Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
35
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 SB 152/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 08.01.2009 und des Widerspruchsbe- scheides vom 05.06.2009 verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von insgesamt 737,80 Euro zu zahlen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Berufung und die Revision werden zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe von Anwaltskosten im Widerspruchsverfahren.
Mit Bescheid vom 04.04.2008 stellte die Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 30 wegen der Behinderung "Epilepsie, Migräne" fest.
Hiergegen legte der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch ein mit dem er darauf hinwies, die Behinderung "Epilepsie" sei nicht ausreichend gewürdigt worden. Die Klägerin leide an Grand-mal-Anfällen. Seinem Widerspruch fügte der Bevollmächtigte eine ärztliche Bescheinigung von F vom 15.04.2008 bei. In der Bescheinigung wird ausgeführt, die Klägerin habe im letzten Jahr drei Grand-mal-Anfälle und mehrere kleine Krampfanfälle erlitten.
Der Sachbearbeiter der Beklagten legte die Akte daraufhin der Regierungsmedizinalrätin S zur Prüfung vor. Diese vermerkte in der Akte, das hereingereichte Attest reiche nicht aus, da es sich um ein hausärztliches Attest handele. Es solle ein Bericht über eine ambulante Behandlung durch I angefordert werden. Nach Eingang dieses Berichtes verfügte die Beklagte eine amtsärztliche Begutachtung der Klägerin.
Mit Abhilfebescheid vom 14.11.2008 stellte die Beklagte bei der Klägerin wegen eines "cerebralen Anfallsleidens mit komplex fokalen Anfällen" und einer "Migräne" einen GdB von 60 fest.
Unter dem 07.01.2009 reichte der Bevollmächtigte der Klägerin folgende Kostenrechnung bei der Beklagten ein:
außergerichtliche Vertretung Geschäftsgebühr RVG-VV Nr. 2400 (Tätigkeit umfangreich/schwierig) 280,00 EUR Erledigungsgebühr RVG-VV Nr. 1002, 1005 320,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Summe 620,00 EUR 19,00 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 117,80 EUR Rechnungsbetrag 737,80 EUR
Mit Bescheid vom 08.01.2009 bewilligte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten folgende Kosten:
Geschäftsgebühr nach RVG-Nr. 2400 280,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Summe 300,00 EUR 19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 57,00 EUR Gesamt 357,00 EUR
Hiergegen legte der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch ein mit dem er darauf hinwies, das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 02.10.2008 für den hier vorliegenden Fall eine zusätzliche Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1002, 1005 RVG VV für angemessen erachtet.
Mit Bescheid vom 05.06.2009 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch als sachlich unbegründet zurück. Sie führte aus, die Vorlage der Bescheinigung sei nicht ursächlich für die Abhilfe gewesen.
Hiergegen richtet die am 12. Juni 2009 bei Gericht eingegangene Klage, mit der der Bevollmächtigte der Klägerin seine Rechtsauffassung wiederholt und vertieft.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 05.06.2009 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung eines Gesamtbetrages in Höhe von 737,80 Euro an Rechtsanwaltskosten zu verpflichten,
hilfsweise,
Berufung und Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, denn die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig.
Die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter haben Anspruch auf eine Kostenerstattung in beantragter Höhe. Insbesondere steht dem Bevollmächtigten der Klägerin eine Erledigungsgebühr zu.
Die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten der Rechtsanwälte bemisst sich seit dem 01.07.2004 nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG -. Die Höhe der Vergütung bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG nach der VV der Anlage 1 zum RVG. Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG kommt bei einer "Einigung oder Erledigung" in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen in gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, in Betracht. Ginge es um ein gerichtliches Verfahren, entstünden nach § 3 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren.
Nach den amtlichen Erläuterungen zu Nr. 1002 Satz 1 VV RVG setzt diese Vorschrift voraus, dass sich die Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. z.B. Urteil vom 22.10.2008, Az.: B 9/9a SB 5/07 R www. sozialgerichtsbarkeit.de) reicht es zur Erlangung der Gebühr aus, wenn der Bevollmächtigte unaufgefordert neue Beweismittel beibringt und diese Beweismittel ursächlich für die (unstreitige) Erledigung des Vorverfahrens sind (siehe auch BSG, Urteile vom 07.11.2006, Az.: B 1 KR 23/06 R; B 1 KR 22/06 R; B 1 KR 13/06 R; Urteile vom 2.10.2008, Az.:B 9/9a SB 3/07 R und B 9/9a SB 5/07 R)
Das BSG hat in diesen Urteilen nicht näher erläutert, in welchen Fällen es von für die Erledigung des Rechtsstreits von einer ursächlichen Mitwirkung des Anwalts ausgeht.
Vorliegend war - jedenfalls aus Sicht der Beklagten - ursächlich für die Erledigung des Rechtsstreits die amtliche Begutachtung der Klägerin, denn erst diese hat - aus Sicht der Beklagten - belegt, dass der Klägerin ein GdB von 60 zuzuerkennen ist. Allerdings geht die Kammer davon aus, dass die hereingereichte Bescheinigung von F ursächlich dafür war, dass die Beklagte weitere Ermittlungen von Amts wegen angestrengt hat. Ohne Hereinreichung der vorgenannten Bescheinigung wäre der Widerspruch wohl - ohne weitere Ermittlungen - als unbegründet zurückgewiesen worden.
In Konkretisierung der o. g. Rechtsprechung des BSG, geht die Kammer davon aus, dass es zur Erlangung der Gebühr nach der VV 1002 nicht erforderlich ist, dass das beigebrachte Beweismittel alleine und unmittelbar zur Erledigung des Rechtsstreits geführt hat. Es reicht vielmehr aus, wenn das neu beigebrachte Beweismittel mitursächlich - im Sinne eines Anstoßes für weitere Ermittlungen von Amts wegen - für die Erledigung des Verfahrens war, denn andernfalls hätte es die Behörde in der Hand, das Entstehen der hier streitigen Gebühr durch weitere (gegef. unnötige) Ermittlungen auszuhebeln.
Die somit ausreichende Mitursächlichkeit ist vorliegend gegeben. Nur weil der Bevollmächtigte der Klägerin die ärztliche Bescheinigung von F vom 15.04.2008 vorgelegt hat, hat sich die Beklagte veranlasst gesehen, einen weiteren Bericht von I anzufordern und die Klägerin anschließend amtsärztlich begutachten zu lassen.
Die Beklagte hat die Höhe der Gebühr nach der VV 1002 nicht in Zweifel gezogen. Das Gericht hält die Gebühr - nach eigener Prüfung - für angemessen.
Die Kammer hat die Berufung und die Revision zugelassen, weil die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts den vorliegenden Fall nicht vollständig abhandelt. Insoweit ist eine weitere höchstrichterliche Klärung erforderlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe von Anwaltskosten im Widerspruchsverfahren.
Mit Bescheid vom 04.04.2008 stellte die Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 30 wegen der Behinderung "Epilepsie, Migräne" fest.
Hiergegen legte der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch ein mit dem er darauf hinwies, die Behinderung "Epilepsie" sei nicht ausreichend gewürdigt worden. Die Klägerin leide an Grand-mal-Anfällen. Seinem Widerspruch fügte der Bevollmächtigte eine ärztliche Bescheinigung von F vom 15.04.2008 bei. In der Bescheinigung wird ausgeführt, die Klägerin habe im letzten Jahr drei Grand-mal-Anfälle und mehrere kleine Krampfanfälle erlitten.
Der Sachbearbeiter der Beklagten legte die Akte daraufhin der Regierungsmedizinalrätin S zur Prüfung vor. Diese vermerkte in der Akte, das hereingereichte Attest reiche nicht aus, da es sich um ein hausärztliches Attest handele. Es solle ein Bericht über eine ambulante Behandlung durch I angefordert werden. Nach Eingang dieses Berichtes verfügte die Beklagte eine amtsärztliche Begutachtung der Klägerin.
Mit Abhilfebescheid vom 14.11.2008 stellte die Beklagte bei der Klägerin wegen eines "cerebralen Anfallsleidens mit komplex fokalen Anfällen" und einer "Migräne" einen GdB von 60 fest.
Unter dem 07.01.2009 reichte der Bevollmächtigte der Klägerin folgende Kostenrechnung bei der Beklagten ein:
außergerichtliche Vertretung Geschäftsgebühr RVG-VV Nr. 2400 (Tätigkeit umfangreich/schwierig) 280,00 EUR Erledigungsgebühr RVG-VV Nr. 1002, 1005 320,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Summe 620,00 EUR 19,00 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 117,80 EUR Rechnungsbetrag 737,80 EUR
Mit Bescheid vom 08.01.2009 bewilligte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten folgende Kosten:
Geschäftsgebühr nach RVG-Nr. 2400 280,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Summe 300,00 EUR 19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 57,00 EUR Gesamt 357,00 EUR
Hiergegen legte der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch ein mit dem er darauf hinwies, das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 02.10.2008 für den hier vorliegenden Fall eine zusätzliche Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1002, 1005 RVG VV für angemessen erachtet.
Mit Bescheid vom 05.06.2009 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch als sachlich unbegründet zurück. Sie führte aus, die Vorlage der Bescheinigung sei nicht ursächlich für die Abhilfe gewesen.
Hiergegen richtet die am 12. Juni 2009 bei Gericht eingegangene Klage, mit der der Bevollmächtigte der Klägerin seine Rechtsauffassung wiederholt und vertieft.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 05.06.2009 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung eines Gesamtbetrages in Höhe von 737,80 Euro an Rechtsanwaltskosten zu verpflichten,
hilfsweise,
Berufung und Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, denn die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig.
Die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter haben Anspruch auf eine Kostenerstattung in beantragter Höhe. Insbesondere steht dem Bevollmächtigten der Klägerin eine Erledigungsgebühr zu.
Die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten der Rechtsanwälte bemisst sich seit dem 01.07.2004 nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG -. Die Höhe der Vergütung bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG nach der VV der Anlage 1 zum RVG. Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG kommt bei einer "Einigung oder Erledigung" in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen in gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, in Betracht. Ginge es um ein gerichtliches Verfahren, entstünden nach § 3 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren.
Nach den amtlichen Erläuterungen zu Nr. 1002 Satz 1 VV RVG setzt diese Vorschrift voraus, dass sich die Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. z.B. Urteil vom 22.10.2008, Az.: B 9/9a SB 5/07 R www. sozialgerichtsbarkeit.de) reicht es zur Erlangung der Gebühr aus, wenn der Bevollmächtigte unaufgefordert neue Beweismittel beibringt und diese Beweismittel ursächlich für die (unstreitige) Erledigung des Vorverfahrens sind (siehe auch BSG, Urteile vom 07.11.2006, Az.: B 1 KR 23/06 R; B 1 KR 22/06 R; B 1 KR 13/06 R; Urteile vom 2.10.2008, Az.:B 9/9a SB 3/07 R und B 9/9a SB 5/07 R)
Das BSG hat in diesen Urteilen nicht näher erläutert, in welchen Fällen es von für die Erledigung des Rechtsstreits von einer ursächlichen Mitwirkung des Anwalts ausgeht.
Vorliegend war - jedenfalls aus Sicht der Beklagten - ursächlich für die Erledigung des Rechtsstreits die amtliche Begutachtung der Klägerin, denn erst diese hat - aus Sicht der Beklagten - belegt, dass der Klägerin ein GdB von 60 zuzuerkennen ist. Allerdings geht die Kammer davon aus, dass die hereingereichte Bescheinigung von F ursächlich dafür war, dass die Beklagte weitere Ermittlungen von Amts wegen angestrengt hat. Ohne Hereinreichung der vorgenannten Bescheinigung wäre der Widerspruch wohl - ohne weitere Ermittlungen - als unbegründet zurückgewiesen worden.
In Konkretisierung der o. g. Rechtsprechung des BSG, geht die Kammer davon aus, dass es zur Erlangung der Gebühr nach der VV 1002 nicht erforderlich ist, dass das beigebrachte Beweismittel alleine und unmittelbar zur Erledigung des Rechtsstreits geführt hat. Es reicht vielmehr aus, wenn das neu beigebrachte Beweismittel mitursächlich - im Sinne eines Anstoßes für weitere Ermittlungen von Amts wegen - für die Erledigung des Verfahrens war, denn andernfalls hätte es die Behörde in der Hand, das Entstehen der hier streitigen Gebühr durch weitere (gegef. unnötige) Ermittlungen auszuhebeln.
Die somit ausreichende Mitursächlichkeit ist vorliegend gegeben. Nur weil der Bevollmächtigte der Klägerin die ärztliche Bescheinigung von F vom 15.04.2008 vorgelegt hat, hat sich die Beklagte veranlasst gesehen, einen weiteren Bericht von I anzufordern und die Klägerin anschließend amtsärztlich begutachten zu lassen.
Die Beklagte hat die Höhe der Gebühr nach der VV 1002 nicht in Zweifel gezogen. Das Gericht hält die Gebühr - nach eigener Prüfung - für angemessen.
Die Kammer hat die Berufung und die Revision zugelassen, weil die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts den vorliegenden Fall nicht vollständig abhandelt. Insoweit ist eine weitere höchstrichterliche Klärung erforderlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
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