L 2 U 202/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 7 U 116/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 202/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. Februar 2007 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer toxischen Enzephalopathie als Berufskrankheit nach Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) oder Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; im weiteren Text: BK Nr. 1302 beziehungsweise 1317).

Der 1941 geborene Kläger hat nach Abschluss der 8. Klasse zunächst von September 1956 bis September 1959 eine Ausbildung als Klempner und Installateur absolviert, anschließend bis März 1960 als Installateur beim VEB R und von April 1960 bis zum 31. Dezember 1998 beim VEB K als Monteur beziehungsweise Bereichsmonteur im Außendienst, nur unterbrochen durch den Dienst bei der NVA von April 1962 bis Oktober 1963, gearbeitet. Seit 1. Januar 1999 war er arbeitslos. Seit 1. September 2000 bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Am 11. Mai 2000 zeigte der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Lösemittel- und PCP-induzierten Enzephalopathie mit Hirnstammbeteiligung Stadium II a als Berufskrankheit an. Dazu teilte der Kläger mit, er leide seit circa 1994/1995 unter einem eingeschränkten Kurzzeitgedächtnis. Auch der wechselnde Blutdruck hätte starke Beschwerden verursacht, so zum Beispiel Kopfschmerzen, Schwindel und Schweißausbrüche. Des Weiteren habe er unter Krämpfen in den Beinen und besonders in den Händen gelitten. Das Führen von Werkzeugen sei ihm zunehmend schwer gefallen, manchmal sogar nicht möglich gewesen. Er habe unter Glieder- und Schulterschmerzen sowie Luftnot gelitten. Nachts seien die Nasenschleimhäute ständig trocken und verhärtet gewesen. Des Weiteren seien Erschöpfungserscheinungen und Konzentrationsmangel aufgetreten.

Die Beklagte zog unter anderem Unterlagen des berufsgenossenschaftlichen arbeitsmedizinischen Dienstes sowie einen Bericht des Facharztes für Innere Medizin und Umweltmedizin Dr. K vom 16. März 2000 bei, in dem unter anderem ausgeführt wird, die anamnestischen Daten würden eindeutig auf eine Enzephalopathie mit Hirnstammbeteiligung hinweisen. Der seit 28 Jahren erhöhte Blutdruck, die seit 25 Jahren bestehende Apnoe sowie die Hirnfunktionseinschränkungen seien typisch für chronische Lösemittel- und/oder Halogenkohlenwasserstoff- beziehungsweise PCB-Schädigungen. Die im Stuhl nachgewiesenen PCB seien nicht nahrungsbedingt, sondern eindeutig technischen Ursprungs. Bei schwachen Entgiftern seien PCB-Kongenere mit sehr langen Halbwertzeiten im Körper deponiert. In Verbindung mit neurotoxischen halogenierten Kohlenwasserstoffen supprimierten sie Neurotransmittersynthesen, würden sich als Methylsulfonmetaboliten in den Schleimhauttrakten der Atemwege ablagern und zu gesteigerter Entzündungsaktivität führen. Aufgrund der langen biologischen Halbwertzeit würden sie im Organismus kumulieren und zu Dauerschäden führen. Zusätzlich würden sie die Sensitivität kardialer Katecholaminrezeptoren erhöhen und damit eine gesteigerte Empfindlichkeit auslösen, die sich in Herzjagen und Arrhythmien äußern würden. Im Vordergrund stünde die Hirnleistungsschwäche. Alle Organsymptome würden sich mit der berufsbedingten Schädigung in Übereinstimmung bringen lassen. Es sei eine richtungsbestimmende Erkrankung ausgelöst worden. Er empfehle eine Meldung für die Berufsgenossenschaft als Berufskrankheit unter den Ziffern 1302 und 1317.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes vom 14. August 2000 ein.

Der mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie Prof. Dr. B führte in seinem Gutachten vom 6. Juli 2001 unter anderem aus, bei dem Kläger liege eine Enzephalopathie Stadium II b mit peripherer und vegetativer Polyneuropathie infolge chronischer, berufsbedingter Lösungsmittelexposition, eine Befindlichkeitsstörung im Sinne einer multiplen Chemikalienempfindlichkeit (MCS) und eines chronischen Müdigkeitssyndroms (CFS), ein Verdacht auf einen beginnenden toxisch bedingten Morbus Parkinson sowie eine Hypertonie vor. Seiner Ansicht nach seien die Enzephalopathie und die Polyneuropathie ursächlich auf die Exposition des Klägers gegenüber neurotoxischen Lösungsmitteln im Verlaufe seiner beruflichen Tätigkeit zurückzuführen. Ob die 1971/1972 diagnostizierte Bluthochdruckerkrankung durch berufsbedingte Noxen ausgelöst worden sei, lasse sich nicht mit Eindeutigkeit beantworten. Die Frage, ob die medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 1317 BKV erfüllt seien, lasse sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantworten, da hierzu ausreichende Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes fehlen würden. Da eine der in der BK Nr. 1317 genannten Krankheiten - Polyneuropathie oder Enzephalopathie - zweifelsfrei vorliegen müsse, bedürfe das Krankheitsbild unbedingt noch einer neurologischen, psychiatrischen und psychischen Begutachtung bevor abschließend zu der Frage der medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 1317 BKV Stellung genommen werden könne. Es bestehe eine Minderung der Erwerbstätigkeit seit 1998. Die MdE betrage hinsichtlich der Enzephalopathie Schweregrad II b 50 v. H. und hinsichtlich der Polyneuropathie 10 v. H.

Nachdem die Beklagte eine weitere Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes vom 5. Oktober 2001 eingeholt hatte, veranlasste sie eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. B, der unter dem 18. Dezember 2001 ausführte, er rege weitere Ermittlungen sowohl hinsichtlich der Exposition als auch hinsichtlich des Erkrankungsbildes an.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine erneute Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes, der unter dem 21. März 2002 unter anderem ausführte, der Kläger sei der Einwirkung von mehreren CKW (Tetrachlorethylen, 1,2 Dichlorethan, Chlormethan) ausgesetzt gewesen. Nur eines dieser Produkte Tetrachlorethylen sei im BK-Report 3/99 zur BK 1317 als Gefährdung genannt. Eine hohe Einwirkung habe über etwa zwei Jahre 1960 bis 1962 bestanden. Insoweit habe eine gefährdende Tätigkeit bezüglich der BK 1317 bestanden. Alle drei Produkte seien in den Kommentaren zu BKVO unter der BK Nummer 1302 genannt. Das Verfahren sollte daher aus seiner Sicht unter dieser BKVO-Nummer geführt werden. Um, wie vom Gutachter gefordert, zu entscheiden, ob die Exposition ab 1963 hinreichend sei, stünden nur ungenügende Angaben zur Verfügung. Obwohl keine extremen Expositionsverhältnisse, etwa mit mehrfachen Grenzwertüberschreitungen, vorgelegen hätten, gehe er davon aus, dass eine ständige etwa 30 jährige Exposition gegenüber Dichlorethan (dreimal drei Stunden wöchentlich plus Kältemittel, fünf- bis zehnmal täglich in 50 % der jährlichen Schichten), als hinreichend anzunehmen sei. Die Expositionen vor 1962 seien als hinreichend anzunehmen. Die genannten Stoffe hätten offensichtlich einen vergleichbaren Wirkmechanismus. Wechselwirkungen seien ihm nicht bekannt. Bedingt durch veränderte Arbeitsweise und Technologien sei das Jahresende 1992 als Ende der gefährdenden Tätigkeit anzusehen.

Auch in einer erneuten ergänzenden Stellungnahme vom 28. Mai 2002 verblieb Professor Dr. B bei der Anregung, zur Sicherung des zweifelsfreien Vorliegens einer Enzephalopathie oder einer Polyneuropathie eine neurologische, psychiatrische und psychische Begutachtung durch einen erfahrenen Facharzt der zutreffenden Fachgebiete durchführen zu lassen.

Der mit der Erstellung eines neurologischen Gutachtens beauftragte Professor Dr. S führte in seinem Gutachten vom 17. September 2002 unter anderem aus, bei der jetzigen neurologischen Untersuchung hätte sich kein objektivierbarer krankhafter Befund finden lassen. Bis auf eine leichte schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule wie sie bei älteren Menschen häufig sei, könne im Bereich des Nervensystems kein Anhalt gefunden werden für eine objektivierbare Störung oder Veränderung. Es fänden sich keine Anhaltspunkte für organisch, also etwa toxisch bedingte Hirnleistungsstörungen, es bestünden keinerlei Symptome oder Verdachtssymptome auf ein Parkinson-Syndrom oder eine andere Enzephalopathie. Es würden sich keinerlei Hirnstammsymptome finden. Es lasse sich auch keine Polyneuropathie nachweisen, selbst nach jahrzehntelanger Exposition durch die angeschuldigten chemischen Substanzen sei der Achillessehnenreflex noch seitengleich lebhaft auslösbar, es würden sich keine objektivierbaren Sensibilitätsstörungen finden und es bestünden keinerlei Störungen der vegetativen Innervation, der Haut oder der inneren Organe. Es liege auch keine Myotonie vor. Als einzig verwertbaren krankhaften Befund finde man einen essenziellen Hypertonus. Auch das hier abgeleitete Elektroenzephalogramm sei in allen wesentlichen Anteilen normal, leichte Dysrhythmien seien unspezifisch. Zusammenfassend müsse man feststellen, dass bei dem Kläger keine Anhaltspunkte für eine neurologische Erkrankung vorliegen würden. Die Darstellung der Vorgutachter, die keine Neurologen, sondern Internisten oder Pharmakologen seien, sei nicht haltbar. Die von ihnen angeführten neurologischen Diagnosen träfen nicht zu, sie seien noch nicht einmal vage zu vermuten. Insofern seien die Darlegungen über die Expositionen mit toxischen Substanzen, die Spiegelmessungen und Werte über diese Substanzen bei dem Kläger ohne Relevanz. Selbst wenn einige Werte gewisse Normgrenzen überschreiten würden, habe dies keine Bedeutung für die gutachterliche Beurteilung, weil keinerlei Anhaltspunkte für eine Krankheit vorliegen würden. Es gebe im Rahmen dieser Begutachtung lediglich die subjektiven Klagen des Klägers und weitgehend theoretisch-spekulative Überlegungen und Schlussfolgerungen von nicht-neurologischen Vorgutachtern. Diese seien in der dargestellten Weise nicht schlüssig und nicht zulässig. Er müsse nachdrücklich feststellen, dass bei dem Kläger keine objektivierbaren Anhaltspunkte oder Symptome für eine durch Umweltgifte erzeugte Schädigung des Nervensystems vorliegen würden, es fänden sich auch sonst für irgendeine andere Erkrankung keine Anhaltspunkte. Der Kläger sei nach der festen Überzeugung des Gutachters neurologisch, psychiatrisch und psychisch nicht krank. Die von den Vorgutachten festgestellten mutmaßlichen erhöhten oder bedenklichen Laborwerte hätten keine feststellbare neurologische Störung oder Erkrankung hervorgerufen. Insofern liege keine Berufskrankheit nach Nr. 1317 beziehungsweise 1302 BKV vor.

Mit Bescheid vom 25. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2003 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 und 1317 ab. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, bei dem Kläger bestehe keine neurologische Erkrankung, sie stütze sich auf das Gutachten des Prof. Dr. S.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Cottbus hat der als Sachverständiger bestellte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F in seinem Gutachten vom 18. Januar 2005 unter anderem ausgeführt, der Kläger leide unter einem schweren depressiven ängstlichen Syndrom mit zahlreichen Somatisierungen, einer somatoformen Schmerzstörung im Stadium 3, einer dissoziativen Störung, einer Neuropathie im Nervus ulnaris beidseits, im Nervus tibialis, im Nervus peronaeus beidseits und Hirnleistungsstörungen. Es liege keine Parkinsonsche Erkrankung, insbesondere kein Hemiparkinsonsyndrom vor. Sämtliche klassischen Symptome eines PSS würden fehlen. Es würden sich lediglich diskrete tremorartige Bewegungen der Hände verbunden mit einigen zuckenden und ruckenden Bewegungen zeigen, die völlig unspezifisch seien und multiätiologisch auch durch eine cerebrovaskuläre Störung etc. hervorgerufen werden könnten. Klinisch liege auch keine Enzephalopathie vor, entsprechende Tests hätten dies nicht belegen können. Insbesondere im IST erscheine sogar ein hoher T-Wert bei dem Item Merkfähigkeit. Insgesamt zeige der IST auch keine pathologischen Auffälligkeiten. Auch der Screeningtest, der zur dementiellen Diagnostik benutzt werde, zeige lediglich eine leichte kognitive Störung, die multiätiologisch sei und die nicht spezifisch für eine Enzephalopathie spreche.

Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Sachverständiger bestellte Internist, Nephrologe und Umweltmediziner Prof. Dr. H hat in seinem Gutachten vom 5. Mai 2006 unter Verwertung des neuropsychologischen Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin V vom 12. Dezember 2005, die bei dem Kläger eine enzephalopathisch bedingte Hirnleistungsstörung bejahte, unter anderem ausgeführt, der Kläger leide unter einer enzephalopathisch bedingten Hirnleistungsstörung, einer Enzephalopathie II b, einem Zustand nach verminderter Dichte der Dopamin-2-Rezeptoren in den beiderseitigen Basalganglien im Sinne eines toxisch bedingten Parkinson-Syndroms (2000), einer Tetrachlorethyleneinwirkung (1960 bis 1962), vermehrten Entzündungszeichen (IgA-Erhöhung, Homocystein-Erhöhung), Zustand nach rezidivierenden Sinusitiden maxillaris, einem Sicca-Syndrom der Schleimhäute, einer Hypertonie, einem Diabetes mellitus Typ II, einer Gamma-GT-Erhöhung und einem HWS-BWS-Syndrom. Im Vordergrund stünden eine deutliche Verminderung des Konzentrationsvermögens, Merkfähigkeitsstörungen, Kurzzeitgedächtnisprobleme, ein kurzes Erinnerungsvermögen und eine ausgeprägte Müdigkeit. Entsprechend der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes bestehe eine eindeutige hohe Einwirkung von Tetrachlorethylen in den Jahren 1960 bis 1962. Die enzephalopathisch bedingte Hirnleistungsstörung sowie der Zustand nach verminderter Dichte der Dopamin-2-Rezeptoren in den beiderseitigen Basalganglien im Sinne eines toxisch bedingten Parkinson-Syndroms (2000) seien kausal auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen. Die Berufstätigkeit sei geeignet, einen Körperschaden, wie vom Kläger behauptet, hervorzurufen. Es habe eine hohe Einwirkung über etwa zwei Jahre von 1960 bis 1962 durch das Produkt Tetrachlorethylen bestanden. Es bestehe eine MdE von 50 v. H. seit 1995.

Mit Urteil vom 27. Februar 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, nach Nr. 1302 der Anlage zur BKVO seien Berufskrankheiten im Sinne des SGB VII Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe; nach Nummer 1317 der Anlage zur BKVO seien Berufskrankheiten Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische. Die Bezeichnung einer bestimmten Krankheit in der Anlage zur BKVO als Berufskrankheit bedeute lediglich ihre rechtlich-generelle Eignung. Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit sei in Fällen wie dem vorliegenden zum einen, dass die schädigenden Einwirkungen generell geeignet seien, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum anderen müsse die vorliegende Erkrankung konkret individuell durch entsprechende Einwirkungen wesentlich verursacht beziehungsweise verschlimmert worden sein und diese Einwirkungen müssten wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein. Zu Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung führe die Erkrankung erst, wenn die Verrichtungen, bei denen der Versicherte schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen sei, in einem inneren (sachlichen) Zusammenhang mit der Berufstätigkeit stünden, der es rechtfertige, sie der versicherten Tätigkeit zuzurechnen und ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen diesen und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen gegeben sei (haftungsausfüllende Kausalität). Zusätzlich müssten die auf die Berufskrankheit zurückzuführenden Gesundheitsstörungen die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um mindestens 20 v. H. vermindert haben. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung sei der volle Beweis erforderlich. Bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnis des Verfahrens müsse der volle Beweis für das Vorliegen der Krankheit, der versicherten Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß als erbracht angesehen werden können. Dieser Vollbeweis verlange zwar nicht, dass die entscheidungserheblichen Tatsachen mit absoluter, jede andere denkbare Möglichkeit ausschließender Gewissheit festgestellt werden müssten. Der Nachweis müsse aber mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit geführt werden können. Demgegenüber genüge für die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs die Wahrscheinlichkeit einer derartigen Beziehung, denn im Regelfall sei der Kausalitätsnachweis nicht mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Sicherheit möglich. Ein Ursachenzusammenhang sei wahrscheinlich, wenn bei einer Abwägung der Argumente die für den Zusammenhang sprechenden Gründe die dagegen sprechenden überwiegen würden, so dass darauf die richterliche Überzeugungsbildung gestützt werden könne. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Gerichts nicht aufgrund einer Berufskrankheit in rentenberechtigendem Grad vermindert. Das Gericht folge insoweit den stimmigen und überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen Dr. F, dieser habe festgestellt, dass bei dem Kläger ein schweres depressiv ängstliches Syndrom mit zahlreichen Somatisierungen, eine somatoforme Schmerzstörung im Stadium 3, eine dissoziative Störung, eine Neuropathie im Nervus ulnaris beidseits, im Nervus tibialis, im Nervus peronaeus beidseits sowie Hirnleistungsstörungen vorliegen würden. Die von den Vorgutachtern diagnostizierten Körperschäden im Sinne eines Morbus Parkinson beziehungsweise einer toxischen Enzephalopathie habe der Gerichtssachverständige, der sich seit 37 Jahren mit den Erkrankungen des extrapyramidalen Nervensystems befasse, als Oberarzt selber eine Parkinsonabteilung geleitet habe und seit 1978 in seiner neurologisch-psychiatrischen Ambulanz eine Spezialsprechstunde für extrapyramidale Erkrankungen, insbesondere des Morbus Parkinson betreibe, mithin ausgewiesener Fachmann dieser Erkrankungen sei, nicht feststellen können. Die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. F seien nicht in Zweifel zu ziehen. Fehler seien nicht ersichtlich. Das mit dem neurologischen Gutachten des von der Beklagten beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. S im Wesentlichen übereinstimmende Gutachten sei in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Der Kläger sei von diesen Gutachtern ambulant untersucht worden. Darüber hinaus hätten dem Gerichtssachverständigen die Befunderhebungen der von der Beklagten beauftragten Sachverständigen sowie die vom Gericht eingeholten Befundberichte vorgelegen und seien bei der Begutachtung berücksichtigt worden. Das Gutachten des Prof. Dr. H habe das Gericht demgegenüber nicht zu überzeugen vermocht. Das neuropsychologische Zusatzgutachten, auf das er seine Begutachtung gestützt habe, sei von der Dr. phil. Diplom-Psychologin V (psychologische Psychotherapeutin - Verhaltenstherapie) erstellt worden, mithin von einer Person ohne neurologische Fachausbildung. Dies sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass nicht nur Dr. F und Dr. S, sondern auch bereits Prof. Dr. B wiederholt auf die Bedeutung und Unverzichtbarkeit einer neurologischen Begutachtung hingewiesen hätten. Gegen das Gutachten des Prof. Dr. H, der Internist, Nephrologe und Umweltmediziner sei, somit ebenfalls kein Neurologe, spreche zudem, dass die Kriterien der gesetzlichen Unfallversicherung zum Nachweis einer Berufskrankheit nicht beachtet worden seien. So habe er ausgeführt,

"Es besteht ein Zustand nach Trichlorethylen-Belastung, die als hoch einzuschätzen ist. Es erfolgt der Nachweis einer verminderten Dichte der Dopamin-2-Rezeptoren in den beiderseitigen Basalganglien im Sinne eines toxisch bedingten Parkinsonsyndroms. Es erfolgt der Nachweis einer deutlichen Beeinträchtigung der kognitiven mentalen Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit (Psychometrie) und einer enzephalopathisch bedingten Hirnleistungsstörung. Es besteht eine Enzephalopathie II b. Die differenzialdiagnostische Klärung der Frage einer cerebralen Vaskulitis kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Labordiagnostische Kriterien einer vorzeitigen Arteriosklerose bestehen nicht. Ich komme somit zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger die Kriterien einer haftungsausfüllenden und -erfüllenden Kausalität für eine toxische Enzephalopathie und eine Polyneuropathie durch Lösungsmittel verursachte Berufskrankheit BK Nummer 1317 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfüllt sind."

Aus dem Umstand einer gefährdenden Tätigkeit und der Feststellung von Gesundheitsbeeinträchtigungen könne keinesfalls auf einen Kausalzusammenhang geschlossen werden. Schließlich würden, wie die Beklagte zu Recht rüge, die erforderlichen Ausführungen zum zeitlichen Intervall zwischen Beendigung der gefährdenden Tätigkeit und Auftreten der Gesundheitsbeeinträchtigungen fehlen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Abänderung der Bescheide und Verpflichtung der Beklagten, seine Beschwerden (eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Schwindel, Konzentrationsstörungen, Erschöpfungen sowie Krämpfe in Händen und Beinen) als Berufskrankheit nach BK Nr. 1302 oder 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen. Auch insoweit fehle es an der Feststellung eines Kausalzusammenhangs.

Gegen dieses ihm am 23. Juli 2007 zugegangene Urteil richtet sich die am 6. August 2007 eingegangene Berufung des Klägers. Zur Begründung beruft er sich auf das seiner Ansicht nach besonders sorgfältig erstellte, wissenschaftlich begründete und im Ergebnis zutreffende Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. Februar 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen seiner Beschwerden (eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Schwindel, Konzentrationsstörungen, Erschöpfungen sowie Krämpfe in Händen und Beinen) zu gewähren,

hilfsweise

die Beklagte zu verurteilen, seine Beschwerden (eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Schwindel, Konzentrationsstörungen, Erschöpfungen sowie Krämpfe in Händen und Beinen) als Berufskrankheit nach BK Nr. 1302 oder 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für überzeugend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az. BK ) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK Nr. 1302 oder einer BK Nr. 1317 und dementsprechend keinen Anspruch auf Gewährung entsprechender Leistungen.

Die Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV betrifft ganz allgemein "Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe". Eine solche Erkrankung könnte auch eine toxische Enzephalopathie sein. Die Berufskrankheit nach Nr. 1317 betrifft die Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.

Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die vorliegende Erkrankung konkret individuell durch entsprechende Einwirkungen des Stoffes wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden ist und dass die Einwirkungen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sind. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG Urteil vom 02. Mai 2001, Az. B 2 U 16/00 RSozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16 m.w.N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass die richterliche Überzeugung hierauf gestützt werden kann (BSG, Urteil vom 06. April 1989, Az. 2 RU 69/87, zitiert nach Juris; Urteil vom 02. Februar 1978, Az. 8 RU 66/77, BSGE 45, 285, 286).

Unter Beachtung dieser Vorgaben hat der Kläger zur Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen der BK Nr. 1302 oder der Nr. 1317 vorliegen, denn es steht bereits nicht im Vollbeweis fest, dass bei dem Kläger eine Enzephalopathie, eine Polyneuropathie oder eine Parkinsonerkrankung vorliegt. Der Senat folgt insoweit - wie bereits das erstinstanzliche Gericht - dem überzeugenden und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen Dr. F, dass durch den im Verwaltungsverfahren tätigen Gutachter Professor Dr. S bestätigt wird. Zu Recht hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass diese Fachärzte für Neurologie sind. Beide haben übereinstimmend ausgeführt, dass bei dem Kläger weder eine Enzephalopathie, noch eine Polyneuropathie oder eine Parkinsonerkrankung festgestellt werden kann. Sie sind als Neurologen die für die Diagnose einer solchen (neurologischen) Erkrankung zuständigen Fachärzte, ihren Ausführungen kommt damit besondere Überzeugungskraft zu. Soweit dagegen die Diplom-Psychologin Dr. phil. V eine Enzephalopathie diagnostiziert hat, ist dies zur Überzeugung des Senats nicht nachvollziehbar. Anlässlich der Untersuchung durch Prof. Dr. S zeigte der Kläger bei der Dermolexieprüfung und bei dem Finger-Nase-Versuch einen auffälligen Befund, den der Gutachter als psychogen einstufte. Sämtliche anderen neurologischen Befunde waren unauffällig beziehungsweise normgerecht. Ähnliches hat auch der Sachverständige Dr. F bestätigt, der umfangreiche Tests veranlasst hat, nach deren Auswertung er zu dem Ergebnis eines schweren depressiven ängstlichen Syndroms mit zahlreichen Somatisierungen und einer somatoformen Schmerzstörung im Stadium 3 kam. Dies ist für den Senat überzeugend. Ist damit Prof. Dr. H bereits von einer falschen Diagnose ausgegangen, so kommt es auf die Frage, ob er eine Kausalität zwischen dieser neurologischen Erkrankung, die von den Neurologen gerade nicht bestätigt werden konnte, und den Expositionen, denen der Kläger von 1960 bis 1962 ausgesetzt war, nicht mehr an.

Soweit der Kläger der Ansicht ist, dass einzig das Gutachten des Prof. Dr. H, weil wissenschaftlich besonders fundiert, verwertbar sei, kann der Senat dem nicht folgen. Zwar hat Prof. Dr. H umfangreiche allgemeine Ausführungen zur toxischen Enzephalopathie, insbesondere zur Schweregradeinteilung, der Verlaufskontrolle nach Expositionsende, der Einführung eines neurotoxischen Schwellenwertes sowie zur Langzeitspeicherung von Lösemitteln im Fettgewebe, gemacht, es fehlt jedoch insoweit - wie sowohl die Beklagte als auch das Sozialgericht zutreffend festgestellt haben - an der konkreten Umsetzung im vorliegenden Fall. So ist Prof. Dr. H beispielsweise davon ausgegangen, dass der Kläger "lediglich" 1960 bis 1962 einer ausreichenden Exposition gegenüber toxischen Stoffen ausgesetzt war, er hat dann aber nicht diskutiert, warum der Kläger selbst erst 1994/1995 Veränderungen bemerkt haben will, die auf eine toxische Enzephalopathie hindeuten könnten. Selbst wenn man mit Prof. Dr. H davon ausgeht, dass sich eine Enzephalopathie nach Expositionsende nicht zurückbilden muss oder sich sogar weiter verschlimmern kann und der Kläger erste Veränderungen vielleicht noch nicht wahrgenommen hat, hätte es vorliegend Anlass gegeben zwischen der relativ kurzen Zeitspanne von zwei Jahren der Exposition und der relativ langen Zeitspanne von mehr als 30 Jahren bis zum erstmaligen Auftreten von (fraglichen) Symptomen konkrete Ausführungen zu machen. Allein der Hinweis auf verschiedene, sich teilweise widersprechende Veröffentlichungen zu diesen Themenbereichen, mag zwar wissenschaftlich fundiert erscheinen, überzeugt jedoch im konkreten Fall nicht.

Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, denn er weist die Berufung aus den sehr ausführlich dargestellten, alle rechtlichen Aspekte diskutierenden und die maßgeblichen Entscheidungen des Bundessozialgerichts nennenden und beachtenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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