L 3 SB 673/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 95/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 673/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 05. Februar 2009 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Eigenschaft als Schwerbehinderte.

Die 1947 geborene Klägerin stellte am 16.10.2006 beim Beklagten den Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Hierzu legte sie die Berichte der C. B. über die Im-plantation einer Knie-TEP rechts während der stationären Behandlung vom 07.08. bis 22.08.2006 sowie der M. H. über eine Anschlussheilbehandlung vom 22.08. bis 16.09.2006 vor. In Auswertung dieser Berichte gelangte der Prüfarzt des Beklagten in der gutachtlichen Stel-lungnahme vom 12.12.2006 zu der Beurteilung, für die Kniegelenksendoprothese rechts sei ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 und für die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule ein GdB von 10 festzusetzen. Eine Fibromyalgie bedinge keinen GdB von mindestens 10. Der Ge-samt-GdB betrage 30.

Mit Bescheid vom 18.12.2006 stellte der Beklagte einen GdB von 30 ab 16.10.2006 fest.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch unter Vorlage eines Arztbriefes des Chefarztes der Klinik T. Dr. W. vom 25.04.2007 ein. Dieser nannte darin die Diagnose einer Restgonalgie nach Knie-TEP re. und führte weiter aus, die Klägerin könne etwa eine Stunde gehen, dann werde ihr Knie schmerzhaft.

Der Beklagte zog weitere Unterlagen von dem behandelnden Arzt Dr. S. bei, u.a. einen Bericht der C. vom 05.06.2007, wonach eine Einschränkung der Beugefähigkeit des rechten Knie-gelenkes postoperativ mit einem Bewegungsausmaß von 0-0-90 Grad bestehe. Die Patientin zei-ge ein klares Gangbild ohne Zeichen eines Schonhinkens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.12.2007 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 10.01.2008 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, das Fibromyalgiesyndrom sei mit einem Teil-GdB von mindes-tens 10 zu berücksichtigen. Hierzu hat sie Arztbriefe des Orthopäden Dr. Neusser vom 11.04.2008 und der Neurologin Dr. Burr-Lamparter vom 16.04.2008 mit den Diagnosen Patella-dysbalance bei Knie-TEP rechts, drittgradige mediale und retropatellare Gonarthrose links, linksseitiges Carpaltunnelsyndrom sowie Cervikalsyndrom bei fortgeschrittener Spondylarthrose C4 bis C6 vorgelegt. Der als sachverständiger Zeuge gehörte Facharzt für Innere Medizin Dr. S. hat unter dem 15.07.2008 die Diagnosen einer persistierenden Gonalgie des rechten Kniegelenks bei Zustand nach TEP mit Beugehemmung, eines Cervikalsyndroms bei fortgeschrittener Spondylarthrose C4/C6 und C6/C7, rezidivierender Lumbalgien, eines Carpaltunnelsyndroms rechts, eines generalisierten Schmerzsyndroms bei Fibromyalgie sowie eines psycho-physischen Erschöpfungszustands genannt. Die Behinderungen der Kläger lägen fast ausschließlich im Be-reich der Bewegungsorgane, so dass hierzu ein Orthopäde Stellung beziehen müsse.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.10.2008 ist Dr. W. nach Auswertung der vorgelegten medizinischen Unterlagen zu der Beurteilung gelangt, für sämtliche Funktionsein-schränkungen der Kniegelenke sei ein Teil-GdB von 40 anzuerkennen. Ein Vergleichsangebot des Beklagten, den GdB ab 16.10.2006 mit 40 festzustellen, hat die Klägerin abgelehnt.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2009 hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 18.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2007 abgeändert und den Beklagten verurteilt, den Grad der Behinderung der Klägerin ab 16.10.2006 mit 40 festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es schließe sich den Aus-führungen des Prüfarztes Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.10.2008 an, wonach für die Kniegelenksendoprothese und die Kniegelenksbeschwerden links ein Teil-GdB von 40 festzustellen sei. Anhaltspunkte für die Erhöhung des bisher für das Wirbelsäulenleiden berücksichtigten Teil-GdB von 10 lägen nicht vor. Auch für das von Dr. S. mitgeteilte generalisierte Schmerzsyndrom bei Fibromyalgie und den psycho-physischen Erschöpfungszustand könne ein Teil-GdB von wenigstens 10 nicht festgestellt werden, denn es lägen keine Angaben über Funktionseinschränkungen bzw. eine diesbezügliche Behandlung vor.

Gegen das am 21.01.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.02.2009 Berufung eingelegt, ohne diese zu begründen.

Mit Ausführungsbescheid vom 05.02.2009 hat der Beklagte den GdB der Klägerin ab 16.10.2007 mit 40 festgestellt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 20. Januar 2009 abzuändern und den Beklagten unter weiterer Abänderung des Bescheides vom 18. Dezember 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Dezember 2007 und des Bescheides vom 05. Februar 2009 zu verurteilen, den Grad der Behinderung mit wenigstens 50 ab dem 16. Oktober 2006 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 05. Februar 2009 abzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständ-nis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid die Beklagte zutreffend zur Feststellung eines GdB von 40 ab dem 16.10.2006 verurteilt. Die Kläge-rin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB.

Gemäß § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer Behinderung fest. Behindert sind Menschen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX dann, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand ab-weicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Aus-wirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Liegen dabei mehrere Beein-trächtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Als schwerbehinderter Mensch ist anzuerkennen, wer die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines GdB von wenigstens 50 erfüllt und seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungs-bereich des SGB IX hat.

Maßgeblich für die Beurteilung des GdB ist die zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), welche die im Wesentlichen gleichlautenden An-haltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ersetzt haben.

Der Senat macht sich - wie bereits das SG - die Beurteilung durch Dr. W. in der versorgungsärzt-lichen Stellungnahme vom 21.10.2008 zu eigen. Nach Teil B Nr. 18.14 VMG (Schäden der unte-ren Gliedmaßen) bedingen einseitige Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk stärkeren Gra-des einen GdB von 30. Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke mit anhaltenden Reizer-scheinungen mit Bewegungseinschränken sind mit einem GdB von 20 - 40 zu bewerten. In An-wendung dieser Maßstäbe ist die nicht ganz zufriedenstellende Funktion der Kniegelenksendo-prothese rechts bei weiterhin bestehenden Kniegelenksbeschwerden links mit einem Teil-GdB von 40 für sämtliche Funktionseinschränkungen der Kniegelenke zutreffend bewertet.

Das Carpaltunnelsyndrom links bedingt keinen messbaren GdB mehr, nachdem am 21.08.2008 eine zufriedenstellende Operation stattgefunden hat. Auch das Wirbelsäulenleiden im Bereich der Halswirbelsäule ist mit einem Teil-GdB von 10 ausreichend und zutreffend bewertet. Nach Teil B Nr. 18.9 VMG (Wirbelsäulenschäden) bedingen Wirbelsäulenschäden mit geringen funk-tionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungsein-schränkungen oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) einen GdB von 10. Ein GdB von 20 setzt dagegen Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) voraus. Entsprechende Auswirkungen liegen bei der Klägerin nicht vor.

Es liegt auch kein generalisiertes Schmerzsyndrom bei Fibromyalgie und psycho-physischem Erschöpfungszustand vor, das einen Teil-GdB von mehr als 10 rechtfertigen könnte. Dr. S. hat diese Diagnose zwar in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 15.07.2008 genannt. Er hat jedoch gleichzeitig ausgeführt, die Behinderungen der Klägerin lägen fast ausschließlich im Be-reich der Bewegungsorgane. Eine aktuelle Behandlung der Klägerin wegen des Fibromyalgiesyndroms hat er nicht angegeben. In den von ihm im Klageverfahren vorgelegten Arztunterlagen werden allein in einem Arztbrief der Ärztin für Innere Medizin Dr. F. vom 25.10.2002 die Diagnosen eines Fibromyalgiesyndroms und eines psycho-physischen Er-schöpfungszustandes genannt. Zwar wird auch im Arztbrief der C. vom 22.08.2006 und dem Entlassungsbericht der M. vom 18.09.2006 als Nebendiagnose eine Fibromyalgie genannt. Letzterem können jedoch keine Anhaltspunkte für eine relevante Beeinträchtigung der Klägerin entnommen werden, vielmehr war die Psyche unauffällig und es bestand keine Notwendigkeit einer psychosomatischen oder psychosozialen Diagnostik.

Der Gesamt-GdB ist damit mit 40 zutreffend festgestellt. Nach Teil A Nr. 3 a) der VMG dürfen bei dessen Ermittlung die einzelnen Werte der jeweiligen Funktionsbeeinträchtigungen nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB un-geeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der Ge-samtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und in-wieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funkti-onsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen dabei zusätz-liche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesund-heitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit ei-nem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Aus-maßes der Behinderung zu schließen. Die HWS-Beschwerden und das generalisierte Schmerz-syndrom, die einen Teil-GdB von jeweils 10 bedingen, führen deshalb nicht zu einer Erhöhung des für die Funktionseinschränkung der Kniegelenke anzusetzenden GdB von 40.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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