L 8 R 49/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 39 RJ 92/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 49/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.01.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragzeiten nach dem Gesetz über die Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Die Klägerin wurde 1924 im damals polnischen Dombrowa (später annektiert als Teil des sog. Ostoberschlesiens) geboren. Sie hat die Verfolgung als einzige ihrer Familie überlebt. Nach dem Krieg wanderte sie nach Israel aus. Dort beantragte sie 1954 die Anerkennung als Verfolgte. In im Rahmen dieses Verfahrens abgegebenen eidesstattlichen Erklärungen schilderte sie, sie habe ab dem Einmarsch der Deutschen den Judenstern tragen müssen und sei im Februar 1941 in das Ghetto von Dombrowa eingewiesen worden. Dort habe im Februar 1942 eine große Deportationswelle stattgefunden, bei der sie als eine der wenigen zurückgeblieben sei. Sie habe im Schneidershop S Zwangsarbeit geleistet und sei unter Bewachung zur Arbeit geführt worden. Im August 1942 sei sie in das Durchgangslager Sosnowitz und dann in das Zwangsarbeitslager Parschnitz gebracht worden. Diese Angaben bestätigten in eidesstattlichen Versicherungen Frau GCI geb. S1 und Frau QM geb. I1. Auf dieser Grundlage wurde die Klägerin als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt und erhielt eine Entschädigung für Schaden an Freiheit in der Zeit von Ende 1939 bis zum 08.05.1945 (1. Teil-Feststellungsbescheid C des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Koblenz vom 22.09.1958).

1993 beantragte die Klägerin bei der Jewish Claims Conference (JCC) eine Entschädigung für Zwangarbeit und gab dazu an, dass sie nach dem Einmarsch der Deutschen bis 1942 in Dombrowa verschiedene Zwangsarbeiten unter Bewachung leisten musste, u.a. in der Gärtnerei des dortigen Militärlagers. Die JCC gab dem Antrag der Klägerin auf dieser Grundlage statt.

Einen am 29.05.1995 gestellten Antrag der Klägerin auf Rente lehnte die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit der Begründung ab, die Klägerin habe keine anrechenbaren Versicherungszeiten (Bescheid vom 22.06.1995). Am 12.03.1998 beantragte die Klägerin u.a. die "Anerkennung der Tätigkeit im Ghetto als glaubhaft gemachte Beitragszeit". Hierzu trug sie vor, sie habe von Juni 1941 bis August 1942 im Ghetto Schrodula (deutsch Schrodel, einem Stadtteil von Sosnowitz) auf einer landwirtschaftlichen Farm als Landarbeiterin gearbeitet. Sie habe dort Mindestbezahlung, Kost und Logis erhalten. Die Beklagte wertete diesen Antrag als Überprüfungsantrag und lehnte ihn nach Beiziehung und Auswertung der Unterlagen des Entschädigungsverfahrens ab (Bescheid vom 22.02.2000). Im anschließenden Klageverfahren überreichte die Klägerin eidesstattliche Versicherungen von Frau I2H und Frau S2S3B, jeweils vom 26.06.2000. Beide bestätigten die Tätigkeit der Klägerin als Landarbeiterin von Juni 1941 bis August 1942, weil sie die Klägerin häufig bei der Arbeit besucht hätten. Frau H gab außerdem an, die Klägerin sei minimal bezahlt worden, habe aber Kost und Logis während der Arbeit erhalten. Frau B bestätigte die Gewährung von Kost und Logis, wusste jedoch nicht, ob eine Bezahlung erfolgt war. Die Klägerin selbst trug vor, sie habe nur kurz im S-Shop gearbeitet, während ihr Vater und ihre Schwester dort durchgehend tätig gewesen seien. Anschließend sei sie auf der landwirtschaftlichen Farm in Srodula eingesetzt gewesen. Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf wies die Klage im Hinblick auf die von ihm festgestellten Widersprüche zwischen den Angaben der Klägerin im Entschädigungs- und im Rentenverfahren ab (Urteil vom 17.07.2002, S 39 (14,9) RJ 36/00.

Die hiergegen erhobene Berufung nahm die Klägerin ihm Hinblick auf einen am 23.10.2002 gestellten Antrag auf Regelaltersrente zurück. Diesen Antrag lehnte die Beklagte nach Aktenlage durch Bescheid vom 31.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2003 ab.

Mit der hiergegen gerichteten Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie habe sich im Rentenverfahren in den geltend gemachten Zeiten geirrt. Tatsächlich beantrage sie die Anerkennung ihrer Tätigkeit im Sshop in Dombrowa so, wie im Entschädigungsverfahren angegeben.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.01.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2003 zu verurteilen, die Tätigkeit von Februar 1941 bis August 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und sich zur Begründung auf die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen bezogen.

Das SG Düsseldorf hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.1.2005, auf dessen Gründe Bezug genommen wird).

Dagegen richtet sich die rechtzeitig erhobene Berufung der Klägerin.

Sie hat durch eigenen handschriftlichen Brief vorgetragen, sie habe im Krieg alle Leiden zum Überleben durchgemacht, Hunger, Kälte, schwere Zwangsarbeit, geschlossene Lager, Leid und Ängste. In der Stadt, in der sie gelebt habe, Dombrowa, und der Gegend von Ostoberschlesien sei sie von 1939 bis 1940 zu Putzarbeiten in einem deutschen Militärlager, Gartenarbeiten auf einer unmöglichen steinigen Fläche und zu anderen schweren Arbeiten gezwungen worden, die nicht zu ertragen gewesen seien - all dies ohne Nahrung oder jegliche Entschädigung. 1940 bis 1941 sei sie zu einem verlassenen verwahrlosten Bauernhof mit dem Namen Schrodula geschickt worden. Es sei schwer, das allgemeine Leiden zu beschreiben, da es dort außer schwerer Arbeit bei brennender Sonne im Sommer, Frieren im Winter ohne Nahrung und Getränke gar keine Lebensbedingungen gegeben habe. Auf weitere Nachfrage des Gerichts hat sie ergänzt, man habe sie von der Straße weggeführt und zwecks Zwangsarbeit in ein Lager der deutschen Wehrmacht gebracht, das sich im Raum der Technischen Hochschule von Dombrowa befunden habe. Die Soldaten hätten dort die zur Arbeit gezwungenen jüdischen Mädels zu verschiedenen Arbeiten befohlen. Sie habe mit den anderen jüdischen Mädchen vom morgendlichen Antreten um 8.00 Uhr bis zum Sonnenuntergang unter Aufsicht deutscher Soldaten arbeiten müssen. Für die Arbeit habe es keinerlei Gegenleistung gegeben, weder Geld noch Verpflegung, noch Entgelt in Naturalien. Das einzige Entgelt habe in einem Ausweis bestanden.

Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung in Tel Aviv hat die Klägerin diese Angaben im Wesentlichen bestätigt und angegeben, sie habe manchmal Überreste, die vom Essen der Soldaten geblieben seien, mit nach Hause nehmen können. Im Übrigen habe die Familie davon gelebt, was sie verkauft habe. Denn die Schwester und der Vater hätten zu Beginn keine Arbeit gehabt (die Mutter war schon vor dem Krieg bei der Geburt eines Sohnes verstorben). Sie habe den Ausweis von der Arbeit bei den Soldaten gehabt und geglaubt, dass er vor den Deportationen schützt. Der Vater habe verhandelt, um eine Nähmaschine zu kaufen und so Arbeit in einem Shop zu bekommen. Nur zwei Leute hätten mit der Maschine arbeiten können. Sie habe im S-Shop nicht bleiben können, weil nur zwei an der Maschine arbeiten durften. Sie habe daher nur mitkommen können, auch wenn das nicht legal war. Sie sei nicht offiziell in den S-Shops gewesen. Dort habe sie gebügelt und manchmal auch genäht. Später sei sie auf dem Bauernhof in Schrodula gewesen. Wie lange sie im S-Shop gewesen sei, wisse sie nicht mehr - vom Frühling bis zum Ende des Sommers. Coupons habe es nach den Köpfen der Familie vom Judenrat gegeben. Wenn niemand in der Familie gearbeitet habe, habe es für niemanden Coupons gegeben. Sie glaube, sei sich aber nicht sicher, dass der Vater und die Schwester Coupons gehabt hätten, sie selbst nicht. Zu der Zeit, als sie alle drei Arbeit gehabt hätten, hätten sie auch Coupons für alle drei gehabt. Wer keine Arbeit gehabt hätte, sei von der Straße aufgesammelt und zu einem Transport geschickt worden. Auch die Razzia, mit der sie nach Schrodula gekommen sei, hätten Deutsche gemacht. Danach habe sie kein Geld bekommen, aber Essen, wenngleich zu wenig zum Leben und zum Sterben.

Die Klägerin hat die gerichtliche Bitte, ihr bei der Spielberg-Foundation über ihr Verfolgungsschicksal aufgenommenes Interview für die Sachverhaltsermittlung freizugeben, abgelehnt. Sie ist darauf hingewiesen worden, dass die damit zusammenhängenden Beweisnachteile zu ihren Lasten gehen.

Die Klägerin trägt vor: Unter den anormalen Umständen, wie sie in Dombrowa nach der deutschen Eroberung geherrscht hätten, sei für einen normalen Menschen auch die Aufnahme unbezahlter harter Arbeit unter unmenschlichen und unwürdigen Bedingungen als "freiwillig" und "aus eigenem Willensentschluss" anzusehen, wenn ihn dies vor der Verschleppung in Arbeitslager oder gar vor sofortigem Tode retten konnte. Der Arbeitsausweis, den sie erhalten habe, sei ein absolut notwendiges Lebensmittel und daher ein Entgelt i.S. des ZRBG gewesen. Im Übrigen habe der S-Shop die geleistete Arbeit der Juden mit Arbeitsentgelt an die Organisation T bezahlt. Es sei im Übrigen zu berücksichtigen, dass die Militärleitung die von jüdischen Mädchen verrichteten Arbeiten sonst durch arische Volksdeutsche Arbeiter oder Arbeiterinnen hätte ausführen lassen müssen, für die nicht nur eine Entgeltpflicht, sondern auch nach den damaligen Gesetzen eine Sozialversicherungspflicht bestanden habe. Der Sinn des ZRBG bestehe darin, den Opfern des Holocaust, welche diese Hölle durchgemacht hätten und heute noch am Leben sind, endlich eine Altersrente für die unter unmenschlichen Bedingungen in Ghettos geleistete Arbeit zu gestatten. Wegen weiterer Einzelheiten des Vortrags der Klägerin wird insbesondere auf der vorbereitend zu den Gerichtsakten gereichte Plädoyer ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.01.2005 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2003 zu verurteilen, der Klägerin Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten von September 1939 bis zum 15.08.1942 zuzüglich etwaiger Ersatzzeiten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Sachverständigengutachten des Historikers Prof. Dr. Golczewski sowie durch Einholung einer Auskunft der Jewish Claims Conference, auf die jeweils verwiesen wird. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, ihre Entschädigungsakte und die Gerichtsakte des Verfahrens S 39 (9,14) RJ 36/00 SG Düsseldorf verwiesen, die beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die im Berufungsverfahren erweiterte Klage ist zwar zulässig (I.), aber unbegründet (II.).

I.

Die Klägerin hat ihren in erster Instanz auf die Anerkennung von Ghettobeitragszeiten für die Zeit von Februar 1941 bis August 1942 beschränkten Klageantrag im Berufungsverfahren in zulässiger Weise auf den Zeitraum bereits ab September 1939 erweitert. Klagegegenstand ist in erster Linie der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Regelaltersrente. Die zur Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Beitrags- bzw. Ersatzzeiten (vgl. dazu im Einzelnen unter II.) sind einzelne Elemente zur Begründung dieses Anspruchs. Insofern ist der angefochtene Bescheid der Beklagten hinsichtlich der Zeit von vor Februar 1941 durch die Fassung des erstinstanzlichen Klageantrags nicht bestandskräftig geworden. Indem die Klägerin nämlich die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen beantragt hat, war der genannte Zeitraum zumindest als mögliche Ersatzzeit von diesem Antrag weiter umfasst. Die Umstellung des Klageantrags im Berufungsverfahren auf Anerkennung dieser Zeit als Beitragszeit dient der umfassenden Erledigung des Streitstoffs und ist schon aus diesem Grund sachdienlich i.S.v. § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

II.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom Beklagten vom 31.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2003 ist nicht rechtswidrig und beschwert die Klägerin daher nicht im Sinne des § 54 Absatz 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Altersrente.

Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (zB Urteil v. 06.06.2007, L 8 R 54/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf Altersrente allein aus dem SGB VI, ohne dass das ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil v. 26.07.2007, B 13 R 28/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 4, a.A. BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3). Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall der Klägerin nur § 35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, juris; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr 17).

Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten i.S.d. §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", dh Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr 1, m.w.N.).

Die Klägerin hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

1. Zwar finden auf die Tätigkeit der Klägerin in der Zeit vom 1.1.1940 bis zum 31.8.1942 die Reichsversicherungsgesetze Anwendung. Denn Dombrowa ebenso wie Sosnowitz gehörten zu dem Teil der sog. eingegliederten Ostgebiete, der schon im Oktober 1939 der Provinz Schlesien zugeschlagen worden war und in dem rückwirkend ab dem 1.1.1940 die Reichsversicherungsgesetze in Kraft gesetzt worden sind (vgl. BSG, Urteil v. 14.07.1999, aaO). Für die Tätigkeiten der Klägerin an den genannten Orten sind jedoch weder wirksam Beiträge nach den Reichversicherungsgesetzen gezahlt worden noch gelten sie kraft anderweitiger Bestimmung als gezahlt.

Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG iVm § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, d.h. mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Von den genannten Anspruchsvoraussetzungen unproblematisch glaubhaft gemacht ist die Verfolgteneigenschaft der Klägerin, die aufgrund bestandskräftigen Bescheides des Bezirksamtes für Wiedergutmachung, Koblenz vom 22.09.1958 als Verfolgte des Nationalsozialismus i.S.v. § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt ist. Ebenso steht fest, dass sie für die geltend gemachten Zeiten nicht anderweitig eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erhält. Sie bekommt bislang keine derartigen Leistungen aus der deutschen Rentenversicherung. In der israelischen Sozialversicherung werden Zeiten vor dem 1.1.1954 nicht berücksichtigt, wie dem Senat aus einer Vielzahl von Auskünften der Beklagten und des israelischen Sozialversicherungsträgers bekannt ist. Anderweitige soziale Sicherungssysteme, aus denen die Klägerin Leistungen für die hier geltend gemachten Zeiten beanspruchen könnte, sind nicht ersichtlich.

Es ist glaubhaft, dass die Klägerin nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Dombrowa zunächst auf dem Militärgelände eingesetzt war, dann illegal für eine Zeit von etwa zwei Monaten mit ihrem Vater und der Schwester zur Arbeit im S Shop ging und schließlich durch eine Razzia auf den Bauernhof in Schrodula kam. Der Senat folgt insoweit der in vollem Umfang prozessual verwertbaren Anhörung der Klägerin durch den Berichterstatter (zur Zulässigkeit einer entsprechenden Anhörung vgl. Urteile des Senates v. 06.06.2007, L 8 R 54/05; v. 20.06.2007, L 8 R 244/05 sowie v. 04.07.2007, L 8 R 74/05 (rkr.); jeweils sozialgerichtsbarkeit.de). Für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin spricht zudem, dass sie nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Golczewski in wesentlichen Punkten mit den historischen Erkenntnissen übereinstimmen.

Der Senat lässt die für den Raum Ostoberschlesiens, zu dem auch Dombrowa zählte, besonders problematische Frage ausdrücklich offen, ob bzw. für welchen dieser drei Teilzeiträume ein zwangsweiser Aufenhalt der Klägerin in einem Ghetto iSv § 1 Abs. 1 ZRBG in Betracht kommt (näher zur Auslegung des Begriffs "Ghetto" vgl. Senat, Urteil v. 28.01.2008, L 8 RJ 139/04 (rkr.); sozialgerichtsbarkeit.de). Denn jedenfalls ist es nicht glaubhaft, dass die Klägerin eine Beschäftigung ausgeübt hat, die die weiteren in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG genannten Voraussetzungen erfüllt hat, nämlich das Zustandekommen aus eigenem Willensentschluss (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ZRBG) und die Ausübung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG).

Der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG beschriebenen Typus der Beschäftigung ist nach dem Vorbild des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses von der nicht von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG erfassten Zwangsarbeit abzugrenzen (zusammenfassend Senat, Urteil v. 21.11.2007, L 8 R 98/07; sozialgerichtsbarkeit.de). Maßgebend hierfür sind die Kriterien, die das BSG in seiner sog. Ghettorechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95, SozR 3-2200 § 1248 Nr 15; vom 21.04.1999, B 5 RJ 48/98 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr 16; vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, aaO) entwickelt hat (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil v. 7.10.2004, aaO; Senat, Urteil v. 21.11.2007 aaO.). Danach ist neben der Aufnahme und Ausübung der Arbeit aus eigenem Willensentschluss auch die Gewährung eines Entgelts erforderlich, das nach Art und Höhe eine versicherungspflichtige Beschäftigung begründen kann.

Der Eindruck der Klägerin, das ZRBG habe den Sinn, den Opfern des Holocaust, die heute nach am Leben sind, endlich eine Altersrente für die unter unmenschlichen Bedingungen in Ghettos geleistete Arbeit zu gestatten, ist demgegenüber zwar verständlich, aber unzutreffend. Zwar wollte der Gesetzgeber des ZRBG eine letzte Lücke im Recht der Wiedergutmachung schließen. Hierbei ging es jedoch um eine solche Lücke, die im Bereich der Sozialversicherung entstanden und daher nach deren Grundlagen zu schließen war. Zu einer Altersrente führen daher im ZRBG im Ergebnis nur solche Zeiten in der Verfolgung, in denen die Verhältnisse (zumindest noch überwiegend) denen anderer regulärer Arbeitnehmer geglichen haben. Zeiten der - in ihren extremen Bedingungen darüber hinaus gehenden - Zwangsarbeit werden demgegenüber nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" entschädigt.

Ausgehend hiervon hat es sich bei der Tätigkeit der Klägerin auf dem Militärlager von Dombrowa nicht um eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung gehandelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ZRBG). Nicht ausschlaggebend ist dabei zwar die Bezeichnung der geleisteten Arbeiten, insbesondere als "Zwangsarbeit", in vorangegangenen Verfahren. Zur Feststellung dieser Tatbestandsmerkmale folgt der Senat vielmehr allein den Kriterien, die vom BSG zur Abgrenzung von versicherungspflichtigem Beschäftigungsverhältnis und Zwangsarbeit entwickelt worden sind (vgl. BSG, Urteile vom 14.07.1999 und vom 23.08.2001, aaO). Danach ist zwar von einer Eingliederung der Klägerin in den Betrieb des Militärlagers und eine Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer, Inhalt oder Gestaltung der Arbeit auszugehen. Es fehlt jedoch am eigenen Willensentschluss. Dieser liegt nur dann vor, wenn die Arbeit vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage jedenfalls auch noch auf einer wenn auch auf das Elementarste reduzierten Wahl zwischen wenigstens zwei Verhaltensmöglichkeiten beruhte. Solange NS-Verfolgte hinsichtlich des Zustandekommens und/oder der Durchführung der zugewiesenen angebotenen Arbeiten noch eine gewisse Dispositionsbefugnis hatten, sie also die Annahme und/oder Ausführung der Arbeiten gegenüber dem, der sie ihnen zuwies, auch ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben und ihre Restfreiheit ablehnen konnten, handelten sie nicht unfreiwillig, auch dann nicht, wenn sie deshalb mangels eines Entgelts weniger oder nichts mehr zu essen hatten.

Diese erforderliche Restfreiheit hat nach den glaubhaften schriftlichen und mündlichen Bekundungen der Klägerin bei der Arbeit im Militärlager nicht mehr bestanden. Dort ist sie, wie sie selbst ausgeführt hat, von morgens bis abends von Soldaten bewacht worden und dazu "von der Straße aus weggeführt" worden. Für eine noch so elementare Wahlmöglichkeit blieb angesichts dieser Umstände kein Raum. Die vom Bevollmächtigten der Klägerin, aber auch vom Sachverständigen Prof. Golczewski angestellten Überlegungen dahingehend, dass die Arbeit der Klägerin als freiwillig anzusehen sei, weil sie in dem Erhalt des Arbeitsausweises eine Chance auf Überleben gesehen habe, sind zwar historisch nachzuvollziehen. Sie ändern aber an der Beurteilung schon deswegen nichts, weil die Klägerin keinerlei eigenen Willensentschluss dargelegt hat und auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie die Arbeit im Militärlager aus eigenem Entschluss hätte beenden können.

Ebenso verhält es sich mit der Arbeit in Schrodula, zu der die Klägerin durch eine Razzia gezwungen wurde. Hier ist angesichts der von ihr geschilderten extremen Bedingungen (Hunger, Kälte, Hitze) schon kaum denkbar, wie vom gerichtlichen Sachverständigen angenommen, dass sie sich im Lauf der Zeit mit ihr "anfreundete". Eine Möglichkeit, diese Arbeit aus eigenem Willen zu beenden, ist anhand des Beweisergebnisses jedenfalls nicht ersichtlich. Weiter gehende Erkenntnismöglichkeiten hätten zwar in Gestalt des Spielberg-Interviews bestanden. Da die Klägerin indes eine Verwertung ihres Interviews ablehnt, ist eine Beiziehung dieser höchstpersönlichen Erklärungen unmöglich. Dies hat der Senat zu respektieren, führt aber andererseits dazu, dass etwaige günstige Gesichtspunkte, die sich aus diesem Interview für die Klägerin ergeben könnten, im vorliegenden Verfahren unberücksichtigt bleiben müssen.

Demgegenüber ist es zwar bereits auf Grundlage der vom Senat erhobenen Beweise glaubhaft, dass die Klägerin eine Beschäftigung im S-Shop, einem nach menschlichem Ermessen im Ghetto wohl eher "begehrten" Arbeitsplatz aus einem Willensentschluss angestrebt hat. Indessen ist es angesichts der von ihr selbst glaubhaft - und auch vom historischen Sachverständigen nicht angezweifelten - Obergrenze von zwei offiziellen Beschäftigten pro Nähmaschine zur offiziellen Aufnahme der von der Klägerin gewollten Beschäftigung im S-Shop und ihrer Eingliederung in den dortigen Betrieb nicht gekommen. Der "inoffizielle" Status der Klägerin steht daher der Annahme einer Beschäftigung i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ZRBG im Sinne eines von beiden Seiten gewollten Austausches von Arbeitsleistung gegen Entgelt (vgl. hierzu eingehend BSG, Urteile vom 18.06.1997, 21.04.1999 und 14.07.1999, aaO) entgegen. Insoweit spricht auch gerade die kurze Dauer der Anwesenheit der Klägerin am Beschäftigungsort ihres Vaters und ihrer Schwester sowie die aus der auch aus ihrer Ergreifung bei der Razzia zu schließende Tatsache, dass sie keine Arbeitskarte von S hatte, dafür, dass sie dort zu keinem Zeitpunkt als reguläre Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert war.

Damit kommt es für die Entscheidung des Falles auch auf die rechtlich umstrittene Frage des Entgelts i.S.d. § 1 ZRBG nicht an, die. Der Senat nimmt hier daher auch nicht zu der Erwägung Stellung, ob die Arbeitskarte ein Entgelt darstellen könnte oder nicht.

2. Pflichtbeiträge gelten für die Klägerin - insbesondere vor dem 01.01.1940 - auch nicht nach § 12 WGSVG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) Fremdrentengesetz (FRG) als gezahlt (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil v. 14.07.1999, aaO). Danach gelten als Pflichtbeitragszeiten solche Zeiten, in denen ein Verfolgter eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, für die aus Verfolgungsgründen Beiträge nicht gezahlt sind. Insofern ist in der Rechtsprechung bereits abschließend entschieden, dass es sich grundsätzlich um eine Beschäftigung handeln muss, die nach damaligem deutschem Recht konkret Versicherungspflicht begründet hat (BSG, Urteil v. 14.07.1999, a.a.O.). Das ist aus den genannten Gründen bei der Klägerin jedoch nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil ein Sachverhalt, der Rechtsfragen im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG aufwirft, nicht feststellbar ist.
Rechtskraft
Aus
Saved