L 7 SO 3341/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2055/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3341/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444)) eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG.

Mit Bescheid vom 19. Juni 2009 hat der Antragsgegner dem am 14. Juli 1961 geborenen Antragsteller Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis längstens 31. Juli 2010 in Höhe von monatlich 545,57 EUR gewährt. In dem Bescheid hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass zwar bislang ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII bewilligt worden sei. In einem Gutachten des Gesundheitsamtes Rhein-Neckar-Kreis vom 11. März 2009 sei jedoch festgestellt worden, dass die Voraussetzungen für einen solchen Mehrbedarf beim Antragsteller nicht (mehr) vorlägen, da bei Erkrankungen wie Hyperlipidämie, Hypertonie sowie Diabetes mellitus mit Adipositas (Grad III) nach dem aktuellen Stand der Medizin und der Ernährungswissenschaften zwar eine kalorienreduzierte Kost angezeigt sei, diese aber keinen höheren Kostenaufwand verursache. Wie sich aus der dem Bescheid beigefügten Bedarfsberechnung ergibt, wurde dem Regelbedarf lediglich ein Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII (Gehbehinderung), nicht aber zusätzlich ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung hinzugerechnet. Mit Bescheid vom 23. Juni 2009 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 19. Juni 2009 wegen Änderung des Renteneinkommens zum 1. Juli 2009 auf und bewilligte bei im Übrigen gleichen Ausführungen wie im Bescheid vom 19. Juni 2009 für denselben Bewilligungszeitraum Grundsicherungsleistungen in Höhe von 541,26 EUR monatlich.

Am 25. Juni 2009 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Mannheim (SG) beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm einstweilig bis zur Rechtskraft einer Entscheidung den Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII in Höhe von 54,00 EUR monatlich weiter zu zahlen. Mit Beschluss vom 20. Juli 2009 hat das SG den Antrag abgelehnt, weil der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe. Dabei ist das SG davon ausgegangen, dass der Antragsteller sinngemäß den Mehrbedarfszuschlag für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis zum 31. Juli 2010 beantragt habe. Mit seiner am 27. Juli 2009 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegten Beschwerde hält der Antragsteller an seiner Auffassung fest, dass die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in seinem Fall erfüllt seien. Er beanstandet im Wesentlichen, dass das SG seine Entscheidung auf der Grundlage eines Gutachtens des Gesundheitsamtes, das ohne eigenständige Untersuchung, sondern nur durch Verarbeitung eines vier Jahre alten Kurzberichts der Rhön- und Saale Klinik in Bad K. zustande gekommen sei, gefällt habe, ohne ein aussagekräftiges Gutachten bei Prof. Dr. W. einzuholen.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, wenn es sich - wie hier - nicht um einen Fall nach § 86b Abs. 1 SGG handelt, bei dem die Suspensivwirkung von Rechtsbehelfen im Streit steht, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind jedoch auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).

Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht, da die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes nicht begehrt wird. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - (beide juris)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen um so niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 4. April 2008 und vom 11. Juni 2008 , a. a. O.; Hk-SGG/Binder, SGG, 3. Auflage, § 86b Rdnr. 35; Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 4. Auflage, § 123 Rdnr. 62; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage, Rdnrn. 333 ff.).

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat der Antragsteller auch nach Auffassung des Senats einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Im Klageverfahren (S 9 SO 2402/09) hat das SG die behandelnde Hausärztin des Antragstellers, die Allgemeinmedizinerin Dr. Pf., sowie Prof. Dr. W., Krankenhaus S., als sachverständige Zeugen zur Frage schriftlich vernommen, ob der Antragsteller aus medizinischen Gründen einer besonderen Ernährung bzw. Diät bedürfe und bejahendenfalls welchen besonderen qualitativen Anforderungen diese Ernährung bzw. Diät entsprechen müsse. Die Zeugenaussagen bestätigen die im Eilverfahren dargelegte Auffassung des SG, das unter Bezugnahme auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V.(DV) zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (3. Auflage, 2008) und auf Entscheidungen des LSG (Senatsurteil vom 25. Mai 2007 - L 7 AS 4815/06 -; Urteile vom 14. März 2008 - L 8 AS 3940/07 - und 27. Juni 2007 - L 2 AS 731/07) für die beim Antragsteller festgestellten Erkrankungen einen erhöhten Ernährungsaufwand verneint hat. Auch soweit das SG weiter ausgeführt hat, dass sich ein solcher auch nicht aus der bei ihm vorliegenden Adipositas sowie der deshalb vorgenommen Magenverkleinerungsoperation ergebe, da in den genannten Empfehlungen des DV auch bei einer gestörten Nährstoffaufnahme bzw. Nährstoffverwertung (Malabsorption/Maldigestion) grundsätzlich eine gewöhnliche Vollkost ausreiche und nur bei schweren Verlaufsformen, wenn eine gestörte Nährstoffaufnahme offenkundig sei, ein krankheitsbedingter Mehrbedarf für Ernährung bestehe, begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken.

Gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Für die Frage, welche medizinischen Erkrankungen eine kostenaufwändige Ernährung erforderlich machen und in welchem Umfang ein Mehrbedarf angemessen ist, hat sich die Rechtsprechung unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/1516 S. 57) überwiegend an den Empfehlungen des DV orientiert (vgl. hierzu und zum Folgenden: Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 64/06 -, SozR 4-4200 § 21 Nr. 2). Nachdem zuletzt vermehrt Kritik an diesen Empfehlungen geäußert worden war und im Rahmen der ernährungsbedingten Mehrbedarfsprüfung andere Erkenntnisquellen herangezogen wurden (z. B. Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung (Krankenkostzulage) gemäß § 23 Abs. 4 BSHG, Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner), hat der DV hierauf reagiert und am 1. Oktober 2008 neue Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen veröffentlicht (im Folgenden: Empfehlungen 2008), die an die Stelle der Empfehlungen aus dem Jahr 1997 getreten sind. In die hierfür gebildete Arbeitsgruppe wurden im Interesse einer zukünftig möglichst einheitlichen Begutachtungs- und Gewährungspraxis auch von der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf vorgeschlagene Ärztinnen und Ärzte aus dem Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens berufen, die insbesondere als medizinische Sachverständige an der Ausarbeitung der neuen Empfehlungen mitgewirkt haben. Arbeitsgrundlagen für die Überarbeitung der Empfehlungen waren u. a. das Rationalisierungsschema 2004 sowie eine wissenschaftliche Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu den Lebensmittelkosten bei einer vollwertigen Ernährung vom April 2008 (www.dge.de/pdf/ws/Lebensmittelkosten-vollwertige- Ernaehrung.pdf). Der im Urteil des BSG vom 27. Februar 2008 geäußerten Auffassung, es könne derzeit nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Empfehlungen in allen Punkten allgemeine und im wesentlichen unumstrittene aktuelle Erfahrungswerte wiedergäben, weil sie aus dem Jahr 1997 datierten, sich auf Gutachten aus den Jahren 1991 bis 1996 stützten und die inzwischen eingetretenen Entwicklungen bislang nicht durch eine Aktualisierung nachvollzogen worden seien, dürfte damit die Grundlage entzogen worden sein. Soweit in den aktuellen Empfehlungen vom Oktober 2008 Erkrankungen erfasst werden, kann somit auf die dortigen, wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Erkenntnisse zurückgegriffen werden, wobei es letztlich ohne entscheidungserhebliche Bedeutung ist, ob die Empfehlungen als antizipiertes Sachverständigengutachten (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juni 2007, a.a.O.; Behrend in jurisPK, SGB II, 2. Auflage, § 21 Rdnr. 46; Münder in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 21 Rdnr. 28) oder als Orientierungshilfe (so BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, a.a.O. zu den Empfehlungen 1997) gewertet werden.

Die Kritik an den Empfehlungen des DV beschränkte sich auf den Mehrbedarf zur Finanzierung der sogenannten "Vollkost" bzw. spezieller Ausformungen von Vollkost (lipidsenkende, purinreduzierte bzw. natriumdefinierte Kost oder Diabeteskost). Diese Kostformen hatten noch in der diätetischen Grundlage für die Empfehlungen von 1997, dem Rationalisierungsschema 1994, Erwähnung gefunden, sind hingegen im derzeit noch aktuellen Rationalisierungsschema 2004 nicht mehr enthalten. Während nach den 1994 noch herrschenden ernährungswissenschaftlichen Vorstellungen bestimmte Erkrankungen die o. g. speziellen Kostformen verlangten, die auch bei sparsamem Einsatz der Mittel mit dem Regelsatzanteil für Ernährung nicht einzuhalten waren, entsprach schon 1997 dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin, von differenzierten Diäten abzusehen, wenn die Ernährung mit Vollkost gesichert ist. Die Überarbeitung der Empfehlungen wurde deshalb auf Erkrankungen konzentriert, bei denen eine der genannten Kostformen als erforderlich angesehen wurde.

Der Antragsteller stützt seinen ernährungsbedingten Mehrbedarf vorliegend im Wesentlichen darauf, dass wegen der bei ihm zur Behandlung der Adipositas (BMI von 43,7 bei normal 22 - 27) am 23. April 2008 durchgeführten Sleeve-Gastrektomie (Schlauchmagenbildung) lebenslang eine Malabsorption bestehe, die nicht nur Fette, sondern auch Vitamine und Mineralstoffe betreffe. Zur Vermeidung von Mangelerscheinungen halte daher Prof. Dr. W. eine bloße kalorienreduzierende Diät nicht für ausreichend. Der Antragsteller hat für den 30. September 2009 eine weitere Operation durch Prof. Dr. W. angekündigt, bei der im Wege einer biliopankreatischen Teilung und einer Verkürzung des Dünndarmteils eine weitergehende Malabsorption für Fett herbeigeführt werden solle. Da sich nicht vermeiden lasse, dass es hierdurch auch zu Mineralstoff- und Vitaminmangel komme, müsse sublimiert bzw. eine vollwertige Ernährung eingenommen werden. Nach Auskunft der Ärzte der Klinik S. müsse er nach der Operation am 30. September 2009 deutlich mehr essen, um nicht krank zu werden. Die Empfehlungen des DV erfassten nur Massenerkrankungen, würden sein spezielles Krankheitsbild jedoch nicht hinreichend abbilden.

Dem Antragsteller ist darin zuzustimmen, dass die Empfehlungen des DV Kostformen betreffen, die bei häufiger auftretenden Erkrankungen angemessen sind und bei denen eine pauschale Bemessung grundsätzlich möglich ist. Hierbei differenziert der DV drei Mehrbedarfsgruppen, nämlich Mehrbedarf bei Erkrankungen, die diätetisch mit einer Vollkost zu behandeln sind, Mehrbedarf bei verzehrenden Erkrankungen und gestörter Nährstoffaufnahme bzw. Nährstoffverwertung und Mehrbedarf bei Niereninsuffizienz und Zöliakie. Während bei letztgenannter Gruppe ein Mehrbedarf generell bejaht wird, wird bei den zur ersten Gruppe gezählten Erkrankungen in der Regel ein krankheitsbedingter erhöhter Ernährungsaufwand verneint. Die vom Antragsteller geltend gemachte Malabsorption zählt zur zweiten Gruppe, für die der DV ausdrücklich darauf hinweist, dass die Frage ob und ggf. in welcher Höhe hier ein Mehrbedarf bestehe, im Einzelfall auf der Grundlage des Krankheitsverlaufs und des körperlichen Zustands der leistungsberechtigten Person zu beurteilen sei. Selbst bei fortschreitendem/fortgeschrittenem Krebsleiden, HIV, multipler Sklerose sowie schweren Verläufen entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sei jedoch Vollkost die allgemein empfohlene Ernährungsform und ein krankheitsbedingter Mehrbedarf daher nur bei schweren Verläufen oder wenn besondere Umstände wie z.B. eine gestörte Nährstoffaufnahme vorlägen, zu bejahen. Solche besonderen Umstände wurden vorliegend vom Antragsteller indes nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere die im Klageverfahren eingeholte schriftliche Zeugenaussage von Prof. Dr. W. vom 22. Oktober 2009, der aus Sicht des Antragstellers die maßgebliche Auskunftsperson für die hier streitige Frage des ernährungsbedingten Mehraufwands ist, belegt, dass trotz der - hier künstlich und bewusst geschaffenen - Malabsorption kein krankheitsbedingter Mehrbedarf gegeben ist. Danach wurde der Antragsteller im Krankenhaus S. ausschließlich im Zeitraum vom 22. bis 28. April 2008 klinisch untersucht. Eine weitere Operation, die der Antragsteller für den 30. September 2009 angekündigt hatte, war jedenfalls bis zum 22. Oktober 2009 nicht erfolgt. Prof. Dr. W. hat bestätigt, dass beim Antragsteller eine Schlauchmagenbildung vorgenommen worden sei, die zu keiner regelhaften Umleitung der Nahrung führe. Er solle daher zwar eine ausgewogene gesunde proteinreiche Ernährung zu sich nehmen, eine spezielle Diät sei aber nicht erforderlich, wobei auf die ausreichende Zufuhr von Ballaststoffen und Eiweißen zu achten sei. Soweit die Einnahme von Vitaminen empfohlen werde, sei dies wissenschaftlich nicht eindeutig belegt. Der Antragsteller habe durch das verlängerte Magenvolumen einen geringeren Hunger, ein frühzeitiges Sättigungsgefühl und eine insgesamt geringere Aufnahmekapazität für feste Nahrung. Die Nahrungsinhaltsstoffe blieben jedoch im Wesentlichen die gleichen wie bei einer ausreichend gesunden Ernährung eines nicht Operierten. Diese Feststellungen werden inhaltlich durch die Zeugenaussage der Allgemeinmedizinerin Dr. Pf. vom 25. September 2009 bestätigt, die zwar aufgrund des bestehenden Diabetes mellitus II und der Adipositas Grad III eine spezielle Diät für erforderlich hält, diese aber mit fettarmer Nahrung, viel Obst und Gemüse, gutes Pflanzenfett, dunkles Brot beschreibt. Im Ergebnis entspricht dies genau der Einschätzung von Prof. Dr. W., wonach eine ausgewogene gesunde eiweiß- und ballaststoffreiche Ernährung notwendig, aber auch ausreichend ist und mit einer Vollkosternährung sichergestellt wird.

Als Vollkost wird eine Kost nach dem Rationalisierungsschema 2004 bezeichnet, die den Bedarf an essenziellen Nährstoffen deckt, in ihrem Energiegehalt den Energiebedarf berücksichtigt, Erkenntnisse der Ernährungsmedizin zur Prävention und auch zur Therapie berücksichtigt und in ihrer Zusammensetzung den üblichen Ernährungsgewohnheiten angepasst ist, soweit die vorgenannten Punkte nicht tangiert werden. Anders als von Seiten des Antragstellers unterstellt, kann eine Vollkosternährung mit den im Regelbedarf für Ernährung vorgesehenen Anteilen eingehalten werden. Bei einer preisbewussten Einkaufsweise ist nach der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) erhobenen Studie (DGE 2008), die Eingang in die Empfehlungen 2008 gefunden hat, im Jahr 2008 eine Vollkost mit einem Aufwand von ca. vier Euro täglich zu finanzieren (www.dge.de/pdf/ws/Lebensmittelkosten-vollwertige-Ernaehrung.pdf, S. 7). Im ab 1. Juli 2008 geltenden Eckregelleistungssatz in Höhe von insgesamt 351 EUR/Monat sind zur Deckung des Bedarfs an Nahrung, Getränken und Genussmitteln monatlich 138,49 EUR (Abt. EVS 2003 01/02 und 11) und tagesdurchschnittlich 4,62 EUR enthalten. Der Ernährungsanteil im ab 1. Juli 2009 geltenden Regelsatz von 359 EUR/Monat beträgt 141,64 EUR bzw. 4,72 EUR tagesdurchschnittlich. Dass der den Bedarf eines Erwachsenen deckende durchschnittliche Aufwand für Vollkost 43,46 EUR wöchentlich, also 6,21 EUR täglich beträgt (DGE 2008, S. 8, Übersicht 1) und den Bedarfsanteil des Eckregelleistungssatzes daher um 1,59 EUR bzw. 1,49 EUR übersteigt, begründet keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf. Denn das fürsorgerechtliche Ziel ist auf die Sicherung eines soziokulturellen Leistungsstandards beschränkt und gewährleistet nicht einen durchschnittlichen Lebensstandard, sodass ein solcher Mittelwert nicht der relevante Bezugspunkt ist (BSG, Urteil vom 22. April 2008 - B 1 KR 10/07 R - SozR 4-2500 § 62 Nr. 6).

Auch für die weiteren beim Antragsteller diagnostizierten Leiden ist - soweit sie überhaupt durch eine bestimmte Ernährung beeinflusst werden können - ein krankheitsbedingter erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen, da auch insoweit keine spezielle Kostform einzuhalten ist. Sowohl der Diabetes mellitus Typ II als auch die arterielle Hypertonie I10.0 (vgl. ärztlicher Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Bad K. vom 14. Januar 2009) gehören zu den Erkrankungen, die nach den Empfehlungen des DV der ersten Mehrbedarfsgruppe zuzurechnen und diätetisch mit einer Vollkost zu behandeln sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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