhaltspflichtige außerstande, allen Unterhalt zu gewähren, gilt (§ 1609 Nr. 1. BGB) in der Rangfolge, dass minderjährige unverheiratete Kinder und Kinder im Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 2 vorrangig - hier gegenüber Partnern einer Bedarfsgemeinschaft - sind.

Der Umfang des geleisteten Unterhalts für zwei Kinder entspricht im übrigen den gängigen Regelsätzen (Düsseldorfer Tabelle: Nettoeinkommen bis 1.500 Euro, Alter bis 6-11 Jahre 322 Euro). Darüber hinaus gilt § 1612a BGB (Mindestunterhalt minderjähriger Kinder). Danach kann ein minderjähriges Kind von einem Elternteil, mit dem es nicht in einem Haushalt lebt, den Unterhalt als Prozentsatz des jeweiligen Mindestunterhalts verlangen. Der Mindestunterhalt richtet sich nach dem doppelten Freibetrag für das sächliche Existenzminimum eines Kindes (Kinderfreibetrag) nach § 32 Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes. Er beträgt monatlich entsprechend dem Alter des Kindes (Nr. 2) für die Zeit vom siebten bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahrs (zweite Altersstufe) 100 Prozent eines Zwölftels des doppelten Kinderfreibetrags.

Angesichts der von der Ag im Antragsverfahren angestellten Berechnung eines anzurechnenden (netto) Einkommens von 1311 EUR, eines Gesamtbedarfs von 955 EUR aber der tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen von 400 EUR sowie in ihrer Einkommensqualität fraglichen kinderbezogenen Lohnbestandteilen erscheint zur Abwendung existenziell bedrohlicher Vermögenslagen eine vorläufige Leistung von 100 EUR angemessen.

Der Ast sind von der Ag 1/5 ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten (§ 193 SGG).
Rechtskraft
Aus
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