S 12 KA 73/09

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 73/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 2/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die nachträgliche Wirtschaftlichkeitsprüfung kieferorthopädischer Leistungen ist nur hinsichtlich der geplanten Behandlungsmaßnahme, nicht aber hinsichtlich der tatsächlich ausgeführten Maßnahme, soweit diese vom Behandlungsplan abweicht, ausgeschlossen (vgl. BSG, Urt. v. 05.08.1992 - 14a/6 RKa 61/91 – USK 92162, juris Rdnr. 23). Liegt ein Nachantrag bzw. eine weitere Genehmigung nicht vor, so trägt der Zahnarzt das Risiko, ggf. auch die Wirtschaftlichkeit der Leistungen nachweisen zu müssen.
Für den Erlass von Prüfbescheiden in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren gilt eine vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb derer der Prüfbescheid dem Betroffenen bekannt gegeben werden muss (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 06.09.2006 - B 6 KA 40/05 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 15 = BSGE 97, 84 = GesR 2007, 174 = USK 2006-114, juris Rdnr. 12 m.w.N.). Der Beginn des Laufs der Ausschlussfrist ist der Zeitpunkt des Abschlusses der kieferorthopädischen Behandlung (vgl. SG Marburg, Urt. v. 05.12.2007 - S 12 KA 114/07 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 32 ff. für die Verjährung eines sonstigen Schadens).
Fehlt es bereits an der Dokumentation einer kieferorthopädischer Leistung, so fehlt es an einer Begründung, weshalb weitere Kosten angefallen sind (so bereits SG Marburg, Urt. v. 05.12.2007 - S 12 KA 114/07 – juris Rdnr. 40).
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat dem Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und trägt die Gerichtskosten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Festsetzung eines Regresses in Höhe von insgesamt noch 9.216,98 Euro (5.495,06 Euro + 3.761,92 Euro) für acht kieferorthopädische Behandlungen.

Der Kläger ist als Zahnarzt für Kieferorthopädie mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragszahnärztlichen Behandlung zugelassen.

Die Beigeladene zu 2) beantragte in 12 kieferorthopädischen Behandlungsfällen eine Überprüfung. Die zu 1) beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen nahm zunächst eine sachlich-rechnerische Berichtigung vor, die sie dann wegen Unzuständigkeit wieder aufhob und die Sache an die Prüfgremien verwies.

Der Prüfungsausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Hessen lud den Kläger zu einer Prüfsitzung am 03.11.2006 unter Beifügung einer Patientenliste mit 12 Behandlungsfällen.

Der Kläger beantragte unter Datum vom 27.10.2006, den Termin aufzuheben und ihm Akteneinsicht zu bewilligen. Ferner bat er um Zurverfügungstellung weiterer Unterlagen. Unter Datum vom 02.11.2006, eingegangen am 03.11., teilte der Kläger mit, er werde aus Krankheitsgründen am Termin nicht erscheinen. Ein Attest sende er auf Anforderung. Er widerspreche einer Tagung des Ausschusses ohne seine Teilnahme.

Der Prüfungsausschuss fasste in seiner Sitzung am 03.11.2006 folgenden Beschluss: 1. Dem Verlegungsantrag des Vertragszahnarztes wird nicht stattgegeben. 2. Der Antrag auf erweiterte Akteneinsicht wird zurückgewiesen. 3. Dem Befangenheitsantrag gegen die stellvertretende Sitzungsvorsitzende Frau X. wird nicht stattgegeben. 4. Der Antrag auf Nennung von Prüfgrößen wird zurückgewiesen. 5. Es folgt eine Honorarberichtigung, vorbehaltlich der bei Verbuchung des Bescheides zu berücksichtigenden HVM-und Degressionseinbehalte, in Höhe von 17.265,79 Euro.

Zur Begründung der Honorarberichtigung führte der Prüfungsausschuss aus, der Kläger habe trotz mehrfacher Anforderung keinerlei Unterlagen zur Verfügung gestellt. Auf den Hinweis des Klägers auf die geltende Schweigepflicht verweise er auf die Entscheidung des BSG vom 19.11.1985 – 6 RKa 14/83 -, wonach die Schweigepflicht im Prüfverfahren im Verhältnis zu den Prüfgremien nicht betroffen sei. Eine Systematik bei den kieferorthopädischen Behandlungen habe sich anhand der Abrechnungsdokumentationen oft nicht erkennen lassen. Nachanträge seien unzureichend oder gar nicht gestellt worden. Ferner begründete er die Absetzung in den 12 Behandlungsfällen im Einzelnen.

Hiergegen legten der Kläger am 07.12.2006 und die Beigeladene zu 2) am 14.12.2006 Widerspruch ein.

Die Verfahren in vier Behandlungsfällen bzgl. der Feststellung eines sonstigen Schadens wurden an den KfO-Ausschuss abgegeben. Die Beteiligten haben sich diesbezüglich bereits außergerichtlich geeinigt.

Der Kläger trug unter dem Datum vom 09.12.2006 vor, er wiederhole seine bisher in dem Prüfungsverfahren gestellten Anträge. Seine Mitwirkungspflicht werde er dadurch erfüllen, dass er selbst die Fälle vortragen werden. Die Behandlungsunterlagen bringe er zur Einsicht mit. Er bitte, eine halbstündige Pause einzuplanen, in der ihm einen Ruheraum zur Verfügung gestellt werden. Er möchte einen eigenen Gutachtervorschlag machen. Ein ständig für den Ausschuss tätiger Gutachter sei nicht unabhängig.

Die Beigeladene zu 2) trug zur Begründung ihres Widerspruchs unter Datum vom 15.01.2007 vor, der Kläger habe die Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt, eine Systematik der Behandlungen sei nicht zu erkennen gewesen und die Nachanträge seien unzureichend oder gar nicht gestellt worden, weshalb der Eindruck entstehe, dass die vertraglichen Bestimmungen von dem Kläger nicht genügend beachtet worden seien. Sie bitte daher um erneute Überprüfung der Angelegenheit.

Der Beklagte wies mit Schreiben vom 18.12.2006 den Kläger darauf hin, die Pflicht zur Vorlage von Unterlagen folge aus § 20 Abs. 4 BMV-Z. Er bitte daher, die Unterlagen bis zum 31.01.2007 zur Verfügung zu stellen. Wie in jeder anderen Sitzung würden bedarfsabhängige Pausen eingelegt werden. Es stünden die normalen Aufenthaltsräume zur Verfügung. Die Sitzordnung werde vom Vorsitzenden so gestaltet, dass ein ungestörter Ablauf der Sitzungen gewährleistet sei. Bei einer Prüfsitzung werde zunächst nicht beabsichtigt, einen externen Gutachter zu bestellen. Das Prüfwesen nach § 106 SGB V gehe davon aus, dass die Prüfgremien sachverständig besetzt seien. Hierüber entspann sich ein weiterer Schriftwechsel zwischen dem Kläger und der Beklagten. Ferner trug der Kläger ergänzend vor. Im Einzelnen wird auf seine Schriftsätze mit Datum vom 22.12.2006, 02.01.2007, 10.10.2008, 11.10.2008, 12.10.2008, 14.10.2008, 14.10.2008, 25.10.2008 (korrigierte überarbeitete Fassung der Schriftsätze vom 12. und 14.10.2008), 26.10.2008 und 30.10.2008 verwiesen.

Der Beklagte führte am 31.10.2008 eine Prüfsitzung durch, an der der Kläger teilnahm. Ausweislich der Niederschrift dauerte die Sitzung von 10:01 Uhr bis 16:20 Uhr und wurde 9 Mal für die Dauer von 3 bis 21 Minuten unterbrochen. Besprochen wurden die Behandlungsfälle Nr. 1 bis 4 der in der Anlage beigefügten Aufstellung von 8 Behandlungsfällen. Die Sitzung wurde sodann auf den 28.11.2000 vertagt.

Ferner erließ der Beklagte einen Teilwiderspruchsbescheid vom 31.10.2008, ausgefertigt am 07.01.2009 und dem Kläger zugestellt durch Niederlegung im Briefkasten am 08.01.2009 beziehungsweise durch Empfangsbestätigung am 14.01.2009. Darin gab der Beklagte den Widersprüchen teilweise statt und setzte in den 4 anhängigen Behandlungsfällen eine noch zu zahlende Honorarkürzung in Höhe von insgesamt 3.154,87 Euro fest. In den streitbefangenen Behandlungsfällen G., H., I. und K. spezifizierte er im Einzelnen die Festsetzungen auf 2.032,44 Euro, 948,14 Euro, 1.489,42 Euro und 985,06 Euro, die er auch im Einzelnen begründete. Von diesen Festsetzungen zog er die bereits bei der Beigeladenen zu 1) verbliebenen Zahlbeträge aufgrund der vormaligen sachlich-rechnerischen Berichtigung wieder ab und setzte weiter noch die verbliebenen Zahlbeträge fest.

Ferner führte der Beklagte aus, die vom Kläger erhobene Verjährungseinrede greife nicht, da die vierjährige Ausschlussfrist mit der Erstellung der Abschlussbescheinigung nach § 29 Abs. 3 SGB V beziehungsweise mit der letzten Abrechnung über die KZVH zu laufen beginne (so Urteil des SG Marburg vom 21.03.2007 - S 12 KA 840/06 - ). In allen 4 Behandlungsfällen sei die Behandlung nicht vertragsgerecht durchgeführt worden. Gründe, die eine Befangenheit des Ausschussmitglieds Herrn L. begründen könnten, seien vom Kläger nicht substantiiert vorgetragen worden. Der Antrag sei daher abzulehnen gewesen. Der Kläger habe nicht alle Unterlagen vollständig zur Verfügung gestellt. Nachanträge seien unzureichend oder gar nicht gestellt worden. Ein grober Verstoß gegen die Richtlinien bezüglich der Dokumentationspflicht sei festzustellen.

Der Kläger machte weitere Ausführungen unter Datum vom 27.11.2008 und 27.11.2008 und 28.11.2008.

Der Beklagte führte am 28.11.2008 eine weitere Prüfsitzung für die übrigen 4 Behandlungsfällen von 10:17 Uhr bis 14:47 Uhr durch.

Mit weiterem Beschluss vom 28.11.2008 ersetzte der Beklagte in den weiteren 4 Behandlungsfällen WU., M., N. und O. eine noch zu zahlende Honorarkürzung in Höhe von insgesamt 1.674,65 Euro fest. Er gab hierbei beiden Widersprüchen erneut teilweise statt. Ohne Berücksichtigung der bereits erfolgten Zahlungen betrugen die Einzelfestsetzungen 1.130,74 Euro, 337,39 Euro, 519,26 Euro und 1.774,53 Euro. Ferner begründete er auch im Einzelnen die Ablehnung verschiedener Anträge des Klägers.

Hiergegen hat der Kläger am 03.02.2009 die Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, für die Stellung der Anträge auf sachlich-rechnerische Prüfung sei die AOK nicht ordnungsgemäß entsprechend der Satzung vertreten gewesen. Die Krankenkasse sei durch den Bescheid nicht beschwert. Für eine sachlich-rechnerische Prüfung sei die KZVH zuständig. Bezüglich der Position 122e habe eine einzelfallbezogene Prüfung nicht stattgefunden, es sei eine pauschale Kürzung vorgenommen worden. Im Fall I. habe ein Dokumentationsmangel nicht vorgelegen, weil die Eintragung in der Karteikarte ausreiche. Eine zusätzliche Dokumentation in der elektronischen Karteikarte sei nicht zu verlangen. Zu jeder abgerechneten Position 126 sei auch die entsprechende Position 122e abzurechnen. Gleiches gelte für die Kürzung der Positionen 01 und Ä935d. Diese sei ohne Antrag lediglich aus dem Grund der angeblich mangelhaften Dokumentation erfolgt. Das von der Beklagten angeführte Urteil des SG Marburg vom 21.03.2007 zur Verjährung beziehe sich auf einen Fall des sonstigen Schadens, für den die Beurteilung des Gesamtfalls maßgeblich sei, der erst nach Abschluss im Hinblick auf einen Schaden für die Krankenkasse beurteilt werden könne. In den Fällen der Wirtschaftlichkeitsprüfung gehe es jedoch um die Beurteilung der medizinischen Indikation zu Einzelmaßnahmen. Eine Regressbelastung für weiter in der Vergangenheit liegende Maßnahmen stehe nicht im Einklang mit der Aufbewahrungspflicht der Modelle für 3 Jahre und der Aufbewahrungspflicht der Patientenunterlagen für 4 Jahre (Karteikarte). So habe der Beklagte im Fall I. Behandlungspositionen seit dem Quartal I/95 abgesetzt. Mit einem Regress müsse bei Wirtschaftlichkeitsprüfung in einem Zeitraum von 4 Jahren seit Erlass des Honorarbescheids gerechnet werden. Die abgesetzten Positionen unterlägen nach Genehmigung nicht mehr der Prüfung auf Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit. Für die Wiederherstellung der festen Spange, das Wiederanbringen von Brackets sei zum Zeitpunkt der Leistungserbringung keine besondere Position vorgesehen gewesen, es habe daher nur die Position 126, 122e angesetzt werden können. Für die Wiederherstellung der festen Spange sei kein Nachtrag in den Richtlinien vorgesehen, also nicht erforderlich. Es sei keinesfalls gerechtfertigt, dass sämtliche Reparaturpositionen 126, damit gekoppelt Nummer 122e, die als Wiederherstellungsmaßnahme einer genehmigten Behandlungsapparatur einzustufen seien, registriert würden. Für den Beschluss vom 28.11.2008 gelte zu den Kürzungen der Positionen 01, Ä935d u.a. das gleiche wie zum Beschlusses vom 31.10.2008. Eine Beratung habe Regressmaßnahmen vorzugehen. Er sei nicht bereit, die fachliche Inkompetenz der Berichterstatterin Frau Dr. P. hinzunehmen. Die Verweigerung der Beantwortung der Fragen habe lediglich dazu gedient, den Umstand der fachlichen Inkompetenz zu verdecken. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung durch das Genehmigungsverfahren sei insoweit ausgeschlossen, als die Wirtschaftlichkeit schon im Genehmigungsverfahren zu prüfen sei und nach den gemachten Angaben geprüft werden könne. In der Nomenklatur der Verträge komme das Wort Nachantrag nicht vor. Ein Vertragszahnarzt könne also gegen eine angebliche Pflicht zur Stellung eines Nachantrags nicht verstoßen. "Nachanträge" könnten nur als Informationsweitergabe an die Krankenkasse verstanden werden. Der Beklagte hätte auch prüfen müssen, ob nicht durch Vorladung von Patienten der Sachverhalt besser aufgeklärt werden könne. Eine Abwägung über die Ermessensfrage ließen die Beschlüsse nicht erkennen. Für den Fall, dass die medizinische Indikation nicht feststellbar sei, sei die Indikation gegeben, wenn sie aufgrund der Fallkonstellation in der Situation, in der sich der Vertragszahnarzt zum Behandlungszeitpunkt befunden habe, für den Ausschuss vorstellbar oder möglich erscheine, andernfalls verbleibe es bei dem non liquid. Die Abweichung von diesen Grundsätzen mit einer Beweislastumkehr für alle die Positionen, die über dem Plan lägen, würden die Gewichte der Rechte der Beteiligten einseitig zu Gunsten der Antragsteller auf Wirtschaftlichkeitsprüfung verschieben. Soweit der Beklagte auf Seite 9 ausführe, die letzten drei Modellpaare lägen dem Gremium ohne reponierbaren Biss vor, so verkenne er, dass es nicht darum gehe, dass die Modelle einen Fortschritt zeigen müssten, denn die fachliche Richtigkeit der Behandlung sei nicht der Gegenstand der Prüfung, vielmehr sei es die Maßnahme in seiner Kostengünstigkeit bezogen auf den medizinischen Standard, der medizinischen Indikation und der dabei angewandten Methode. Die Behauptungen träfen auch nicht zu.

Der Kläger führte unter Datum vom 25.04.2009 weiter aus, durch die Einzelfallprüfung solle durch die Anforderungen an die Dokumentation dem Vertragszahnarzt die Beweislast versteckt oder ausdrücklich hinsichtlich der medizinischen Indikation auferlegt werden. Die medizinische Indikation sei in allen Fällen der Wiederherstellung gegeben gewesen. Es sei auch ausreichend dokumentiert, welche konkrete Leistung wann erbracht worden sei. Es müsse nicht der Einzelzahn dokumentiert werden, denn im Vordergrund der Maßnahme stehe die Funktionsfähigkeit des Behandlungsgerätes, nicht der einzelne Zahn.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Beschlüsse des Beklagten vom 31.10.2008 und 28.11.2008 den Beklagten zu verpflichten, seinen Widerspruch und den Widerspruch der Beigeladenen zu 2) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, bei der Klagebegründung handele es sich zum großen Teil um Wiederholungen des bisherigen Vorbringens im Verwaltungsverfahren, wozu er ausweislich der umfangreichen Protokolle der mündlichen Verhandlung bereits Stellung genommen habe. Im Rahmen der Kieferorthopädie komme allein eine Einzelfallprüfung in Betracht. Der Kläger gehe zu Unrecht davon aus, er könne sich im Rahmen seiner Dokumentation darauf beschränken, die jeweilige Abrechnungsziffer anzugeben. Im Rahmen der Dokumentation müsse vielmehr erkennbar sein, welche konkrete Handlung an welchem konkreten Zahn vorgenommen worden sei. Soweit nicht einzelne Zähne Gegenstand der Behandlung seien, zum Beispiel bei der Fertigung von OPG-Aufnahmen, sei es zwingend, die Ergebnisse der Befundung zumindest stichwortartig in den Aufzeichnungen festzuhalten, damit sie nachprüfbar blieben. Es liege im Ermessen des Ausschusses, ob und wieweit er aus seiner Sicht eine Diskussion über Rechtsfragen für angezeigt halte. Bei den Ausführungen des Klägers in Einzelfällen handle es sich um dessen persönliche abweichende Bewertung dieser Fälle. Er verweise insoweit auf die Darstellung im angefochtenen Beschluss. Die Frage einer vorrangigen Beratung könne erst nach Prüfung des Sachverhalts entschieden werden. Gelange er zum Ergebnis, wegen der festgestellten Behandlungsfehler, komme eine Beratung nicht mehr in Frage, sei dies nicht zu beanstanden. Zweck jeder Dokumentation sei, im Nachhinein nachvollziehen zu können, welche behandlerischen Maßnahmen ein Vertragszahnarzt im Einzelfall vorgenommen habe, um die Korrektheit des behandlerischen Vorgehens im Einzelfall feststellen oder negieren zu können. Solcher Selbstverständlichkeiten bedürften keiner normativen Festlegung. Gleiches gelte für die Befundung von OPG-Aufnahmen. Dies gehöre zur Leistungserbringung. Dem Kläger sei ausreichend rechtliches Gehör eingeräumt worden.

Die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt.

Die Beigeladenen zu 2) bis 8) beantragen übereinstimmend,
die Klage abzuweisen.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 04.02.2009 die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragszahnärzte und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragszahnarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig. Die Klage ist aber unbegründet. Die Beschlüsse des Beklagten vom 31.10.2008 und 28.11.2008 sind rechtmäßig und waren daher nicht aufzuheben. Die Beklagte hat zu Recht den strittigen Regressbetrag festgesetzt. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, den Beklagten zu verpflichten, seinen Widerspruch und den Widerspruch der Beigeladenen zu 2) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die angefochtenen Beschlüsse sind rechtmäßig. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, da die Kammer der Begründung der angefochtenen Beschlüsse folgt (§ 136 Abs. 3 SGG). Ergänzend ist lediglich folgendes auszuführen:

Der Beklagte war zuständig.

Der Beklagte ist nach § 106 SGB V für Prüfungen der Wirtschaftlichkeit zuständig. Vorliegend sind vornehmlich Fragen der Wirtschaftlichkeit Gegenstand der angefochtenen Beschlüsse.

Nach dem Bundesmantelvertrag-Zahnärzte ist ein Antrags- und Genehmigungsverfahren für kieferorthopädische Behandlungen vorgesehen, um grundsätzlich die Leistungspflicht der Krankenkassen festzustellen. Bei kieferorthopädischen Behandlungen ist im Einzelfall nicht vollständig vorhersehbar, wie sich die Behandlung auswirken und sich entwickeln wird. Für Abweichungen im Einzelfall ist daher ein Nachantrag nicht zwingend vorgesehen. Wie alle Behandlungsmaßnahmen, müssen aber die Abweichungen vom genehmigten Behandlungsplan wirtschaftlich sein. Liegt die Genehmigung eines Nachantrags vor, so ist auch die Frage der Wirtschaftlichkeit für diese genehmigten weiteren Leistungen geprüft und bestätigt worden. Für diese Leistungen ist eine Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss gilt aber nur für die Bereiche, die bei der vorangehenden Genehmigung zu überprüfen waren oder tatsächlich abschließend geprüft wurden (vgl. BSG, Urt. v. 05.08.1992 - 14a/6 RKa 17/90 - juris Rn. 39 -SozR 3-2500 § 106 Nr. 12 = USK 92196, zitiert nach juris Rdnr. 39). § 2 Abs 3 der Anlage 6 zum BMV-Zahnärzte (Vereinbarung über das Gutachterverfahren bei kieferorthopädischen Maßnahmen) schließt die nachträgliche Wirtschaftlichkeitsprüfung nur hinsichtlich der geplanten Behandlungsmaßnahme aus, nicht aber hinsichtlich der tatsächlich ausgeführten Maßnahme, soweit diese vom Behandlungsplan abweicht (vgl. BSG, Urt. v. 05.08.1992 - 14a/6 RKa 61/91 – USK 92162, juris Rdnr. 23). Liegt ein Nachantrag bzw. eine weitere Genehmigung nicht vor, so trägt der Zahnarzt das Risiko, ggf. auch die Wirtschaftlichkeit der Leistungen nachweisen zu müssen. Allein ein fehlender Antrag führt nicht zur Absetzung. Die fehlende Genehmigung führt nur zur Berechtigung, die Wirtschaftlichkeit überprüfen zu können.

Entsprechend ist der Beklagte vorgegangen. Prüfgegenständlich waren nur die Leistungen, die von der Genehmigung nicht erfasst waren. Soweit der Beklagte weitere Leistungen wegen einer fehlenden Dokumentation abgesetzt hat, ist er hierzu im Rahmen einer Annexkompetenz ebf. zuständig.

Die Prüfungsmöglichkeit ist auch nicht wegen Zeitablaufs unzulässig.

Für den Erlass von Prüfbescheiden in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren gilt eine vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb derer der Prüfbescheid dem Betroffenen bekannt gegeben werden muss (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 06.09.2006 - B 6 KA 40/05 R - SozR 4 2500 § 106 Nr. 15 = BSGE 97, 84 = GesR 2007, 174 = USK 2006-114, juris Rdnr. 12 m.w.N.).

Der Beginn des Laufs der Ausschlussfrist ist der Zeitpunkt des Abschlusses der kieferorthopädischen Behandlung. Dies hat die Kammer bereits für die Verjährung eines sonstigen Schadens entschieden (vgl. SG Marburg, Urt. v. 05.12.2007 - S 12 KA 114/07 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 32 ff.).

Die insoweit fachkundig besetzte Kammer geht hierbei davon aus, dass die kieferorthopädische Behandlung auch auf der Überwachung eingeleiteter Maßnahmen und der Herbeiführung eines Erfolges dieser Maßnahmen beruht. Ob die Behandlung insoweit regelgerecht und wirtschaftlich war, kann erst nach deren Abschluss beurteilt werden, da bis dahin unter Umständen die Einleitung weiterer oder korrigierender Maßnahmen noch zu einem regelgerechten Erfolg führen können und damit am Ende wirtschaftlich sein können. Damit hat der Vertragszahnarzt auch keine Garantiehaftung für einen bestimmten Erfolg seiner Behandlung zu übernehmen, da Voraussetzung für eine Regressfestsetzung nicht der fehlende Erfolg, sondern die Unwirtschaftlichkeit der Leistung ist. Gerade bei kieferorthopädischen Behandlungen, die im Regelfall über mehrere Jahre erfolgen, wird sich eine Unwirtschaftlichkeit erst am Ende der Behandlung feststellen lassen. Maßgeblich ist dabei die Beendigung der Behandlung durch den Vertragszahnarzt, sei es durch dessen Erklärung, die Behandlung sei abgeschlossen, oder aufgrund eines Wechsels des Behandlers. Die Ausschlussfrist ist danach in keinem der strittigen Behandlungsfälle eingetreten.

Der Kläger irrt offensichtlich auch über Dauer und Umfang der Aufbewahrungspflichten. Nach § 5 Abs. 1 BMV-Zahnärzte ist der Vertragszahnarzt verpflichtet, über jeden behandelten Kranken Aufzeichnungen zu machen, aus denen die einzelnen Leistungen, die behandelten Zähne und, soweit erforderlich, der Befund sowie die Behandlungsdaten ersichtlich sein müssen. Nach § 5 Abs. 2 BMV-Zahnärzte sind die Aufzeichnungen nach Abs. 1 sowie die diagnostischen Unterlagen bei kieferorthopädischen Behandlungen vom Vertragszahnarzt mindestens vier Jahre nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren. Die Aufbewahrungsfrist für Röntgenaufnahmen richtet sich nach der Röntgenverordnung. Eine längere Aufbewahrung ist darüber hinaus geboten, wenn sie nach medizinischen Erfordernissen angezeigt ist. Damit bestätigen gerade die spezifischen Anforderungen an die Aufzeichnungspflichten für Kieferorthopäden, dass maßgeblich auf Abschluss der Behandlung abzustellen ist.

Der Beklagte konnte auch bei einer fehlenden Dokumentation auf die Unwirtschaftlichkeit schließen. Bei fehlenden Nachanträgen trifft den Behandler, wie bereits ausgeführt, eine Darlegungs- und Dokumentationslast über den Nachweis der Wirtschaftlichkeit für die weiteren Kosten. Fehlt es bereits an der Dokumentation, so fehlt es damit bereits an einer Begründung, weshalb weitere Kosten angefallen sind (so bereits SG Marburg, Urt. v. 05.12.2007 - S 12 KA 114/07 – juris Rdnr. 40).

Die Kammer hat im Einzelnen mit den Beteiligten am Beispiel des Behandlungsfalles G. den Umfang der Dokumentationspflicht erörtert. Die Dokumentationspflicht folgt nicht nur aus allgemeinen berufsrechtlichen Pflichten, sondern auch aus dem bereits angeführten § 5 Abs. 1 BMV-Zahnärzte. Es obliegt insb. nicht dem einzelnen Vertragszahnarzt zu entscheiden, ob er eine Dokumentation unterlässt, weil es sich um eine vermeintliche Routinemaßnahme handelt. Die Dokumentation muss mindestens so umfassend sein, dass ein anderer Zahnarzt im Einzelnen die Behandlungsmaßnahme nachvollziehen kann. So ist, soweit Bänder erneuert werden, in jedem Fall der Kieferbereich anzugeben. Werden Brackets erneuert, ist der Zahn anzugeben. Werden Reparaturen vorgenommen, ist anzugeben, welche Reparatur in welchem Kieferbereich bzw. welchen Zahn betreffend vorgenommen wurde. Diesen Anforderungen genügte die beanstandete Dokumentation nicht.

Im Übrigen fehlt bei einer fehlenden Dokumentation auch der Nachweis der Leistungserbringung. Von daher konnte der Beklagte auch die weiteren Leistungen absetzten.

Nach allem war der angefochtene Beschluss nicht aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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