L 1 AS 5898/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AS 4806/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 5898/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. November 2009 werden zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Im Streit steht ein Anspruch der Antragsteller (Ast.) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Regelleistung) gegenüber der Antragsgegnerin zu 1.) (Ag. 1) bzw. der Übernahme der Kosten der Unterkunft (KdU) gegenüber dem Antragsgegner zu 2.) (Ag. 2).

Der Antragsteller zu 1.) (Ast. 1) ist im Bereich Küchenmontage selbständig tätig und erhielt zuletzt bis 30. September 2009 vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), nämlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie KdU, für sich und die mit ihm zusammen lebenden Antragsteller zu 2.) bis 4.) (Ehefrau und gemeinsame Kinder) in Höhe von 1.345,56 EUR. Dabei wurden die Einnahmen bzw. Ausgaben aus selbständiger Tätigkeit im Bewilligungszeitraum aufgrund der Angaben des Ast. 1 zum voraussichtlichen Einkommen vorläufig geschätzt (Bescheid vom 17. August 2009). Am 28. September 2009 beantragte der Ast. 1 die Fortzahlung der Leistungen. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2009 forderte die Ag. 1 den Ast. 1 auf, im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht bis 24. Oktober 2009 im Einzelnen aufgeführte Unterlagen vorzulegen, insbesondere die Anlage EKS zum Antrag auf Arbeitslosengeld II (Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit). Diese Erklärung hatte der Ast. 1 dem Antrag zwar beigefügt, jedoch keine Angaben zum voraussichtlichen Einkommen gemacht, sondern auf seinen Steuerberater verwiesen.

Am 2. November 2009 hat der Ast. 1 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung gestellt und zur Begründung vorgetragen, er habe seit 1. Oktober 2009 keine Einkünfte mehr, um sich und seine Familie zu versorgen. Er habe von den Ag. weder einen Bescheid noch Leistungen erhalten, jedoch alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Die Anlage EKS könne er nicht vorlegen, weil er den Steuerberater nicht mehr bezahlen könne, der die Anlage ausfüllen könne. Er habe von seinem Geschäftskonto Miete und Kaution bezahlt und sei nun zahlungsunfähig. Die Ag. 1 ist dem Antrag entgegen getreten und hat ausgeführt, der Antrag auf Leistungen sei am 6. Oktober 2009 unvollständig abgegeben worden. Daraufhin sei der Ast. 1 mit Schreiben vom 7. Oktober 2009 aufgefordert worden, die zur Leistungsbewilligung erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Die fehlenden Unterlagen seien auch nach Erinnerung nicht vorgelegt worden. Mit Bescheid vom 4. November 2009 versagte die Ag. 1 für die Bedarfsgemeinschaft Leistungen ab 1. Oktober 2009, da die angeforderten Unterlagen und Nachweise nicht vorgelegt worden seien.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 5. November 2009 hat das SG Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 12. November 2009 bestimmt und dem Ast. 1 zugleich aufgegeben, im Einzelnen aufgeführte Unterlagen zum Nachweis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse zum Termin mitzubringen, insbesondere Nachweise über Einnahmen und Ausgaben vom 1. April bis 31. Oktober 2009 sowie der Kosten der Unterkunft und Heizung. Aufgeführt war der Hinweis, dass die Nachweise durch ihn persönlich, nicht den Steuerberater zu erbringen seien.

Im Termin hat sich der Ast. 1 zur Sache eingelassen und gegen Ende des Termins den Vorsitzenden der 11. Kammer wegen Befangenheit abgelehnt. In der folgenden Sitzungsunterbrechung verließen der Ast. 1 und die Ast. 2 den Sitzungssaal. Die vom Kammervorsitzenden während der Sitzung angeordnete Kopie von Unterlagen, die die Ast. 1 und 2 in einem Ordner mit zum Termin gebracht hatten, wurde durch den Ast. 1 abgebrochen und auch die bis dahin gefertigten Kopien mitgenommen. Daraufhin verließen die Ast. auch das Gerichtsgebäude.

Mit Beschluss vom 13. November 2009 hat das SG die Anträge abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass trotz des Befangenheitsgesuchs über den Antrag habe entschieden werden können, da das Gesuch unzulässig bzw. rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Denn der Ast. 1 habe trotz Nachfrage des Gerichts weder Gründe für das Gesuch genannt noch Tatsachen hierzu vorgetragen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei unbegründet, da weder Anordnungsanspruch noch Anordnungsgrund glaubhaft gemacht seien. Die Ast. hätten nicht glaubhaft dargelegt, weshalb sie trotz der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit des Ast. 1 hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II seien. Insbesondere fehlten Unterlagen, die eine Anspruchsprüfung zulassen würden. Dafür genüge die vom Ast. 1 vorgelegte "kurzfristige Erfolgsrechnung 1. Januar bis 31. August 2009" nicht, denn es sei nicht glaubhaft, dass sich Einnahmen und Ausgaben auf den Cent genau deckten. Auch wenn die Ast. der Aufforderung des SG insoweit nachgekommen seien, als sie in den Termin am 12. November 2009 einen Ordner mit geschäftlichen Unterlagen mitgebracht hätten, hätten sie diesen Ordner samt die bis dahin gefertigten Kopien während der Sitzungsunterbrechung wieder an sich genommen. Auch die Aussage des Ast. 1, er habe seine selbständige Tätigkeit "gestern" aufgegeben, da ihm die Betriebshaftpflichtversicherung gekündigt sei, begründe keine abweichende Beurteilung, da auch diesbezüglich ein Nachweis nicht erbracht worden sei; darüber hinaus fehlten Nachweise zur Einkommens- und Vermögenssituation der Ast. 2 vollständig. Auch ein Anordnungsgrund sei deshalb nicht hinreichend glaubhaft.

Am 20. November 2009 hat der Ast. 1 über einen mittlerweile Bevollmächtigten dem SG zahlreiche Unterlagen vorgelegt, u.a. eine Auflistung über Einnahmen und Ausgaben für September 2009 (Gewinn 1.284,79 EUR), Oktober 2009 (Gewinn 3.713,14 EUR) und bis 13. November 2009 (Gewinn 33,70 EUR), den Mietvertrag vom 5. Oktober 2009, Kontoauszüge der Ast. 1 und 2 sowie die ausgefüllte Anlage EKS mit Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit.

Gegen den den Ast. am 18. November 2009 zugestellten Beschluss hat der Ast. 1 am 14. Dezember 2009 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt er aus, er habe sich in einem Moment emotionaler Anspannung aus dem Gerichtssaal entfernt und bereits am Folgetag das Befangenheitsgesuch gegen den Richter zurückgenommen. Da ihm die Ag. Leistungen verweigerten, befinde er sich mit seiner Familie in einer schwierigen Lage. Die Ag. seien ihm gegenüber befangen.

Die Ag. 1 ist der Beschwerde entgegen getreten und hat zur Begründung ausgeführt, die erforderlichen Unterlagen seien bislang nicht vorgelegt worden. Die Ast. hätten Vorsprachetermine ebenfalls nicht wahrgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet, da jedenfalls der Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht ist.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nur zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung dient lediglich der Sicherung von Rechten eines Antragstellers, nicht aber ihrer Befriedigung. Sie darf deshalb grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung ein wirksamer Rechtsschutz nicht erreicht werden kann und dieser Zustand dem Antragsteller unzumutbar ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 28 f.). Sowohl die schützenswerte Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, als auch die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 i.V.m § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. etwa Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., Rn. 42, s. auch Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn. 165 ff.). Deshalb sind auch Erkenntnisse, die erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zutage getreten sind, vom Senat zu berücksichtigen (vgl. etwa Beschluss des Hessischen LSG vom 6. Januar 2006 – L 7 AS 87/05 ER).

Der Erlass einer derartigen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrten Leistungen besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt.

Für die Zeit ab Antragstellung bis zum 13. November 2009 fehlt es jedenfalls am Anordnungsgrund, der besonderen Eilbedürftigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes. Denn es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass den Ast. ohne den Erlass einer einstweiligen Regelung wesentliche Nachteile entstehen. Mit den am 20. November 2009 (also nach Erlass der einstweiligen Anordnung) beim SG eingegangenen Unterlagen, insbesondere die von den damals Bevollmächtigten angefertigte Gegenüberstellung von Gewinn und Verlust, sind die Ast. ihrer Mitwirkungspflicht für die Zeit bis zum 13. November 2009 mittlerweile nachgekommen. Der Senat hat die Unterlagen, die offenbar vom SG versehentlich nicht an die Ag. übersandt worden sind, weitergeleitet, so dass den Ag. die Prüfung eines Leistungsanspruchs möglich ist. Die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung ist daher insoweit zu verneinen.

Für die Zeit ab Mitte November fehlt es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits am Anordnungsanspruch, denn die Ast. haben ihre Hilfebedürftigkeit nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Auch wenn die damals Bevollmächtigten der Ast. die Anlage EKS ausgefüllt vorgelegt haben, kann aufgrund der darin gemachten Angaben keine - vorläufige - Berechnung eventueller Leistungsansprüche über den 13. November 2009 hinaus erfolgen. Denn eingetragen wurden - entgegen den Ausfüllhinweisen in der Anlage - lediglich Einnahmen und Ausgaben für September 2009 und nicht die voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben der nachfolgenden sechs Monate, des Bewilligungszeitraums. Angesichts der erkennbar stark schwankenden Einnahmen und Ausgaben der Ast. ist es jedoch unverzichtbar, Angaben über einen längeren Zeitraum hin zu machen. Dies ist den Ast. zumutbar und möglich, da (nur) sie in der Lage sind, z.B. aus der Entwicklung des Vergleichszeitraums des Vorjahres oder der Gewinnentwicklung im Geschäftsjahr bis zum Beginn des Bewilligungszeitraums eine Prognose zu erstellen.

Da bei selbständig Tätigen von einem schwankenden Einkommen auszugehen ist, das die monatliche Leistungshöhe regelmäßig nur vorläufig feststellbar macht, obliegt es den Ast. gegenüber den Ag., alle zum Nachweis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse erforderlichen Unterlagen vollständig, sortiert und rechtzeitig vorzulegen. Daran ändert auch die in der ärztlichen Bescheinigung vom 1. Dezember 2009 belegte psychische Labilität des Ast. 1 nichts. Nachweise dafür, dass der Ast. 1 über den 13. November 2009 hinaus tatsächlich keiner selbständigen Tätigkeit mehr nachgeht, sind auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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