S 6 P 202/09 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 6 P 202/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegner werden im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens (Az.: S 6 P 193/09 SG Münster) die Veröffentlichung des vorläufigen Transparenzberichts vom 09. November 2009 - im Internet oder in sonstiger Weise - zu unterlassen. Die Antragstellerin ist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens nicht verpflichtet, eine Zusammenfassung der Qualitätsprüfung vom 28. Juli 2009 in der Pflegeeinrichtung auszuhängen. Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I. In dem gemäß § 72 des Sozialgesetzbuches - Elftes Buch - (SGB XI) durch Versorgungsvertrag zugelassenen Alten- und Pflegeheim der Antragstellerin führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) am 28. Juli 2009 eine Qualitätsprüfung (Regelprüfung) nach den §§ 114 ff SGB XI durch.

Der vom MDK erstattete Prüfbericht enthält u.a. einen umfassenden Katalog von "Empfehlungen zur Beseitigung von Qualitätsdefiziten". Die Antragsgegner übersandten mit Schreiben vom 10. August 2009 der Antragstellerin diesen Prüfbericht und kündigten an, mit einem Bescheid gemäß § 115 Abs. 2 SGB XI der Antragstellerin aufzugeben, die vom MDK aufgelisteten Mängel zu beseitigen. Zur Abgabe einer Stellungnahme wurde eine Frist bis zum 14. September 2009 eingeräumt.

In einer ausführlichen, eingehenden Stellungnahme vom 11. September 2009 erhob die - bei der Prüfung nicht anwesend gewesene - Heim- und Pflegedienstleitung der Antragstellerin unter Vorlage von Unterlagen (u.a. eines aktuellen Berichts der kommunalen Heimaufsicht) konkrete Einwendungen gegen die im Prüfbericht aufgezeigten Mängel. Die Feststellungen der Prüfer seien weitgehend unzutreffend.

Durch den Bescheid vom 26. Oktober 2009 gaben die Antragsgegner sodann der Antragstellerin auf, die vom MDK vorgeschlagenen Maßnahmen zur Beseitigung von Qualitätsdefiziten zu treffen. Hiergegen richtet sich die am 25. November 2009 beim Sozialgericht Münster erhobene Klage (Az.: S 6 P 193/09) und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vom 02. Dezember 2009 (Az.: S 6 P 201/09 ER), mit dem die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage begehrt.

Am 09. November 2009 übersandten die Antragsgegner der Antragstellerin per Internet mit einem Erkennungscode einen vorläufigen Transparenzbericht, der auf der Grundlage des Prüfberichts vom 28. Juli 2009 erstellt worden war. Der Transparenzbericht weist als rechnerisches Gesamtergebnis aus 64 Einzelnoten die Note "ausreichend" (3,8) aus. Der Qualitätsbereich "Pflege und medizinische Versorgung" erhielt die Gesamtnote "mangelhaft" (4,7). Der Bereich "Umgang mit demenzkranken Bewohnern" wurde mit "ausreichend" (3,9) bewertet. Im Bereich "Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung" wurde die Einrichtung mit "befriedigend" (3,4) beurteilt. Ein "sehr gut" (1,4) gab es für den Qualitätsbereich "Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene". Als Ergebnis der Befragung der Bewohner, das nicht in das Gesamtergebnis einfließt, wurde die Note "gut" (1,6) angegeben.

Am 02. Dezember 2009 stellte die Antragstellerin den hier streitigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der den Antragsgegnern die Unterlassung der Veröffentlichung des Transparenzberichts aufgegeben werden soll. Nach dem von den Antragsgegnern geübten Verfahren sei mit einer Veröffentlichung des Berichts 28 Kalendertage nach seiner Übersendung an die Einrichtung - mithin im Falle der Antragstellerin am 07. Dezember 2009 - zu rechnen. Der Transparenzbericht beruhe auf einem formell und materiell rechtswidrigen Maßnahmebescheid. Der diesem Bescheid zugrunde liegende Prüfbericht sei unzutreffend. Der Transparenzbericht zeige, dass vorrangig die Dokumentation und nicht die Erbringung der Pflegeleistungen honoriert werde. Eine objektive Benotung sei im Übrigen gar nicht möglich. Ohne Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes drohten der Antragstellerin schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Bei einer Veröffentlichung des Transparenzberichts würde der Ruf der Pflegeeinrichtung erheblich beeinträchtigt. Durch den zu befürchtenden Rückgang ihrer Belegungszahl würde ein schwerer wirtschaftlicher Schaden entstehen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

1.den Antragsgegnern jedenfalls bis zur Enscheidung des Gerichts im Klageverfahren (Az.: S 6 P 193/09) zu untersagen, den Transparenzbericht vom 09. November 2009 im Internet oder auf anderem Wege zu veröffentlichen, 2.festzustellen, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet sei, das Ergebnis des Transparenzberichts in ihrer Einrichtung auszuhängen.

Die Antragsgegner beantragen,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie tragen vor, es bestehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dem Gesetzeszweck entsprechend sei der Transparenzbericht auf der Grundlage der Qualitätsprüfung durch den MDK zeitnah zu veröffentlichen. Die Pflegeeinrichtungen hätten die Möglichkeit, innerhalb der 28-Tage-Frist nach Bekanntgabe des vorläufigen Berichts eine Stellungnahme abzugeben, die dem veröffentlichten Transparenzbericht angefügt werde. Dieser Bericht stelle eine Widerspiegelung einer Momentaufnahme der Pflegeeinrichtung für den Tag der Qualitätsprüfung dar. Deshalb komme es auch nicht darauf an, ob die festgestellten Mängel zwischenzeitlich beseitigt worden seien. Auch müssten die Unstimmigkeiten zwischen der Einrichtung und den Landesverbänden nicht geklärt werden, bevor Pflegenoten veröffentlicht würden. Die von der Antragstellerin vorgebrachten Argumente könnten im Klageverfahren überprüft werden. Ein ggfs. für sie positives Ergebnis wäre zu berücksichtigen und könnte seinen Niederschlag in einem aktualisierten Transparenzbericht finden. Zu Recht habe das Sozialgericht Bayreuth in seinem Beschluss vom 11. Januar 2010 (Az.: S 1 P 147/09 ER) dargelegt, dass das von den Antragsgegnern geübte Verfahren keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 12 des Grundgesetzes (GG) liege nicht vor, weil der Gesetzgeber das Recht habe, die Freiheit der Berufsausübung einschränkende gesetzliche Regelungen zu treffen. Dies sei durch die Vorschrift des § 115 Abs. 1 a SGB XI geschehen. Die Veröffentlichung der Transparenzberichte sei durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig. Dem Sozialgericht Bayreuth sei - so die Antragsgegner - auch darin zuzustimmen, dass die mit der Veröffentlichung der Prüfergebnisse verbundenen Auswirkungen auf den Gewerbebetrieb nicht überschätzt werden dürften. Niemand würde bei der Wahl einer Pflegeeinrichtung sich mit einem Blick auf die Veröffentlichung begnügen. Vielmehr würden auch andere Kriterien (wie Preis, örtliche Nähe etc.) einbezogen werden. Im Übrigen verweisen die Antragsgegner auf weitere aktuelle Entscheidungen von Sozialgerichten, die Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Veröffentlichung von Transparenzberichten zurückgewiesen haben (SG Dresden, Beschluss vom 22.12.2009, S 16 P 173/09 ER; SG Regensburg, Beschluss vom 04.01.2010, S 2 P 112/09 ER; SG Dortmund, Beschluss vom 11.01.2010, S 39 P 279/09 ER).

Auf eine telefonische Anregung des Vorsitzenden der Kammer am 03. Dezember 2009 haben die Antragsgegner zugesagt, von der für den 07. Dezember 2009 vorgesehenen Veröffentlichung des Transparenzberichts bis zu einer Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag abzusehen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens, die Verwaltungsakten sowie auf die Streitakten der Verfahren S 6 P 193/09 und S 6 P 201/09 ER verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Die Statthaftigkeit des Antrags folgt aus § 86 b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, soweit kein Fall nach § 86 b Abs. 1 SGG vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Einstweiliger Rechtsschutz ist vorliegend nicht durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gemäß § 86 b Abs. 1 SGG zu gewährleisten, weil es sich bei der Veröffentlichung des Transparenzberichts nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Ihr fehlt der Regelungscharakter des § 31 SGB X. Die Veröffentlichung erfolgt ohne Setzung eines eigenen Rechtsaktes unmittelbar auf der Grundlage des Gesetzes als sogenannter Realakt. Geht es - wie hier - um die vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustandes gegen einen Eingriff durch schlichtes Verwaltungshandeln, ist der Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG der statthafte Rechtsbehelf.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Dabei genügt es nach der gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 920 der Zivilprozessordnung, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind. Ein Anordnungsanspruch liegt bei der - hier begehrten - Sicherungsanordnung vor, wenn der Antragsteller das Bestehen einer zu sichernden Rechtsposition glaubhaft macht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG 9. Aufl. 2008 § 86 b Rdnr. 25 a). Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass die unmittelbar bevorstehende Gefahr einer Rechtsvereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustands droht (vgl. Keller, § 86 b Rdnr. 27 a).

Am Vorliegen eines Anordnungsgrundes bestehen nach Auffassung der Kammer keine Zweifel. Die zur Zeit der Antragstellung unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung des umstrittenen Transparenzberichts, der als Gesamtergebnis nur die Note "ausreichend" und für den Qualitätsbereich "Pflege und medizinische Versorgung" sogar die Note "mangelhaft" ausweist, würde fraglos zu einem Reputationsschaden der Einrichtung der Antragstellerin führen. Ihre Befürchtung, dass im Falle einer Veröffentlichung erhebliche Wettbewerbsnachteile entständen, die Belegungszahl stark zurückginge und ein gravierender wirtschaftlicher Schaden einträte, erscheint begründet. Der Antragstellerin steht als Betreiberin einer Pflegeeinrichtung das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) zu. Ihre hieraus folgenden Rechte könnten bei einer rechtswidrigen Veröffentlichung des Transparenzberichts irreversibel verletzt werden.

Ferner ist auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin hat nach Auffassung der Kammer - zumindest vorläufig - einen Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung des Berichts.

Nach der gesetzlichen Regelung (§ 115 Abs. 1 a Satz 1 SGB XI) stellen die Landesverbände der Pflegekassen sicher, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht werden. Die gesetzliche Vorschrift lautet weiter:

"Hierbei sind die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung sowie gleichwertige Prüfergebnisse nach § 114 Abs. 3 und 4 zugrunde zu legen; sie können durch in anderen Prüfverfahren gewonnene Informationen, die die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, darstellen, ergänzt werden. Personenbezogene und personenbeziehbare Daten sind zu anonymisieren. Ergebnisse von Wiederholungsprüfungen sind zeitnah zu berücksichtigen. Das Datum der letzten Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, eine Einordnung des Prüfergebnisses nach einer Bewertungssystematik sowie eine Zusammenfassung der Prüfergebnisse sind an gut sichtbarer Stelle in jeder Pflegeeinrichtung auszuhängen. Die Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik sind durch den Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände bis zum 30. September 2008 unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zu vereinbaren."

Die nach dieser Bestimmung (§ 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI) erforderliche Vereinbarung haben die im Gesetz genannten Vertragspartner unter dem 17. Dezember 2008 geschlossen. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung und ihrer Anlagen wurde der in Rede stehende Transparenzbericht erstellt.

Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung genügt der Bericht jedoch nicht den gesetzlichen Anforderungen. Seine Veröffentlichung würde die Antragstellerin in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit verletzen.

Die gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch der Antragstellerin als juristische Person zustehende Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG gewährt das Recht, den Beruf frei zu wählen und frei auszuüben. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Auch wenn dem Gesetzgeber im Bereich der Berufsausübungsregelungen ein erheblicher Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zusteht, muss nach dem BVerfG jede Beeinträchtigung der Berufsfreiheit geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein (vgl. etwa BVerfGE 106, 181 / 191 f). Speziell zum Problem der Verbreitung marktbezogener Informationen des Staates - um das es auch vorliegend geht - hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 26. Juni 2002 (BVerfGE 105, 252 ff) dargelegt, dass die Veröffentlichung solcher Informationen den grundrechtlichen Gewährleistungsanspruch von betroffenen Wettbewerbern aus Art. 12 GG nur dann nicht beeinträchtigt, wenn bei Vorliegen einer staatlichen Aufgabe insbesondere die Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit der Informationen beachtet würden. Blieben - so das BVerfG - selbst nach sorgsamer Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen des Möglichen Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht, könnte eine Verbreitung der - unsicheren - Informationen zulässig sein, wenn sie im öffentlichen Interesse läge und die Marktteilnehmer auf die verbleibenden Unsicherheiten hingewiesen würden (BVerfG aaO, S. 272).

Eine - verfassungskonforme - Auslegung des § 115 Abs. 1 a SGB XI unter Beachtung der aufgezeigten Maßstäbe des BVerfG kann nach Auffassung der Kammer nur zu dem Ergebnis führen, dass die vom Gesetz vorgesehene Veröffentlichung von Berichten über Qualitätsprüfungen grundsätzlich nur auf der Grundlage zutreffender Tatsachenfeststellungen erfolgen darf. Sind - wie im Falle der Antragstellerin - aufgrund ihres substantiellen Vorbringens gegen die Feststellungen im Prüfbericht erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Prüfergebnisses gerechtfertigt, haben die Antragsgegner die Pflicht, diesen Zweifeln oder - wie sie es nennen - diesen "Unstimmigkeiten" vor der Veröffentlichung etwa durch die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des MDK oder durch eine weitere Qualitätsprüfung nachzugehen. Die gesetzliche Bestimmung des § 115 Abs. 1 a SGB XI erlaubt nicht die Veröffentlichung zweifelhafter Berichte und enthält im Übrigen auch keine Regelung darüber, wann die Transparenzberichte veröffentlicht werden sollen. Eine solche Bestimmung enthalten nur die - untergesetzlichen - Transparenzvereinbarungen vom 17. Dezember 2008 mit ihrer 28-Tage-Regelung. Zwar erscheint eine zeitnahe, für die Antragsgegner mit keinem bürokratischen Aufwand verbundene Veröffentlichung wünschenswert. Ist aber - um die Anforderung des BVerfG wieder aufzunehmen - der Sachverhalt im Rahmen des Möglichen noch nicht sorgsam aufgeklärt, muss solange die Veröffentlichung unterbleiben. Die Kammer verkennt nicht, dass es von großer Bedeutung für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen ist, über Informationen über die in den Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität verfügen zu können. Diesem Verbraucherinteresse und dem Ziel der Qualitätsentwicklung in der Pflege können aber nur "verlässliche Informationen" dienen (vgl. hierzu die Gesetzesbegründung zum Pflege- Weiterentwicklungsgesetz, BT-Drucks. 16/7439, S. 217).

Die Auswirkungen der Veröffentlichung von Transparenzberichten dürfen auch nicht bagatellisiert werden. Auch wenn der veröffentlichte Transparenzbericht für die "Verbraucher" nicht die einzige Entscheidungsgrundlage für die Auswahl einer Pflegeeinrichtung sein wird, dürften die Marktchancen einer Einrichtung, die - wie hier die der Antragstellerin - in wesentlicher Hinsicht, nämlich im Qualitätsbereich "Pflege und Medizinische Versorgung", mit "mangelhaft" bewertet worden ist, einen dauerhaften Schaden erleiden, der auch durch eine spätere Korrektur, wie sie die Antragsgegner für den Fall, dass sich die Fehlerhaftigkeit der Bewertung herausstellen sollte, in Aussicht stellen, nicht wieder gutzumachen sein dürfte.

Abgesehen davon, dass die Veröffentlichung des Transparenzberichts vom 08. November 2009 mithin schon deshalb vorläufig zu unterbleiben hat, weil eine hinreichend sichere Tatsachenfeststellung nicht gegeben ist, dürfte nach Auffassung der Kammer der umstrittene Bericht auch noch aus anderen Erwägungen den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechen. Denn das Gesetz hebt im § 115 Abs. 1 a Satz 1 SGB XI besonders hervor, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität "insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualtität" veröffentlicht werden sollen. Diesem Anspruch dürften die auf der Grundlage der Transparenzvereinbarung vom 17. Dezember 2008 und ihrer Anlage 3 ("Ausfüllanleitungen für die Prüfer") erstellten Transparenzberichte nicht genügen.

Im Unterschied zur Strukturqualität, bei der es um die technischen und personellen Rahmenbedingungen von Pflege geht, und im Unterschied zur Prozessqualität, die den Pflege- und Versorgungsablauf und ihre Dokumentation betrifft, bezieht sich die Ergebnis- und Lebensqualität auf das erreichte Ergebnis der geleisteten Pflege. Auch wenn einzuräumen ist, dass zwischen den genannten Qualitätsebenen eine Wechselwirkung besteht und dass die vom MDK angewandten Prüfkriterien zum Teil auch auf die Erfassung von Ergebnis- und Lebensqualität zielen (etwa im Qualitätsbereich "Umgang mit demenzkranken Bewohnern"), so erscheint dennoch die von vielen Einrichtungen in ihren Kommentaren zu den bereits veröffentlichten Transparenzberichten geäußerte Kritik, vom MDK würden primär Dokumentationsdefizite festgestellt, nicht unberechtigt. Auch der Pflege-Selbsthilfeverband e.V. (vgl. seine Stellungnahme auf seiner Homepage www.pflege-shv.de) hat beachtliche Einwendungen gegen das Benotungssystem vorgetragen und zugespitzt festgestellt, dass die Prüfkriterien des MDK die Dokumentationsqualität höher gewichteten als die Pflegequalität.

Bei einer Durchsicht der einzelnen benoteten Kriterien unter Berücksichtigung der "Ausfüllanleitung" für die MDK-Prüfer, lassen sich zahlreiche Beispiele anführen, die diese Kritik als gerechtfertigt erscheinen lassen.

Bereits die erste - zudem besonders nebulös formulierte - Frage des umfassenden Katalogs ("Ist bei Bedarf eine aktive Kommunikation mit dem Arzt nachvollziehbar?") zielt nicht auf die Feststellung, ob erforderlichenfalls Kontakt mit einem Arzt aufgenommen wird, sondern ob dies aus der Pflegedokumentation erkennbar ist. Die zweite Frage - "Entspricht die Durchführung der behandlungspflegerischen Maßnahmen den ärztlichen Anordnungen?" - ist nach den Ausfüllanleitungen (Rdnr. 2 bb) nur mit "Ja" zu beantworten, wenn die Durchführung solcher Maßnahmen fachgerecht und eindeutig dokumentiert wird. Die dritte Frage ("Entspricht die Medikamentenversorgung den ärztlichen Anordnungen?") kann nach den Ausfüllanleitungen (Rdnr. 2 bb) nur bejaht werden, wenn u. a. die "vollständigen Medikamentennamen" dokumentiert werden. Ob die Medikamentenversorgung in der Sache korrekt erfolgt, ist nicht Gegenstand der Prüfung. Diese Aufzählung ließe sich fortführen. Das "Wohlbefinden von Bewohnern mit Demenz" hat nach den Prüfkritierien z.B. nur Relevanz, wenn es "ermittelt und dokumentiert" (Frage Nr. 39) ist. Die Sterbebegleitung erfordert die "Basis eines Konzepts" (Frage Nr. 53).

Die Kammer verkennt nicht, dass der Dokumentation in der Pflege eine große Bedeutung zukommt. So sind etwa die Fragen nach der Dokumentation bei chronischen Wunden oder Dekubitus sicherlich gerechtfertigt. Das Maß, in dem die Pflegeeinrichtungen diesen Anforderungen entsprechen, betrifft allerdings nicht die Ergebnisqualität, auf die es nach dem Gesetz insbesondere ankommen soll, sondern die Prozessqualität. Eine hohe Ergebnisqualität ist z. B. erreicht, wenn eine Pflegeeinrichtung - etwa durch eine Aktivierung und Bewegung seiner Bewohner - es schafft, die Zahl der Bewohner mit Dekubitus zu minimieren.

Zuzugeben ist, dass die Ergebnis- und Lebensqualität schwer zu bemessen und Mängel in der Dokumentation leicht aufzuzeigen sind. Dies kann jedoch ein Bewertungssystem nicht rechtfertigen, das die Einrichtungen nötigt, auf Kosten ihrer eigentlichen Aufgabe noch mehr in die Dokumentation zu investieren.

Bei ihrer Auffassung, dass die auf dem Boden der aktuellen Prüfkriterien des MDK erstellten Transparenzberichte nicht den gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität genügen, kann sich die Kammer auch auf die Transparenzvereinbarung vom 17. Dezember 2008 stützen. In dem dieser Vereinbarung vorangestellten Vorwort heißt es nämlich, dass die Vertragsparteien die Vereinbarung in dem Wissen geschlossen hätten, dass es "derzeit keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung in Deutschland gibt." Deshalb sei die Vereinbarung als vorläuftig zu betrachten. Es bestehe Einvernehmen, diese Vereinbarung anzupassen, sobald "pflegewissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität" vorlägen. Dabei würden die Ergebnisse des vom Bundesministerium für Gesundheit und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend begleiteten "Modellprojekt(s) Messung Ergebnisqualität in der stationären Altenpflege" zu berücksichtigen sein. Mit Ergebnissen sei Ende 2010 zu rechnen.

Solange jedoch "valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität" überhaupt nicht vorliegen, kann es nach Ansicht der Kammer auch keine Prüfberichte geben, die der gesetzlichen Anforderung des § 115 Abs. 1 a Satz 1 SGB XI genügen können, nach der die erbrachten Leistungen der Pflegeeinrichtungen ausdrücklich insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität zu beurteilen sind. Prüfberichte, die diesem Anspruch nicht entsprechen, sind rechtswidrig und verletzen das Grundrecht der Einrichtungsträger aus Art. 12 GG. Die Einrichtungsträger haben deshalb das Recht, die Unterlassung der Veröffentlichung solcher Berichte zu verlangen.

Nach allem musste der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz Erfolg haben und die Antragsgegner verpflichtet werden, bis zum Abschluss des Klageverfahrens die Veröffentlichung des vorläufigen Transparenzberichts im Internet zu unterlassen. Nur zur Klarstellung hat die Kammer auch festgestellt, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, eine Zusammenfassung der Qualitätsprüfung vom 28. Juli 2009 in der Pflegeeinrichtung auszuhängen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Da der bisherige Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, war unter Berücksichtigung der Verfahrensart des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte der Auffangwertes anzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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