L 16 R 886/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 R 643/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 886/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 493/09 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Notwendigkeit der Feststellung der Erwerbsminderung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit. Eintritt des Leistungsfalls muss zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 04.12.2006 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 10.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2005 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Grund eines Leistungsfalles, der spätestens am 01.01.1997 eingetreten ist, hat.

Die 1962 geborene Klägerin schloss eine Lehre zur Verkäuferin ab. Zuletzt war sie als Schuhverkäuferin, Zimmermädchen und Elektrolöterin bis 1982 erwerbstätig. Für die 1983 und 1985 geborenen Kinder der Klägerin sind bis zum 30.11.1986 Pflichtbeiträge für Kindererziehung im Versicherungsverlauf gespeichert. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung enthält der Versicherungsverlauf vom 14.04.1983 bis zum 04.11.1995. Insgesamt entrichtete die Klägerin 74 Monate an Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Am 29.12.2000 stellte die Klägerin erstmals einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. In diesem Antrag gab sie an, dass sie seit dem 01.01.1990 an Multipler Sklerose erkrankt und deshalb erwerbsgemindert sei. Die Beklagte beauftragte den Neurologen und Psychiater Dr. H. mit der Begutachtung der Klägerin. Dieser untersuchte die Klägerin am 20.08.2001 und stellte in seinem Gutachten fest, dass die Klägerin an Multipler Sklerose mit einer Sehminderung rechts leide. 1990 sei offenbar erstmals ein Schub mit Taubheitsgefühlen beider Hände, Doppelbildern und Gangunsicherheit aufgetreten. 1992 sei eine schwere Sehnervenentzündung rechts, wobei eine hochgradige Sehminderung verblieb, eingetreten. In der Folgezeit seien dann mehrfache flüchtige Entzündungsschübe ohne gravierende Folgen aufgetreten. Neurologisch sei auffällig, dass im Bereich der Hirnnerven eine hochgradige Sehminderung rechts eingetreten sei. Es werde nur hell und dunkel unterschieden, die Pupille rechts sei abgeblasst. Weitere Hirnnervenausfälle konnte Dr. H. zu diesem Zeitpunkt nicht feststellen. Zusammenfassend ging er davon aus, dass außer der Sehminderung kein schwerwiegendes neurologisches Defizit bestehe und die Klägerin leichte bis zeitweilig mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden täglich verrichten könne. Unzumutbar seien Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das beidseitige Sehvermögen und solche mit besonderen Anforderungen an den Gleichgewichtssinn. Tätigkeiten überwiegend im Freien mit Einwirkung von Kälte, starken Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe seien ebenfalls nicht zweckmäßig.

Auf dieses Gutachten hin lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 07.09.2001 ab, da diese in den letzten fünf Jahren nicht drei Jahre an Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nachgewiesen habe. Außerdem wäre die Klägerin weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Den hiergegen erhoben Widerspruch wies die Beklagte mit bestandskräftigen Widerspruchsbescheid vom 19.02.2002 zurück.

Am 20.07.2004 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte beauftragte den Neurologen und Psychiater Dr. K. mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin. Dieser untersuchte am 09.12.2004 die Klägerin und stellte in seinem Gutachten vom 16.12.2004 fest, dass die Klägerin seit etwa 15 Jahren an Multipler Sklerose erkrankt sei. Eine volle Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei mit Sicherheit nicht mehr gegeben. Theoretisch könnte sie leichte Frauenarbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit vielen Einschränkungen wie reduziertem Sehvermögen, Gang, Stand, fehlende Muskelkraft, Zielbewegungen usw. verrichten. An einem behindertengerechten Arbeitsplatz könne sie sicherlich nicht länger als drei bis vier Stunden täglich arbeiten. Mit Bescheid vom 10.01.2005 erkannte die Beklagte das Bestehen einer teilweisen Erwerbsminderung seit dem 20.07.2004 an, lehnte den Rentenantrag jedoch wegen der fehlenden besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab. Im maßgeblichen Zeitraum vom 20.07.1999 bis zum 19.07.2004 sei kein Monat mit entsprechenden Pflichtbeiträgen belegt.

Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass die Multiple Sklerose bei der Klägerin bereits ab dem Jahre 1990 zu einer Berufs- und Erwerbsunfähigkeit geführt habe. Dies ergebe sich aus den vorliegenden Befunden der behandelnden Ärzte insbesondere des Herrn Dr. H. und der Dres. S. und S. vom 18.11.1993. Zum Beweis legte er eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Neurologen und Psychiaters der Klägerin Dr. H. vom 08.03.2005 vor, in der dieser bestätigte, dass die Klägerin seit 1990 in seiner ambulanten Behandlung sei und bereits vor 1995 durch ihre Erkrankungen in ihrer Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen wäre. Ein ausführliches Arztschreiben des Allgemeinarztes Dr. S. vom 06.05.2005, das ebenfalls vom Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegt wurde, beschreibt retroperspektiv ausführlich den Verlauf der Multiplen Sklerose bei der Klägerin seit dem Jahr 1990. Die Erkrankung sei schubweise verlaufen, da die Klägerin nicht berufstätig gewesen sei, seien Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht ausgestellt worden. Wie sich aber aus dem Krankheitsverlauf und den von ihm dokumentierten Daten der Behandlung ergebe, habe während der verschiedenen Schübe vollständige Arbeitsunfähigkeit vorgelegen.

Die Beklagte holte im Widerspruchsverfahren ein weiteres Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. H. ein, das dieser am 24.06.2005 nach Aktenlage erstellte. Dr. H. wertete in seinem Gutachten die Befunde der behandelnden Ärzte der Klägerin aus. Er beschreibt, dass im MRT der Wirbelsäule "von der hinteren Schädelgrube bis zum Konus" am 15.10.1998 keine MS-typischen Veränderungen beschrieben würden. Trotzdem gehe der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. H. von einer spinalen Symptomatik mit Rückenmarksbefall aus. Dies sei so nicht nachvollziehbar. Eine zeitliche Leistungsminderung vor dem Jahr 2004 lasse sich nicht begründen, es sei offensichtlich im Jahr 2004 zu einer gewissen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes der Klägerin gekommen.

Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.08.2005 zurück, da der Eintritt des Leistungsfalles erst im Juli 2004 nachgewiesen worden sei. Rentenrechtlich relevante Zeiten seien lediglich bis zum 04.11.1995 gespeichert. Aufschubtatbestände im Sinne des Gesetzes seien nicht erkennbar. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lägen nur dann vor, wenn der maßgebliche Leistungsfall bis spätestens November 1997 eingetreten wäre. Hierfür gebe es aber keinerlei Anhaltspunkt.

Am 30.08.2005 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg und begründete im Wesentlichen seine Klage damit, dass der leistungsrelevante Versicherungsfall bereits vor dem 20.07.2004 eingetreten sei.

Das Sozialgericht holte Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin ein. Es zog zur Sachverhaltsaufklärung die Akten des Zentrum Bayern für Familie und Soziales, Region Schwaben bei und beauftragte den Nervenarzt Dr. S. mit der Begutachtung der Klägerin. Zuvor stellte das Sozialgericht fest, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei der Klägerin letztmals am 30.01.1997 erfüllt waren.

Dr. S. führte in seinem Gutachten vom 04.05.2006 zur Frage, ob die Klägerin bereits im Januar 1997 erwerbsgemindert war, aus, dass bei der Klägerin seit 1990 eine behandlungsbedürftige Multiple Sklerose vorliege. In den ersten Jahren hätten ausgeprägte neurasthenische Beschwerden mit Stimmungslabilität, Konzentrationsproblemen, Nervosität, depressiv ängstlicher Verstimmung, Kraftlosigkeit und Antriebsstörung bestanden. 1992 sei eine schwere Sehnervenentzündung rechts aufgetreten, wobei eine hochgradige Sehminderung verblieben sei. Mit Untersuchungsdatum Januar 1997 liege ein Befundbericht der Augenärztin Dr. K. vor, danach sei das Fingerzählen rechts möglich gewesen, und der Visus links habe bei 0,6 bis 0,8 gelegen. Aus einem Arztbrief von Dr. H. vom 23.10.1997 ergebe sich, dass die Klägerin nunmehr Probleme mit dem rechten Bein habe. "Den Sommer über ging es insgesamt hervorragend". Im Arztbrief von Dr. H. vom 09.03.1999 sei ausgeführt worden "insgesamt kann nach einer Zeit von nunmehr mehr als zehn Jahren gesagt werden, dass der Verlauf bisher gutartig ...sei, eine objektive Verschlechterung gegenüber dem letzten Jahr kann ich nicht feststellen. Subjektive Schwankungen der Befindlichkeit finden sich natürlich auch immer neben eigentlichen Schüben und sind im Einzelfall schwer voneinander abzutrennen." Dr. S. führte dann aus, dass im Januar 1997 lediglich eine Sehnervenentzündung links bei fortbestehender Sehstörung rechts im Rahmen der Multiplen Sklerose an wesentlichen Gesundheitsstörungen bei der Klägerin vorlag. Aus neurologischer Sicht führten die Sehstörungen im Januar 1997 vorübergehend zu einem aufgehobenen beruflichen Leistungsvermögen, wobei die Störung nach Aktenlage nicht zeitübergreifend fortbestanden habe. Eine zeitübergreifende Störung von mehr als sechs Monaten ergebe sich nicht. Daher könne die Klägerin bezogen auf den Januar 1997, und abgesehen von der Sehnervenentzündung, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten, überwiegend im Sitzen, ohne schweres Heben und Tragen und ohne besondere Anforderungen an den Gleichgewichtssinn sowie ohne Treppen und Leitern steigen.

Mit Urteil vom 04.12.2006 hob das Sozialgericht Augsburg den Bescheid der Beklagten vom 10.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2005 auf und verurteilte die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.07.2004 auf Dauer zu gewähren. Das Sozialgericht ging in seinen Entscheidungsgründen davon aus, dass es nicht mehr mit Sicherheit nachzuweisen sei, dass die Klägerin bereits am 01.01.1997 nur noch weniger als sechs Stunden täglich erwerbstätig sein konnte. Es stellte jedoch fest, dass die Klägerin wegen des Verlaufs ihrer Erkrankung auf dem Arbeitsmarkt chancenlos sei und daher von einem Ausnahmefall der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den sog. "Seltenheits- oder Katalogfälle" auszugehen sei. Die Klägerin habe in der Regel zwei- bis dreimal pro Jahr einen Krankheitsschub erlitten. Die Dauer dieser Krankheitsschübe bewege sich regelmäßig zwischen einem und vier Monaten. Dieser Verlauf sei seit dem Jahre 1991 gegeben. Wegen der Regelmäßigkeit und der Dauer der Krankheitsschübe hätte ein Arbeitgeber mit erheblichen Arbeitsausfällen rechnen müssen. Daher habe die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt realistischer Weise keine Chance auf eine Einstellung gehabt. Deswegen sei der Arbeitsmarkt für die Klägerin verschlossen gewesen und es sei vom Eintritt der Erwerbsminderung noch während des Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auszugehen.

Die Beklagte hat die gegen das Urteil am 29.12.2006 eingelegte Berufung damit begründet, dass sie die Entscheidung des Sozialgerichtes gegen die im Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 19.12.1996 - GS 2/95 aufgestellten Grundsätze verstoße. Diese Grundsätze besagten, dass bei unterstelltem vollschichtigen Leistungsvermögen die Frage der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nur in den sog. Katalogfällen zu prüfen sei. Dies bedeute dass, ein Versicherter, der einen Arbeitsplatz wegen eingeschränkter Wegefähigkeit nicht mehr erreichen könne, der nicht mehr unter betriebsüblichen Bedingungen tätig sein könne oder nur noch in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes oder nur auf Schonarbeitsplätzen arbeiten könne, erwerbsgemindert sei. Ein derartiger Ausnahmefall bestehe für die Klägerin nicht. Die vom SG zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31.03.1993 Az.: 13 RJ 65/91 sei nicht heranzuziehen, da es in diesem entschiedenen Fall um einen Versicherten ging, der regelmäßig jede Woche Fieberschübe mit Arbeitsunfähigkeit von mehreren Tagen hatte und der deshalb im Durchschnitt wöchentlich zwei Tage arbeitsunfähig krank gewesen sei. In dieser Krankheit habe das BSG eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung des Versicherten gesehen und ihm keine konkrete Verweisungstätigkeit benennen können. Bei der Klägerin komme es jedoch jährlich zu zwei bis drei Krankheitsschüben mit unterschiedlicher Dauer. Insgesamt sei eine rentenrechtlich relevante Verschlechterung der Leistungsfähigkeit der Klägerin erst im Jahr 2004 nachzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Zentrum Bayern Familie und Soziales, Region Schwaben, der Klägerin und die vollständigen Krankendokumentationen von Dr. H. und Dr. S. beigezogen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin vertritt die Auffassung, dass das Sozialgericht die obergerichtliche Rechtsprechung zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ordnungsgemäß angewendet habe, da die Erkrankung der Klägerin derart schwerwiegend sei, dass sie auf dem Arbeitsmarkt chancenlos gewesen sei. Im Übrigen habe die Dokumentation von Herrn Dr. S. nachgewiesen, dass die Klägerin wochen- und monatelange Arbeitsunfähigkeitszeiten gehabt habe.

Im Auftrag des Senats hat der Leitende Oberarzt Dr. P. der C., Behandlungszentrum für Multiple Sklerose Kranke ein neurologisches Gutachten nach Aktenlage erstellt. In seinem Gutachten vom 21.05.2008 hat Dr. P. die vorliegenden medizinischen Unterlagen der Klägerin gewürdigt und zusammenfassend festgestellt, dass bei der Klägerin in den Jahren 1991 bis 1997 zumindest zweimal jährlich Krankheitsschübe mit überwiegend geringfügiger bis mäßiggradiger neurologischer Symptomatik eingetreten seien. Lediglich 1992 sei eine schwere Sehnervenentzündung aufgetreten. Die ambulante Behandlung der Klägerin sei seit 1990 überwiegend durch den Allgemeinarzt Dr. S. in Zusammenarbeit mit dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. erfolgt. Das von Dr. S. am 06.05.2005 im Auftrag der Patientin erstellte Schreiben steht aus Sicht von Dr. P. in einer deutlichen Diskrepanz zu dem nervenärztlichen Gutachten von Dr. H., der den gutartigen Verlauf der Erkrankung betont und überwiegend diskrete neurologische Beeinträchtigungen attestiert. In Zusammenschau der Aktenlage ist Dr. P. zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der teils widersprüchlichen ärztlichen Befunde und Beurteilungen der Eindruck entstehe, dass Dr. H. den Krankheitsverlauf der Klägerin teilweise nicht ausreichend differenziert dokumentiert und angemessen wiedergegeben habe, sondern zum Teil in einseitiger Weise als "gutartigen" Verlauf verharmlose. Beurteilungen wie die vom 24.10.1997 "den Sommer über ging es insgesamt hervorragend" seien schwer nachvollziehbar, wenn man die hausärztlichen Behandlungsdaten von Dr. S. dagegen setze. Es bleibe letztlich offen, ob die Mehrzahl der Entzündungsschübe "flüchtig, ohne gravierende Folgen" verlaufen seien oder ob die vom Allgemein- und Hausarzt Dr. S. angegebenen Behandlungsdaten einer teils monatelange körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen mit retrospektiv anzunehmender voller Arbeitsunfähigkeit über drei bis sechs Monate pro Jahr, 1997 angeblich sogar für das ganze Jahr zuträfen. Nach Einschätzung von Dr. P. ist davon auszugehen, dass der bei der Klägerin beschriebene Krankheitsverlauf einer Multiplen Sklerose, die sich seit 1991 regelmäßig mit mindestens zwei Schüben pro Jahr (darunter teils schweren Ausfällen, wie im Mai 1992 der nahezu Erblindung des rechten Auges) relativ rasch in eine sekundär-chronische Krankheitsprogression übergegangen sei, nicht als gutartig anzusehen sei. Aufgrund der geschilderten Diskrepanzen und Mängel in der allgemein-hausärztlichen und nervenärztlichen Verlaufsdokumentation ließe sich allerdings die Frage, ob die Klägerin im Januar 1997 noch Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses verrichten könne, nicht mit ausreichender Sicherheit beantworten. Eine genaue Angabe zu der leistbaren Stundenzahl einer täglichen Arbeit sei nicht möglich. Erst durch das nervenärztliche Gutachten von Dr. K. ließe sich zumindest seit 2003 eine weitgehende Erwerbsminderung klar nachvollziehen.

Die Beklagte hat zum Gutachten von Dr. P. ausgeführt, dass dieses die von der Beklagten im Rechtsstreit vertretenen Auffassung bestätige und die unstreitig vorliegenden gravierenden Leistungseinschränkungen der Klägerin sich nicht mit der vom Gesetzgeber geforderten Wahrscheinlichkeit als seit 1997 andauernd und durchgehend bis heute fortbestehend nachweisen ließen. Zuletzt hat die Beklagte durch ihren medizinischen Dienst nochmals darauf hingewiesen, dass die Erwerbsminderung der Klägerin nachweisbar erst im Jahr 2004 eingetreten sei.

Auf Antrag der Klägerin erstellte nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Professor Dr. D. am 09.06.2009 ein nervenärztliches Gutachten aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 01.04.2009. Professor Dr. D. ist in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin seit Januar 1997 eine Multiple Sklerose sowie ein ausgeprägtes depressive Syndrom mit Panikattacken bestehen würden. Er hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass die Klägerin seit Januar 1997 nur noch leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses deutlich weniger als 6 Stunden jedoch noch mindestens 3 Stunden täglich verrichten könne. Spätestens seit 2004 könne die Klägerin nur noch weniger als 3 Stunden arbeiten. Im Januar 1997 habe die Klägerin keine schweren und mit schweren körperlichen Arbeiten mehr verrichten können, ebenso wenig arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Sehvermögen und im Gleichgewichtssinn. Tätigkeiten im Freien mit Einwirkung von Kälte und starken Temperaturschwankungen, Arbeiten in Zugluft und Nässe, im Akkord sowie geistige Tätigkeiten unter Stressbelastungen habe die Klägerin ebenfalls nicht mehr verrichten können. Außerdem habe die Klägerin betriebsunübliche Pausen benötigt.

Prof. Dr. D. hat zur Begründung seines Gutachtens ausgeführt, dass Dr. H. die häufigen Krankheitsschübe der Klägerin in den Jahren 1991-1997 zu wenig berücksichtigt habe und die daraus resultierenden Residuen. Außerdem habe er völlig die psychische Verfassung der Klägerin außer Acht gelassen. Gerade die gravierenden psychischen Veränderungen hätten dazu geführt dass die Klägerin in den bisherigen Gutachten, die lediglich aufgrund der Aktenlage erstellt worden seien, nicht adäquat beurteilt worden wäre. Insgesamt ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass man nach den vorliegenden Unterlagen den Schluss ziehen müsse das bereits im Januar 1997 das Leistungsvermögen der Klägerin deutlich unter sechs Stunden gelegen habe.

Die Beklagte hat zum Gutachten von Prof. Dr. D. ausgeführt, dass dieses weder schlüssig noch plausibel sei, gerade dann, wenn ein Gutachter im April 2009 mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen wolle, in welchem Gesundheitszustand die Klägerin im Jahr 1997 gewesen sei, zumal wenn vorhergehende Begutachtungen im Jahr 2001 und 2004 zu anderen Ergebnissen gekommen sei. Außerdem habe der Gutachter Dr. P. mehrfach festgestellt, dass mit den vorliegenden ärztlichen Unterlagen eine Bewertung der Leistungsfähigkeit der Klägerin bis ins Jahr 2004 nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit und Gewissheit festzustellen sei.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat darauf hingewiesen, dass sowohl der Sachverständige des Sozialgerichts Dr. S. als auch der Sachverständige des Senats Dr. P. ein Gutachten nach Aktenlage erstellt haben und nicht die Klägerin selbst angehört und untersucht haben. Außerdem sei Prof. Dr. D. ein ausgewiesener Spezialist bei der Beurteilung der Multiplen Sklerose.

In der mündlichen Verhandlung beantragt der Bevollmächtigte der Beklagten,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4. Dezember 2006 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 10.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2005 abzuweisen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des Amtes Zentrum Bayern für Familie und Soziales, Region Schwaben sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht Augsburg die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes aufgrund der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin angenommen und ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung zugesprochen.

Nach § 43 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor dem Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs.1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Behinderung oder auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, und die üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI). Ausnahmsweise liegt eine volle Erwerbsminderung auch bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Diesem Grundsatz liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. BSG, SozR 2200 § 1246 Nr.110). Das BSG hat in seiner Rechtsprechung ausgeführt, dass bei schweren spezifischen Leistungseinschränkungen konkrete Verweisungstätigkeiten zu benennen sind. Diese Ausnahmefälle der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes hat das BSG in sieben Untergruppen (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nr.137 und Niesel in Kasseler Kommentar § 43 Rdnr.37 ff. m.w.N.) eingeteilt. Versicherte, die zwar eine Vollzeittätigkeit ausüben können, diese aber nicht mehr unter betriebsüblichen Bedingungen verrichten können, Versicherte, die ihren Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aufsuchen können, Versicherte, die nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes einsetzbar sind, Versicherte, die nur noch Tätigkeiten auf Schonarbeitsplätzen, die nicht an Betriebsfremde vergeben werden, ausüben können, Versicherte, die nur noch Tätigkeiten verrichten können, die nicht an Berufsfremde vergeben werden, und solche, die nur noch in Aufstiegspositionen eingesetzt werden können, und als letzter Seltenheitsfall, das Vorhandensein entsprechender Arbeitsplätze in ganz geringer Zahl. Liegt eine solche schwere spezifische Leistungseinschränkung vor, so führt dies zur Pflicht der Beklagten Verweisungstätigkeiten zu benennen.

Der ärztliche Sachverständige Dr. P. hat in seinem Gutachten, das im Wesentlichen das im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. K. und das erstinstanzliche Gutachten von Dr. S. bestätigt, überzeugend und in sich schlüssig, nach Auswertung sämtlicher medizinischer Unterlagen, die über die Klägerin vorlagen, ausgeführt, dass er nicht mit der notwendigen Sicherheit den Eintritt eines Leistungsfalles bereits im Jahr 1997 feststellen kann. Im Einzelnen hat er dies mit den unterschiedlichen Wertungen in den Befunden der behandelnden Ärzte der Klägerin begründet. Dr. H. und Dr. S. würden unterschiedliche Aussagen zum Verlauf der Krankheit der Klägerin machen. Diese Angaben stünden wiederum im Widerspruch zur Untersuchung der Klägerin durch Dr. H. im Jahr 2001. In der Gesamtschau kommt Dr. P. zu dem Ergebnis, dass mit den vorhandenen Unterlagen, die den Gesundheitszustand der Klägerin in unterschiedlicher Art dokumentieren, der Leistungsfall im Januar 1997 nicht mit der nötigen Sicherheit festgestellt werden kann. An diesen Feststellungen kann auch das nach § 109 SGG erstellte Gutachten von Professor Dr. D. keine Zweifel erwecken. Professor Dr. D. setzt sich nicht mit den vorhandenen Befunden der Klägerin aus den Jahren 1990-2004 auseinander, sondern stellt aufgrund der persönlichen Untersuchung der Klägerin im Jahr 2009 fest, dass diese seit 1997 nur noch unter sechs Stunden täglich leistungsfähig sei. Eine genaue Begründung, warum er diese Feststellung im Jahr 2009 machen kann und sie auch für den vergangenen Zeitraum bis zurück ins Jahr 1997 reicht, bleibt Professor Dr. D. schuldig. Daher ist dieses Gutachten für den Senat nicht überzeugend, insbesondere da es sich im Gegensatz zum Gutachten von Dr. P. nicht ausführlich mit den eingeholten Befunden der behandelnden Ärzte der Klägerin, die diese zeitnah erstellt haben, auseinandersetzt und auch nicht ausreichend ausführt, warum den bisherigen Gutachten nicht gefolgt werden kann.

Die nachträglich erstellten Angaben von Dr. S. und das Gutachten von Professor Dr. D. sind nicht geeignet, den Eintritt des Leistungsfalles der Klägerin bereits im Jahre 1997 nachzuweisen. Daher können diese Unterlagen nicht ohne Einschränkung für die Beurteilung des Gesundheitszustandes der Klägerin herangezogen werden. Hier misst der Senat den Unterlagen von Dr. S. einen anderen Beweiswert zu als das Sozialgericht, dem die Ausführungen von Dr. S. zur Annahme des Leistungsfalles der Erwerbsminderung im Jahre 1997 ausreichend waren. Wie Dr. P. aber richtig ausführt, werden die Aufzeichnungen von Dr. S. nicht durch die Aufzeichnungen von Dr. H. gestützt. Dadurch ist es letztlich aus heutiger Sicht nicht mehr möglich festzustellen, wann genau bei der Klägerin der Leistungsfall der Erwerbsminderung eingetreten ist. Dr. P. hat dargelegt, dass die medizinische Dokumentation der behandelnden Ärzte der Klägerin hierfür nicht ausreichend sind. Die Momentaufnahmen aus der Begutachtung durch die Beklagte lassen immer nur Rückschlüsse zu, wie es der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt ging. Hier muss die Klägerin gegen sich gelten lassen, dass sie zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. H. im Jahr 2001 zumindest auf Dr. H. einen so guten Eindruck gemacht hat, dass er festgestellt hat, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch erwerbsfähig gewesen ist. Auch wenn Dr. P. heute in seinem Gutachten erklärt, dass die Sicht von Dr. H. auf die Krankheit der Klägerin im Nachhinein etwas zu positiv war, so hat Dr. H. die Klägerin doch im Jahr 2001 untersucht und sich einen eigenen Eindruck verschafft, der heute nur aufgrund der Aktenlage auch nach den Ausführungen von Dr. P. nicht mit ausreichender Sicherheit widerlegt werden kann. Dies wird auch durch die MRT-Aufnahme aus dem Jahr 1998 gestützt, auf der keine MS-typischen Veränderungen zu sehen sind. Diese Aufnahmen sprechen eher gegen einen Eintritt der Erwerbsminderung bereits im Januar 1997.

Auch den Ausführungen des Bevollmächtigten der Klägerin, dass nur aufgrund einer persönlichen Untersuchung der Klägerin eine Feststellung zu treffen sei, wie der Gesundheitszustand der Klägerin im Jahre 1997 war, kann nicht gefolgt werden. Für einen mehr als 10 Jahre zurückliegenden Zeitpunkt kann eine Erwerbsminderung nur aufgrund von aussagekräftigen, medizinischen Befunden und Unterlagen getroffen werden. Eine persönliche Untersuchung bei einer schleichend, fortschreitenden Erkrankung kann diese Befunde und Unterlagen nicht ersetzen. Daher kann es nicht darauf ankommen, welchen Eindruck die Klägerin bei einer Begutachtung im Jahr 2009 auf den Sachverständigen machte, sondern dieser muss vorhandene Befunde und Unterlagen auswerten um aus diesen einen Schluss über den Gesundheitszustand der Klägerin zu ziehen. Dies hat Professor Dr. D. in im Gegensatz zu Dr. P. nicht gemacht. Daher kann der Senat dem Gutachten nicht folgen, da Professor Dr. D. nicht ausgeführt hat, warum die vorhandenen medizinischen Unterlagen aus dem Jahr 1997 die Erwerbsminderung der Klägerin nachweisen.

Aus alledem ergibt sich für den Senat, dass trotz Amtsermittlungsgrundsatzes der Eintritt des Leistungsfalles der Klägerin im Jahre 1997 nicht nachgewiesen ist. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren trägt derjenige die objektive Beweislast für die Tatsachen, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Der Grundsatz der objektiven Beweislast kommt immer dann zum Tragen, wenn trotz aller Bemühungen bei der Amtsermittlung der Sachverhalt nicht mehr vollständig aufklärbar ist. Dies ist hier der Fall. Im Nachhinein lässt es sich nicht mehr mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit feststellen, wann der Leistungsfall der Erwerbsminderung bei der Klägerin eingetreten ist. Der Eintritt des Leistungsfalls der Erwerbsminderung ist aber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachzuweisen. Notwendig ist hier ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit bzw. eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit (vgl. hierzu Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage 2005 § 118 Rdnr.5 ff. und § 128 Rdnr.3b ff.). Aus diesem Grund steht für den Senat fest, dass der Eintritt der Erwerbsminderung bei der Klägerin erst im Jahr 2004 mit der notwendigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Zu diesem Zeitpunkt sind bei der Klägerin allerdings die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, nämlich drei Jahre Pflichtbeiträge in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung, nicht mehr erfüllt.

Im Übrigen ist auch der Arbeitsmarkt für die Klägerin nicht als verschlossen zu betrachten. Die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bei Vollzeittätigkeiten ist nur in besonderen Ausnahmefällen zu prüfen. Der Arbeitsmarkt kann nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSGE 44, 39) dann als verschlossen gelten, wenn Versicherte nur noch unter unüblichen Arbeitsbedingungen tätig sein können. Das BSG hat in seiner schon vom SG zitierten Entscheidung entschieden, dass der Arbeitsmarkt wegen unüblicher Arbeitsbedingungen auch bei sehr häufiger Arbeitsunfähigkeit als verschlossen angesehen werden kann (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 1247 Nr.14). In dieser Entscheidung hat das BSG ausgeführt, dass auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich die Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers an jedem Wochentag verlangt werde. Ein Arbeitnehmer mit häufigen Arbeitsunfähigkeitszeiten genüge diesen Anforderungen nicht, er sei auf dem Arbeitsmarkt chancenlos.

Ob die Klägerin 1997 in diesem Sinne arbeitsunfähig war, ist heute nicht mehr feststellbar, da nach den Ausführungen von Dr. P. es nicht gesichert ist, wie lange die Klägerin jeweils arbeitsunfähig war. Die im Nachhinein angefertigte Bescheinigung von Dr. S. ist jedenfalls nicht geeignet, die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin für das Jahr 1997 nachzuweisen. Auch hier ist wiederum zu berücksichtigen, dass die Klägerin bei der Vorstellung bei Dr. H. im Jahr 2001 einen arbeitsfähigen Eindruck hinterließ. Daher ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin der Arbeitsmarkt wegen bestehender Arbeitsunfähigkeitszeiten während ihrer Schübe verschlossen war. Es ist hier insbesondere darauf hinzuweisen, dass die Schübe vom Verlauf her wohl sehr unterschiedlich waren und daher in ihrer Ausprägung auch zu unterschiedlichen AU-Zeiten führen. Die von Dr. S. aufgeführten AU-Zeiten, die teilweise über drei bis sechs Monate gehen, würden, wenn sie so vorliegen zweifellos zur Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit der Klägerin führen. Die im Nachhinein angefertigten Angaben von Dr. S. betrachtet der Senat jedoch nicht als ausreichend um die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin festzustellen. Daher konnte nicht nachgewiesen werden, dass die Klägerin bereits 1997 so viele Arbeitsunfähigkeitszeiten hatte, dass der Arbeitsmarkt wegen häufiger Arbeitsunfähigkeitszeiten als verschlossen anzusehen war. Auch hier trägt die Klägerin die objektiv Beweislast (vgl. oben).

Insgesamt konnte der Eintritt der Erwerbsminderung bei der Klägerin zu einem Zeitpunkt als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt waren, also vor dem 31.01.1997, nicht nachgewiesen werden. Daher hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg war aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles vor dem 31.01.1997 wäre wegen des bestandskräftigen Bescheides der Beklagten vom 07.09.2001 und des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheides vom 19.02.2002 auch nur dann gegeben, wenn die Voraussetzungen des § 44 SGB X erfüllt wären. Da nach der Auffassung des Senats jedoch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte bei Erlass des Ablehnungsbescheides vom 07.09.2001 das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist, steht auch die Bestandskraft des Bescheides vom 07.09.2001 einem Rentenanspruch der Klägerin entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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