Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
53
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 53 SO 375/07
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.9.2007 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Abänderung sämtlicher Bewilligungsbescheide über laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Bundessozialhilfegesetz für die Zeit vom 1.1.2003 bis 31.12.2004 höhere derartige Leistungen ohne Anrechnung der Härteausgleichsrente nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden als Einkommen zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Die Beklagte trägt ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) um die rückwirkende Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Der am XX.X.1940 geborene Kläger bezieht aufgrund einer Vereinbarung mit der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg vom Juli 1963 rückwirkend seit September 1958 zur Abgeltung aller Verletzungsfolgen aus einem Unfall mit einem britischen Militärfahrzeug im März 1947 von der Bundesrepublik Deutschland eine Härteausgleichsrente nach § 40 Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden (BesatzSchG) in Höhe von monatlich ursprünglich 250 DM und nunmehr 127,82 EUR
Erstmals für August 1997 und zuletzt für Dezember 2004 wurde ihm von der Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG gewährt. Vom 1.1. bis 17.5.2005 erhielt er Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von der Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II. Seit dem XX.X.2005 bezieht er Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Sämtliche dieser Leistungen wurden ihm unter Anrechnung der Härteausgleichsrente als Einkommen gewährt, bis er mit seinem bei der Beklagten am 31.5.2007 eingegangenen Widerspruch vom 25.5.2007 gegen deren Leistungsbescheid vom 2.5.2007 betreffend den Bewilligungszeitraum vom 1.6.2007 bis 31.5.2008 geltend machte, dass dies zu Unrecht geschehe und in der Vergangenheit zu Unrecht geschehen sei. Die Rente werde aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zum Zwecke eines immateriellen Schadensausgleichs gewährt und sei daher nach § 83 Abs. 2 SGB XII nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Die Beklagte habe die ihm vorenthaltenen Leistungen in Höhe von 15.210,58 EUR nachzuzahlen.
Die Beklagte gelangte zu der Auffassung, dass es sich bei der Härteausgleichsrente zwar nicht um eine Schmerzensgeldgeldrente im Sinne des § 83 Abs. 2 SGB XII handele, dass sie jedoch nach § 83 Abs. 1 SGB XII anrechnungsfrei zu bleiben habe, weil sie aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zur Abgeltung eines Körperschadens und damit zu einem anderen Zweck als die Sozialhilfe gewährt werde.
Während sie mit dieser Begründung dem Widerspruch des Klägers hinsichtlich des Leistungszeitraums ab Mai 2007 mit Bescheid vom 18.7.2007 abhalf, stellte sie mit Bescheid vom 20.8.2007 auf den Überprüfungsantrag für vergangene Zeiträume hin zwar fest, dass dem Kläger durchgehend zu wenig Sozialhilfe gezahlt worden sei, weil die Härteausgleichsrente nicht als Einkommen hätte berücksichtigt werden dürfen, und kündigte eine Nachentrichtung von Grundsicherungsleistungen in Höhe der monatlichen Rentenzahlungen für den Zeitraum Mai 2005 bis April 2007 an, lehnte eine Nachzahlung für davor vorliegende Zeiträume jedoch mit der Begründung ab, dass § 44 SGB X nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) im Bereich der Sozialhilfe nicht anwendbar sei.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 10.9.2007 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 19.9.2007 zurück.
Mit der am 26.10.2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, § 44 SGB X sei auch auf das Leistungsrecht des BSHG anwendbar, was durch die neueste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestätigt werde. Die ursprüngliche Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide nach dem BSHG sei auch nicht wegen zwischenzeitlichen Bedarfswegfalls entfallen. Die zu Unrecht angerechnete Härteausgleichsrente sei gerade nicht zur Deckung von Bedarfen des täglichen Lebens bestimmt gewesen, sondern habe einen immateriellen Schaden ersetzen sollen. Aus diesem Grund liege noch ein offener Bedarf vor. Die zu erwartende Nachzahlung wolle er verwenden, um eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen und so sein unter der Bedarfsgrenze nach dem SGB XII liegendes Einkommen aus der Regelaltersrente zu erhöhen. Sein ursprüngliches hilfsweises Begehren, die Beklagte im Wege der Amtshaftung zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 15.210,58 EUR zu verurteilen, hat er nach Hinweis auf den insoweit ausschließlich gegebenen ordentlichen Rechtsweg fallen gelassen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.9.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Abänderung sämtlicher Bewilligungsbescheide über laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Bundessozialhilfegesetz für die Zeit vom 1.8.1997 bis 31.12.2004 höhere derartige Leistungen ohne Anrechnung der Härteausgleichsrente nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden als Einkommen zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer ursprünglichen, noch auf die Rechtsprechung des BVerwG gestützten Auffassung, dass § 44 SGB X im Bereich des BSHG nicht anwendbar sei, nicht mehr fest. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG habe der Kläger grundsätzlich Anspruch auf Hilfe für die Vergangenheit. Ausgehend von der Antragstellung kämen aber allenfalls Sozialhilfenachzahlungen für den Zeitraum Mai 2003 bis April 2007 in Betracht. Dieser Anspruch hänge jedoch davon ab, dass überhaupt noch ein ungedeckter Bedarf vorhanden sei. Ein solcher sei nicht ersichtlich. Die Beweislast hierfür liege beim Kläger.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Niederschriften der Verhandlungstermine vom 12.3.2008 und 28.10.2009, auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Inhalt der hiesigen Prozessakte, der Gerichtsakte S 53 SO 278/05 und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung der Kammer gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 87, 90 SGG) erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist teilweise begründet. Der angefochtene, eine Neufeststellung nach § 44 Abs. 1 SGB X ablehnende Bescheid der Beklagten vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.9.2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in dessen Rechten. Jener hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Abänderung sämtlicher bestandskräftiger (§ 77 SGG) Bewilligungsbescheide über laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem BSHG für die Zeit vom 1.1.2003 bis 31.12.2004 im tenorierten Umfang.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Die Beklagte hat bei sämtlichen Bewilligungen von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem BSHG für die Zeit vom August 1997 bis Dezember 2004 das Recht insoweit unrichtig angewandt, als sie die dem Kläger gezahlte Härteausgleichsrente stets als zu berücksichtigendes Einkommen leistungsmindernd angerechnet hat.
Nach § 77 Abs. 1 S. 1 BSHG, der dem jetzigen § 83 Abs. 1 SGB XII entspricht, sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Die dem Kläger von der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der öffentlich-rechtlichen Vorschriften des BesatzSchG gewährte Härteausgleichsrente dient der Abgeltung aller Verletzungsfolgen aus dem Verkehrsunfall vom März 1947 und damit in voller Höhe einem anderen Zweck als die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem BSHG, so dass sie insgesamt anrechnungsfrei zu bleiben hat und hatte. Der Kläger erhielt monatlich 250 DM beziehungsweise 127,82 EUR zu wenig an laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Hiervon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus.
Entgegen der noch im Verwaltungs- und Vorverfahren von der Beklagten sowie im Rahmen des ersten Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens von der erkennenden Kammer im Beschluss vom 12.3.2008 und auf die hiergegen eingelegte Beschwerde vom LSG Hamburg im Beschluss vom 26.8.2008 - L 4 B 146/08 PKH SO - vertretenen, auf die frühere Rechtsprechung des BVerwG (s.nur 13.11.2003 - 5 C 26/02, FEVS 320, mwN) gestützten Auffassung kommt demnach eine Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Bewilligungsbescheide nach dem BSHG nach § 44 SGB X grundsätzlich in Betracht. Die so genannten Strukturprinzipien der Sozialhilfe ("keine Leistung für die Vergangenheit", Bedarfsdeckungsgrundsatz, Aktualitätsprinzip) stellen keine "Supranormen" dar, die eine grundsätzliche Nichtanwendung des § 44 SGB X im Bereich besonderer Bücher des Sozialgesetzbuchs entgegen den gesetzlichen Regelungen begründen könnten (BSG 26.8.2008 - B 8 SO 26/07 R, FEVS 60, 350 zum Grundsicherungsgesetz mit Ausführungen in den Gründen auch zum BSHG, mwN; ausdrücklich zum BSHG: LSG Nordrhein-Westfalen 25.2.2008 - L 20 SO 31/07, Breith 2008, 709). Dies wäre auch vor dem Hintergrund wertungswidersprüchlich, als der Gesetzgeber in § 9 Abs. 3 Asylbewerberleistungsgesetz, also im Hinblick auf Personen, die regelmäßig auf geringerem Niveau als in der Sozialhilfe nicht pauschalierte Leistungen erhalten, die entsprechende Anwendung des § 44 SGB X ausdrücklich anordnet.
Wegen der Besonderheiten des Sozialhilferechts, wonach Bedarfe, die nicht mehr vorhanden sind, auch nachträglich nicht mehr zu decken sind, ist jedoch entgegen der Rechtsprechung des BSG zu § 44 SGB X in anderen Bereichen nicht nur darauf abzustellen, ob die Ablehnung der Leistung zum Zeitpunkt der Entscheidung rechtswidrig war, sondern auch darauf, ob die Rechtswidrigkeit nicht wegen zwischenzeitlichen Bedarfswegfalls entfallen ist (BSG, aao, mwN).
Anders, als die Beklagte meint, ist eben dies bei dem Kläger nicht der Fall. Ihm wurde nicht rechtswidrigerweise einfach zu wenig an laufender Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, die nach dem BSHG - anders als nach dem SGB XII mit den nunmehr pauschalierten Leistungen einschließlich eines so genannten Ansparbetrags (vgl. BSG 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R, SGb 2007, 735) - in der Tat auf den Kalendermonat als Bedarfszeitraum bezogen ausschließlich zur Deckung der aktuellen Bedarfe diente, sondern durch volle Anrechnung der Härteausgleichsrente eben diese faktisch vorenthalten. Der dem Kläger damit nicht zur Verfügung stehende Betrag war jedoch nach seinem Zweck, dem Ausgleich eines immateriellen Schadens, gerade nicht zur Deckung ausschließlich gegenwartsbezogener, von der Sozialhilfe berücksichtigter Bedarfe bestimmt. Der Empfänger derartiger Leistungen ist frei in deren Verwendung. Etwas anderes wäre mit deren Zweck nicht zu vereinbaren. Typischerweise wird ein immaterieller Schadensausgleich genutzt, um mit der Gesundheitsschädigung aufgetretene oder in der Zukunft zu erwartende Beeinträchtigungen durch besondere Anschaffungen oder andere Aufwendungen abzumildern beziehungsweise im Hinblick hierauf anzusparen. Sie dienen also nicht nur einem anderen Zweck als die bedarfsorientierte und gegenwartsbezogene Sozialhilfe, sondern sind in ähnlicher Weise zukunftsbezogen wie der in den seit 1.1.2005 erbrachten pauschalierten Sozialhilfe- und Grundsicherungsleistungen enthaltene Ansparbetrag. Diesbezüglich ist der Wegfall eines Bedarfs durch bloßen Zeitablauf bei fortbestehender Hilfebedürftigkeit jedoch ausgeschlossen. Dass der Kläger die zu erwartende Nachzahlung nutzen möchte, um sich selbstständig zu machen, und den dafür erforderlichen Betrag im Falle rechtmäßiger Leistungsgewährung von Anfang an angespart hätte, verdeutlicht dies.
Obwohl ihm während der gesamten Bezugsdauer von BSHG-Leistungen rechtswidrig ein Betrag in Höhe der angerechneten Härteausgleichsrente vorenthalten wurde, hat er nur einen von der Beklagten zu bescheidenden Nachzahlungsanspruch für den Zeitraum vom 1.1.2003 bis 31.12.2004. Dies folgt aus § 44 Abs. 4 SGB X, wonach Sozialleistungen nach Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden (Satz 1), wobei der Zeitpunkt von Beginn des Jahres der Rücknahme an gerechnet wird (Satz 2) und im Falle der Rücknahme auf Antrag – wie vorliegend – an deren Stelle auf den Antragszeitpunkt abzustellen ist (Satz 3). Da der Kläger seinen mit den streitbefangenen Bescheiden der Beklagten abgelehnten Neufeststellungsantrag für vergangene Zeiträume erstmals mit dem Widerspruch vom 25.5.2007 gestellt hat, ist bei der Berechnung des Nachgewährungszeitraums auf den Beginn des Jahres 2007 abzustellen. Hiervon ausgehend sind dann - vier Jahre zurück - ab 1.1.2-03 – und nicht erst ab Mai, wie die Beklagte meint - höhere Leistungen im tenorierten Umfang zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger einerseits zwar nur etwa 27% der begehrten Nachzahlung erhalten wird (für 24 von 89 im Streit stehenden Monaten) und die Klage zum Teil - hinsichtlich der Schadensersatzforderung aus Amtshaftung - zurückgenommen hat, andererseits aber dem Grunde nach mit seiner Verpflichtungsklage Erfolg hat.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) um die rückwirkende Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Der am XX.X.1940 geborene Kläger bezieht aufgrund einer Vereinbarung mit der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg vom Juli 1963 rückwirkend seit September 1958 zur Abgeltung aller Verletzungsfolgen aus einem Unfall mit einem britischen Militärfahrzeug im März 1947 von der Bundesrepublik Deutschland eine Härteausgleichsrente nach § 40 Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden (BesatzSchG) in Höhe von monatlich ursprünglich 250 DM und nunmehr 127,82 EUR
Erstmals für August 1997 und zuletzt für Dezember 2004 wurde ihm von der Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG gewährt. Vom 1.1. bis 17.5.2005 erhielt er Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von der Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II. Seit dem XX.X.2005 bezieht er Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Sämtliche dieser Leistungen wurden ihm unter Anrechnung der Härteausgleichsrente als Einkommen gewährt, bis er mit seinem bei der Beklagten am 31.5.2007 eingegangenen Widerspruch vom 25.5.2007 gegen deren Leistungsbescheid vom 2.5.2007 betreffend den Bewilligungszeitraum vom 1.6.2007 bis 31.5.2008 geltend machte, dass dies zu Unrecht geschehe und in der Vergangenheit zu Unrecht geschehen sei. Die Rente werde aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zum Zwecke eines immateriellen Schadensausgleichs gewährt und sei daher nach § 83 Abs. 2 SGB XII nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Die Beklagte habe die ihm vorenthaltenen Leistungen in Höhe von 15.210,58 EUR nachzuzahlen.
Die Beklagte gelangte zu der Auffassung, dass es sich bei der Härteausgleichsrente zwar nicht um eine Schmerzensgeldgeldrente im Sinne des § 83 Abs. 2 SGB XII handele, dass sie jedoch nach § 83 Abs. 1 SGB XII anrechnungsfrei zu bleiben habe, weil sie aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zur Abgeltung eines Körperschadens und damit zu einem anderen Zweck als die Sozialhilfe gewährt werde.
Während sie mit dieser Begründung dem Widerspruch des Klägers hinsichtlich des Leistungszeitraums ab Mai 2007 mit Bescheid vom 18.7.2007 abhalf, stellte sie mit Bescheid vom 20.8.2007 auf den Überprüfungsantrag für vergangene Zeiträume hin zwar fest, dass dem Kläger durchgehend zu wenig Sozialhilfe gezahlt worden sei, weil die Härteausgleichsrente nicht als Einkommen hätte berücksichtigt werden dürfen, und kündigte eine Nachentrichtung von Grundsicherungsleistungen in Höhe der monatlichen Rentenzahlungen für den Zeitraum Mai 2005 bis April 2007 an, lehnte eine Nachzahlung für davor vorliegende Zeiträume jedoch mit der Begründung ab, dass § 44 SGB X nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) im Bereich der Sozialhilfe nicht anwendbar sei.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 10.9.2007 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 19.9.2007 zurück.
Mit der am 26.10.2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, § 44 SGB X sei auch auf das Leistungsrecht des BSHG anwendbar, was durch die neueste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestätigt werde. Die ursprüngliche Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide nach dem BSHG sei auch nicht wegen zwischenzeitlichen Bedarfswegfalls entfallen. Die zu Unrecht angerechnete Härteausgleichsrente sei gerade nicht zur Deckung von Bedarfen des täglichen Lebens bestimmt gewesen, sondern habe einen immateriellen Schaden ersetzen sollen. Aus diesem Grund liege noch ein offener Bedarf vor. Die zu erwartende Nachzahlung wolle er verwenden, um eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen und so sein unter der Bedarfsgrenze nach dem SGB XII liegendes Einkommen aus der Regelaltersrente zu erhöhen. Sein ursprüngliches hilfsweises Begehren, die Beklagte im Wege der Amtshaftung zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 15.210,58 EUR zu verurteilen, hat er nach Hinweis auf den insoweit ausschließlich gegebenen ordentlichen Rechtsweg fallen gelassen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.9.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Abänderung sämtlicher Bewilligungsbescheide über laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Bundessozialhilfegesetz für die Zeit vom 1.8.1997 bis 31.12.2004 höhere derartige Leistungen ohne Anrechnung der Härteausgleichsrente nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden als Einkommen zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer ursprünglichen, noch auf die Rechtsprechung des BVerwG gestützten Auffassung, dass § 44 SGB X im Bereich des BSHG nicht anwendbar sei, nicht mehr fest. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG habe der Kläger grundsätzlich Anspruch auf Hilfe für die Vergangenheit. Ausgehend von der Antragstellung kämen aber allenfalls Sozialhilfenachzahlungen für den Zeitraum Mai 2003 bis April 2007 in Betracht. Dieser Anspruch hänge jedoch davon ab, dass überhaupt noch ein ungedeckter Bedarf vorhanden sei. Ein solcher sei nicht ersichtlich. Die Beweislast hierfür liege beim Kläger.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Niederschriften der Verhandlungstermine vom 12.3.2008 und 28.10.2009, auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Inhalt der hiesigen Prozessakte, der Gerichtsakte S 53 SO 278/05 und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung der Kammer gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 87, 90 SGG) erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist teilweise begründet. Der angefochtene, eine Neufeststellung nach § 44 Abs. 1 SGB X ablehnende Bescheid der Beklagten vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.9.2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in dessen Rechten. Jener hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Abänderung sämtlicher bestandskräftiger (§ 77 SGG) Bewilligungsbescheide über laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem BSHG für die Zeit vom 1.1.2003 bis 31.12.2004 im tenorierten Umfang.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Die Beklagte hat bei sämtlichen Bewilligungen von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem BSHG für die Zeit vom August 1997 bis Dezember 2004 das Recht insoweit unrichtig angewandt, als sie die dem Kläger gezahlte Härteausgleichsrente stets als zu berücksichtigendes Einkommen leistungsmindernd angerechnet hat.
Nach § 77 Abs. 1 S. 1 BSHG, der dem jetzigen § 83 Abs. 1 SGB XII entspricht, sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Die dem Kläger von der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der öffentlich-rechtlichen Vorschriften des BesatzSchG gewährte Härteausgleichsrente dient der Abgeltung aller Verletzungsfolgen aus dem Verkehrsunfall vom März 1947 und damit in voller Höhe einem anderen Zweck als die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem BSHG, so dass sie insgesamt anrechnungsfrei zu bleiben hat und hatte. Der Kläger erhielt monatlich 250 DM beziehungsweise 127,82 EUR zu wenig an laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Hiervon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus.
Entgegen der noch im Verwaltungs- und Vorverfahren von der Beklagten sowie im Rahmen des ersten Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens von der erkennenden Kammer im Beschluss vom 12.3.2008 und auf die hiergegen eingelegte Beschwerde vom LSG Hamburg im Beschluss vom 26.8.2008 - L 4 B 146/08 PKH SO - vertretenen, auf die frühere Rechtsprechung des BVerwG (s.nur 13.11.2003 - 5 C 26/02, FEVS 320, mwN) gestützten Auffassung kommt demnach eine Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Bewilligungsbescheide nach dem BSHG nach § 44 SGB X grundsätzlich in Betracht. Die so genannten Strukturprinzipien der Sozialhilfe ("keine Leistung für die Vergangenheit", Bedarfsdeckungsgrundsatz, Aktualitätsprinzip) stellen keine "Supranormen" dar, die eine grundsätzliche Nichtanwendung des § 44 SGB X im Bereich besonderer Bücher des Sozialgesetzbuchs entgegen den gesetzlichen Regelungen begründen könnten (BSG 26.8.2008 - B 8 SO 26/07 R, FEVS 60, 350 zum Grundsicherungsgesetz mit Ausführungen in den Gründen auch zum BSHG, mwN; ausdrücklich zum BSHG: LSG Nordrhein-Westfalen 25.2.2008 - L 20 SO 31/07, Breith 2008, 709). Dies wäre auch vor dem Hintergrund wertungswidersprüchlich, als der Gesetzgeber in § 9 Abs. 3 Asylbewerberleistungsgesetz, also im Hinblick auf Personen, die regelmäßig auf geringerem Niveau als in der Sozialhilfe nicht pauschalierte Leistungen erhalten, die entsprechende Anwendung des § 44 SGB X ausdrücklich anordnet.
Wegen der Besonderheiten des Sozialhilferechts, wonach Bedarfe, die nicht mehr vorhanden sind, auch nachträglich nicht mehr zu decken sind, ist jedoch entgegen der Rechtsprechung des BSG zu § 44 SGB X in anderen Bereichen nicht nur darauf abzustellen, ob die Ablehnung der Leistung zum Zeitpunkt der Entscheidung rechtswidrig war, sondern auch darauf, ob die Rechtswidrigkeit nicht wegen zwischenzeitlichen Bedarfswegfalls entfallen ist (BSG, aao, mwN).
Anders, als die Beklagte meint, ist eben dies bei dem Kläger nicht der Fall. Ihm wurde nicht rechtswidrigerweise einfach zu wenig an laufender Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, die nach dem BSHG - anders als nach dem SGB XII mit den nunmehr pauschalierten Leistungen einschließlich eines so genannten Ansparbetrags (vgl. BSG 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R, SGb 2007, 735) - in der Tat auf den Kalendermonat als Bedarfszeitraum bezogen ausschließlich zur Deckung der aktuellen Bedarfe diente, sondern durch volle Anrechnung der Härteausgleichsrente eben diese faktisch vorenthalten. Der dem Kläger damit nicht zur Verfügung stehende Betrag war jedoch nach seinem Zweck, dem Ausgleich eines immateriellen Schadens, gerade nicht zur Deckung ausschließlich gegenwartsbezogener, von der Sozialhilfe berücksichtigter Bedarfe bestimmt. Der Empfänger derartiger Leistungen ist frei in deren Verwendung. Etwas anderes wäre mit deren Zweck nicht zu vereinbaren. Typischerweise wird ein immaterieller Schadensausgleich genutzt, um mit der Gesundheitsschädigung aufgetretene oder in der Zukunft zu erwartende Beeinträchtigungen durch besondere Anschaffungen oder andere Aufwendungen abzumildern beziehungsweise im Hinblick hierauf anzusparen. Sie dienen also nicht nur einem anderen Zweck als die bedarfsorientierte und gegenwartsbezogene Sozialhilfe, sondern sind in ähnlicher Weise zukunftsbezogen wie der in den seit 1.1.2005 erbrachten pauschalierten Sozialhilfe- und Grundsicherungsleistungen enthaltene Ansparbetrag. Diesbezüglich ist der Wegfall eines Bedarfs durch bloßen Zeitablauf bei fortbestehender Hilfebedürftigkeit jedoch ausgeschlossen. Dass der Kläger die zu erwartende Nachzahlung nutzen möchte, um sich selbstständig zu machen, und den dafür erforderlichen Betrag im Falle rechtmäßiger Leistungsgewährung von Anfang an angespart hätte, verdeutlicht dies.
Obwohl ihm während der gesamten Bezugsdauer von BSHG-Leistungen rechtswidrig ein Betrag in Höhe der angerechneten Härteausgleichsrente vorenthalten wurde, hat er nur einen von der Beklagten zu bescheidenden Nachzahlungsanspruch für den Zeitraum vom 1.1.2003 bis 31.12.2004. Dies folgt aus § 44 Abs. 4 SGB X, wonach Sozialleistungen nach Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden (Satz 1), wobei der Zeitpunkt von Beginn des Jahres der Rücknahme an gerechnet wird (Satz 2) und im Falle der Rücknahme auf Antrag – wie vorliegend – an deren Stelle auf den Antragszeitpunkt abzustellen ist (Satz 3). Da der Kläger seinen mit den streitbefangenen Bescheiden der Beklagten abgelehnten Neufeststellungsantrag für vergangene Zeiträume erstmals mit dem Widerspruch vom 25.5.2007 gestellt hat, ist bei der Berechnung des Nachgewährungszeitraums auf den Beginn des Jahres 2007 abzustellen. Hiervon ausgehend sind dann - vier Jahre zurück - ab 1.1.2-03 – und nicht erst ab Mai, wie die Beklagte meint - höhere Leistungen im tenorierten Umfang zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger einerseits zwar nur etwa 27% der begehrten Nachzahlung erhalten wird (für 24 von 89 im Streit stehenden Monaten) und die Klage zum Teil - hinsichtlich der Schadensersatzforderung aus Amtshaftung - zurückgenommen hat, andererseits aber dem Grunde nach mit seiner Verpflichtungsklage Erfolg hat.
Rechtskraft
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