L 1 RA 6/97 W 00

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 An 5791/95
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 6/97 W 00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf eine besitzgeschützte Rente nach § 4 Abs. 4 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).

Der am 1931 geborene, im Beitrittsgebiet lebende Kläger war in der DDR als Ingenieur beschäftigt, zuletzt bis zum 30. Juni 1990 beim VEB Ibetrieb der Energieversorgung in Berlin (Ost). Seit dem 1. Mai 1965 gehörte er der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVI) an, mit der Zusage einer monatlichen Rente in Höhe von 60 % des im letzten Jahr vor Eintritt des Versorgungsfalls bezogenen durchschnittlichen monatlichen Bruttogehalts.

Seit dem 1. Januar 1976 war er außerdem Mitglied der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR). Im letzten Jahr seiner Erwerbstätigkeit von Juli 1989 bis Juni 1990 bezog er bis März 1990 ein Bruttogehalt von 1.705,- Mark der DDR - M - (netto 1.342,- M) und von April 1990 an ein Bruttogehalt von 1.785,- M (netto 1.447,- M). Vom 1. Juli 1990 an erhielt der Kläger Vorruhestandsgeld, vom 1. August 1991 an Altersübergangsgeld.

Auf seinen Antrag vom 27. Februar 1992 gewährte die Beklagte dem Kläger nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs (SGB) VI vom 1. Januar 1992 an im Hinblick auf seine anerkannte Schwerbehinderung Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige (Bescheid vom 2. September 1994, Neufeststellungsbescheid vom 21. November 1994). Die Monatsrente betrug vom 1. Januar 1992 an 1.635,44 DM (Zahlbetrag 1.530,77 DM), vom 1. Januar 1995 an 2.459,75 DM (Zahlbetrag 2.282,65 DM).

Widerspruch und Klage, mit denen der Kläger von der Beklagten im Hinblick auf die Beitragsbemessungsgrenze aus verfassungsrechtlichen Erwägungen zusätzlich zur festgestellten Altersrente die Leistung des "nicht in die Rentenversicherung überführten Teils der zusätzlichen Versorgung" verlangte, blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 1995; Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 1996). Während des Berufungsverfahrens hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die "Systementscheidung" der Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung und die Berücksichtigung der dort versicherten Arbeitsentgelte lediglich bis zur Beitragsbemessungsgrenze nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG in Verbindung mit Anlage 3 mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar seien (Urteile des BVerfG vom 28. April 1999 - 1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95 - = SozR 3-8570 § 10 Nr. 3 und - 1 BvR 485/97 und 1 BvR 1926/96 - = SozR 3-2600 § 307 b Nr. 6 S. 37; Beschluss des BVerfG vom 9. März 2000 - 1 BvR 2216/96 - = SozR 3-8570 § 8 Nr. 5 S. 26).

Daraufhin hat der Kläger nur noch geltend gemacht, ihm stehe als rentennahem Jahrgang gemäß § 4 Abs. 4 AAÜG der "besitzgeschützte Zahlbetrag" in Höhe des fiktiven Gesamtanspruchs aus Sozialversicherungsrente und Zusatzversorgung am 1. Juli 1990 bzw. der fiktive "weiterzuzahlende Betrag" per 31. Dezember 1991 zu. Dies führe zu einem höheren Rentenzahlbetrag.

Nach Erlass eines weiteren Neufeststellungsbescheides vom 25. Oktober 2000 beantragt der Kläger,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 1996 sowie die Bescheide vom 2. September 1994 und 21. November 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 1995 und den Bescheid vom 25. Oktober 2000 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Rente gemäß § 4 Abs. 4 AAÜG neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. § 4 Abs. 4 AAÜG sei nicht zugunsten des Klägers anwendbar. Er gehöre nicht zu den rentennahen Jahrgängen im Sinne dieser Vorschrift, weil er nach DDR-Recht erst nach dem Stichtag 30. Juni 1995 - nämlich mit Vollendung des 65. Lebensjahres im Mai 1996 - rentenberechtigt gewesen wäre.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG - S 36 An 5791/95 -) und Beklagtenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der während des Berufungsverfahrens ergangene Bescheid vom 25. Oktober 2000 ist gemäß §§ 96 Abs. 1, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kraft Klage Gegenstand des Verfahrens geworden.

Berufung und Klage sind unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rentenneuberechnung nach § 4 Abs. 4 AAÜG in der Fassung des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG) vom 27. Juli 2001 (In-Kraft-Treten für Personen, für die - wie den Kläger - am 28. April 1999 ein Rentenbescheid noch nicht bindend war: 1. Januar 1992). Nach dieser Vorschrift ist, wenn eine Rente nach den Vorschriften des SGB VI in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 30. Juni 1995 beginnt und der Berechtigte am 18. Mai 1990 seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatte, bei Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem wenigstens der Monatsbetrag, der sich als Summe aus Rente und Versorgung auf der Grundlage des am 31. Dezember 1991 im Beitrittsgebiet geltenden Rentenrechts und der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden leistungsrechtlichen Regelungen des jeweiligen Versorgungssystems zum 1. Juli 1990 ergibt, höchstens jedoch der jeweilige Höchstbetrag nach § 10 Abs. 1 oder 2, um 6,84 vom Hundert zu erhöhen und solange zu zahlen, bis die nach den Vorschriften des SGB VI berechnete Rente diesen Betrag erreicht (Satz 1). Satz 1 gilt nur, wenn der Berechtigte einen Anspruch aus dem Versorgungssystem gehabt hätte, wenn die Regelungen der Versorgungssysteme weiter anzuwenden wären (Satz 2).

Die Rente des Klägers nach den Vorschriften des SGB VI begann zwar in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 30. Juni 1995. Der Kläger hatte am 18. Mai 1990 auch seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet. Er hätte jedoch, wenn die Regelungen der Versorgungssysteme weiter anzuwenden wären, im maßgeblichen Zeitraum 1. Januar 1992 bis 30. Juni 1995 keinen Anspruch aus dem Versorgungssystem (der technischen Intelligenz) gehabt, weil dieser - als Anspruch auf Zusatzversorgung - von einem bestehenden Rentenanspruch aus der Sozialversicherung der DDR abhing. Einen solchen hätte der Kläger aber erst nach Ablauf des maßgeblichen Zeitraums - nämlich mit Vollendung des 65. Lebensjahres - erworben. Vorgezogene Altersrenten für männliche Versicherte gab es nach dem Rentenrecht der DDR nicht. Es besteht auch kein Anhalt für die Annahme, dass der Kläger wegen Invalidität bis zum 30. Juni 1995 eine Invalidenrente nach dem Rentenrecht der DDR hätte beanspruchen können.

Zwar ist dem Gesetz nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass - um seine Voraussetzungen zu erfüllen - nicht nur der SGB VI-Rentenanspruch im Übergangszeitraum 1. Januar 1992 bis 30. Juni 1995 begonnen haben müsse, sondern dies auch für den Renten- bzw. Versorgungsanspruch nach dem DDR-Recht zu gelten habe, wäre es weiter anzuwenden gewesen. Dies folgt aber zwingend sowohl aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift als auch aus Notwendigkeiten seiner praktischen Handhabbarkeit.

In den Genuss eines Besitzschutzes nach Maßgabe des DDR-Versorgungsrechts sollen nach § 4 Abs. 4 AAÜG diejenigen Zusatzversorgten gelangen, die zwar nicht mehr bis zum 31. Dezember 1991 einen Renten- und Versorgungsanspruch nach DDR-Recht erworben hatten, diesen aber - wäre das DDR-Recht weiter anzuwenden gewesen - in einem sich anschließenden Übergangszeitraum erworben hätten. Dieser Übergangszeitraum für "rentennahe Jahrgänge" kann indes für Rentenansprüche nach DDR-Recht einerseits und nach dem SGB VI andererseits nicht unterschiedlich sondern nur einheitlich sein. So legte noch der Einigungsvertrag (EV) als Übergangszeit für den aufrechtzuerhaltenden Besitzschutz den Zeitraum vom 4. Oktober 1990 bis 30. Juni 1995 fest (EV Anlage II Kap. VIII H III Nr. 9 Buchst. b Satz 5), also einen Zeitraum, in dem zunächst (bis zum 31. Dezember 1992) noch (wenn auch noch gestaltbares) DDR-Rentenrecht weitergalt und erst vom 1. Januar 1992 an das Recht des SGB VI. Gerade unter dem Gesichtspunkt des Besitzschutzes musste aber entscheidend bleiben, dass der - ab 1. Januar 1992 nur noch hypothetische - Rentenanspruch nach DDR-Recht im (einheitlichen) Übergangszeitraum erworben worden wäre. Nur dann konnte der Besitzschutz ab 1. Januar 1992 im Rahmen eines im Übergangszeitraum beginnenden Rentenanspruchs nach dem SGB VI zum Tragen kommen.

Zum anderen ist es für die Vergleichsberechnung nach § 4 Abs. 4 AAÜG erforderlich, dass konkret der besitzgeschützte fiktive Gesamtanspruch aus Sozialversicherungsrente und Versorgung zum 1. Juli 1990 ermittelt wird. Dazu bedarf es der Feststellung, welche Sozialversicherungsrente dem Kläger in welcher Höhe nach DDR-Recht zugestanden hätte. Dies ist ohne Bezug auf einen zeitlichen Rahmen, eine zeitliche Anknüpfung nicht möglich. Es ließe sich demnach nur feststellen, dass der Kläger im Mai 1996 (wegen Vollendung des 65. Lebensjahres) einen Anspruch auf Altersrente nach DDR-Recht erworben hätte. Insoweit könnte aber nicht nachvollziehbar und plausibel begründet werden, dass diese zeitliche Distanz (zum und) für den erforderlichen fiktiven Renten- und Versorgungsanspruch am 1. Juli 1990 - anders als für den realen Rentenanspruch nach dem SGB VI, der die Besitzschutzposition erst zur Geltung zu bringen vermag, hierfür aber spätestens am 30. Juni 1995 begonnen haben muss - ausreicht.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem BSG-Urteil vom 31. Juli 2002 - B 4 RA 2/02 R - zur Vergleichsberechnung nach § 4 Abs. 4 AAÜG. Darin ist zwar nicht ausdrücklich erwähnt, dass der Anspruch auf Vergleichsberechnung bzw. Besitzschutz nach dieser Vorschrift nicht nur einen (realen) Rentenanspruch nach dem SGB VI sondern auch einen hypothetischen Renten- und Versorgungsanspruch nach DDR-Recht im Übergangszeitraum bis zum 30. Juni 1995 voraussetzt. Dieses Nichterwähnen mag jedoch darin begründet sein, dass im dort zugrunde liegenden Fall der Beginn beider Renten - sowohl der realen als auch der hypothetischen - identisch war (Rente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres), so dass die hier streitgegenständliche Problematik dort nicht auftrat.

Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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