L 2 AL 61/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 8 AL 396/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 61/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ausschluss des Alg-Anspruchs nach § 147 Abs. 2 SGB III
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für die Zeit ab dem 7. Juli 2005 noch einen Restanspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) hat.

Der am ... 1954 geborene Kläger wurde nach Beschäftigungen als Koch und dann als Paketfahrer arbeitslos und bezog ab dem 5. September 2000 Alg unterbrochen von einer als Arbeitsförderungsmaßnahme geförderten Beschäftigung vom 1. Mai 2001 bis zum 30. November 2001. Vom 1. März 2002 bis zum 5. Mai 2002 war der Kläger wieder befristet als Koch beschäftigt. Am 10. Mai 2002 meldete er sich erneut arbeitslos. Die Beklage bewilligte dem Kläger ab dem Tage der Arbeitslosmeldung erneut Alg mit Bescheid vom 10. Juni 2002 für eine Restanspruchsdauer von 212 Tagen mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 160,30 EUR. Der Kläger bezog dann Alg bis zum 31. Juli 2002 für insgesamt 83 Kalendertage. Ab dem 1. August 2002 nahm der Kläger an einer von der Beklagten geförderten Umschulung zum Diätassistenten teil, die er erfolgreich mit einer Prüfung ab 6. Juli 2005 abschloss. Während der Teilnahme an der Umschulung erhielt der Kläger von der Beklagten Unterhaltsgeld (Uhg).

Bereits am 28. April 2005 meldete sich der Kläger zum 7. Juli 2005 bei der Beklagten im Hinblick auf das Ende der Umschulungsmaßnahme arbeitslos. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11. Juli 2005 mit der Begründung ab, der Restanspruch auf Alg sei am 8. September 2004 erloschen; einen neuen Anspruch habe der Kläger nicht erworben. Hiergegen erhob der Kläger am 26. Juli 2005 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2005 als unbegründet zurückwies.

Der Kläger hat am 27. September 2005 Klage beim Sozialgericht Dessau (SG) erhoben. Mit Urteil vom 19. Juni 2007 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen und ausgeführt: Der Kläger habe seinen am 5. September 2000 entstandenen und zum Teil nicht verbrauchten Anspruch auf Alg nach Ablauf von vier Jahren nach der Anspruchsentstehung nicht mehr geltend machen können. Der Kläger sei auch nicht im Wege des sogenannten Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er den Anspruch auf Alg rechtzeitig geltend gemacht. Für die Beklagte habe kein Anlass für eine entsprechende Beratung des Klägers bestanden.

Gegen das ihm am 11. Juli 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. August 2007 Berufung eingelegt und vorgetragen: Es sei nicht richtig, dass kein Anlass für eine Beratung über das Problem des Verfalls seines Alg-Anspruchs bestanden habe. Wenn er darüber informiert worden wäre, dass mit der Teilnahme an der Umschulung kein Erwerb einer Anwartschaft auf Alg verbunden ist, hätte er ernsthaft in Erwägung gezogen, die Teilnahme an der Maßnahme abzulehnen bzw. die Maßnahme vor dem Verlust des Alg-Anspruchs abzubrechen. Die Annahme einer Beratungspflicht widerspreche auch nicht den Zielen der Arbeitsförderung. Wenn die Teilnehmer an einer Umschulungsmaßnahme während der Teilnahme keine neue Anwartschaft auf Alg erwerben und ihren alten Anspruch verlieren könnten, müssten sie nach entsprechender Information durch die Beklagte über ihre Teilnahme entscheiden können.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. September 2009 hat der Kläger erklärt: Er habe am 1. November 2005 eine Beschäftigung als Koch in einer Einrichtung aufgenommen, die ältere Menschen mit Essen versorge. Dabei habe er das in der Umschulung erworbene Wissen nutzen können. Das Arbeitsverhältnis sei jetzt zum Ende des Monats Oktober 2009 gekündigt worden. Er habe sich auf zwei Stellen als Diätkoch beworben, aber noch keine Antwort erhalten. Die Voraussetzungen, die er in seiner Ausbildung als Diätassistent erworben habe, seien optimal für eine Einstellung als Diätkoch.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 19. Juni 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 7. Juli 2005 bis zum 31. Oktober 2005 Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass der Kläger selbst ein starkes Interesse an der Teilnahme an der Anpassungsfortbildung wegen der damit die Vermittlungschancen verbessernden, auf den Beruf als Koch aufbauenden Qualifikation bekundet habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nach §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - statthaft. Bei einer begehrten Bezugsdauer von Alg vom 7. Juli 2005 bis zum 31. Oktober 2005 und einem wöchentlichen Leistungssatz von 160,30 EUR wird die Beschwerdesumme von 750,00 EUR deutlich überschritten. Die Berufung ist zudem form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden.

In der Sache ist die Berufung aber nicht begründet.

Ein Anspruch auf Alg ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit am 7. Juli 2005 für die Dauer der Arbeitslosigkeit bis zur Beschäftigungsaufnahme am 1. November 2005 könnte sich hier für den Kläger nur aufgrund des noch nicht verbrauchten, am 5. September 2000 entstandenen Anspruchs auf Alg ergeben, denn danach hat er keinen neuen Anspruch erworben.

Der Erwerb eines Anspruchs auf Alg setzt die Erfüllung einer Anwartschaftszeit nach § 123 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung - SGB III voraus. Diese hat erfüllt, wer innerhalb einer Rahmenfrist von drei Jahren mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beginnt nach § 124 Abs. 1 SGB III mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Alg-Anspruch, so dass im konkreten Fall die dem Eintritt der Arbeitslosigkeit am 7. Juli 2005 vorausgehende Rahmenfrist am 6. Juli 2005 beginnt und drei Jahre zurückreicht (bis zum 5. Juli 2002). In dieser Zeit hat der Kläger keine zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Die Teilnahme an der beruflichen Bildungsmaßnahme mit Bezug von Uhg vom 1. August 2002 bis 6. Juli 2005 ist nach dem SGB III keine anwartschaftsbegründende Zeit. Für Alg-Ansprüche, die vor dem 31. Januar 2006 entstanden sind, ergibt sich aber aus der Übergangsvorschrift § 434j Abs. 3 SGB III, dass die Zeiten des Uhg-Bezuges entsprechend § 124 Abs. 3 Nr. 4 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung nicht in die Rahmenfrist eingerechnet werden. Allerdings reicht die Rahmenfirst nach § 124 Abs. 2 SGB III niemals in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Im Falle des Klägers verlängert sich deshalb die Rahmenfrist für einen neu erworbenen Alg-Anspruch höchstens bis zum 4. September 2000, weil an diesem Tag die Rahmenfrist beginnt, die zum Erwerb des Alg-Anspruchs auf Leistungen ab dem 5. September 2000 führte. Auch in dieser verlängerten Rahmenfrist ergeben sich keine zwölf Monate eines Versicherungspflichtverhältnisses.

Den Restanspruch aus dem am 5. September 2000 erworbenen Anspruch auf Alg konnte der Kläger bei Eintritt der Arbeitslosigkeit ab dem 7. Juli 2005 nicht mehr geltend machen. Nach § 147 Abs. 2 SGB III kann der Anspruch auf Alg nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind. Diese "Verfallsfrist" war bei dem Kläger am 4. September 2004 abgelaufen. Daraus folgt, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitslosigkeit am 7. Juli 2005 den noch unverbrauchten Alg-Restanspruch nicht mehr (erfolgreich) geltend machen konnte. Bei der in § 147 Abs. 2 SGB III geregelten Frist handelt es sich um eine Ausschlussfrist, die ohne Hemmungs- und Unterbrechungsmöglichkeiten kalendermäßig abläuft. Mit Ablauf der Frist ist die gesamte Anspruchsberechtigung untergegangen (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 21. Oktober 2003 - R 7 AL 88/02 R = SozR 4-4200 § 147 Nr. 1). Dem Wortlaut der Norm ist der Wille des Gesetzgebers hinsichtlich der einschränkungslosen Geltung der vierjährigen Verfallsfrist eindeutig zu entnehmen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist "im Lichte der verfassungsrechtlichen Grundsatzentscheidung des Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz (GG)" eine Ausnahme lediglich für den eng begrenzten Fall geboten, dass die Vierjahresfrist während einer Zeit des Beschäftigungsverbotes nach § 6 Mutterschutzgesetz abläuft (BSG, Urteil vom 21. Oktober 2003 – B 7 AL 28/03 R = SozR 4-4200 § 147 Nr. 2). Durch die (ansonsten) ausnahmslose Geltung der Verfallsfrist wird auch nicht verfassungswidrig in ein eigentumsgeschütztes Anwartschaftsrecht des Arbeitslosen eingegriffen. Der vom Kläger am 5. September 2000 erworbene und vom Grundsatz her durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Anspruch des Klägers auf Alg war bereits zum Zeitpunkt der Entstehung mit der Verfallfrist des § 147 Abs. 2 SGB III belastet; hierin liegt eine eigentumsrechtlich unbedenkliche Inhaltsregelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (so das BSG zur Vorläuferregelung im § 125 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz – vgl. Urteil vom 26. Juli 1989 – 11/7 RAr 87/87 = SozR 4100 § 107 Nr. 4 letzter Absatz). Der Gesetzgeber darf bei der Ausgestaltung des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung typisierend davon ausgehen, dass ein Arbeitsloser einen erworbenen Anspruch innerhalb von vier Jahren entweder ausschöpft oder aber einen neuen Anspruch erwirbt.

Der Kläger kann auch nicht als Rechtsfolge eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als habe er sich vor dem 4. September 2004 arbeitslos gemeldet. Weder drängte sich für die Beklagte der Bedarf zu einer Beratung des Klägers im Hinblick auf einen möglichen Verlust des Restanspruchs auf Alg durch Ablauf der vierjährigen Verfallsfrist auf, noch war das Unterbleiben einer solchen Beratung kausal dafür, dass der Kläger sich nicht vor Ablauf der Verfallsfrist arbeitslos meldete.

Der Kläger nahm vom 1. August 2002 bis zum 6. Juli 2005 an einer beruflichen Bildungsmaßnahme teil und bezog Uhg. Durch die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme sicherte der Kläger sich somit einen längeren Anspruch auf Entgeltersatzleistungen, als es mit Geltendmachung des unverbrauchten Restanspruchs auf Alg möglich gewesen wäre. Zudem ermöglichte die Teilnahme an der vom Kläger gewünschten Bildungsmaßnahme eine Verbesserung seiner beruflichen Qualifikation. Ein Abbruch dieser Maßnahme, um noch den Restanspruch auf Alg realisieren zu können, hätte die Erfolglosigkeit dieser Maßnahme bewirkt. Die Beklagte durfte deshalb im Interesse des Klägers weder zum Nichtantritt noch zum Abbruch der Maßnahme raten. Unabhängig davon, dass für den Senat kein Beratungsfehler der Beklagten erkennbar ist, ergibt sich aus den Bekundungen des Klägers in Rahmen der mündlichen Verhandlung am 29. September 2009, dass dieser sich durchaus der aus der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme für ihn erwachsenden Vorteile bewusst war. Nach Auffassung des Senats kann deshalb ausgeschlossen werden, dass der Kläger im Falle des Hinweises auf den Verlust des Restanspruchs auf Alg wegen des Ablaufs der vierjährigen Verfallsfrist auf die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme bis zum erfolgreichen Abschluss verzichtet hätte. Die Teilnahme an der Maßnahme entsprach den objektiven und subjektiven Interessen des Klägers.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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