Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 39 R 1864/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 30/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Januar 2008 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der Tenor zu 1. wie folgt lautet: "Der Bescheid der Beklagten vom 4. August 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2005 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte bei der Witwenrente der Klägerin auch die kanadische Old Age Security Pension (OAS-Rente) der Klägerin als Einkommen berücksichtigt hat." 2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. 3. Die Revision wird zurückgewiesen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anrechnung einer kanadischen Volksrente – der sogenannten Old Age Security Pension (OAS-Rente) – auf die Witwenrente der Klägerin.
Die 1936 geborene Klägerin, die in Kanada lebt und kanadische Staatsangehörige ist, bezieht seit dem 27. Januar 1998 von der Beklagten eine große Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes H. B ... Jedenfalls seit dem 1. Juli 2002 erhält sie außerdem eine britische Altersrente, eine Alters- und eine Witwenrente aus der gesetzlichen kanadischen Rentenversicherung sowie eine kanadische OAS-Rente.
Die OAS-Rente wird an Menschen vom fünfundsechzigsten Lebensjahr an gewährt, sofern der Betreffende nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres mindestens zehn Jahre – beziehungsweise bei einer Zahlung ins Ausland mindestens zwanzig Jahre – in Kanada gelebt hat. Die Höhe der Leistung richtet sich nach der Zahl der in Kanada gelebten Jahre, wobei der Höchstbetrag nach vierzig Jahren erreicht wird. Eine frühere Berufstätigkeit ist nicht Voraussetzung für die Leistungsgewährung. Die Leistungen sind auch nicht beitrags- sondern ausschließlich steuerfinanziert. Berechtigte, die eine bestimmte Einkommensgrenze unterschreiten, erhalten einen steuerfreien Zuschlag zur OAS-Rente (Guaranteed Income Supplement – GIS), während Berechtigte, die eine bestimmte Einkommensgrenze überschreiten, einen Teil oder die gesamte OAS-Rente über die Einkommenssteuer zurückzahlen müssen.
Nach erfolgter Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 2003 die Rentenbewilligung mit Wirkung ab 1. Juli 2002 wegen Anrechnung der britischen Rente, der kanadischen Altersrente und der OAS-Rente ganz auf und forderte die Erstattung der in der Zeit vom 1. Juli 2002 bis 31. Mai 2003 gezahlten Witwenrente in Höhe von EUR 860,53. Dem hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin gab die Beklagte statt, da die Überzahlung auf einem Verwaltungsverschulden beruhe.
Mit Bescheid vom 4. August 2004 hob die Beklagte die Rentenbewilligung wegen des anzurechnenden Einkommens ab 1. Juli 2002 erneut auf, sah aber wegen des Verwaltungsverschuldens von einer Erstattungsforderung ab. Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch, soweit die OAS-Rente angerechnet worden war, da es sich hierbei nicht um eine berücksichtigungsfähige Leistung im Sinne der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung handele. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2005 als unbegründet zurück. Die kanadische OAS-Rente sei gemäß § 18a Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) als ausländisches Erwerbsersatzeinkommen im Rahmen der Einkommensanrechnung zu berücksichtigen, da eine Vergleichbarkeit mit inländischen Erwerbsersatzeinkommen gegeben sei. Eine völlige Übereinstimmung der ausländischen mit der inländischen Leistung sei nicht zu verlangen.
Mit ihrer dagegen am 22. Juli 2005 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und darauf hingewiesen, dass es sich bei der OAS-Rente um eine steuerfinanzierte Leistung handele. Die Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, dass die OAS-Rente in ihrem Kerngehalt mit der deutschen Altersrente vergleichbar sei, da sie auf einem Versicherungsfall beruhe und damit dem Sicherungszweck des § 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB IV entspreche.
Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 30. Januar 2008 stattgegeben und ausgeführt, die OAS-Rente sei nicht auf die Witwenrente anzurechnen, da es sich nicht um eine vergleichbare ausländische Erwerbsersatzleistung handele. Sie sei eine steuerfinanzierte und nicht beitrags- oder lohnbezogene Altersrente mit einheitlichem Zahlbetrag, die nach Erreichen der Altersgrenze gewährt werde. Begünstigt würden alle Personen, die bestimmte Wohnzeiten in Kanada zurückgelegt hätten, ohne dass eine vorherige Berufstätigkeit vorausgesetzt werde.
Hiergegen hat die Beklagte am 13. Februar 2008 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die OAS-Rente sei ein System der kanadischen gesetzlichen Rentenversicherung, da sie anderenfalls nicht in den Geltungsbereich des deutsch-kanadischen Sozialversicherungsabkommens aufgenommen worden wäre. Sie werde als erste Säule der Altersrentenversicherung angesehen und stelle eine Basisversorgung für den Fall des Alters dar. Da von ihr jeder Bürger Kanadas erfasst werde, sei auch eine öffentlich-rechtliche Pflichtzugehörigkeit gegeben. Sie werde ab dem 65. Lebensjahr monatlich gezahlt und sei daher eine laufend wiederkehrende Leistung aufgrund der Vollendung eines bestimmten Lebensalters, die zur Sicherung des Alterseinkommens diene. Für den Anspruch müssten auch bestimmte versicherungsrechtliche Voraussetzungen, nämlich die Wohnzeiten von mindestens zehn beziehungsweise zwanzig Jahren, erfüllt sein. Dass die OAS-Rente ohne Rücksicht auf weitere Erwerbstätigkeit oder weiteres Einkommen gewährt werde, führe nicht zu einer anderen Beurteilung, da auch die deutsche Regelaltersrente ohne Berücksichtigung derartiger Umstände geleistet werde. Würde man der Argumentation des Sozialgerichts hinsichtlich der fehlenden Lohnersatzfunktion der OAS-Rente folgen, dürften auch deutsche Altersrenten – wie z.B. Altersrenten nur aufgrund von Kindererziehungszeiten oder übertragenen Anwartschaften aus einem Versorgungsausgleich –, denen keine eigene Beitragsleistung zugrunde liegt, nicht anrechenbar sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Januar 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und bleibt bei ihrer Auffassung, dass eine Gleichstellung der OAS-Rente mit einer deutschen Rente nicht in Betracht komme.
Auf Antrag der Beklagten wurde die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts mit Beschluss vom 3. September 2008 ausgesetzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 SGG) Berufung ist unbegründet, da das Sozialgericht zu Recht entschieden hat, dass die kanadische OAS-Rente nicht auf die Witwenrente der Klägerin anzurechnen ist. Die angefochtenen Bescheide sind daher insoweit rechtswidrig. Der Tenor zu 1. war lediglich deshalb neu zu fassen, weil dem Begehren der Klägerin bereits mit einer Teilaufhebung der angefochtenen Bescheide hinreichend Rechnung getragen wird und es darüber hinaus einer Verpflichtung der Beklagten nicht bedurfte.
Als Rechtsgrundlage für die erfolgte Aufhebung der Rentenbewilligung kommt allein § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahrens und Sozialdatenschutz (SGB X). Nach dessen Satz 1 ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Bei Vorliegen der in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X genannten Voraussetzungen soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Durch die Gewährung der kanadischen OAS-Rente ist jedoch keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, denn diese ist nicht auf die der Klägerin gewährte Witwenrente anzurechnen.
Nach § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) wird Einkommen (§§ 18a bis 18e SGB IV) von Berechtigten, das mit einer Witwenrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Bei Renten wegen Todes sind als Einkommen zu berücksichtigen 1. Erwerbseinkommen, 2. Leistungen, die erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen (Erwerbsersatzeinkommen), 3. Vermögenseinkommen und 4. Elterngeld (§ 18a Abs. 1 S. 1 SHB IV). Dies gilt auch für vergleichbare ausländische Einkommen (§ 18a Abs. 1 S. 3 SGB IV). Zu den hier allein in Betracht kommenden Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 18a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI zählen unter anderem Renten der Rentenversicherung wegen Alters oder verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 18a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB VI). Bei der kanadischen OAS-Rente handelt es sich nicht um vergleichbares Erwerbsersatzeinkommen in diesem Sinne.
Die Vergleichbarkeit einer ausländischen Leistung mit einem deutschen Erwerbsersatzeinkommen ist gegeben, wenn die ausländische Leistung in ihrem Kerngehalt den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Erwerbsersatzeinkommen entspricht, d.h. nach Motivation und Funktion gleichwertig ist. Die jeweiligen Leistungen müssen dagegen nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen. Eine ausländische Altersrente muss also zunächst, um vergleichbar in diesem Sinn zu sein, eine Leistung aus einem System gesetzlicher Rentenversicherung sein. Ein ausländisches System sozialer Sicherheit ist dann als gesetzliche Rentenversicherung anzusehen, wenn es auf öffentlich-rechtlicher Pflichtzugehörigkeit beruht, wiederkehrende Leistungen für den Fall der vorzeitigen Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes vorsieht und kein reines Zusatzversorgungssystem darstellt. Darüber hinaus muss es sich bei der ausländischen Altersrente um "Erwerbsersatzeinkommen" handeln, also um eine Leistung, die aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht wird, um Erwerbseinkommen zu ersetzen. Dies sind nur solche Geldleistungen, die aus eigener Versicherung erworben wurden, bei denen ein Versicherungsfall (Alter, Erwerbsminderung) eingetreten ist und die abstrakte Lohnersatzfunktion haben, d.h. die im funktionellen Zusammenhang mit dem früheren Erwerbseinkommen stehen. Davon zu unterscheiden sind beispielsweise die Hinterbliebenenrenten, die nicht an die Stelle von weggefallenem Einkommen treten, sondern Unterhaltsersatzfunktion haben (BSG 6.3.1991 – 13/5 RJ 39/90 – BSGE 68, 184; BSG 6.2.1991 – 13/5 RJ 16/89 – SozR 3-2400 § 18a Nr. 1).
Wie das Sozialgericht zu Recht festgestellt hat, handelt es sich bei der OAS-Rente nicht um eine Leistung aus einem System gesetzlicher Rentenversicherung, denn es fehlt bereits an einer öffentlich-rechtlichen Pflichtzugehörigkeit zum System der OAS. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird diese insbesondere nicht durch den Umstand begründet, dass die Leistung Wohnzeiten in Kanada von mindestens zehn beziehungsweise zwanzig Jahren voraussetzt. Eine öffentlich-rechtliche Pflichtzugehörigkeit zu einem System gesetzlicher Rentenversicherung ist in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Verpflichtung besteht, diesem beizutreten und Beiträge hierfür zu entrichten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Niemand ist gezwungen, die Wohnzeiten in Kanada zurückzulegen oder Beiträge zum OAS-System zu entrichten. Vielmehr handelt es sich um eine ausschließlich steuerfinanzierte Leistung, die grundsätzlich jedem Einwohner ab fünfundsechzig Jahren auf Antrag erbracht wird, wenn er entsprechend lange in Kanada gelebt hat. Im Übrigen gibt es in Kanada neben der OAS-Leistung auch den Canada Pension Plan (CPP), der beitragsabhängig ist, an früheres Einkommen anknüpft und auch Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrenten vorsieht und daher ein klassisches – dem deutschen System vergleichbares – Rentenversicherungssystem darstellt. Auch das Nebeneinander dieser beiden Leistungen spricht dafür, dass die OAS-Rente nicht in das System der gesetzlichen Rentenversicherung gehört, sondern eine hiervon unabhängige staatliche Grundversorgung älterer Menschen darstellt.
Des Weiteren handelt es sich bei der OAS-Rente auch nicht um Erwerbsersatzeinkommen, denn die Leistung steht nicht im Zusammenhang mit früherem Erwerbseinkommen. Sie ist von früheren beruflichen Tätigkeiten oder früher erzielten Erwerbseinkommen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach völlig unabhängig und knüpft lediglich an die Dauer der Wohnzeiten in Kanada an. Diese Wohnzeiten stellen entgegen der Auffassung der Beklagten keine mit dem deutschen Rentensystem vergleichbaren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dar, da sie nicht an die Erwerbsbiographie des Berechtigten anknüpfen. Somit tritt die Leistung nicht an die Stelle von weggefallenem Erwerbseinkommen, sondern stellt vielmehr eine Art Grundsicherungsleistung im Alter dar, die von früheren Beschäftigungszeiten und Einkommensverhältnissen völlig unabhängig ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass es in Deutschland Altersrenten gibt, denen nur Kindererziehungszeiten oder übertragene Anwartschaften aus einem Versorgungsausgleich zugrunde liegen. Diese Renten stellen im deutschen Rentenversicherungssystem eine Ausnahme dar, da grundsätzlich das Zurücklegen von Beitragszeiten Voraussetzung für den Erhalt einer Altersrente ist (§§ 35 Nr. 2, 50, 51 SGB VI) ist und die Rentenhöhe sich vor allem nach der Höhe der durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen richtet (§ 63 SGBVI). Die von der Beklagten genannten Ausnahmetatbestände wurden lediglich aus sozialen Erwägungen eingeführt, um rentenrechtliche Nachteile für den nicht berufstätigen Ehegatten abzumildern, prägen aber nicht das System der gesetzlichen Rentenversicherung als solches.
Schließlich ergibt sich eine andere Beurteilung auch nicht aus dem Umstand, dass die OAS-Rente in den Geltungsbereich des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit vom 14.11.1985 (BGBl. 1988 II, S. 28) aufgenommen wurde (Art. 2 Abs. 1b i des Abkommens). Auch wenn die OAS-Leistung zweifellos einen der beiden Grundpfeiler der kanadischen Alterssicherung darstellt, folgt daraus nicht, dass es sich bei ihr um ein System gesetzlicher Rentenversicherung handelt. Vielmehr werden in dem Sozialversicherungsabkommen die OAS-Rente und die Kanadische Rentenversicherung sogar ausdrücklich getrennt voneinander aufgeführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) ist nicht gegeben, weil das Bundessozialgericht (a.a.O.) die Kriterien für eine Vergleichbarkeit ausländischer Leistungen mit einem deutschen Erwerbsersatzeinkommen bereits festgestellt hat, sodass eine klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht mehr vorliegt. Die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegen ebenfalls nicht vor, weil nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abgewichen wurde.
Tatbestand:
Streitig ist die Anrechnung einer kanadischen Volksrente – der sogenannten Old Age Security Pension (OAS-Rente) – auf die Witwenrente der Klägerin.
Die 1936 geborene Klägerin, die in Kanada lebt und kanadische Staatsangehörige ist, bezieht seit dem 27. Januar 1998 von der Beklagten eine große Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes H. B ... Jedenfalls seit dem 1. Juli 2002 erhält sie außerdem eine britische Altersrente, eine Alters- und eine Witwenrente aus der gesetzlichen kanadischen Rentenversicherung sowie eine kanadische OAS-Rente.
Die OAS-Rente wird an Menschen vom fünfundsechzigsten Lebensjahr an gewährt, sofern der Betreffende nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres mindestens zehn Jahre – beziehungsweise bei einer Zahlung ins Ausland mindestens zwanzig Jahre – in Kanada gelebt hat. Die Höhe der Leistung richtet sich nach der Zahl der in Kanada gelebten Jahre, wobei der Höchstbetrag nach vierzig Jahren erreicht wird. Eine frühere Berufstätigkeit ist nicht Voraussetzung für die Leistungsgewährung. Die Leistungen sind auch nicht beitrags- sondern ausschließlich steuerfinanziert. Berechtigte, die eine bestimmte Einkommensgrenze unterschreiten, erhalten einen steuerfreien Zuschlag zur OAS-Rente (Guaranteed Income Supplement – GIS), während Berechtigte, die eine bestimmte Einkommensgrenze überschreiten, einen Teil oder die gesamte OAS-Rente über die Einkommenssteuer zurückzahlen müssen.
Nach erfolgter Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 2003 die Rentenbewilligung mit Wirkung ab 1. Juli 2002 wegen Anrechnung der britischen Rente, der kanadischen Altersrente und der OAS-Rente ganz auf und forderte die Erstattung der in der Zeit vom 1. Juli 2002 bis 31. Mai 2003 gezahlten Witwenrente in Höhe von EUR 860,53. Dem hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin gab die Beklagte statt, da die Überzahlung auf einem Verwaltungsverschulden beruhe.
Mit Bescheid vom 4. August 2004 hob die Beklagte die Rentenbewilligung wegen des anzurechnenden Einkommens ab 1. Juli 2002 erneut auf, sah aber wegen des Verwaltungsverschuldens von einer Erstattungsforderung ab. Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch, soweit die OAS-Rente angerechnet worden war, da es sich hierbei nicht um eine berücksichtigungsfähige Leistung im Sinne der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung handele. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2005 als unbegründet zurück. Die kanadische OAS-Rente sei gemäß § 18a Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) als ausländisches Erwerbsersatzeinkommen im Rahmen der Einkommensanrechnung zu berücksichtigen, da eine Vergleichbarkeit mit inländischen Erwerbsersatzeinkommen gegeben sei. Eine völlige Übereinstimmung der ausländischen mit der inländischen Leistung sei nicht zu verlangen.
Mit ihrer dagegen am 22. Juli 2005 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und darauf hingewiesen, dass es sich bei der OAS-Rente um eine steuerfinanzierte Leistung handele. Die Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, dass die OAS-Rente in ihrem Kerngehalt mit der deutschen Altersrente vergleichbar sei, da sie auf einem Versicherungsfall beruhe und damit dem Sicherungszweck des § 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB IV entspreche.
Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 30. Januar 2008 stattgegeben und ausgeführt, die OAS-Rente sei nicht auf die Witwenrente anzurechnen, da es sich nicht um eine vergleichbare ausländische Erwerbsersatzleistung handele. Sie sei eine steuerfinanzierte und nicht beitrags- oder lohnbezogene Altersrente mit einheitlichem Zahlbetrag, die nach Erreichen der Altersgrenze gewährt werde. Begünstigt würden alle Personen, die bestimmte Wohnzeiten in Kanada zurückgelegt hätten, ohne dass eine vorherige Berufstätigkeit vorausgesetzt werde.
Hiergegen hat die Beklagte am 13. Februar 2008 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die OAS-Rente sei ein System der kanadischen gesetzlichen Rentenversicherung, da sie anderenfalls nicht in den Geltungsbereich des deutsch-kanadischen Sozialversicherungsabkommens aufgenommen worden wäre. Sie werde als erste Säule der Altersrentenversicherung angesehen und stelle eine Basisversorgung für den Fall des Alters dar. Da von ihr jeder Bürger Kanadas erfasst werde, sei auch eine öffentlich-rechtliche Pflichtzugehörigkeit gegeben. Sie werde ab dem 65. Lebensjahr monatlich gezahlt und sei daher eine laufend wiederkehrende Leistung aufgrund der Vollendung eines bestimmten Lebensalters, die zur Sicherung des Alterseinkommens diene. Für den Anspruch müssten auch bestimmte versicherungsrechtliche Voraussetzungen, nämlich die Wohnzeiten von mindestens zehn beziehungsweise zwanzig Jahren, erfüllt sein. Dass die OAS-Rente ohne Rücksicht auf weitere Erwerbstätigkeit oder weiteres Einkommen gewährt werde, führe nicht zu einer anderen Beurteilung, da auch die deutsche Regelaltersrente ohne Berücksichtigung derartiger Umstände geleistet werde. Würde man der Argumentation des Sozialgerichts hinsichtlich der fehlenden Lohnersatzfunktion der OAS-Rente folgen, dürften auch deutsche Altersrenten – wie z.B. Altersrenten nur aufgrund von Kindererziehungszeiten oder übertragenen Anwartschaften aus einem Versorgungsausgleich –, denen keine eigene Beitragsleistung zugrunde liegt, nicht anrechenbar sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Januar 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und bleibt bei ihrer Auffassung, dass eine Gleichstellung der OAS-Rente mit einer deutschen Rente nicht in Betracht komme.
Auf Antrag der Beklagten wurde die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts mit Beschluss vom 3. September 2008 ausgesetzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 SGG) Berufung ist unbegründet, da das Sozialgericht zu Recht entschieden hat, dass die kanadische OAS-Rente nicht auf die Witwenrente der Klägerin anzurechnen ist. Die angefochtenen Bescheide sind daher insoweit rechtswidrig. Der Tenor zu 1. war lediglich deshalb neu zu fassen, weil dem Begehren der Klägerin bereits mit einer Teilaufhebung der angefochtenen Bescheide hinreichend Rechnung getragen wird und es darüber hinaus einer Verpflichtung der Beklagten nicht bedurfte.
Als Rechtsgrundlage für die erfolgte Aufhebung der Rentenbewilligung kommt allein § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahrens und Sozialdatenschutz (SGB X). Nach dessen Satz 1 ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Bei Vorliegen der in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X genannten Voraussetzungen soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Durch die Gewährung der kanadischen OAS-Rente ist jedoch keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, denn diese ist nicht auf die der Klägerin gewährte Witwenrente anzurechnen.
Nach § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) wird Einkommen (§§ 18a bis 18e SGB IV) von Berechtigten, das mit einer Witwenrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Bei Renten wegen Todes sind als Einkommen zu berücksichtigen 1. Erwerbseinkommen, 2. Leistungen, die erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen (Erwerbsersatzeinkommen), 3. Vermögenseinkommen und 4. Elterngeld (§ 18a Abs. 1 S. 1 SHB IV). Dies gilt auch für vergleichbare ausländische Einkommen (§ 18a Abs. 1 S. 3 SGB IV). Zu den hier allein in Betracht kommenden Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 18a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI zählen unter anderem Renten der Rentenversicherung wegen Alters oder verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 18a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB VI). Bei der kanadischen OAS-Rente handelt es sich nicht um vergleichbares Erwerbsersatzeinkommen in diesem Sinne.
Die Vergleichbarkeit einer ausländischen Leistung mit einem deutschen Erwerbsersatzeinkommen ist gegeben, wenn die ausländische Leistung in ihrem Kerngehalt den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Erwerbsersatzeinkommen entspricht, d.h. nach Motivation und Funktion gleichwertig ist. Die jeweiligen Leistungen müssen dagegen nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen. Eine ausländische Altersrente muss also zunächst, um vergleichbar in diesem Sinn zu sein, eine Leistung aus einem System gesetzlicher Rentenversicherung sein. Ein ausländisches System sozialer Sicherheit ist dann als gesetzliche Rentenversicherung anzusehen, wenn es auf öffentlich-rechtlicher Pflichtzugehörigkeit beruht, wiederkehrende Leistungen für den Fall der vorzeitigen Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes vorsieht und kein reines Zusatzversorgungssystem darstellt. Darüber hinaus muss es sich bei der ausländischen Altersrente um "Erwerbsersatzeinkommen" handeln, also um eine Leistung, die aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht wird, um Erwerbseinkommen zu ersetzen. Dies sind nur solche Geldleistungen, die aus eigener Versicherung erworben wurden, bei denen ein Versicherungsfall (Alter, Erwerbsminderung) eingetreten ist und die abstrakte Lohnersatzfunktion haben, d.h. die im funktionellen Zusammenhang mit dem früheren Erwerbseinkommen stehen. Davon zu unterscheiden sind beispielsweise die Hinterbliebenenrenten, die nicht an die Stelle von weggefallenem Einkommen treten, sondern Unterhaltsersatzfunktion haben (BSG 6.3.1991 – 13/5 RJ 39/90 – BSGE 68, 184; BSG 6.2.1991 – 13/5 RJ 16/89 – SozR 3-2400 § 18a Nr. 1).
Wie das Sozialgericht zu Recht festgestellt hat, handelt es sich bei der OAS-Rente nicht um eine Leistung aus einem System gesetzlicher Rentenversicherung, denn es fehlt bereits an einer öffentlich-rechtlichen Pflichtzugehörigkeit zum System der OAS. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird diese insbesondere nicht durch den Umstand begründet, dass die Leistung Wohnzeiten in Kanada von mindestens zehn beziehungsweise zwanzig Jahren voraussetzt. Eine öffentlich-rechtliche Pflichtzugehörigkeit zu einem System gesetzlicher Rentenversicherung ist in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Verpflichtung besteht, diesem beizutreten und Beiträge hierfür zu entrichten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Niemand ist gezwungen, die Wohnzeiten in Kanada zurückzulegen oder Beiträge zum OAS-System zu entrichten. Vielmehr handelt es sich um eine ausschließlich steuerfinanzierte Leistung, die grundsätzlich jedem Einwohner ab fünfundsechzig Jahren auf Antrag erbracht wird, wenn er entsprechend lange in Kanada gelebt hat. Im Übrigen gibt es in Kanada neben der OAS-Leistung auch den Canada Pension Plan (CPP), der beitragsabhängig ist, an früheres Einkommen anknüpft und auch Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrenten vorsieht und daher ein klassisches – dem deutschen System vergleichbares – Rentenversicherungssystem darstellt. Auch das Nebeneinander dieser beiden Leistungen spricht dafür, dass die OAS-Rente nicht in das System der gesetzlichen Rentenversicherung gehört, sondern eine hiervon unabhängige staatliche Grundversorgung älterer Menschen darstellt.
Des Weiteren handelt es sich bei der OAS-Rente auch nicht um Erwerbsersatzeinkommen, denn die Leistung steht nicht im Zusammenhang mit früherem Erwerbseinkommen. Sie ist von früheren beruflichen Tätigkeiten oder früher erzielten Erwerbseinkommen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach völlig unabhängig und knüpft lediglich an die Dauer der Wohnzeiten in Kanada an. Diese Wohnzeiten stellen entgegen der Auffassung der Beklagten keine mit dem deutschen Rentensystem vergleichbaren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dar, da sie nicht an die Erwerbsbiographie des Berechtigten anknüpfen. Somit tritt die Leistung nicht an die Stelle von weggefallenem Erwerbseinkommen, sondern stellt vielmehr eine Art Grundsicherungsleistung im Alter dar, die von früheren Beschäftigungszeiten und Einkommensverhältnissen völlig unabhängig ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass es in Deutschland Altersrenten gibt, denen nur Kindererziehungszeiten oder übertragene Anwartschaften aus einem Versorgungsausgleich zugrunde liegen. Diese Renten stellen im deutschen Rentenversicherungssystem eine Ausnahme dar, da grundsätzlich das Zurücklegen von Beitragszeiten Voraussetzung für den Erhalt einer Altersrente ist (§§ 35 Nr. 2, 50, 51 SGB VI) ist und die Rentenhöhe sich vor allem nach der Höhe der durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen richtet (§ 63 SGBVI). Die von der Beklagten genannten Ausnahmetatbestände wurden lediglich aus sozialen Erwägungen eingeführt, um rentenrechtliche Nachteile für den nicht berufstätigen Ehegatten abzumildern, prägen aber nicht das System der gesetzlichen Rentenversicherung als solches.
Schließlich ergibt sich eine andere Beurteilung auch nicht aus dem Umstand, dass die OAS-Rente in den Geltungsbereich des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit vom 14.11.1985 (BGBl. 1988 II, S. 28) aufgenommen wurde (Art. 2 Abs. 1b i des Abkommens). Auch wenn die OAS-Leistung zweifellos einen der beiden Grundpfeiler der kanadischen Alterssicherung darstellt, folgt daraus nicht, dass es sich bei ihr um ein System gesetzlicher Rentenversicherung handelt. Vielmehr werden in dem Sozialversicherungsabkommen die OAS-Rente und die Kanadische Rentenversicherung sogar ausdrücklich getrennt voneinander aufgeführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) ist nicht gegeben, weil das Bundessozialgericht (a.a.O.) die Kriterien für eine Vergleichbarkeit ausländischer Leistungen mit einem deutschen Erwerbsersatzeinkommen bereits festgestellt hat, sodass eine klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht mehr vorliegt. Die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegen ebenfalls nicht vor, weil nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abgewichen wurde.
Rechtskraft
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