Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 126/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 08.02.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2007 verurteilt, den Unfall des Versicherten vom 29.09.1999 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Sturz des Schülers (Versicherter) am 29.9.1999 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen ist.
Der am 3.12.1987 geborene und am 1.9.2006 verstorbene Versicherte besuchte im Jahr 1999 die Schule am Deich (Sonder-bzw. Förderschule) in Leer. Der Versicherte war aufgrund einer fortgeschrittenen Muskeldystrophie rollstuhlpflichtig und bei ihm war ab Februar 1999 ein Hilfebedarf der Pflegestufe III anerkannt. Der Versicherte wurde von dem Sammelbus morgens von zu Hause zur Schule und nachmittags gegen 15 Uhr von der Schule wieder zurück nach Hause gebracht. In der Schule am Deich war zu dieser Zeit der im Dienst der Klägerin stehende Zivildienstleistende als Helfer im Schulbetrieb tätig. Am 29.9.1999 vor dem Verlassen der Schule begleitete der Zivildienstleistende den Versicherten gegen 14.35 Uhr zum Toilettengang. Die Blasenentleerung erfolgte im Fall des Versicherten mit Hilfe einer Urinflasche. Im Toilettenraum stürzte der Versicherte aus dem Rollstuhl auf das rechte Bein und zog sich ausweislich des Durchgangsarztberichtes vom 30.9.1999 eine Oberschenkelmehrfragmentfraktur rechts zu.
Es entstand Streit zwischen der Beklagten und der Krankenkasse des Versicherten der BKK hinsichtlich der Übernahme der unfallbedingt entstandenen Behandlungs- und Krankenkosten. Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung mit der Begründung ab, das Ereignis vom 29.9.1999 stelle keinen Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes dar. Mit undatiertem Schreiben teilte die Beklagte dem Versicherten im August 2001 mit, sein Körperschaden sei mit Schreiben vom 30.5.2000 und 25.7.2000 an die BKK als Arbeitsunfall abgelehnt worden. Die Beklagte erhob gegen die BKK Klage vor dem Sozialgericht Hannover auf Erstattung von Behandlungs- und Krankenkosten (Az. S 36 U 81/03 SG Hannover). Mit rechtskräftigem Urteil vom 14.8.2003 verurteilte das Sozialgericht Hannover die BKK zur Zahlung der von der Beklagten geltend gemachten Behandlungs- und Krankenkosten. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, der Versicherte habe am 29.9.1999 keinen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten. Die Verrichtung der Notdurft sei grundsätzlich unversichert. Es sei nicht ersichtlich, dass besondere Gefahrenmomente für den Unfall des Versicherten wesentlich gewesen sein könnten. Der ihn betreuende Zivildienstleistende könne nicht als eine besondere betriebliche Gefahr gesehen werden.
In der weiteren Folgezeit verklagte der Versicherte die Klägerin als Dienstherrin des Zivildienstleistenden auf Schadensersatz. Mit Urteil vom 21.10.2005 wies das Landgericht Aurich (Az. 2 O 1810/04 LG Aurich) die Klage ab. Das hiergegen vor dem OLG Oldenburg anhängig gemachte Berufungsverfahren (6 U 269/05 OLG Oldenburg) setzte das OLG mit Beschluss vom 15.5.2006 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Einstandspflicht des gesetzlichen Unfallversicherungsträgers, insbesondere hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines Wegeunfalls (richtig: Arbeitsunfall) aus und räumte den Beteiligten eine Frist von 6 Monaten zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens ein.
Darauf hin beantragte der Versicherte bei der Beklagten unter Bezugnahme auf das bei ihm im August 2001 eingegangene Schreiben die Wiederaufnahme des Anerkennungsverfahrens und die Klägerin beantragte die Anerkennung des Unfalls vom 29.9.1999 als Arbeitsunfall.
Mit an den Bevollmächtigten des Versicherten gerichteten Bescheides vom 27.11.2006 lehnte die Beklagte die Rücknahme des am 8.8.2001 erteilten Verwaltungsaktes ab.
Mit Bescheid vom 8.2.2007 zog die Beklagte die Klägerin als Beteiligte zu dem laufenden Verfahren hinzu und lehnte die Gewährung von Leistungen für die Körperschädigung, die sich der Versicherte am 29.9.1999 zugezogen hatte, ab mit der Begründung, bei dem Ereignis handele es sich nicht um einen Arbeitsunfall (Schulunfall) im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Verrichtung der Notdurft sei auch im Rahmen eines Schulbesuchs grundsätzlich unversichert. Eine besondere betriebliche Gefahr habe nicht bestanden. Selbst wenn man den Zivildienstleistenden als "Betriebseinrichtung" ansehen wollte, verbleibe es bei der Tatsache, dass dieser den Unfall weder hervorgerufen noch die Folgen wesentlich verschlimmert habe.
Die Klägerin und der Bevollmächtigte des Versicherten erhoben gegen die Bescheide vom 27.11.2006 bzw. 8.2.2007 Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 21.5.2007 wies die Beklagte die Widersprüche des Bevollmächtigten des Versicherten und der Klägerin zurück.
Die Klägerin hat am 20.6.2007 Klage erhoben. Sie macht geltend, der Toilettenbesuch eines behinderten Schülers in einer Sonderschule, bei dem der Schüler von einem Zivildienstleistenden Hilfestellungen erhalten müsse, berge ein besonderes schulspezifisches Risiko in sich. Dieses habe sich im Unfall vom 29.9.1999 verwirklicht. Es verbiete sich den Toilettenunfall in der Sonderschule als eigenwirtschaftlichen Bereich zu qualifizieren.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8.2.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.5.2007 zu verurteilen, den Unfall des Versicherten vom 29.9.1999 als Arbeitsunfall (Schulunfall) im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist bei ihrer Auffassung geblieben.
Mit Beschluss vom 17.11.2007 sind die Eltern des Versicherten zu dem Rechtsstreit beigeladen worden.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakten und der beigezogenen Verwaltungsakten (Gz. A 5029901703).
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Klägerin steht eine Feststellungsberechtigung aus § 109 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch -Gesetzliche Unfallversicherung- (SGB VII) zu.
Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 8.2.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.5.2007 im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn der Bescheid erweist sich als rechtswidrig. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Versicherte am 29.9.1999 einen Arbeitsunfall im Sinne der Unfallversicherung erlitten.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2,3 oder 6 SGB VII begründende Tätigkeit. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchstabe b SGB VII sind kraft Gesetzes versichert Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen. Zu den allgemeinbildenden Schulen zählen auch Sonder- bzw. Förderschulen für körperlich bzw. geistig Behinderte (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 2 Rdn. 18.2).
Dem Versicherungsschutz unterliegen Betätigungen während des Unterrichts, in den dazwischen liegenden Pausen und solche im Rahmen von Betreuungsmaßnahmen. Der Schutzbereich der "Schüler-Unfallversicherung" ist auf den organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule beschränkt (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts –BSG- z.B. SozR 2200 § 539 Nr. 16; SozR 3-2200 § 539 Nr. 22, 34; Urteil vom 7.11.2000 –B 2 U 40/99 R-; Urteil vom 26.10.2004 -B 2 U 41/03 R-). Anders als im Fall einer versicherten Erwerbstätigkeit ist nicht der innere Zusammenhang einer Verrichtung, die zu dem Unfall geführt hat, mit dem Schulbesuch für die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall maßgebend, vielmehr muss die Verrichtung innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereiches der Schule erfolgt sein. Die für die Anerkennung von Unfallereignissen im Rahmen von Erwerbstätigkeiten entwickelten Grundsätze zum inneren Zusammenhang zwischen Verrichtung und versicherter Tätigkeit sind nicht ohne weiteres auf die Schüler-Unfallversicherung übertragbar, damit auch nicht die ständige Rechtsprechung, dass die Verrichtung der Notdurft im Rahmen einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich dem unversicherten, persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind, es sei denn die örtlichen Gegebenheiten stellten eine besondere Gefahrenquelle dar. Der organisatorische Verantwortungsbereich der Schule erfordert einen unmittelbaren, räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Schule, der erst verlassen wird, wenn eine Einwirkung durch schulische Aufsichts- und Betreuungsmaßnahmen nicht mehr gewährleistet ist. Dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule unterfallen in der Regel alle Verrichtungen der Schüler in der Ganztagsschule, denn in der Ganztagsschule ist der gesamte Tagesablauf als Schulveranstaltung zu sehen, an der alle Schüler teilnehmen und die der Aufsichtspflicht der Schule unterfällt. Aufsichtspflichtige Betreuungsmaßnahmen im Rahmen der Ganztagsschule stehen deshalb grundsätzlich unter Versicherungsschutz. Dies kann ggf. bei älteren Schülern mit bestimmter Einsichts- und Kritikfähigkeit im Einzelfall anders zu sehen sein, wenn sich der betreffende Schüler zur Unfallzeit rein persönlichen, von der versicherten Tätigkeit nicht mehr beeinflussbaren Bedürfnissen und Belangen widmet, wie einer privaten Nahrungsaufnahme (außerhalb der schulisch angebotenen Mahlzeiten in der Betreuung/Schulkantine), einem privaten Spaziergang oder der Verrichtung der Notdurft. Dies kann aber nicht gelten, wenn der zu betreuende Schüler, weil körperlich und geistig behindert, eine dem Grunde nach dem privaten Bereich zu zuordnende Tätigkeit, wie die Verrichtung der Notdurft, ohne Hilfe und Aufsicht durch das Schulpersonal nicht bewältigen kann und auch hierfür der Betreuung bedarf. Es handelt sich hierbei um eine aufsichtspflichtige Betreuungsmaßnahme innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Schule, die vom Versicherungsschutz umfasst ist.
Diese Erwägungen zugrunde gelegt, stellt sich das Unfallereignis vom 29.9.1999 als versicherter Arbeitsunfall dar. Der Versicherte hat als erheblich körperlich Behinderter die Sonder- bzw. Förderschule in Leer besucht. Dorthin ist er morgens zusammen mit anderen Schülern mit dem Sammeltransport hingefahren und nachmittags gegen 15 Uhr wieder abgeholt und nach Hause gefahren worden. Der Tagesaufenthalt des Versicherten in der Schule vom Eintreffen am Morgen bis zum Verlassen der Schule am Nachmittag steht gänzlich unter Versicherungsschutz, weil alle Tätigkeiten und Verrichtungen des körperlich und geistig behinderten Versicherten in dieser Zeit dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule unterfielen. Denn der Versicherte bedurfte der ständigen Aufsicht und Betreuung durch das Schulpersonal, weil er aufgrund seiner starken körperlichen Behinderung eine Vielzahl von Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer nicht mehr selbständig bzw. ohne Aufsicht vornehmen konnte. Das erhebliche Ausmaß der Hilfebedürftigkeit des Versicherten ergibt sich aus der Anerkennung der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftigkeit) ab Februar 1999. Die Gewährung von Pflegestufe III setzt voraus, dass der Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedarf ( ...) (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch- Soziale Pflegeversicherung -SGB XI-). Auch die Verrichtung der Notdurft konnte der damals 12jährige Versicherte nicht alleine (privat) bewältigen, sondern er benötigte hierzu die Hilfe und Aufsicht durch das Schulpersonal. Die Verrichtung der Notdurft kann daher nicht als private, vom Versicherungsschutz ausgenommene Tätigkeit gewertet werden. Sie unterlag vielmehr dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule, was Versicherungsschutz begründet.
Die weiteren Voraussetzungen für die Anerkennung des Unfallereignisses als Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII liegen unstreitig vor. Bei dem Sturz des Versicherten aus dem Rollstuhl am 29.9.1999 mit der Folge einer Oberschenkelmehrfragmentfraktur handelt es sich um eine zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper des Versicherten einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden geführt hat.
Nach alledem hat die Beklagte es zu Unrecht abgelehnt, das Unfallereignis vom 29.9.1999 als Arbeitsunfalls anzuerkennen. Sie war daher zur beantragten Anerkennung zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Sturz des Schülers (Versicherter) am 29.9.1999 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen ist.
Der am 3.12.1987 geborene und am 1.9.2006 verstorbene Versicherte besuchte im Jahr 1999 die Schule am Deich (Sonder-bzw. Förderschule) in Leer. Der Versicherte war aufgrund einer fortgeschrittenen Muskeldystrophie rollstuhlpflichtig und bei ihm war ab Februar 1999 ein Hilfebedarf der Pflegestufe III anerkannt. Der Versicherte wurde von dem Sammelbus morgens von zu Hause zur Schule und nachmittags gegen 15 Uhr von der Schule wieder zurück nach Hause gebracht. In der Schule am Deich war zu dieser Zeit der im Dienst der Klägerin stehende Zivildienstleistende als Helfer im Schulbetrieb tätig. Am 29.9.1999 vor dem Verlassen der Schule begleitete der Zivildienstleistende den Versicherten gegen 14.35 Uhr zum Toilettengang. Die Blasenentleerung erfolgte im Fall des Versicherten mit Hilfe einer Urinflasche. Im Toilettenraum stürzte der Versicherte aus dem Rollstuhl auf das rechte Bein und zog sich ausweislich des Durchgangsarztberichtes vom 30.9.1999 eine Oberschenkelmehrfragmentfraktur rechts zu.
Es entstand Streit zwischen der Beklagten und der Krankenkasse des Versicherten der BKK hinsichtlich der Übernahme der unfallbedingt entstandenen Behandlungs- und Krankenkosten. Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung mit der Begründung ab, das Ereignis vom 29.9.1999 stelle keinen Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes dar. Mit undatiertem Schreiben teilte die Beklagte dem Versicherten im August 2001 mit, sein Körperschaden sei mit Schreiben vom 30.5.2000 und 25.7.2000 an die BKK als Arbeitsunfall abgelehnt worden. Die Beklagte erhob gegen die BKK Klage vor dem Sozialgericht Hannover auf Erstattung von Behandlungs- und Krankenkosten (Az. S 36 U 81/03 SG Hannover). Mit rechtskräftigem Urteil vom 14.8.2003 verurteilte das Sozialgericht Hannover die BKK zur Zahlung der von der Beklagten geltend gemachten Behandlungs- und Krankenkosten. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, der Versicherte habe am 29.9.1999 keinen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten. Die Verrichtung der Notdurft sei grundsätzlich unversichert. Es sei nicht ersichtlich, dass besondere Gefahrenmomente für den Unfall des Versicherten wesentlich gewesen sein könnten. Der ihn betreuende Zivildienstleistende könne nicht als eine besondere betriebliche Gefahr gesehen werden.
In der weiteren Folgezeit verklagte der Versicherte die Klägerin als Dienstherrin des Zivildienstleistenden auf Schadensersatz. Mit Urteil vom 21.10.2005 wies das Landgericht Aurich (Az. 2 O 1810/04 LG Aurich) die Klage ab. Das hiergegen vor dem OLG Oldenburg anhängig gemachte Berufungsverfahren (6 U 269/05 OLG Oldenburg) setzte das OLG mit Beschluss vom 15.5.2006 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Einstandspflicht des gesetzlichen Unfallversicherungsträgers, insbesondere hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines Wegeunfalls (richtig: Arbeitsunfall) aus und räumte den Beteiligten eine Frist von 6 Monaten zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens ein.
Darauf hin beantragte der Versicherte bei der Beklagten unter Bezugnahme auf das bei ihm im August 2001 eingegangene Schreiben die Wiederaufnahme des Anerkennungsverfahrens und die Klägerin beantragte die Anerkennung des Unfalls vom 29.9.1999 als Arbeitsunfall.
Mit an den Bevollmächtigten des Versicherten gerichteten Bescheides vom 27.11.2006 lehnte die Beklagte die Rücknahme des am 8.8.2001 erteilten Verwaltungsaktes ab.
Mit Bescheid vom 8.2.2007 zog die Beklagte die Klägerin als Beteiligte zu dem laufenden Verfahren hinzu und lehnte die Gewährung von Leistungen für die Körperschädigung, die sich der Versicherte am 29.9.1999 zugezogen hatte, ab mit der Begründung, bei dem Ereignis handele es sich nicht um einen Arbeitsunfall (Schulunfall) im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Verrichtung der Notdurft sei auch im Rahmen eines Schulbesuchs grundsätzlich unversichert. Eine besondere betriebliche Gefahr habe nicht bestanden. Selbst wenn man den Zivildienstleistenden als "Betriebseinrichtung" ansehen wollte, verbleibe es bei der Tatsache, dass dieser den Unfall weder hervorgerufen noch die Folgen wesentlich verschlimmert habe.
Die Klägerin und der Bevollmächtigte des Versicherten erhoben gegen die Bescheide vom 27.11.2006 bzw. 8.2.2007 Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 21.5.2007 wies die Beklagte die Widersprüche des Bevollmächtigten des Versicherten und der Klägerin zurück.
Die Klägerin hat am 20.6.2007 Klage erhoben. Sie macht geltend, der Toilettenbesuch eines behinderten Schülers in einer Sonderschule, bei dem der Schüler von einem Zivildienstleistenden Hilfestellungen erhalten müsse, berge ein besonderes schulspezifisches Risiko in sich. Dieses habe sich im Unfall vom 29.9.1999 verwirklicht. Es verbiete sich den Toilettenunfall in der Sonderschule als eigenwirtschaftlichen Bereich zu qualifizieren.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8.2.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.5.2007 zu verurteilen, den Unfall des Versicherten vom 29.9.1999 als Arbeitsunfall (Schulunfall) im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist bei ihrer Auffassung geblieben.
Mit Beschluss vom 17.11.2007 sind die Eltern des Versicherten zu dem Rechtsstreit beigeladen worden.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakten und der beigezogenen Verwaltungsakten (Gz. A 5029901703).
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Klägerin steht eine Feststellungsberechtigung aus § 109 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch -Gesetzliche Unfallversicherung- (SGB VII) zu.
Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 8.2.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.5.2007 im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn der Bescheid erweist sich als rechtswidrig. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Versicherte am 29.9.1999 einen Arbeitsunfall im Sinne der Unfallversicherung erlitten.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2,3 oder 6 SGB VII begründende Tätigkeit. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchstabe b SGB VII sind kraft Gesetzes versichert Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen. Zu den allgemeinbildenden Schulen zählen auch Sonder- bzw. Förderschulen für körperlich bzw. geistig Behinderte (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 2 Rdn. 18.2).
Dem Versicherungsschutz unterliegen Betätigungen während des Unterrichts, in den dazwischen liegenden Pausen und solche im Rahmen von Betreuungsmaßnahmen. Der Schutzbereich der "Schüler-Unfallversicherung" ist auf den organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule beschränkt (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts –BSG- z.B. SozR 2200 § 539 Nr. 16; SozR 3-2200 § 539 Nr. 22, 34; Urteil vom 7.11.2000 –B 2 U 40/99 R-; Urteil vom 26.10.2004 -B 2 U 41/03 R-). Anders als im Fall einer versicherten Erwerbstätigkeit ist nicht der innere Zusammenhang einer Verrichtung, die zu dem Unfall geführt hat, mit dem Schulbesuch für die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall maßgebend, vielmehr muss die Verrichtung innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereiches der Schule erfolgt sein. Die für die Anerkennung von Unfallereignissen im Rahmen von Erwerbstätigkeiten entwickelten Grundsätze zum inneren Zusammenhang zwischen Verrichtung und versicherter Tätigkeit sind nicht ohne weiteres auf die Schüler-Unfallversicherung übertragbar, damit auch nicht die ständige Rechtsprechung, dass die Verrichtung der Notdurft im Rahmen einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich dem unversicherten, persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind, es sei denn die örtlichen Gegebenheiten stellten eine besondere Gefahrenquelle dar. Der organisatorische Verantwortungsbereich der Schule erfordert einen unmittelbaren, räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Schule, der erst verlassen wird, wenn eine Einwirkung durch schulische Aufsichts- und Betreuungsmaßnahmen nicht mehr gewährleistet ist. Dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule unterfallen in der Regel alle Verrichtungen der Schüler in der Ganztagsschule, denn in der Ganztagsschule ist der gesamte Tagesablauf als Schulveranstaltung zu sehen, an der alle Schüler teilnehmen und die der Aufsichtspflicht der Schule unterfällt. Aufsichtspflichtige Betreuungsmaßnahmen im Rahmen der Ganztagsschule stehen deshalb grundsätzlich unter Versicherungsschutz. Dies kann ggf. bei älteren Schülern mit bestimmter Einsichts- und Kritikfähigkeit im Einzelfall anders zu sehen sein, wenn sich der betreffende Schüler zur Unfallzeit rein persönlichen, von der versicherten Tätigkeit nicht mehr beeinflussbaren Bedürfnissen und Belangen widmet, wie einer privaten Nahrungsaufnahme (außerhalb der schulisch angebotenen Mahlzeiten in der Betreuung/Schulkantine), einem privaten Spaziergang oder der Verrichtung der Notdurft. Dies kann aber nicht gelten, wenn der zu betreuende Schüler, weil körperlich und geistig behindert, eine dem Grunde nach dem privaten Bereich zu zuordnende Tätigkeit, wie die Verrichtung der Notdurft, ohne Hilfe und Aufsicht durch das Schulpersonal nicht bewältigen kann und auch hierfür der Betreuung bedarf. Es handelt sich hierbei um eine aufsichtspflichtige Betreuungsmaßnahme innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Schule, die vom Versicherungsschutz umfasst ist.
Diese Erwägungen zugrunde gelegt, stellt sich das Unfallereignis vom 29.9.1999 als versicherter Arbeitsunfall dar. Der Versicherte hat als erheblich körperlich Behinderter die Sonder- bzw. Förderschule in Leer besucht. Dorthin ist er morgens zusammen mit anderen Schülern mit dem Sammeltransport hingefahren und nachmittags gegen 15 Uhr wieder abgeholt und nach Hause gefahren worden. Der Tagesaufenthalt des Versicherten in der Schule vom Eintreffen am Morgen bis zum Verlassen der Schule am Nachmittag steht gänzlich unter Versicherungsschutz, weil alle Tätigkeiten und Verrichtungen des körperlich und geistig behinderten Versicherten in dieser Zeit dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule unterfielen. Denn der Versicherte bedurfte der ständigen Aufsicht und Betreuung durch das Schulpersonal, weil er aufgrund seiner starken körperlichen Behinderung eine Vielzahl von Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer nicht mehr selbständig bzw. ohne Aufsicht vornehmen konnte. Das erhebliche Ausmaß der Hilfebedürftigkeit des Versicherten ergibt sich aus der Anerkennung der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftigkeit) ab Februar 1999. Die Gewährung von Pflegestufe III setzt voraus, dass der Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedarf ( ...) (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch- Soziale Pflegeversicherung -SGB XI-). Auch die Verrichtung der Notdurft konnte der damals 12jährige Versicherte nicht alleine (privat) bewältigen, sondern er benötigte hierzu die Hilfe und Aufsicht durch das Schulpersonal. Die Verrichtung der Notdurft kann daher nicht als private, vom Versicherungsschutz ausgenommene Tätigkeit gewertet werden. Sie unterlag vielmehr dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule, was Versicherungsschutz begründet.
Die weiteren Voraussetzungen für die Anerkennung des Unfallereignisses als Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII liegen unstreitig vor. Bei dem Sturz des Versicherten aus dem Rollstuhl am 29.9.1999 mit der Folge einer Oberschenkelmehrfragmentfraktur handelt es sich um eine zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper des Versicherten einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden geführt hat.
Nach alledem hat die Beklagte es zu Unrecht abgelehnt, das Unfallereignis vom 29.9.1999 als Arbeitsunfalls anzuerkennen. Sie war daher zur beantragten Anerkennung zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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