Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 2859/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5804/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 3. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der am 3. September 1948 in Italien geborene Kläger, der als Kind an einer Kinderlähmung (rechtes Bein) litt, erlernte seinen eigenen Angaben zufolge in Italien den Beruf eines Betriebsbuchhalters. Nach seinem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland Anfang 1972 war er zunächst versicherungspflichtig als Eisverkäufer, Montagearbeiter, Weinberater und von 1978 bis 1991 als Essensausfahrer beschäftigt. Von Oktober 1991 bis August 2000 war er selbständig tätig (Feinkostgeschäft, Pizzaexpress und Restaurant) und von September 2000 bis April 2002 als Metallarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist er arbeitslos und bezog zuletzt Arbeitslosengeld II. Der letzte Pflichtbeitrag wurde im Dezember 2006 entrichtet. In der Zeit vom 28. September 2001 bis zum 27. September 2006 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3, 3a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet; insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden (vgl Versicherungsverlauf vom 18. März 2008).
In den 1970er Jahren wurde der Kläger mehrfach in der Universitätsklinik T. operiert (Korrektur des Spitzfußes rechts sowie Beinverlängerung rechts), so dass derzeit eine Beinverkürzung rechts zwischen zwei bis drei Millimetern besteht. Es sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Merkzeichen "G" und "aG" seit dem 1. Januar 1976 festgestellt (Schwerbehindertenausweis des Versorgungsamtes R. vom 6. September 1995).
Am 3. Juni 1976 beantragte der Kläger bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) erstmals Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte dies nach Einholung des Gutachtens des Facharztes für Orthopädie und Chirurgie Dr. H. vom 13. August 1976 (Diagnosen: Spätzustand einer fast kompletten poliomyelitischen Beinlähmung rechts ohne Fähigkeit zur aktiven Hüftbeugung, Hüftspreizung und Hüftrotation, ohne Fähigkeit zur Kniebeugung oder -streckung und wahrscheinlich ohne aktive Beweglichkeit des rechten Fußgelenks) mit Bescheid vom 5. Juni 1977 ab.
Vom 30. Mai bis 20. Juni 2002 nahm der Kläger an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme im Gesundheitszentrum Bad W. teil. Der Arzt für Orthopädie Dr. P. gab im Entlassungsbericht vom 8. Juli 2002 an, der Kläger leide an einem cervicalen pseudoradikulären Syndrom beidseits bei NPP und Osteochondrose HWK5/6 an einer Lumbalgie bei Wirbelsäulenfehlstatik und Beinlängendifferenz rechts (Zustand nach Polio), an einer Myalgie bei Mehrbelastung links, an einem Zustand nach Polio rechtes Bein und Verlängerungsosteotomie rechts sowie an einer reaktiven Depression. Der Kläger wurde als arbeitsfähig mit qualitativen Leistungseinschränkungen entlassen, wobei die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Hilfsarbeiter in einem metallverarbeitenden Betrieb nicht mehr leidensgerecht sei.
Am 28. September 2006 beantragte der Kläger erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog zunächst den Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. V. vom 22. November 2006 bei und holte danach das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin/Anästhesiologie Dr. P. vom 23. Januar 2007 ein, wonach der Kläger an Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule C5/6, an einem Bandscheibenvorfall HWK6/7 mit Nervenwurzelreizzeichen C7 rechts, an geringgradiger Kraftminderung und Sensibilitätsstörung, an Lähmung und Deformität des rechten Beines nach Polio und an Verschleißerscheinungen des rechten Kniegelenks sowie des rechten Hüftgelenks leide. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in der Metallindustrie könne er nicht mehr ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er noch leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen (keine längeren Gehstrecken, kein Steigen von Treppen und Leitern sowie keine Tätigkeiten in knieender oder hockender Arbeitsposition) im Wechsel zwischen überwiegend sitzender und stehender Position verrichten.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 2007 den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Er sei noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten auszuüben.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und legte zur Begründung die ärztlichen Atteste des Facharztes für Anästhesie Dr. L. vom 14. März 2007 und des Dr. V. vom 26. April 2007 vor. Dr. L. führte aus, der Kläger leide an einem chronischen polytopen Schmerzsyndrom mit andauernd vorhandenen starken bis sehr starken Schmerzen, so dass der normale Tagesablauf deutlich eingeschränkt sei und er nicht mehr in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich einer geregelten Arbeit nachzugehen. Dr. V. empfahl nochmals den Rentenantrag zu prüfen. Nach der sozialmedizinischen Stellungnahme der Dr. G. vom 26. Juni 2007 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2007). Der Kläger sei gesundheitlich noch in der Lage, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden zu verrichten. Mit den ärztlicherseits festgestellten Leistungseinschränkungen sei er noch in der Lage, nach kurzfristiger Einarbeitungszeit unter Unterweisung leichte Montier-, Sortier-, Verpacker- oder Maschinenarbeiten zu verrichten. Diese Tätigkeiten seien ihm aufgrund seines bisherigen Berufsbildes sozial zumutbar.
Hiergegen erhob der Kläger am 18. Juli 2007 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage, mit der er geltend machte, er könne keine sechs Stunden täglich mehr arbeiten. Neben den bereits bekannten Gesundheitsbeeinträchtigungen komme noch ein Postpolio-Syndrom dazu. Er sei aufgrund seiner Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich stark beeinträchtigt. Manchmal werde es ihm auch schwindelig. Auch könne er nichts mehr tragen und müsse manchmal einen Gehstock zur Hilfe nehmen. Aufgrund der Schmerzen könne er nachts manchmal nicht schlafen, so dass er sich tagsüber erschöpft fühle. Zur weiteren Begründung legte er den Ambulanzbrief des Orthopäden Dr. S. vom 27. November 2006 vor.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalte hörte das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. (unterschrieben von Dr. S.) gab an (Auskunft vom 15. Januar 2008), er habe den Kläger zuletzt im Juli 2007 behandelt. Aufgrund der objektivierbaren Befunde bestünden keine Bedenken gegen die Annahme einer noch sechsstündigen Leistungsfähigkeit. Nicht sicher zu beurteilen seien die Beeinträchtigungen aufgrund der Schmerzsymptomatik im Halswirbel- und Lendenwirbelsäulenbereich. Dr. V. teilte mit (Auskunft vom 28. Januar 2008), es bestünden Bedenken hinsichtlich einer sechsstündigen Leistungsfähigkeit des Klägers, da dieser nur schwer beweglich sei und an einer Gehbehinderung leide. Facharzt für Orthopädie Dr. W.-S. führte aus (Auskunft vom 27. Februar 2008), im Vordergrund stehe die Poliomyelitis-Folge am rechten Bein mit den daraus resultierten Folgeerkrankungen. Das maßgebliche Leiden läge auf orthopädischem Fachgebiet, wobei geklärt werden müsse, ob beim Kläger ein Postpolio-Syndrom vorliege. Er könne die Leistungsfähigkeit des Klägers nicht beurteilen. Er fügte seiner Auskunft ua den Arztbrief des Dr. R. vom 18. Januar 2008 bei, wonach der Kläger vom 7. bis 19. Januar 2008 stationär wegen einer schweren Lumboischialgie behandelt worden sei. Dr. L. gab an (Auskunft vom 11. Januar 2008), er habe den Kläger zuletzt im April 2007 behandelt. Durch das chronische Schmerzsyndrom sei die Leistungsfähigkeit des Klägers stark eingeschränkt. Die Belastbarkeit könne jedoch nur durch einen entsprechenden Arbeitsversuch (sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten) verifiziert werden.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts erhob das SG das Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. B. vom 27. Mai 2008, der den Kläger am 11. April 2008 persönlich untersucht hat. Dieser gelangte für den Kläger zu folgenden Diagnosen: Gehbehinderung mit Schon- und Verkürzungshinken rechts, Zustand nach (Zn) Poliomyelitis anterior acuta mit Hypotrophie des rechten Beines und motorischen Ausfällen am Fuß bzw am Unterschenkel rechts sowie Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenkes nach Patellaquerfraktur (2006), Pangonarthrose rechts (generalisierter Verschleiß des Kniegelenkes), Coxarthrose rechts (Verschleiß des Hüftgelenkes), Zn Verlängerungsosteotomie am rechten Unterschenkel mit noch einliegendem Osteosynthesematerial, neurogene Arthropathie mit Arthrose des oberen und unteren Sprunggelenkes und der Fußwurzel rechts als Poliofolge, Zn Zehenkorrektur-Operation rechts, chronisch rezidivierendes degeneratives cervicales Wirbelsäulensyndrom mit geringer Funktionsbehinderung der HWS bei Bandscheibenschäden ohne radikuläre Ausfälle der oberen Extremitäten, chronisch rezidivierendes degeneratives lumbales Wirbelsäulensyndrom bei Wirbelsäulenfehlstatik infolge Beinlängendifferenz nach Poliomyelitis am rechten Bein mit geringer Funktionseinschränkung der LWS ohne radikuläre Ausfälle der unteren Extremitäten, chronisch rezidivierende Reizerscheinungen des Muskel-Sehnen-Weichteil-Mantels der Schultergelenke bei beginnender Omarthrose (Verschleiß des Schultergelenkes) beidseits ohne wesentliche Funktionsbehinderung der Schultergelenke, Arthralgie L.r Mittelfinger ohne Funktionseinschränkung und reizlose und funktionell unbedeutsame Narben im Bereich beider Beckenkämme, der rechten Kniekehle, des rechten Unterschenkels und des rechten Fußes nach oben genannten operativen Eingriffen. Nicht mehr zumutbar seien ohne Gefährdung des Restleistungsvermögens: Arbeiten in gebückter, vornübergebeugter oder sonstiger Zwangshaltung des Achsorgans, Arbeiten in häufiger oder ständiger Reklination (Rückneigung des Kopfes), Arbeiten mit Heben, Tragen und/oder Bewegen von Lasten über 7 bis 8 kg ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten unter Einfluss vertikaler Teil- oder Ganzkörperschwingungen, Arbeiten mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit der Notwendigkeit zu häufigem Treppensteigen, Arbeiten auf unebenem Gelände, ständig oder häufig stehende oder gehende Tätigkeiten, Arbeiten mit Anmarschwegen von mehr als 1,5 km und Arbeiten mit häufiger oder ständiger Exposition von Nässe, Kälte und/oder Zugluft. Bei dem Kläger sei ein Verdeutlichungsverhalten bzw eine Aggravationstendenz sowie ein unverkennbares Versorgungsbegehren zu beobachten gewesen. Funktionsrelevante Einschränkungen am Achsorgan und den Extremitäten lägen nicht vor. Eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens könne aufgrund der vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht begründet werden. Unter Berücksichtigung der psychosomatischen Überlagerungen und der bereits vor Jahren festgestellten reaktiven Depression sollten Arbeiten mit erhöhter Stressbelastung (Akkordarbeit, Fließbandarbeit, Nachtschichttätigkeit) sowie Arbeiten mit erhöhter Anforderung die geistig-psychische Belastbarkeit vermieden werden. Im Hinblick auf eine anamnestisch beschriebene chronisch-obstruktive Bronchitis seien zusätzlich Arbeiten mit Exposition von inhalativen Noxen zu vermeiden. Zumutbar im Sinne des positiven Leistungsbildes seien sämtliche übrigen leichten körperlichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, vorzugsweise im Sitzen mit zeitweiligem Wechsel von Gehen und Stehen, vorzugsweise in geschlossenen und temperierten Räumen sowie vorzugsweise in Tag- oder Wechselschicht. Der Anteil sitzender Tätigkeit sollte bei ca 75 % liegen. Im Rahmen sitzender Tätigkeiten sei das Anheben, Hantieren und Bearbeiten von Werkstücken mit Gewichten von 3 bis 5 kg vom Boden auf übliche Arbeitshöhe (Tischhöhe) zumutbar. Für derartige Tätigkeiten liege das zeitliche Leistungsvermögen bei sechs Stunden und mehr pro Tag bei fünf Tagen in der Woche, wobei keine zusätzlichen betriebsunüblichen Arbeitspausen notwendig seien und die Wegefähigkeit vorhanden sei.
Gestützt hierauf wies das SG die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 3. September 2008 mit der Begründung ab, der Kläger sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Das maßgebliche Leiden bestehe auf orthopädischem Fachgebiet. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Dr. B., aus dem folge, dass keine quantitative, sondern nur qualitative Beeinträchtigungen bestünden. Dieses Ergebnis werde durch das Gutachten des Dr. P. gestützt. Auch Dr. S. gehe von einem sechsstündigen Leistungsvermögen des Klägers aus. Nicht gefolgt werden könne der Einschätzung des Dr. V., der den Kläger nicht gezielt unter gutachterlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf dessen Leistungsfähigkeit untersucht habe. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig, zumal er seinen erlernten Beruf (Betriebsbuchhalter) allein wegen der Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland aufgegeben habe. Als Metallarbeiter sei er als ungelernter bzw allenfalls angelernter Arbeiter des unteren Bereichs zuletzt tätig gewesen. Er müsse sich daher auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisen lassen.
Mit seiner dagegen am 11. Dezember 2008 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, sein Gesundheitszustand stehe der Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entgegen. Das SG habe den Sachverhalt nicht ausermittelt. Es hätte ein Gutachten auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet einholen müssen. Auch Dr. W.-S. habe die Hinzuziehung eines Neurologen für geboten erachtet. Die Auskunft des Dr. S. vom 15. Januar 2008 überzeuge nicht, da dieser selbst angegeben habe, dass er die Schmerzsymptomatik im Halswirbel- und Lendenwirbelsäulenbereich nicht beurteilen könne.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 3. Dezember 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. September 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. W. vom 14. Juli 2009 eingeholt, der den Kläger am 10. März 2009 persönlich untersucht hat. Auf neurologischem Fachgebiet fänden sich Folgen einer in der Kindheit erlittenen und in das Berufsleben eingebrachten Kinderlähmung des rechten Beines. Neue Gesundheitsstörungen auf neurologischem Fachgebiet - insbesondere auch ein Postpolio-Syndrom - lägen nicht vor. Der Kläger habe zwar bei der Untersuchung ein ausgeprägt hinkendes Gangbild aufgrund der Beinparese rechts gezeigt, wobei er auch beiderseitig Unterarmgehstützen benutzt habe. Angesichts einer fehlenden Verschwielung der Handinnenflächen sei aber davon auszugehen, dass diese eher in untergeordnetem Umfang benützt würden. Die Koordination sei bei Ablenkung deutlich besser gewesen. Die Beobachtung des Aus- und Ankleidens habe eine ungestörte Feinmotorik (Durchführung überwiegend im Sitzen) gezeigt. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe eine leichtgradige depressive Verstimmung vom Ausprägungsgrad einer Dysthymie aufgrund der wenig befriedigenden Lebenssituation. Eine schwerwiegende affektive Betroffenheit sei nicht ersichtlich gewesen. Bei der Exploration der Krankengeschichte habe er sich zwar zunehmend dysphorisch gezeigt, er sei aber stets auflockerbar gewesen. Insgesamt habe sich nur das Bild einer leichtgradigen Dysthymie ergeben. Eine relevante depressive Störung sei mithin auszuschließen. Gleiches gelte für das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung. Unzweifelhaft bestünden erhebliche statische Probleme aufgrund langjähriger Fehlbildung. Eine laufende schmerztherapeutische und/oder nervenärztliche Behandlung sei aber nicht zu eruieren gewesen. Von seinem Fachgebiet gesehen bestünden keine Gesundheitsstörungen, die die Leistungsfähigkeit wesentlich über das hinaus einschränkten, was bereits auf orthopädischem Fachgebiet beschrieben worden sei. Es bestehe auch keinerlei Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit. Der Kläger habe sich bemerkenswert geistig vital und rege mit einem hervorragenden deutschen Sprachvermögen und -verständnis gezeigt, so dass auch keine Beeinträchtigungen der Umstellungsfähigkeit erkennbar sei. Der Kläger sei unter Berücksichtigung der weiteren orthopädischen qualitativen Einschränkungen mithin noch in der Lage, wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in überwiegend sitzender Haltung zu verrichten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft im Sinne des § 144 Abs 1 Satz 2 SGG, da der Kläger laufende Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt. Die damit insgesamt zulässige Berufung des Klägers ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2007 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat weder ab dem 1. September 2006 noch ab einem späteren Zeitpunkt Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, auch nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung.
1. Der geltend gemachte Anspruch richtet sich für die Zeit bis 31. Dezember 2007 nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung und für die anschließende Zeit nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I, 554). Dies folgt aus § 300 Abs 1 SGB VI. Danach sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die (aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung finden keine Anwendung, da im vorliegenden Fall ein Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 nicht in Betracht kommt (§ 302b Abs 1 SGB VI).
Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Nach diesen Maßstäben ist der Kläger, wie das SG zutreffend entschieden hat, auch im Hinblick auf die Amtsermittlungen im Berufungsverfahren weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weil er noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts, auf den er verweisbar ist (hierzu unter 2.), mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Beim Kläger liegen zwar orthopädische und neurologisch/psychiatrische Erkrankungen vor; diese sind jedoch nicht so ausgeprägt, dass volle oder teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Die objektivierbaren Gesundheitsstörungen führen lediglich zu qualitativen Leistungseinschränkungen. Der Kläger muss danach Arbeiten in gebückter, vornüber gebeugter oder sonstiger Zwangshaltungen des Achsorgans, Arbeiten in häufiger oder ständiger Reklination, Arbeiten mit Heben, Tragen und/oder Bewegen von Lasten über 7 bis 8 kg ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten unter Einfluss vertikaler Teil- oder Ganzkörperschwingungen, Arbeiten mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit der Notwendigkeit zu häufigem Treppensteigen, Arbeiten auf unebenem Gelände, ständig oder häufig stehende und gehende Tätigkeiten, Arbeiten mit Anmarschwegen von mehr als 1,5 km und Arbeiten mit häufiger oder ständiger Exposition von Nässe, Kälte und/oder Zugluft vermeiden. Dies gilt auch für Arbeiten mit erhöhter Stressbelastung (Akkordarbeit, Fließbandarbeit oder Nachtschichttätigkeit) sowie für Arbeiten mit Exposition von inhalativen Noxen. Zumutbar im Sinne des positiven Leistungsbildes sind sämtliche leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts, vorzugsweise im Sitzen mit zeitweiligem Wechsel von Gehen und Stehen, in geschlossenen und temperierten Räumen in Tag- oder Wechselschicht. Der Anteil sitzender Tätigkeiten sollte bei ca 75 % liegen. Im Rahmen sitzender Tätigkeiten ist das Anheben, Hantieren und Bearbeiten von Werkstücken mit Gewichten von 3 bis 5 kg vom Boden auf übliche Arbeitshöhe (Tischhöhe) zumutbar. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. B ... Damit ist der Kläger nicht in einem rentenberechtigenden Ausmaß leistungsgemindert. Das hat das SG in Auswertung des Gutachtens des Dr. B. sowie unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. S., Dr. W.-S. und Dr. L. sowie unter Berücksichtigung des im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Gutachtens des Dr. P. ausführlich begründet und dargelegt. Das SG ist hierbei auch auf die anderslautende Einschätzung des Dr. V. eingegangen. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG in vollem Umfang an und sieht insofern von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs 2 SGG ab.
Die Ermittlungen des Senats führen zu keinem anderen Ergebnis. Vielmehr steht zur Überzeugung des Senats fest, dass neben den orthopädischen Gesundheitsstörungen, die das SG unter Bezugnahme auf das Gutachten des Dr. B. zutreffend dargelegt hat, auf neurologischem Fachgebiet allein an den Folgen einer in der Kindheit erlittenen und in das Berufsleben eingebrachten Kinderlähmung des rechten Beines leidet. Weitere Gesundheitsstörungen auf neurologischem Fachgebiet - insbesondere ein Postpolio-Syndrom - liegen beim Kläger nicht vor. Auf psychiatrischem Fachgebiet besteht eine leichtgradige depressive Verstimmung vom Ausprägungsgrad einer Dysthymie aufgrund der wenig befriedigenden Lebenssituation, wobei eine somatoforme Schmerzstörung ausgeschlossen werden kann. Der Senat stützt sich insoweit auf das eingeholte Gutachten des Prof. Dr. Dr. W. vom 14. Juli 2009. Für seine Einschätzung, dass eine schwere depressive Episode nicht vorliegt, spricht, dass sich der Kläger weder in nervenärztlicher Behandlung befindet und während der Untersuchung am 10. März 2009 durch Prof. Dr. Dr. W. bei der Schilderung seiner Lebensumstände eine schwerwiegendere affektive Betroffenheit nicht ersichtlich war, so dass Anhaltspunkte für eine schwerwiegende depressive Stimmungslage nicht vorliegen. Zwar zeigte sich der Kläger bei der Krankengeschichte zunehmend dysphorisch, er blieb jedoch stets auflockerbar und vermochte auch zu lachen. Auch dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. Dr. W ...
Im Hinblick auf die Einschätzung des Dr. P. (Entlassungsbericht vom 8. Juli 2002), der noch vom Vorliegen einer reaktiven Depression ausgegangen ist, ist insofern eine Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers eingetreten.
Der Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass die Gehfähigkeit des Klägers eingeschränkt ist (vgl hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 21. März 2006 - B 5 RJ 51/04 R - = SozR 4-2600 § 43 Nr 8; Urteil vom 28. August 2002 - B 5 RJ 12/02 R - = veröffentlicht in juris). Zwar erschien der Kläger bei der Untersuchung am 10. März 2009 mit beidseitigen Unterarmgehstützen. Prof. Dr. Dr. W. hat jedoch in diesem Zusammenhang nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass angesichts einer fehlenden Verschwielung der Handinnenflächen davon ausgegangen werden muss, dass die Unterarmgehstützen eher in untergeordnetem Umfang genutzt werden. Im Übrigen ist auch Dr. B. in seinem Gutachten vom 27. Mai 2008 zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger, der darüber hinaus über einen Pkw verfügt, gesundheitlich noch in der Lage ist, Wegstrecken von 500 m arbeitstäglich vierfach in einem zumutbaren Zeitaufwand von 15 bis 20 min zurückzulegen.
Vor diesem Hintergrund ist der Senat zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger weiterhin in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Diese Leistungseinschätzung wird auch durch Prof. Dr. Dr. W. gestützt. Dieser hat nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass sich aus den vorliegenden Gesundheitsstörungen eine quantitative Leistungseinschränkung nicht ableiten lässt. Auch liegt beim Kläger keinerlei Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit vor. Der Kläger zeigte sich bei der Untersuchung durch den Sachverständigen vielmehr geistig vital und rege, wobei er über ein hervorragendes deutsches Sprachvermögen und -verständnis verfügt, so dass eine Beeinträchtigung der Umstellungsfähigkeit ebenfalls nicht vorliegt. Vor diesem Hintergrund teilt der Senat die Auffassung des Dr. B., wonach der Kläger Arbeiten mit erhöhter Anforderung an die geistig-psychische Belastbarkeit vermeiden müsse, nicht. Aufgrund der nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Prof. Dr. Dr. W. misst der Senat dessen Einschätzung, wonach keinerlei Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit besteht, ein höheres Gewicht bei, zumal die Beurteilung der geistig-psychischen Belastbarkeit in sein Fachgebiet fällt.
Ein weiteres Gutachten von Amts wegen war nicht erforderlich, nachdem im Berufungsverfahren eine wesentliche Befundverschlechterung weder geltend gemacht wurde noch eine solche ersichtlich ist. Zwar hat der Kläger gegenüber Prof. Dr. Dr. W. angegeben, er habe neu hinzugekommene Probleme mit dem L.n Knie. Der Sachverständige hat aber nachvollziehbar und schlüssig ausgeführt, dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger hierdurch bei (überwiegend) sitzenden Tätigkeiten eingeschränkt ist.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altergrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, 554) auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Das SG hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, dass der Kläger seinen erlernten Beruf als Betriebsbuchhalter allein wegen der Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland aufgegeben hat und er zudem seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Metallarbeiter auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist - auch mangels einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. einer schweren spezifischen Leistungsminderung (vgl hierzu Großer Senat des BSG in BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) - in diesen Fällen grundsätzlich nicht erforderlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der am 3. September 1948 in Italien geborene Kläger, der als Kind an einer Kinderlähmung (rechtes Bein) litt, erlernte seinen eigenen Angaben zufolge in Italien den Beruf eines Betriebsbuchhalters. Nach seinem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland Anfang 1972 war er zunächst versicherungspflichtig als Eisverkäufer, Montagearbeiter, Weinberater und von 1978 bis 1991 als Essensausfahrer beschäftigt. Von Oktober 1991 bis August 2000 war er selbständig tätig (Feinkostgeschäft, Pizzaexpress und Restaurant) und von September 2000 bis April 2002 als Metallarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist er arbeitslos und bezog zuletzt Arbeitslosengeld II. Der letzte Pflichtbeitrag wurde im Dezember 2006 entrichtet. In der Zeit vom 28. September 2001 bis zum 27. September 2006 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3, 3a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet; insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden (vgl Versicherungsverlauf vom 18. März 2008).
In den 1970er Jahren wurde der Kläger mehrfach in der Universitätsklinik T. operiert (Korrektur des Spitzfußes rechts sowie Beinverlängerung rechts), so dass derzeit eine Beinverkürzung rechts zwischen zwei bis drei Millimetern besteht. Es sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Merkzeichen "G" und "aG" seit dem 1. Januar 1976 festgestellt (Schwerbehindertenausweis des Versorgungsamtes R. vom 6. September 1995).
Am 3. Juni 1976 beantragte der Kläger bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) erstmals Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte dies nach Einholung des Gutachtens des Facharztes für Orthopädie und Chirurgie Dr. H. vom 13. August 1976 (Diagnosen: Spätzustand einer fast kompletten poliomyelitischen Beinlähmung rechts ohne Fähigkeit zur aktiven Hüftbeugung, Hüftspreizung und Hüftrotation, ohne Fähigkeit zur Kniebeugung oder -streckung und wahrscheinlich ohne aktive Beweglichkeit des rechten Fußgelenks) mit Bescheid vom 5. Juni 1977 ab.
Vom 30. Mai bis 20. Juni 2002 nahm der Kläger an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme im Gesundheitszentrum Bad W. teil. Der Arzt für Orthopädie Dr. P. gab im Entlassungsbericht vom 8. Juli 2002 an, der Kläger leide an einem cervicalen pseudoradikulären Syndrom beidseits bei NPP und Osteochondrose HWK5/6 an einer Lumbalgie bei Wirbelsäulenfehlstatik und Beinlängendifferenz rechts (Zustand nach Polio), an einer Myalgie bei Mehrbelastung links, an einem Zustand nach Polio rechtes Bein und Verlängerungsosteotomie rechts sowie an einer reaktiven Depression. Der Kläger wurde als arbeitsfähig mit qualitativen Leistungseinschränkungen entlassen, wobei die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Hilfsarbeiter in einem metallverarbeitenden Betrieb nicht mehr leidensgerecht sei.
Am 28. September 2006 beantragte der Kläger erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog zunächst den Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. V. vom 22. November 2006 bei und holte danach das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin/Anästhesiologie Dr. P. vom 23. Januar 2007 ein, wonach der Kläger an Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule C5/6, an einem Bandscheibenvorfall HWK6/7 mit Nervenwurzelreizzeichen C7 rechts, an geringgradiger Kraftminderung und Sensibilitätsstörung, an Lähmung und Deformität des rechten Beines nach Polio und an Verschleißerscheinungen des rechten Kniegelenks sowie des rechten Hüftgelenks leide. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in der Metallindustrie könne er nicht mehr ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er noch leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen (keine längeren Gehstrecken, kein Steigen von Treppen und Leitern sowie keine Tätigkeiten in knieender oder hockender Arbeitsposition) im Wechsel zwischen überwiegend sitzender und stehender Position verrichten.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 2007 den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Er sei noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten auszuüben.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und legte zur Begründung die ärztlichen Atteste des Facharztes für Anästhesie Dr. L. vom 14. März 2007 und des Dr. V. vom 26. April 2007 vor. Dr. L. führte aus, der Kläger leide an einem chronischen polytopen Schmerzsyndrom mit andauernd vorhandenen starken bis sehr starken Schmerzen, so dass der normale Tagesablauf deutlich eingeschränkt sei und er nicht mehr in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich einer geregelten Arbeit nachzugehen. Dr. V. empfahl nochmals den Rentenantrag zu prüfen. Nach der sozialmedizinischen Stellungnahme der Dr. G. vom 26. Juni 2007 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2007). Der Kläger sei gesundheitlich noch in der Lage, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden zu verrichten. Mit den ärztlicherseits festgestellten Leistungseinschränkungen sei er noch in der Lage, nach kurzfristiger Einarbeitungszeit unter Unterweisung leichte Montier-, Sortier-, Verpacker- oder Maschinenarbeiten zu verrichten. Diese Tätigkeiten seien ihm aufgrund seines bisherigen Berufsbildes sozial zumutbar.
Hiergegen erhob der Kläger am 18. Juli 2007 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage, mit der er geltend machte, er könne keine sechs Stunden täglich mehr arbeiten. Neben den bereits bekannten Gesundheitsbeeinträchtigungen komme noch ein Postpolio-Syndrom dazu. Er sei aufgrund seiner Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich stark beeinträchtigt. Manchmal werde es ihm auch schwindelig. Auch könne er nichts mehr tragen und müsse manchmal einen Gehstock zur Hilfe nehmen. Aufgrund der Schmerzen könne er nachts manchmal nicht schlafen, so dass er sich tagsüber erschöpft fühle. Zur weiteren Begründung legte er den Ambulanzbrief des Orthopäden Dr. S. vom 27. November 2006 vor.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalte hörte das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. (unterschrieben von Dr. S.) gab an (Auskunft vom 15. Januar 2008), er habe den Kläger zuletzt im Juli 2007 behandelt. Aufgrund der objektivierbaren Befunde bestünden keine Bedenken gegen die Annahme einer noch sechsstündigen Leistungsfähigkeit. Nicht sicher zu beurteilen seien die Beeinträchtigungen aufgrund der Schmerzsymptomatik im Halswirbel- und Lendenwirbelsäulenbereich. Dr. V. teilte mit (Auskunft vom 28. Januar 2008), es bestünden Bedenken hinsichtlich einer sechsstündigen Leistungsfähigkeit des Klägers, da dieser nur schwer beweglich sei und an einer Gehbehinderung leide. Facharzt für Orthopädie Dr. W.-S. führte aus (Auskunft vom 27. Februar 2008), im Vordergrund stehe die Poliomyelitis-Folge am rechten Bein mit den daraus resultierten Folgeerkrankungen. Das maßgebliche Leiden läge auf orthopädischem Fachgebiet, wobei geklärt werden müsse, ob beim Kläger ein Postpolio-Syndrom vorliege. Er könne die Leistungsfähigkeit des Klägers nicht beurteilen. Er fügte seiner Auskunft ua den Arztbrief des Dr. R. vom 18. Januar 2008 bei, wonach der Kläger vom 7. bis 19. Januar 2008 stationär wegen einer schweren Lumboischialgie behandelt worden sei. Dr. L. gab an (Auskunft vom 11. Januar 2008), er habe den Kläger zuletzt im April 2007 behandelt. Durch das chronische Schmerzsyndrom sei die Leistungsfähigkeit des Klägers stark eingeschränkt. Die Belastbarkeit könne jedoch nur durch einen entsprechenden Arbeitsversuch (sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten) verifiziert werden.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts erhob das SG das Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. B. vom 27. Mai 2008, der den Kläger am 11. April 2008 persönlich untersucht hat. Dieser gelangte für den Kläger zu folgenden Diagnosen: Gehbehinderung mit Schon- und Verkürzungshinken rechts, Zustand nach (Zn) Poliomyelitis anterior acuta mit Hypotrophie des rechten Beines und motorischen Ausfällen am Fuß bzw am Unterschenkel rechts sowie Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenkes nach Patellaquerfraktur (2006), Pangonarthrose rechts (generalisierter Verschleiß des Kniegelenkes), Coxarthrose rechts (Verschleiß des Hüftgelenkes), Zn Verlängerungsosteotomie am rechten Unterschenkel mit noch einliegendem Osteosynthesematerial, neurogene Arthropathie mit Arthrose des oberen und unteren Sprunggelenkes und der Fußwurzel rechts als Poliofolge, Zn Zehenkorrektur-Operation rechts, chronisch rezidivierendes degeneratives cervicales Wirbelsäulensyndrom mit geringer Funktionsbehinderung der HWS bei Bandscheibenschäden ohne radikuläre Ausfälle der oberen Extremitäten, chronisch rezidivierendes degeneratives lumbales Wirbelsäulensyndrom bei Wirbelsäulenfehlstatik infolge Beinlängendifferenz nach Poliomyelitis am rechten Bein mit geringer Funktionseinschränkung der LWS ohne radikuläre Ausfälle der unteren Extremitäten, chronisch rezidivierende Reizerscheinungen des Muskel-Sehnen-Weichteil-Mantels der Schultergelenke bei beginnender Omarthrose (Verschleiß des Schultergelenkes) beidseits ohne wesentliche Funktionsbehinderung der Schultergelenke, Arthralgie L.r Mittelfinger ohne Funktionseinschränkung und reizlose und funktionell unbedeutsame Narben im Bereich beider Beckenkämme, der rechten Kniekehle, des rechten Unterschenkels und des rechten Fußes nach oben genannten operativen Eingriffen. Nicht mehr zumutbar seien ohne Gefährdung des Restleistungsvermögens: Arbeiten in gebückter, vornübergebeugter oder sonstiger Zwangshaltung des Achsorgans, Arbeiten in häufiger oder ständiger Reklination (Rückneigung des Kopfes), Arbeiten mit Heben, Tragen und/oder Bewegen von Lasten über 7 bis 8 kg ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten unter Einfluss vertikaler Teil- oder Ganzkörperschwingungen, Arbeiten mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit der Notwendigkeit zu häufigem Treppensteigen, Arbeiten auf unebenem Gelände, ständig oder häufig stehende oder gehende Tätigkeiten, Arbeiten mit Anmarschwegen von mehr als 1,5 km und Arbeiten mit häufiger oder ständiger Exposition von Nässe, Kälte und/oder Zugluft. Bei dem Kläger sei ein Verdeutlichungsverhalten bzw eine Aggravationstendenz sowie ein unverkennbares Versorgungsbegehren zu beobachten gewesen. Funktionsrelevante Einschränkungen am Achsorgan und den Extremitäten lägen nicht vor. Eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens könne aufgrund der vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht begründet werden. Unter Berücksichtigung der psychosomatischen Überlagerungen und der bereits vor Jahren festgestellten reaktiven Depression sollten Arbeiten mit erhöhter Stressbelastung (Akkordarbeit, Fließbandarbeit, Nachtschichttätigkeit) sowie Arbeiten mit erhöhter Anforderung die geistig-psychische Belastbarkeit vermieden werden. Im Hinblick auf eine anamnestisch beschriebene chronisch-obstruktive Bronchitis seien zusätzlich Arbeiten mit Exposition von inhalativen Noxen zu vermeiden. Zumutbar im Sinne des positiven Leistungsbildes seien sämtliche übrigen leichten körperlichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, vorzugsweise im Sitzen mit zeitweiligem Wechsel von Gehen und Stehen, vorzugsweise in geschlossenen und temperierten Räumen sowie vorzugsweise in Tag- oder Wechselschicht. Der Anteil sitzender Tätigkeit sollte bei ca 75 % liegen. Im Rahmen sitzender Tätigkeiten sei das Anheben, Hantieren und Bearbeiten von Werkstücken mit Gewichten von 3 bis 5 kg vom Boden auf übliche Arbeitshöhe (Tischhöhe) zumutbar. Für derartige Tätigkeiten liege das zeitliche Leistungsvermögen bei sechs Stunden und mehr pro Tag bei fünf Tagen in der Woche, wobei keine zusätzlichen betriebsunüblichen Arbeitspausen notwendig seien und die Wegefähigkeit vorhanden sei.
Gestützt hierauf wies das SG die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 3. September 2008 mit der Begründung ab, der Kläger sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Das maßgebliche Leiden bestehe auf orthopädischem Fachgebiet. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Dr. B., aus dem folge, dass keine quantitative, sondern nur qualitative Beeinträchtigungen bestünden. Dieses Ergebnis werde durch das Gutachten des Dr. P. gestützt. Auch Dr. S. gehe von einem sechsstündigen Leistungsvermögen des Klägers aus. Nicht gefolgt werden könne der Einschätzung des Dr. V., der den Kläger nicht gezielt unter gutachterlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf dessen Leistungsfähigkeit untersucht habe. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig, zumal er seinen erlernten Beruf (Betriebsbuchhalter) allein wegen der Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland aufgegeben habe. Als Metallarbeiter sei er als ungelernter bzw allenfalls angelernter Arbeiter des unteren Bereichs zuletzt tätig gewesen. Er müsse sich daher auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisen lassen.
Mit seiner dagegen am 11. Dezember 2008 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, sein Gesundheitszustand stehe der Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entgegen. Das SG habe den Sachverhalt nicht ausermittelt. Es hätte ein Gutachten auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet einholen müssen. Auch Dr. W.-S. habe die Hinzuziehung eines Neurologen für geboten erachtet. Die Auskunft des Dr. S. vom 15. Januar 2008 überzeuge nicht, da dieser selbst angegeben habe, dass er die Schmerzsymptomatik im Halswirbel- und Lendenwirbelsäulenbereich nicht beurteilen könne.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 3. Dezember 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. September 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. W. vom 14. Juli 2009 eingeholt, der den Kläger am 10. März 2009 persönlich untersucht hat. Auf neurologischem Fachgebiet fänden sich Folgen einer in der Kindheit erlittenen und in das Berufsleben eingebrachten Kinderlähmung des rechten Beines. Neue Gesundheitsstörungen auf neurologischem Fachgebiet - insbesondere auch ein Postpolio-Syndrom - lägen nicht vor. Der Kläger habe zwar bei der Untersuchung ein ausgeprägt hinkendes Gangbild aufgrund der Beinparese rechts gezeigt, wobei er auch beiderseitig Unterarmgehstützen benutzt habe. Angesichts einer fehlenden Verschwielung der Handinnenflächen sei aber davon auszugehen, dass diese eher in untergeordnetem Umfang benützt würden. Die Koordination sei bei Ablenkung deutlich besser gewesen. Die Beobachtung des Aus- und Ankleidens habe eine ungestörte Feinmotorik (Durchführung überwiegend im Sitzen) gezeigt. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe eine leichtgradige depressive Verstimmung vom Ausprägungsgrad einer Dysthymie aufgrund der wenig befriedigenden Lebenssituation. Eine schwerwiegende affektive Betroffenheit sei nicht ersichtlich gewesen. Bei der Exploration der Krankengeschichte habe er sich zwar zunehmend dysphorisch gezeigt, er sei aber stets auflockerbar gewesen. Insgesamt habe sich nur das Bild einer leichtgradigen Dysthymie ergeben. Eine relevante depressive Störung sei mithin auszuschließen. Gleiches gelte für das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung. Unzweifelhaft bestünden erhebliche statische Probleme aufgrund langjähriger Fehlbildung. Eine laufende schmerztherapeutische und/oder nervenärztliche Behandlung sei aber nicht zu eruieren gewesen. Von seinem Fachgebiet gesehen bestünden keine Gesundheitsstörungen, die die Leistungsfähigkeit wesentlich über das hinaus einschränkten, was bereits auf orthopädischem Fachgebiet beschrieben worden sei. Es bestehe auch keinerlei Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit. Der Kläger habe sich bemerkenswert geistig vital und rege mit einem hervorragenden deutschen Sprachvermögen und -verständnis gezeigt, so dass auch keine Beeinträchtigungen der Umstellungsfähigkeit erkennbar sei. Der Kläger sei unter Berücksichtigung der weiteren orthopädischen qualitativen Einschränkungen mithin noch in der Lage, wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in überwiegend sitzender Haltung zu verrichten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft im Sinne des § 144 Abs 1 Satz 2 SGG, da der Kläger laufende Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt. Die damit insgesamt zulässige Berufung des Klägers ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2007 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat weder ab dem 1. September 2006 noch ab einem späteren Zeitpunkt Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, auch nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung.
1. Der geltend gemachte Anspruch richtet sich für die Zeit bis 31. Dezember 2007 nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung und für die anschließende Zeit nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I, 554). Dies folgt aus § 300 Abs 1 SGB VI. Danach sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die (aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung finden keine Anwendung, da im vorliegenden Fall ein Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 nicht in Betracht kommt (§ 302b Abs 1 SGB VI).
Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Nach diesen Maßstäben ist der Kläger, wie das SG zutreffend entschieden hat, auch im Hinblick auf die Amtsermittlungen im Berufungsverfahren weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weil er noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts, auf den er verweisbar ist (hierzu unter 2.), mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Beim Kläger liegen zwar orthopädische und neurologisch/psychiatrische Erkrankungen vor; diese sind jedoch nicht so ausgeprägt, dass volle oder teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Die objektivierbaren Gesundheitsstörungen führen lediglich zu qualitativen Leistungseinschränkungen. Der Kläger muss danach Arbeiten in gebückter, vornüber gebeugter oder sonstiger Zwangshaltungen des Achsorgans, Arbeiten in häufiger oder ständiger Reklination, Arbeiten mit Heben, Tragen und/oder Bewegen von Lasten über 7 bis 8 kg ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten unter Einfluss vertikaler Teil- oder Ganzkörperschwingungen, Arbeiten mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit der Notwendigkeit zu häufigem Treppensteigen, Arbeiten auf unebenem Gelände, ständig oder häufig stehende und gehende Tätigkeiten, Arbeiten mit Anmarschwegen von mehr als 1,5 km und Arbeiten mit häufiger oder ständiger Exposition von Nässe, Kälte und/oder Zugluft vermeiden. Dies gilt auch für Arbeiten mit erhöhter Stressbelastung (Akkordarbeit, Fließbandarbeit oder Nachtschichttätigkeit) sowie für Arbeiten mit Exposition von inhalativen Noxen. Zumutbar im Sinne des positiven Leistungsbildes sind sämtliche leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts, vorzugsweise im Sitzen mit zeitweiligem Wechsel von Gehen und Stehen, in geschlossenen und temperierten Räumen in Tag- oder Wechselschicht. Der Anteil sitzender Tätigkeiten sollte bei ca 75 % liegen. Im Rahmen sitzender Tätigkeiten ist das Anheben, Hantieren und Bearbeiten von Werkstücken mit Gewichten von 3 bis 5 kg vom Boden auf übliche Arbeitshöhe (Tischhöhe) zumutbar. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. B ... Damit ist der Kläger nicht in einem rentenberechtigenden Ausmaß leistungsgemindert. Das hat das SG in Auswertung des Gutachtens des Dr. B. sowie unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. S., Dr. W.-S. und Dr. L. sowie unter Berücksichtigung des im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Gutachtens des Dr. P. ausführlich begründet und dargelegt. Das SG ist hierbei auch auf die anderslautende Einschätzung des Dr. V. eingegangen. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG in vollem Umfang an und sieht insofern von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs 2 SGG ab.
Die Ermittlungen des Senats führen zu keinem anderen Ergebnis. Vielmehr steht zur Überzeugung des Senats fest, dass neben den orthopädischen Gesundheitsstörungen, die das SG unter Bezugnahme auf das Gutachten des Dr. B. zutreffend dargelegt hat, auf neurologischem Fachgebiet allein an den Folgen einer in der Kindheit erlittenen und in das Berufsleben eingebrachten Kinderlähmung des rechten Beines leidet. Weitere Gesundheitsstörungen auf neurologischem Fachgebiet - insbesondere ein Postpolio-Syndrom - liegen beim Kläger nicht vor. Auf psychiatrischem Fachgebiet besteht eine leichtgradige depressive Verstimmung vom Ausprägungsgrad einer Dysthymie aufgrund der wenig befriedigenden Lebenssituation, wobei eine somatoforme Schmerzstörung ausgeschlossen werden kann. Der Senat stützt sich insoweit auf das eingeholte Gutachten des Prof. Dr. Dr. W. vom 14. Juli 2009. Für seine Einschätzung, dass eine schwere depressive Episode nicht vorliegt, spricht, dass sich der Kläger weder in nervenärztlicher Behandlung befindet und während der Untersuchung am 10. März 2009 durch Prof. Dr. Dr. W. bei der Schilderung seiner Lebensumstände eine schwerwiegendere affektive Betroffenheit nicht ersichtlich war, so dass Anhaltspunkte für eine schwerwiegende depressive Stimmungslage nicht vorliegen. Zwar zeigte sich der Kläger bei der Krankengeschichte zunehmend dysphorisch, er blieb jedoch stets auflockerbar und vermochte auch zu lachen. Auch dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. Dr. W ...
Im Hinblick auf die Einschätzung des Dr. P. (Entlassungsbericht vom 8. Juli 2002), der noch vom Vorliegen einer reaktiven Depression ausgegangen ist, ist insofern eine Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers eingetreten.
Der Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass die Gehfähigkeit des Klägers eingeschränkt ist (vgl hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 21. März 2006 - B 5 RJ 51/04 R - = SozR 4-2600 § 43 Nr 8; Urteil vom 28. August 2002 - B 5 RJ 12/02 R - = veröffentlicht in juris). Zwar erschien der Kläger bei der Untersuchung am 10. März 2009 mit beidseitigen Unterarmgehstützen. Prof. Dr. Dr. W. hat jedoch in diesem Zusammenhang nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass angesichts einer fehlenden Verschwielung der Handinnenflächen davon ausgegangen werden muss, dass die Unterarmgehstützen eher in untergeordnetem Umfang genutzt werden. Im Übrigen ist auch Dr. B. in seinem Gutachten vom 27. Mai 2008 zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger, der darüber hinaus über einen Pkw verfügt, gesundheitlich noch in der Lage ist, Wegstrecken von 500 m arbeitstäglich vierfach in einem zumutbaren Zeitaufwand von 15 bis 20 min zurückzulegen.
Vor diesem Hintergrund ist der Senat zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger weiterhin in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Diese Leistungseinschätzung wird auch durch Prof. Dr. Dr. W. gestützt. Dieser hat nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass sich aus den vorliegenden Gesundheitsstörungen eine quantitative Leistungseinschränkung nicht ableiten lässt. Auch liegt beim Kläger keinerlei Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit vor. Der Kläger zeigte sich bei der Untersuchung durch den Sachverständigen vielmehr geistig vital und rege, wobei er über ein hervorragendes deutsches Sprachvermögen und -verständnis verfügt, so dass eine Beeinträchtigung der Umstellungsfähigkeit ebenfalls nicht vorliegt. Vor diesem Hintergrund teilt der Senat die Auffassung des Dr. B., wonach der Kläger Arbeiten mit erhöhter Anforderung an die geistig-psychische Belastbarkeit vermeiden müsse, nicht. Aufgrund der nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Prof. Dr. Dr. W. misst der Senat dessen Einschätzung, wonach keinerlei Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit besteht, ein höheres Gewicht bei, zumal die Beurteilung der geistig-psychischen Belastbarkeit in sein Fachgebiet fällt.
Ein weiteres Gutachten von Amts wegen war nicht erforderlich, nachdem im Berufungsverfahren eine wesentliche Befundverschlechterung weder geltend gemacht wurde noch eine solche ersichtlich ist. Zwar hat der Kläger gegenüber Prof. Dr. Dr. W. angegeben, er habe neu hinzugekommene Probleme mit dem L.n Knie. Der Sachverständige hat aber nachvollziehbar und schlüssig ausgeführt, dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger hierdurch bei (überwiegend) sitzenden Tätigkeiten eingeschränkt ist.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altergrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, 554) auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Das SG hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, dass der Kläger seinen erlernten Beruf als Betriebsbuchhalter allein wegen der Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland aufgegeben hat und er zudem seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Metallarbeiter auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist - auch mangels einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. einer schweren spezifischen Leistungsminderung (vgl hierzu Großer Senat des BSG in BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) - in diesen Fällen grundsätzlich nicht erforderlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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