L 18 AY 6/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AY 3/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 AY 6/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG (hier: vorläufiger Rechtsschutz).
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.07.2009 wird zurückgewiesen.
II. Der Antrag, dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes zu bewilligen, wird abgelehnt.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Streitig ist die Einschränkung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der im Jahr 1989 geborene Beschwerdeführer (Bf) ist im Besitz einer Duldung nach § 60a Abs 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Seinen Asylantrag vom 01.02.2006 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit rechtskräftigem Bescheid vom 26.04.2006 ab. Er ist untergebracht in einer Gemeinschaftsunterkunft und bezieht Leistungen nach dem AsylbLG, insbesondere von der Beschwerdegegnerin (Bg) Leistungen im Rahmen des § 3 Abs 1 AsylbLG (Geldbetrag für persönliche Bedürfnisse in Höhe von 40,90 EUR - "Taschengeld" - und Sachleistungen in Form der Bekleidungspauschale).

Auf Veranlassung des Ausländeramtes der Stadt A-Stadt wurde der Bf am 30.10.2006
bei der sudanesischen Botschaft vorgeführt. Am 07.08.2007 erfolgte eine Vorführung bei der Botschaft von Nigeria. Hierzu wird in der Mitteilung der Regierung von Oberbayern (Zentrale Rückführungsstelle) vom 27.08.2007 an das Ausländeramt ausgeführt: "Die nigerianische Botschaft konnte die nigerianische Staatsangehörigkeit ausschließen. Aufgrund des Interviews werde folgende Staatsangehörigkeit vermutet: Sudan"

Auf das Auskunftsersuchen der Bg vom 04.03.2009 teilte das Ausländeramt der Stadt A-Stadt unter dem 10.03.2009 mit, dass bei dem Bf der Tatbestand des § 1a Nr 2 AsylbLG als erfüllt anzusehen sei. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen könnten derzeit nur aus Gründen nicht vollzogen werden, die ausschließlich selbst zu vertreten seien, weil die Identität verschleiert werde und an der Passbeschaffung nicht mitgewirkt werde.

Die Bg hörte den Bf zur beabsichtigten Einschränkung von Leistungen nach dem AsylbLG an. Dieser wies darauf hin, dass er noch im Asylfolgeverfahren stehe.

Das Ausländeramt der Stadt A-Stadt teilte hierzu am 28.04.2009 mit, der Bf befinde sich nicht im Asylfolgeverfahren, sondern habe vielmehr einen Wiederaufgreifensantrag gem. § 60 Abs 2 bis 7 AufenthG gestellt, der auf die Mitwirkungsverpflichtung bei der Passbeschaffung oder auf eine Abschiebung keine hemmende Wirkung habe. Dem Bf sei am 28.04.2009 erneut eine Eröffnung ausgehändigt worden, in der insbesondere auf die Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung nach §§ 48, 49 AufenthG hingewiesen worden sei.

Das Ausländeramt berichtete weiter, die Vorführung des Bf bei der sudanesischen Botschaft habe ergeben, dass der Antragsteller eindeutig kein Sudanese sei. Er habe weder arabisch, noch eine Stammessprache gesprochen, noch Einzelheiten zum Sudan gewusst. Man habe sich mit ihm in englischer Sprache unterhalten, woraufhin man die nigerianische Staatsangehörigkeit vermutet habe. Bei der Vorführung bei der nigerianischen Botschaft habe der Bf bei den Gesprächen nicht mitgewirkt, sondern dauernd angegeben, Sudanese und noch nie in Nigeria gewesen zu sein, wonach der Botschaftsvertreter das Interview abgebrochen habe.

Mit Bescheid vom 28.04.2009 Iehnte die Bg den monatlichen Geldbetrag nach § 3 Abs 1 AsylbLG zur Deckung persönlicher Bedürfnisse ("Taschengeld") in Höhe von monatlich 40,90 EUR ab dem 01.05.2009 ab und setzte den monatlichen Bekleidungsanspruch in Höhe von 25,56 EUR auf monatlich 5,11 EUR (halbjährlich 30,66 EUR) fest. Denn nach der Mitteilung des Ausländeramtes der Stadt A-Stadt vom 10.03.2009 könnten aus vom Bf zu vertretenen Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden, da der Bf bei der Passbeschaffung nicht im ausreichenden Umfang mitgewirkt habe. Zudem verschleiere er seine Identität. Nur noch unabweisbare Leistungen seinen zu gewähren. Besondere Umstände, die zu einer abweichenden Regelung führen, seien nicht vorhanden.

Dagegen erhob der Bf den Widerspruch vom 27.05.2009. Eine Entscheidung hierüber erging noch nicht.

Am 07.07.2009 hat der Bf beim Sozialgericht (SG) A-Stadt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches beantragt. Die Bg sei im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, das Taschengeld und die Bekleidungshilfe ungekürzt auszuzahlen. Hilfsweise sei das Taschengeld auf 20,45 EUR und die Bekleidungshilfe auf 25,56 EUR festzusetzen. Mit Bescheid des BAMF vom 13.05.2009 sei der Asylfolgeantrag abgelehnt worden. Dagegen sei Klage beim Verwaltungsgericht erhoben worden. Die Kürzung widerspreche dem Sozialstaatsgebot. Ebenfalls am 07.07.2009 hat der Bf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Antragsverfahren unter Beiordnung des bevollmächtigten Rechtsanwaltes beantragt.

Mit Beschluss vom 23.07.2009 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1a Nr 2 AsylbLG könne nicht abschließend beurteilt werden. Im Rahmen einer summarischen Prüfung sei maßgeblich darauf abzustellen, dass die Behauptung des Bf, sudanesischer Staatsangehöriger zu sein, offensichtlich nicht der Wahrheit entspreche und er sich einer Aufklärung seiner Staatszugehörigkeit - insbesondere im Rahmen der Vorführung bei der nigerianischen Botschaft - bislang widersetzt habe. Bei dieser Sachlage falle die anzustellende Folgenabwägung zu Ungunsten des Bf. aus. Die Leistungen nach § 1a AsylbLG (Grundleistungen nach § 3 AsylbLG ohne Taschengeld) sicherten das soziokulturelle Existenzminimum ab und ermöglichten ein menschenwürdiges Leben. Auch die Reduzierung des monatlichen Bekleidungsanspruchs auf 5,11 EUR begründe nicht die Gefahr eines unzumubaren Rechtsverlustes, der eine Vorwegnahme der Hauptsache durch Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen könnte. Erfolgsaussichten für das Antragsverfahren bestünden demnach nicht, so dass auch der Antrag auf Bewilligung von PKH abzulehnen gewesen sei.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Bf. An den im Antragsverfahren gestellten Anträgen halte er fest. Für das Beschwerdeverfahren werde die Bewilligung von PKH unter Beiordnung des bevollmächtigten Rechtsanwaltes beantragt. Er habe sämtliche Termine bei Botschaften wahrgenommen, die ihm von der Ausländerbehörde vorgegeben worden seien. Die eingeschränkten Leistungen nach § 1a AsylbLG ermöglichten kein menschenwürdiges Leben. Es bestehe Eilbedürftigkeit, weil ihm überhaupt kein Geld zur Verfügung stehe.

Die Bg verweist auf ihre bisherigen Ausführungen und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf die beigezogene Akte der Bg und die Akten erster Instanz (S 19 AY 1/09 ER, S 19 AY 3/09 ER) und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Zutreffend hat das SG die beantragte einstweilige Anordnung abgelehnt. Auf die Ausführungen des SG wird Bezug genommen. Ergänzend wird auf das Folgende hingewiesen.

Gegenstand der einstweiligen Anordnung ist vorliegend der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da es dem Bf um die Einräumung eines vorläufigen Rechtszustandes geht. Sein Rechtsschutzziel, das Taschengeld und die Bekleidungshilfe ungekürzt zu erhalten, kann der Bf nicht dadurch erreichen, dass er fristgerecht Widerspruch gegen den Bescheid vom 28.04.2009 erhoben hat. Denn der Widerspruch gegen diesen Bescheid entfaltet nicht gemäß § 86a Abs 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung, weil dem Bf mit diesem Bescheid die Leistungen nicht entzogen worden sind. Über diese Leistungen hatte vielmehr zuvor die Bg in Abhängigkeit von der Bedarfssituation und für den jeweils nächstliegenden Zahlungszeitraum entschieden. Die Bewilligungen erfolgten auch nicht schriftlich, sondern nach § 33 Abs 2 Satz 1 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) auf andere Weise konkludent durch Auszahlung (vgl. hierzu BSG Urteil vom 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R = SozR 4-3520 § 2 Nr 2).

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine Regelungsanordnung setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86a Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung).

Grundsätzlich ist für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anzustellen. Allerdings ist der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 Grundgesetz insofern Rechnung zu tragen, als in den Fällen, in denen es - wie vorliegend - um existentiell bedeutsame Leistungen für den Antragsteller geht, den Gerichten eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt ist. Die Gerichte haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen. Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist (BVerfG Beschluss vom 02.05.2005 - 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927, BVerfG Beschluss vom 22.11.2002 - 1 BvR 1586/02 = NJW 2003, 1236, 1237).

Insoweit ist dem SG zu folgen, als eine abschließende Entscheidung über den Anordnungsgrund mit vollständiger Aufklärung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Eilverfahren nicht möglich ist. Nach § 1a Nr 2 AsylbLG, auf die sich die Bg zur Leistungsgewährung stützt, erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG - wie der Bf, dem Duldungen nach § 60a AufenthG erteilt worden sind - Leistungen nach dem AsylbLG nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist, wenn bei ihnen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Die der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gründe müssen geeignet sein, die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu verhindern, in den Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten fallen und diesem vorwerfbar sein, wobei die bloß fahrlässig herbeigeführte Verlängerung der Aufenthaltsdauer genügt (vgl. BSG Urteil vom 17.06.2008 aaO Rdnr 39). Die Gesetzesbegründung zu § 1a AsylbLG (BT-Drucks. 13/10155 S 5) nennt als Beispiele für vom Leistungsberechtigten zu vertretende Gründe die Vernichtung von Ausweisdokumenten, die Nichtmitwirkung bei der Passbeschaffung und die Vereitelung der Abschiebung, also ein Verhalten, das auf die Verhinderung der Aufenthaltsbeendigung gerichtet ist. Die Darlegungs- und materielle Beweislast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen trägt grundsätzlich die für die Durchführung des AsylbLG zuständige Behörde.

Dies zugrunde gelegt ist zwar nicht aufzuklären, ob der Bf seinen Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung der erforderlichen Heimreisedokumente nachgekommen ist und seine Identität, Herkunft oder Staatsangehörigkeit verschleiert. Zutreffend weist der Bf darauf hin, dass er den Vorführungen bei den Botschaften gefolgt ist. Insbesondere auch bei der nigerianischen Botschaft hat der Bf Erklärungen abgegeben. Es bleibt insoweit der Widerspruchsentscheidung und ggf. dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, über die die Verletzung von ausweisrechtlichen Mitwirkungspflichten sowie von Pflichten bei der Feststellung und Sicherung der Identität und der Beschaffung gültiger Heimreisepapiere zu befinden (vgl. hierzu §§ 48, 49, 82 Abs 4 AufenthG).

Im Ergebnis ist die vom SG getroffene Folgenabwägung nicht zu beanstanden. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass weiter Grundleistungen nach § 3 Abs 1 Satz 1 AsylbLG gewährt werden. Der Geldbetrag nach § 3 Abs 1 Satz 4 AsylbLG ist nicht vom verfassungsrechtlich gebotenen Existenzminimum umfasst. Die zwingend notwendigen Leistungen für Kleidung werden weiterhin gewährt. Zugunsten des Bf spricht nicht der bei der Folgenabwägung zu berücksichtigende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. hierzu Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 1a AsylbLG Rz 2). Die Leistungseinschränkung dient zwar dem Ziel, eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG zu verhindern. Hieraus folgt jedoch nicht, dass Leistungsberechtigte, die - wie möglicherweise der Bf - über längere Zeiträume hinweg ihre Abschiebung vereiteln, besser gestellt werden sollen (vgl. Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 1a AsylbLG Rz 22, 26). Nach der Vorführung bei der nigerianischen Botschaft am 07.08.2007 hat es keiner weiteren Aufforderung des Bf bedurft, an der Beseitigung der Hindernisse mitzuwirken, die der Ausreise entgegenstehen.

Zutreffend hat das SG auch den Antrag auf Bewilligung von PKH für das Antragsverfahren abgelehnt. Erfolgsaussichten bestanden nicht. Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Zivilprozessordnung). PKH darf dann verweigert werden, wenn die Erfolgschance nur eine entfernte ist (BVerfG Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81,347,357).

Schon mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Beschwerdeverfahrens war auch der Antrag auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung des bevollmächtigten Rechtsanwaltes abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Entscheidung ist unanfechtbar § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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