Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 1206/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1731/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27. Februar 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006 aufgehoben.
Die Beklagte erstattet dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Kostenerstattungsforderung der Beklagten wegen der Inanspruchnahme von Leistungen.
Der am 1979 geborene Kläger war zunächst über seinen Vater bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich Beklagte) familienversichert. Ab dem 23. März 1999 war er als Lehrling der Firma D. bei der Beklagten pflichtversichert. Er brach die Ausbildung zum 15. März 2001 ab. Der nachgehende Versicherungsschutz bei der Beklagten endete am 15. April 2001. Anschließend war der Kläger beschäftigungslos. Er hielt sich in der Folgezeit zeitweise bei seinen Eltern in Baden-Württemberg und zeitweise bei Verwandten in Kroatien und in der Schweiz auf. Er meldete sich zu dieser Zeit weder bei dem damaligen Arbeitsamt oder beim Sozialamt. Am 03. Mai 2002 übersandte die Beklagte dem Kläger eine neue Krankenversichertenkarte für eine Pflichtversicherung bei ihr. Das Begleitschreiben zu dieser Übersendung konnte von den Beteiligten nicht mehr vorgelegt werden. Am 06. Mai 2002 ging bei der Beklagten ein vom Vater des Klägers unterschriebener "Antwortschein" mit "Angaben zur Familienversicherung" vom 02. Mai 2002 ein, auf dem dieser lediglich die beiden Geschwister des Klägers als familienversichert angab.
Ab etwa Mitte 2003 benötigte der Kläger wegen eines Leberschadens ärztliche Behandlung und die Versorgung mit Medikamenten. Er war in dieser Zeit u.a. bei der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. O. und dem Internisten Dr. S. in S. G. in Behandlung. Bei seinen Behandlungen bei den Ärzten und in den Apotheken, in denen der Kläger die von den Ärzten verschriebenen Medikamente erwarb, legte er jeweils die Krankenversichertenkarte der Beklagten vom 03. Mai 2002 vor. Er erhielt die genannten Leistungen ohne Beanstandung. Die Ärzte und Apotheken erhielten die geschuldeten Vergütungen für ihre Behandlungen und für die Medikamente.
Mit Datum vom 16. Februar 2004 ging bei der Beklagten ein von der Mutter des Klägers unterschriebener weiterer "Antwortschein" mit "Angaben zur Familienversicherung" ein. In diesem war allein der Kläger als "Kind" aufgeführt. Er enthielt den handschriftlichen Zusatz, der Kläger halte sich ab dem 01. Oktober 2003 wieder in der Bundesrepublik Deutschland auf, beziehe kein Arbeitslosengeld und kein sonstiges Einkommen und suche eine "Lohnstelle". Alle Angaben sind in einer anderen Schrift gehalten als die Unterschrift der Mutter des Klägers. Mit Schreiben vom 05. März 2004, gerichtet an den Kläger unter seiner baden-württembergischen Adresse, teilte die Beklagte mit, den Antrag auf Familienversicherung "Ihres Sohnes" geprüft zu haben, für eine Familienversicherung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres sei jedoch der Besuch einer Schule oder ein Studium nachzuweisen. In dem Schreiben wird auch mitgeteilt, die Beklagte gebe die ihr überlassene Rechnung zurück. Nach dem Vortrag des Klägers betraf diese Rechnung von ihm in der Schweiz erworbene Medikamente.
Am 08. September 2004 ging bei der Beklagten ein neuer "Antwortschein" wegen einer Familienversicherung ein, den der Kläger, seine Eltern und seine Geschwister am 05. September 2004 unterschrieben hatten. Mit diesem Antwortschein wurden der Kläger, seine beiden Geschwister und seine Mutter als familienversichert angemeldet. Am 21. September 2004 meldete sich der Kläger auf einer Geschäftsstelle der Beklagten und bat um die Ausstellung einer Krankenversichertenkarte. Die Mitarbeiterin der Beklagten rief bei dem zuständigen Sozialamt an. Von dort wurde ihr mitgeteilt, der Kläger werde ab dem 07. September 2004 nach § 37 des früheren Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) angemeldet. Eine solche Anmeldung erfolgte jedoch nicht. Am 15. Dezember 2004 übersandte die Beklagte dem Kläger ein Schreiben, in dem sie ausführte, der Kläger habe in dem laufenden Jahr bereits Ausgaben für Zuzahlungen zu Medikamenten gehabt. Die Beklagte bot an, die Mehrkosten zu erstatten und den Kläger bis zum Jahresende von weiteren Zuzahlungen zu befreien, wenn die bisherigen Aufwendungen bereits zwei v.H. seines jährlichen Brutto-Einkommens überstiegen hätten. Sie forderte ihn auf, einen beigefügten Erstattungsvordruck auszufüllen und zurückzusenden.
Vom 01. Januar 2005 bis 31. März 2006 erhielt der Kläger Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II), weshalb er in diesem Zeitraum bei der Beklagten pflichtversichert war.
Unter dem 15. August 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er sei in der Zeit vom 16. April 2001 bis zum 06. September 2004 nicht bei ihr krankenversichert gewesen, habe jedoch gleichwohl unberechtigterweise in dieser Zeit Leistungen zu ihren Lasten bezogen, und forderte den Kläger auf, die "zu Unrecht entstandenen Kosten" in Höhe von EUR 13.503,54 bis zum 30. August 2005 zu erstatten. Unter dem 23. August 2005 teilte die Beklagte dem Kläger weiter mit, eine Rücksprache mit ihrer Regionaldirektion Schwäbisch Gmünd habe ergeben, dass sein Fall mit dem Sozialamt besprochen worden sei und das Sozialamt mitgeteilt habe, eine Meldung sei erst ab 07. September 2004 erfolgt, weil er vorher im Ausland gewesen sei. Die Beklagte bestritt, dass der Kläger familienversichert gewesen sei. Die letzte Krankenversichertenkarte für eine Familienversicherung sei bereits 1999 verschickt worden. Die Beklagte räumte ein, dass dem Kläger am 03. Mai 2002 eine Krankenversichertenkarte für eine eigene Versicherung zugesandt worden war. Dies sei jedoch irrelevant, da die Leistungen erst ab Februar 2003 angefallen seien. In dieser Mitteilung und mit Mahnungen vom 06. September 2005 und 27. September 2005 hielt die Beklagte ihre Erstattungsforderung von EUR 13.503,54 aufrecht und forderte den Kläger zur Erstattung zuletzt bis zum 12. Oktober 2005 auf. Keine der genannten Mitteilungen enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung.
Mit Bescheid vom 17. Januar 2006 forderte die Beklagte den Kläger zur Erstattung der Forderung bis zum 17. Februar 2006 auf. Wegen zwischenzeitlich angefallener Mahngebühren in Höhe von EUR 4,00 belief sich die geltend gemachte Forderung nunmehr auf EUR 13.507,54. Dieser Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung mit Hinweis auf den Widerspruch.
Der Kläger erhob am 26. Januar 2006 Widerspruch. Er werde die Erstattungsforderung nicht bezahlen, da er sich im Jahr 2003 nach seiner weiteren Versicherung erkundigt und von der Beklagten die Auskunft erhalten habe, noch bis zum 25. Lebensjahr familienversichert zu sein. Mit Widerspruchsbescheid vom 07. März 2006 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Die Familienversicherung des Klägers habe zum 28. August 2002 geendet, weil der Kläger an diesem Tag das 23. Lebensjahr vollendet habe. Eine weitere Versicherung bis zum 25. Lebensjahr sei nicht möglich, weil der Kläger nicht nachgewiesen habe, sich in dieser Zeit in Schul- oder Berufsausbildung befunden zu haben. Sie, die Beklagte, habe die vom Kläger behauptete Auskunft, noch bis zum 25. Lebensjahr familienversichert zu sein, nicht gegeben. Eine solche Auskunft gebe kein Kundenberater, da diesem die gesetzlichen Vorgaben genauestens bekannt seien. Im Übrigen sei der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht als familienversichert im Bestand geführt worden. Die Familienversicherung habe mit Aufnahme einer Beschäftigung zum 23. März 1999 geendet. Danach sei der Kläger lediglich bis zum 15. April 2001 selbst bei der Beklagten versichert gewesen. Die in Anspruch genommenen Leistungen seien alle über die Krankenversichertenkarte des Klägers aus der eigenen Versicherung abgerechnet worden.
Am 29. März 2006 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Ulm (SG). Er begehrte, den Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 17. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006 aufzuheben. Er trug vor, ihm sei nicht bekannt gewesen, zur Zeit seiner Behandlung im Jahr 2003 nicht krankenversichert gewesen zu sein. Er behauptete, er habe, bevor er sich zum Arzt begeben habe, persönlich bei der Geschäftsstelle Schwäbisch Gmünd der Beklagten vorgesprochen und nachgefragt, ob er krankenversichert sei, da er voraussichtlich eine Interferon-Kur benötigt habe. Er habe erklärt, arbeitslos zu sein, ohne beim Arbeitsamt gemeldet zu sein, und bei seinen Eltern zu wohnen. Man habe ihm mitgeteilt, er sei bis zum seinem 25. Lebensjahr familienversichert. Auf Grund dieser Auskunft habe er sich am 21. Oktober 2003 in die notwendige ärztliche Behandlung bei Dr. O. begeben. Die Behandlung habe bis Ende 2004 gedauert. Er sei (erst) Anfang Februar 2004 zu seiner Tante in die Schweiz gereist und habe sich dort vier Wochen aufgehalten. Er sei Anfang März 2004 wieder nach Baden-Württemberg zurückgekehrt. Das Schreiben vom 05. März 2004 habe er nicht erhalten. Einen Arzt in Konstanz habe er nie aufgesucht. Er habe im Juli 2004 bei der Beklagten erneut vorgesprochen, um eine Weiterversicherung nach der Vollendung des 25. Lebensjahres am 29. August 2004 zu klären. Er sei von der Beklagten zum Sozialamt geschickt worden. Auch jetzt seien keinerlei Hinweise gegeben worden, er sei nicht krankenversichert gewesen. Der Kläger verwies ferner auf das Schreiben der Beklagten vom 15. Dezember 2004 über die Möglichkeit einer Befreiung von weiteren Zuzahlungen. Er behauptete, er habe aufgrund dieses Schreibens erneut bei der Beklagten vorgesprochen und dort die Auskunft erhalten, er solle eine Liste mit den bezogenen Medikamenten einreichen. Auch bei diesem Gespräch sei er nicht darauf hingewiesen worden, in der Vergangenheit nicht krankenversichert gewesen zu sein. Die Beklagte hätte bereits unmittelbar, nachdem er seine Erwerbstätigkeit aufgegeben und keine Beiträge mehr gezahlt habe, bemerken müssen, dass seine Mitgliedschaft beendet gewesen sei. Dessen ungeachtet habe sie ihm noch am 03. Mai 2002 eine neue Versichertenkarte für eine eigene Versicherung übersandt. Auch habe sie den Rückforderungsbescheid erst zweieinhalb Jahre nach Inanspruchnahme der ersten unberechtigten Leistung erlassen. Bei der persönlichen Anhörung durch das SG gab der Kläger an, er habe einen Monat oder zwei Monate vor Beginn der Behandlung bei Dr. O. bei der Beklagten nachgefragt, ob er familienversichert sei. Er sei sich dessen damals nicht sicher gewesen. Er habe während des Aufenthalts in der Schweiz für seine Medikamente ein Privatrezept bekommen. Seine Mutter sei mit diesem Privatrezept bei der Beklagten gewesen und habe gefragt, ob die Aufwendungen erstattet werden könnten. In diesem Zusammenhang sei sie aufgefordert worden, den Fragebogen wegen der Familienversicherung auszufüllen. Es sei dann das Schreiben vom 05. März 2004 mit dem Rezept zurückgekommen. Der Kläger bestätigte, er sei im Juli 2004 bei der Beklagten gewesen und habe wegen seines bevorstehenden 25. Geburtstags nachgefragt. Eine nicht unterschriebene Krankenversichertenkarte gab der Kläger der Beklagten wegen des Ende des Leistungsbezugs nach dem SGB II im Termin zur Erörterung des Sachverhalts beim SG am 22. August 2006 zurück.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Eine Nachfrage im Oktober 2003 könne deswegen nicht stattgefunden haben, weil zur Überprüfung eines Anspruchs auf Familienversicherung ein Fragebogen ausgefüllt werden müsse, ihr jedoch für jenen Zeitpunkt kein Fragebogen vorliege. Ferner trug die Beklagte vor, ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ruhe, solange sich der Versicherte im Ausland aufhalte. Der Kläger habe vorgetragen, er sei Anfang des Jahres 2004 für mehrere Monate in der Schweiz gewesen. In der Zeit vom 23. Dezember 2003 bis 08. Juli 2004 seien Arzneimittel durch einen Arzt in Konstanz verordnet worden. Die Beklagte behauptete ferner, den unberechtigten Leistungsbezug des Klägers am 08. März 2005 durch eine EDV-Prüfung des neu gegründeten Fachcenters Ulm festgestellt zu haben. Die Beklagte legte vor dem SG Computerausdrucke über ärztliche Behandlungen des Klägers vom 12. Februar 2003 bis zum 19. Juli 2004 und über den Bezug von Medikamenten vom 23. Dezember 2003 bis zum 08. Juli 2004 vor sowie einen Computerausdruck über die Kontakte zum Kläger und weitere interne Arbeiten an den Datensätzen über seine Versicherungen vom 24. Juni 1999 bis zum 22. August 2006 (Ausdruck vom 24. August 2006).
Mit Urteil vom 27. Februar 2007 wies das SG die Klage ab. Es führte aus, der Beklagten stehe der geltend gemachte Rückforderungsbetrag zu. Gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) seien Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden seien. §§ 45 und 48 SGB X gälten entsprechend. Die von der Beklagten zurückgeforderten Leistungen seien ohne Verwaltungsakt, nämlich als Sach- bzw. Dienstleistung erbracht worden. Solche Leistungen seien gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 SGB X in Geld zu erstatten. Der durch §§ 45 und 48 SGB X gewährte Vertrauensschutz greife zu Gunsten des Klägers nicht ein. Der Kläger könne sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen. Er habe die Rechtswidrigkeit der Leistungsinanspruchnahme, wenn er sie nicht erkannt haben sollte, jedenfalls aufgrund einer besonders schwerwiegenden Verletzung der erforderlichen und jedem Versicherten, auch dem vermeintlich Versicherten, zumutbaren Sorgfalt nicht erkannt. Er habe wahlweise vorsätzlich oder grob fahrlässig Leistungen der Beklagten unter Vorlage der Krankenversichertenkarte in Anspruch genommen, ohne als Mitglied oder aus sonstigem Grund krankenversichert gewesen zu sein. Dass er seit dem Abbruch seiner Lehre am "15. April 2004" (gemeint 15. März 2004) kein Mitglied mehr gewesen sei, habe er gewusst, denn sonst ergebe es keinen Sinn, dass er sich um seine Familienversicherung gekümmert habe bzw. seine Mutter gebeten habe, sich für ihn darum zu kümmern. Der Vortrag des Klägers, er habe sich erst bei der Beklagten erkundigt, ob er versichert sei und sich erst dann behandeln lassen, lasse sich nicht nachvollziehen. Wenn die Beklagte ihm die Auskunft gegeben haben sollte, seine Familienversicherung bestehe ohne weitere Voraussetzungen bis zum 25. Lebensjahr, machten seine aktenkundigen Bemühungen, vor Vollendung des 25. Lebensjahres eine Familienversicherung zu erhalten, - wie z.B. der Antrag vom 16. Februar 2004 - keinen Sinn. Nach den Kontaktunterlagen der Beklagten, die zahlreiche Begegnungen enthielten, habe der Kläger vor Inanspruchnahme von Leistungen im Herbst 2003 keinen Kontakt zur Beklagten gehabt. Die Behauptung des Klägers werte es (das SG) als reine Schutzbehauptung, die durch nichts belegt sei. Bei der Beurteilung der Frage der Wahlfeststellung zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit solle das Verhalten des Klägers nach Beendigung seiner (weiteren) Mitgliedschaft aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld II ab dem 01. April 2006 mitbedacht werden. Der Kläger habe die Krankenversichertenkarte erneut nicht freiwillig zurückgegeben, sondern habe durch das Gericht in dem Erörterungstermin vom 22. August 2006 dazu gedrängt werden müssen. Dass er diese Krankenversichertenkarte nicht unterschrieben habe, stimme darüber hinaus nachdenklich. Dass dem Kläger am 03. Mai 2002 eine Krankenversichertenkarte übersandt worden sei, begründe keine Krankenversicherung. Das der Übersendung der Karte regelmäßig beigefügte Schreiben der Beklagten habe nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Verweis auf SozR 3-2500 § 10 Nr. 19) keine Verwaltungsaktqualität. Der Kläger habe dies auch selbst nicht angenommen, denn sonst hätte er die Frage der Familienversicherung Anfang 2004 nicht zur Diskussion stellen müssen. Der Kläger habe seine Krankenversichertenkarte demnach seit Herbst 2003 und bis Juli 2004 ohne Rechtsgrund benutzt. Der Beklagten sei die unrechtmäßige Leistungsbeanspruchung nach ihrem nicht anzuzweifelnden Vorbringen erstmals durch den Datenabgleich des Fachcenters am 08. März 2005 bekannt geworden. Die erste Rückzahlungsaufforderung datiere vom 15. August 2005, der streitgegenständliche Bescheid vom 17. Januar 2006, so dass die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zweifellos eingehalten sei. Ferner sei der streitige Erstattungsanspruch ausnahmsweise nicht begründungsbedürftig gewesen. Lasse die Begründung eines belastenden Ermessensbescheids die Ermessenserwägungen der Behörde nicht erkennen, könne daraus auf einen fehlerhaften Ermessensnichtgebrauch nur geschlossen werden, wenn eine Begründung überhaupt rechtlich geboten gewesen sei. Einer Begründung bedürfe es jedoch nicht, wenn dem Adressaten des Verwaltungsakts die Auffassung der Behörde hinreichend bekannt sei. Die Beklagte habe es dem Kläger im August 2005 und in der Folgezeit stets unmissverständlich mitgeteilt, dass er zu ihren Lasten Leistungen bezogen habe, ohne bei ihr versichert gewesen zu sein. Der Ermessensspielraum der Beklagten sei auf Null reduziert gewesen, auch wenn es der Beklagten nicht bewusst gewesen sei, dass sie evtl. eine Ermessensentscheidung hätte treffen müssen. Ein bösgläubig zu Unrecht bereicherter Versicherter hafte - auch in der Sozialversicherung - verschärft auf Erstattung der Leistung. Anhaltspunkte dafür, dass hier eine Ausnahme vorliege, fehlten. Bei der Rücknahme einer Begünstigung für die Vergangenheit seien grundsätzlich keine billigenswerten Interessen des Leistungsempfängers rechtlich anzuerkennen, das schuldhaft zu Unrecht Erlangte ganz oder teilweise zu behalten. Dass die Rückforderung eine wirtschaftliche Härte sei, sei für sich genommen kein Argument.
Gegen dieses Urteil, das seiner Prozessbevollmächtigten am 05. März 2007 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 04. April 2007 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er behauptet, das SG sei von völlig falschen Tatsachen ausgegangen. Es unterstelle ohne weitere Aufklärung, dass er sich um eine Familienversicherung bemüht habe, was tatsächlich nicht so gewesen sei. Er sei davon ausgegangen, versichert zu sein. Er sei nach Abbruch seiner Lehre weiterhin im Besitz einer Krankenversichertenkarte gewesen. Ihm sei am 03. Mai 2002 trotz des nicht bestehenden Versicherungsverhältnisses eine neue Krankenversichertenkarte zugesandt worden. Vor Beginn seiner Interferon-Behandlung habe er sich allerdings noch einmal tatsächlich versichern wollen, versichert zu sein, da die Behandlung besonders kostenintensiv gewesen sei. Er habe diese Behandlung begonnen, nachdem er die mündliche Auskunft erhalten habe, er sei bis zum 25. Lebensjahr familienversichert. Ihm hätten dabei keine Zweifel kommen müssen, da seine Versichertenkarte anstandslos funktioniert habe. Er habe seine Mutter vor ihrer Vorsprache am 16. Februar 2004 bei der Beklagten ausschließlich beauftragt, nachzufragen, ob die Beklagte auch Medikamente zahle, die er in der Schweiz erwerbe. Aus welchen Gründen seiner Mutter ein Antrag auf Familienversicherung mitgegeben worden sei, entziehe sich seiner Kenntnis. Die Behauptung der Beklagten, er habe sich vom 23. Dezember 2003 bis zum 08. Juli 2004 Arzneimittel durch einen Arzt in Konstanz verschreiben lassen, treffe nicht zu. Er sei niemals bei einem Arzt in Konstanz gewesen. Der Kläger meint, es sei Sache der Beklagten gewesen, die Krankenversichertenkarte nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses zu sperren bzw. dafür zu sorgen, dass ihm keine neue Krankenversichertenkarte übersandt wird. Die Beklagte könne nicht damit gehört werden, den Mangel seiner Versicherung erst durch das Fachcenter Ulm festgestellt zu haben. Auch vor der Gründung dieses Fachcenters habe es für eine Krankenkasse möglich sein müssen festzustellen, dass eine nicht versicherte Person Leistungen in Anspruch nehme. Es sei insbesondere schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte erstmals am 08. März 2005 von dem fehlenden Versicherungsverhältnis erfahren habe. Auch die Höhe des Rückzahlungsbetrags sei nicht unstreitig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27. Februar 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie trägt vor, sie habe dem Kläger am 03. Mai 2002 eine neue Krankenversichertenkarte mit dem Status Versicherter übersandt, weil die Frist der bisherigen Krankenversichertenkarte abgelaufen gewesen sei. Diese Versichertenkarte habe sich auf eine eigenständige Mitgliedschaft des Klägers bezogen, die zu jener Zeit irrtümlich noch bei ihr geführt worden sei. Mit dem Schreiben vom 05. März 2004 sei deswegen keine Krankenversichertenkarte zurückgefordert worden, weil für die Familienversicherung des Klägers keine Krankenversichertenkarte ausgestellt worden sei. Der Kläger habe nach dem 05. März 2004 noch Leistungen im Umfang von EUR 7.562,12 in Anspruch genommen.
Der Berichterstatter des Senats hat den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert und den Kläger persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Erörterung und der Anhörung wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 28. Juli 2009 verwiesen.
Der Berichterstatter hat danach in der Praxis des Arztes Dr. U. B. Br. in Konstanz die telefonische Auskunft eingeholt (Frau R.), es handle sich bei jener Praxis um eine laboratoriumsmedizinische Praxis, bei der im November 2003 und im März 2004 jeweils eine Probe Blut, Urin oder dergleichen des Klägers untersucht worden sei, die von der Praxis v. d. L. in Schwäbisch Gmünd eingeschickt worden sei. Der Kläger selbst sei nicht in Konstanz gewesen. Die Praxis des Arztes v. d. L. (Frau S.) hat daraufhin telefonisch bestätigt, im November 2003 einen entsprechenden Untersuchungsauftrag des behandelnden Arztes/Internisten Dr. M. an die Praxis Br. in Konstanz weitergeleitet zu haben. Für März 2004 habe kein Auftrag vorgelegen, weitere Untersuchungen habe es im Mai und September 2004 gegeben, zumindest diese letztere sei dem Kläger privat in Rechnung gestellt worden.
Der Berichterstatter hat weiterhin die behandelnden Ärzte des Klägers Dr. O. und Dr. S. schriftlich als Zeugen vernommen. Dr. O. hat unter dem 11. August 2009 mitgeteilt, sie habe vom 21. Oktober 2003 bis zum 11. Oktober 2004 insgesamt sechs Patientenkontakte ohne Behandlungen zu dem Kläger gehabt. Sie habe ihn ferner an Dres. S. und M. überwiesen. Ferner habe sie dem Kläger angeraten, eine Kostenübernahmezusage der Beklagten einzuholen. Dr. S. hat unter dem 21. August 2009 bekundet, bei dem Kläger vom 02. Dezember 2003 bis zum 20. Dezember 2004 eine chronische Hepatitis C antiviral behandelt zu haben. Er habe hierbei Überweisungen an den Laborarzt v. d. L., an die Hausärztin des Klägers und an einen Sportmediziner ausgestellt. Er habe die chronische Hepatitis C mit Interferon in Form von PegaSys 180 und Rebetol 200 behandelt. Die Kosten für diese Behandlung würden von den Kassen übernommen.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Zum 01. Januar 2010 ist auf Beklagtenseite ein Beteiligtenwechsel eingetreten. Aufgrund der Fusion der früheren Beklagten mit weiteren Krankenkassen ist die jetzige Beklagte Rechtsnachfolgerin der früheren Beklagten.
2. Gegenstand des Rechtsstreites ist der Bescheid vom 17. Januar 2006 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006). Denn allein dieser Bescheid regelt zuletzt die von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsforderung. Zwar hat die Beklagte bereits zuvor unter dem 15. und 23. August 2005 die Erstattungsforderung geltend gemacht. Auch insoweit handelt es sich um Verwaltungsakte gemäß § 31 SGB X. Diese sind aber nicht mehr wirksam, weil sie auf andere Weise erledigt sind (§ 39 Abs. 2 SGB X). Mit dem Bescheid vom 17. Januar 2006 hat die Beklagte eine neue sachliche Entscheidung im Sinne eines sogenannten Zweitbescheides erteilt, der den Klageweg (neu) eröffnet (Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-8100 Art 19 Nr. 5; SozR 3-4100 § 94 Nr. 1). Der Kläger und die Beklagte gehen erkennbar davon aus, dass die Frage, ob der Kläger die von der Beklagten erbrachten Sach- und Dienstleistungen zu erstatten hat, durch den Bescheid vom 17. Januar 2006 abschließend geregelt wird. Die Steuerungsfunktion des Verwaltungsakts geht auch verloren, wenn die an einem Verwaltungsakt Beteiligten - sei es als Behörde, als Adressat oder als unmittelbar oder nur mittelbar Betroffener - übereinstimmend dem ursprünglichen Verwaltungsakt keinerlei tatsächliche oder rechtliche Bedeutung mehr beimessen. Das setzt keinen Verzichtswillen voraus, sondern nur "konsensuales" Verhalten. Ähnlich dem Verlust der Wirksamkeit durch Zeitablauf, stellen sich die Beteiligten bewusst auf eine neue, veränderte Sachlage ein, die sie ihrem weiteren Verhalten nunmehr zugrunde legen. Sie verändern übereinstimmend gleichsam die "Geschäftsgrundlage" (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] NVwZ 1998, 729).
3. Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 153 Abs. 1 i.V. mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, insbesondere nach § 151 Abs. 1 form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 SGG) abgewiesen. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Das Urteil des SG und der genannte Bescheid waren daher aufzuheben.
4. Grundlage für den geltend gemachten Rückforderungsanspruch der Beklagten kann nur § 50 Abs. 2 SGB X sein. Danach sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten. §§ 45 und 48 SGB X gelten entsprechend. Der Kläger hat die ärztlichen Behandlungen und die verordneten Medikamente als Sach- und Dienstleistungen ohne vorangegangene Bewilligung durch die Beklagte in Form eines Verwaltungsakts erhalten. Die Behandlung durch einen Vertragsarzt und die Abgabe verordneter Medikamente zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sind regelmäßig nicht mit dem Erlass eines Bescheids der jeweiligen Krankenkasse verbunden. Die Krankenkasse selbst ist in die jeweilige konkrete Leistungserbringung nicht eingebunden. Arzt und Apotheke als Leistungserbringer sind rechtlich nicht in der Lage, für die jeweilige Krankenkasse Bescheide zu erlassen. Deshalb greift hier nicht § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ein, wonach vor einer Rückforderung ein Bewilligungsbescheid zurückzunehmen oder aufzuheben ist.
a) Die ärztliche Behandlung und die Medikamente, die der Kläger erhielt, waren rechtlich Leistungen der Beklagten. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) sind es die Krankenkassen, die den Versicherten die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stellen, nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind diese Leistungen von den Krankenkassen - als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen. Auch der Versicherte selbst, der bei seinem Arzt oder in seiner Apotheke seine Krankenversichertenkarte, die von seiner Krankenkasse ausgestellt ist, vorlegt, weiß, dass er Leistungen zu Lasten eben dieser Krankenkasse in Anspruch nimmt. Die Krankenkassen tragen die Kosten der dem Versicherten erbrachten Leistungen durch direkte Abrechnung mit den Leistungserbringern bzw. ihren Vereinigungen.
b) Der Kläger hat die genannten Leistungen der Beklagten zu Unrecht, also ohne rechtlichen Grund, bezogen, weil er keinen Anspruch mehr auf die Versorgung durch die Beklagte hatte. Ein solcher Anspruch steht nur Mitgliedern gegen ihre Krankenkasse zu. Der Kläger war aber spätestens ab dem Jahr 2003 kein Mitglied der Beklagten mehr, als er die Behandlungen bei Dr. O. und Dr. S. und die von ihnen veranlassten Untersuchungen bei anderen Ärzten sowie die verordneten Medikamente zu Lasten der Beklagten in Anspruch genommen hat.
Dass er nach dem Abbruch seiner Ausbildung und dem Ende des nachgehenden Versicherungsschutzes ab dem 15. April 2001 keine eigene Versicherung mehr bei der Beklagten unterhielt, ist unstreitig, denn er war nicht mehr beschäftigt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Ein anderer Tatbestand der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 SGB V lag ebenfalls nicht vor. Auch eine Familienversicherung bestand nach seinem 23. Geburtstag, dem 29. August 2002, nicht mehr, denn eine solche Versicherung nach dem Erreichen dieses Lebensjahrs setzt nach § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V voraus, dass eine Ausbildung an einer Schule oder Hochschule absolviert wird, was bei dem Kläger nicht der Fall war. Der Kläger hat auch selbst nicht vorgetragen, eine Familienversicherung habe tatsächlich bestanden, sondern lediglich, die Beklagte habe ihm dies mitgeteilt. Eine freiwillige Versicherung letztlich (§ 9 SGB V) nach dem Ende seiner Pflicht- oder seiner Familienversicherung hat der Kläger nicht beantragt.
Dass die Beklagte dem Kläger unter dem 03. Mai 2002 eine neue Krankenversichertenkarte für seine - nicht mehr bestehende - eigene Versicherung bei ihr übersandte, hat nicht zu einer (Pflicht )Mitgliedschaft geführt. Eine Versicherungspflicht tritt nur mit der Verwirklichung des sie begründenden Tatbestandes ein, ohne dass es auf den Willen oder das Bewusstsein der Beteiligten ankommt (vgl. BSG SozR 5420 § 2 Nr. 33) und es eines "Aufnahmebescheides" der Krankenkasse bedarf. Die Übersendung einer neuen Krankenversichertenkarte stellt keinen Verwaltungsakt dar (vgl. BSG SozR 3-2500 § 10 Nr. 19). Die schlichte Übersendung einer neuen Krankenversichertenkarte kann viele Gründe haben, sei es, dass die Gültigkeitsdauer der alten Krankenversichertenkarte abgelaufen ist, sei es, dass die alte Krankenversichertenkarte verloren wurde. In diesen Fällen kann der Übersendung keine rechtliche, konstitutive Wirkung zukommen, weil sich die Rechtslage überhaupt nicht verändert hat. Ob etwas anderes anzunehmen ist, wenn eine Krankenversichertenkarte erstmals auf eine entsprechende Anmeldung eines Antragstellers übersandt wird oder wenn der Krankenversichertenkarte ein Begleitschreiben mit Ausführungen zur Art und/oder zum Beginn der Versicherung enthält, muss hier nicht entschieden werden. Der Senat kann deshalb nicht der Auffassung des Sozialgerichts Aachen (Gerichtsbescheid vom 15. März 2004, S 6 KR 168/03, veröffentlicht in Juris, Rn. 9 f.) und des Sozialgerichts Hamburg (Urteil vom 19. Januar 2004, S 28 KR 44/02, veröffentlicht in Juris, Rn. 18) folgen, die in derartigen Fällen angenommen haben, dass ein Verwaltungsakt vorliegt. Der Kläger erhielt seine neue Krankenversichertenkarte im Mai 2002, weil die Gültigkeitsdauer der alten abgelaufen war. Welchen Inhalt das Begleitschreiben zu dieser Krankenversichertenkarte hatte, konnte der Senat nicht feststellen, weil keiner der beiden Beteiligten dieses Schreiben vorlegen konnte.
c) Allerdings gelten auch für einen Rückforderungsanspruch nach § 50 Abs. 2 SGB X die Vertrauensschutzregelungen des § 45 (bzw. des § 48) SGB X entsprechend.
aa) Dies gilt zunächst für den materiellen Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 SGB X.
Hiernach ist eine Rückforderung bereits erbrachter Leistungen, die im Rahmen des § 45 Abs. 1 und 4 SGB X der Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit entspricht, nur möglich, wenn der Leistungsempfänger entweder den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Abs. 2 Satz 3 Nr. 1), vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat, um die Leistung zu erlangen (Nr. 2) oder aber erkannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit verkannt hat, dass die Leistung an ihn keinen Rechtsgrund hat (Nr. 3). Grobe Fahrlässigkeit im Sinne von Nr. 2 und Nr. 3 dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X). Anzulegen ist ein subjektiver Maßstab, nämlich die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten (BSGE 44, 264, 273). Der Begünstigte wendet nicht die erforderliche Sorgfalt auf, wenn er schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (BSGE 42, 184).
Im Falle des Klägers kommt, wie auch das SG angenommen hat, nur § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X als Rechtsgrundlage für die Rückforderung in Betracht. Falsche Angaben gegenüber der Beklagten hat der Kläger nie gemacht. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X liegen jedoch nicht für den gesamten hier streitigen Zeitraum vor.
(1) Allerdings wusste der Kläger, dass er nach dem Abbruch der Ausbildung nicht mehr als Mitglied bei der Beklagten (pflicht-)versichert war, wie dies der am 03. Mai 2002 übersandten Krankenversichertenkarte zu Grunde lag. Dass eine eigene Versicherung eine Beschäftigung oder eine berufliche Ausbildung vor¬aussetzt, ist unter den Krankenversicherten weitgehend bekannt. Der Kläger hielt sich nach dem Abbruch seiner Lehre längere Zeiträume im Ausland auf und war weder beim damaligen Arbeits- noch beim Sozialamt gemeldet. Dass eine eigene Versicherung unter diesen Umständen nicht bestehen konnte, wusste auch der Kläger. Dies ergibt sich aus seinem Vortrag im Gerichtsverfahren, er sei - auch auf Grund der angeblichen Auskünfte der Beklagten - von einer Familienversicherung ausgegangen, also nicht von einer eigenen (Pflicht )Versicherung.
(2) Anders als das SG vermag der Senat zumindest grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich des Bestehens einer Familienversicherung allerdings nicht für den gesamten hier streitigen Zeitraum zu bejahen.
Möglicherweise ist dem Kläger - nur - für den Zeitraum ab Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 05. März 2004 vorzuwerfen, grob fahrlässig nicht erkannt zu haben, nicht familienversichert zu sein. In jenem Schreiben an den Kläger hatte die Beklagte mitgeteilt, eine Aufnahme in die Familienversicherung komme nicht in Betracht. Aus dieser ablehnenden Aussage musste jeder Versicherte bzw. Versicherungsbewerber erkennen, dass - aus Sicht der Beklagten - überhaupt keine Versicherung vorlag. Der Senat geht auch davon aus, dass dieses Schreiben den Kläger erreicht hat. Es war an ihn unter seiner baden-württembergischen Adresse gerichtet, unter der er sich - seinem eigenen Vortrag nach - nach seiner Rückkehr aus der Schweiz "Anfang März" wieder aufhielt. Das Schreiben ist nicht zur Akte der Beklagten zurückgekehrt. Im Übrigen hat der Kläger den Zugang nicht bestritten. Er hat sogar auf einen anderen Hinweis der Beklagten in dem Schreiben, dass nämlich die eingereichten Privatrezepte für den Medikamentenbezug in der Schweiz nicht erstattet werden könnten, Bezug genommen. Dies zeigt, dass ihm das Schreiben bekannt geworden sein muss. Und bei seiner Anhörung vor dem Berichterstatter des Senats am 28. Juli 2009 hat er vorgetragen, an der auf dem Schreiben angegebenen Adresse habe sich ein Briefkasten mit seinem Familiennamen befunden.
Dagegen ist für die Zeit vor Erhalt dieses Schreibens, also für die Leistungsbezüge ab Herbst 2003 bis Anfang März 2004, der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit des Klägers an eine noch bestehende Familienversicherung nicht zu machen. Der Kläger war bis zu seinem 23. Geburtstag am 29. August 2002 bei der Beklagten familienversichert. Es ist nicht nachgewiesen, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass eine Familienversicherung mit diesem Lebensjahr endet. Das SG hat hier argumentiert, aus den Bemühungen des Klägers um Aufnahme in eine Familienversicherung ergebe sich, dass er zumindest Zweifel daran gehabt habe. Solche Bemühungen sind jedoch aus der Zeit vor Februar 2004 nicht dokumentiert. Der Antwortbogen vom 06. Mai 2002, in dem der Vater des Klägers nur seine weiteren Kinder, nicht aber den Kläger angab, datiert aus der Zeit vor dem unrechtmäßigen Leistungsbezug. Außerdem bestand zu diesem Zeitpunkt noch eine Familienversicherung. Der Kläger nun hat selbst behauptet, sich im Sommer oder Herbst 2003 bei der Beklagten erkundigt zu haben. Was den Inhalt seiner Nachfragen angeht, hat sein Vortrag im Prozess aber geschwankt. Während er vor dem SG und auch in der Berufungsinstanz zunächst noch angegeben hatte, er habe sich nach seinem Versichertenstatus erkundigt, hat er in dem Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des Senats am 28. Juli 2009 behauptet, sich nur um eine Kostenzusage für die anstehende umfangreiche Behandlung seiner Hepatitis C bemüht zu haben. In diesem Zusammenhang hat die behandelnde Ärztin Dr. O. in ihrer schriftlichen Zeugenaussage vom 11. August 2009 bekundet, dem Kläger tatsächlich geraten zu haben, eine Kostenübernahmeerklärung einzuholen. Der Senat geht im Ergebnis davon aus, dass sich der Kläger überhaupt nicht bei der Beklagten erkundigt hat, sondern dies nur deswegen behauptet hat, um darzutun, von der Beklagten die Auskunft erhalten zu haben, er sei familienversichert. Zu dieser Einschätzung kommt der Senat, weil in dem ansonsten umfassenden Ausdruck der Beklagten über die Kontakte zum Kläger seit 1999 keine Vorsprachen oder Nachfragen des Klägers im Jahre 2003 verzeichnet sind. Dass ein Mitarbeiter der Beklagten dem Kläger wirklich die - eindeutig falsche - Auskunft gegeben habe, er sei - ohne eine Schule oder Hochschule zu besuchen - bis zum 25. Geburtstag familienversichert, erscheint grundsätzlich nicht glaubhaft. Wenn aber demnach der Kläger in Wirklichkeit überhaupt nicht nachgefragt hat, kann ihm auch nicht unterstellt werden, er habe Zweifel an seinem Versichertenstatus gehabt. Die dann nächste Kontaktaufnahme, nämlich der "Antwortschein" vom 16. Februar 2004, ist nicht zwingend dem Kläger zuzurechnen. Es war seine Mutter, die diesen Bogen unterschrieb. Dass dies im Auftrag oder auch nur mit Kenntnis des Klägers geschah, ist nicht festzustellen. Der Vortrag des Klägers, seine Mutter sei allein wegen der Erstattung für die in der Schweiz eingelösten Rezepte bei der Beklagten vorstellig geworden, ist nicht völlig abwegig. Dass es bei der Vorsprache der Mutter zumindest auch um diese Rezepte ging, ergibt sich aus dem Antwortschreiben der Beklagten an den Kläger vom 05. März 2004 selbst. Es erscheint denkbar, dass die Beklagte der Mutter des Klägers bei der Vorsprache einen "Antwortschein" wegen einer Familienversicherung vorgelegt hat, weil sie festgestellt hatte, dass der Kläger nicht als familienversichert gemeldet war, und dieser sogleich dort ausgefüllt und auf der Dienststelle der Beklagten zurückgelassen wurde. Darauf deutet hin, dass er keinen Posteingangsstempel der Beklagten ausweist. Zudem ist in diesem "Antwortschein" als Kind der Kläger angegeben, nicht aber seine Geschwister. Auch sind die dortigen Angaben in einer anderen Schrift als derjenigen der Mutter des Klägers niedergelegt. Die Beklagte hat insoweit im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 28. Juli 2009 die Schrift des Mitarbeiters eingeräumt, der als Kundenberater oben auf dem "Antwortschein" genannt ist. Unabhängig hiervon könnte eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers, hätte er von diesem Antrag gewusst, nur für die Zeit ab dem 16. Februar 2004, nicht aber für den Zeitraum zuvor, angenommen werden.
Die anderen Indizien, auf die sich das SG gestützt hat, tragen auch in ihrer Gesamtheit ebenfalls nicht den Schluss, der Kläger sei bereits vor März 2004 zumindest grob fahrlässig gewesen. Dass der Kläger entgegen seiner Verpflichtung aus § 291 Abs. 1 Satz 2 SGB V die Krankenversichertenkarte vom 03. Mai 2002 nicht unterschrieben hatte, lässt keine Schlüsse auf sein Wissen um seinen Versicherungsstatus zu. Aus diesem Verhalten folgt eher der Verdacht, der Kläger habe die Karte anderen überlassen wollen. Der in diesem Zusammenhang verdächtige Einsatz der Karte bei der Praxis Dr. Br. in Konstanz konnte im Berufungsverfahren aufgeklärt werden. Dort wurden auf Veranlassung eines behandelnden Arztes laboratoriumsmedizinische Untersuchungen durchgeführt. Dass der Kläger auch nach dem neuerlichen Ende seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten ab dem 01. April 2006 seine Krankenversichertenkarte nicht zurückgegeben hat, lässt ebenfalls keine Schlüsse auf seinen Kenntnisstand drei Jahre zuvor zu.
bb) Der Senat lässt jedoch an dieser Stelle offen, ob auch für die Zeit vor März 2004 zumindest grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X anzunehmen ist. Jedenfalls ist der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006 deswegen rechtswidrig, weil die Beklagte in diesen Bescheiden kein Ermessen ausgeübt hat.
(1) Nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG ist ein Verwaltungsakt auch dann rechtswidrig, wenn die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt war, nach ihrem Ermessen zu handeln, jedoch die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. In einem solchen Fall ist die Anfechtungsklage begründet und das Gericht muss den angegriffenen Bescheid nach § 131 Abs. 1 SGG aufheben.
(2) Auch die Entscheidung über die Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit, die nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X ohnehin nur gegenüber bösgläubigen Begünstigten möglich ist, bleibt eine Ermessensentscheidung (BSG, SozR 3-1300 § 45 Nr. 4, Nr. 5 und § 50 Nr. 17). Ermessen ist im Bereich des § 45 SGB X immer auszuüben, nicht nur in "atypischen Fällen" wie bei der Soll-Verpflichtung zur Aufhebung eines Bescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X (vgl. Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 45 Rn. 79 m.w.N.). Das BSG hat lediglich in seinen Urteilen vom 25. Januar 1994 (SozR 3-1300 § 50 Nr.16) und vom 24. Oktober 1996 (4 RA 27/95, veröffentlich in Juris) Fälle zu entscheiden gehabt, in denen bei bösgläubigen Begünstigten von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen war. Dies besagt gerade, dass grundsätzlich die Rückforderung - auch bei bösgläubigen Versicherten - im Ermessen des Versicherungsträgers steht (BSG, SozR 3-1300 § 45 Nr. 37). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom SG zitierten Urteil des BSG vom 25. Januar 1994 (SozR 3-1300 § 50 Nr. 16). Darin hat das BSG lediglich für den "Regelfall" eines bösgläubigen Begünstigten eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen und bestimmte Einschränkungen zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte bei der Entscheidung über die Rückforderung gemacht. Dass bei weiteren, besonderen Umständen eine Ermessensentscheidung nötig bleibt, hat es dagegen nicht ausgeschlossen. Solche besonderen Umstände, die auch bei bösgläubigen Begünstigen eine Rückforderung ganz oder teilweise ausschließen können, sind z.B. das Ausmaß der Bösgläubigkeit des Begünstigten - bei Vorsatz dürfte regelmäßig eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen -, ein etwaiges Mitverschulden der Behörde und sein Ausmaß, die Dauer des unrechtmäßigen Leistungsbezugs oder die Belastung mit der Rückzahlung der gesamten Summe, die einen existenzvernichtenden Eingriff darstellen und über die Stundungs- und Erlassregeln in § 76 Abs. 2 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) nicht ausgeglichen werden könnte (vgl. hierzu BSG, SozR 3-4100 § 155 Nr. 2).
Diese Voraussetzungen gelten bei einer Rückforderung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X entsprechend.
(3) Der angegriffene Bescheid leidet an einem Ermessensnichtgebrauch.
Die Beklagte hat weder in dem angegriffenen Bescheid vom 17. Januar 2006 noch im Widerspruchsbescheid vom 07. März 2006 Ermessenserwägungen angestellt. Es finden sich keine Ausführungen dazu, ob Umstände vorliegen, die der Rückforderung ganz oder teilweise entgegenstehen könnten. Insbesondere die Frage, ob der Beklagten wegen der Übersendung der Krankenversichertenkarte am 03. Mai 2002 - mehr als zwei Jahre nach dem Ende der Pflichtversicherung und fast zehn Monate nach dem Ende der Familienversicherung des Klägers - ein erhebliches Mitverschulden vorzuwerfen ist, wird nicht aufgeworfen. Diese Frage war aber relevant: Durch die Übersendung der Krankenversichertenkarte am 03. Mai 2002 an den Kläger hat die Beklagte einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Auch zu diesem Zeitpunkt war der Kläger bereits nicht mehr bei ihr versichert. Die Beklagte hat im Verfahren selbst eingeräumt, bei ihr sei für den Kläger eine offene Mitgliedszeit beginnend mit dem 10. September 1999 gespeichert gewesen, die falsch eingepflegt gewesen und nicht rechtzeitig storniert worden sei. Ferner hatte die Beklagte mehrfach Gelegenheit, noch vor Beginn der Behandlung des Klägers ihren Fehler zu bemerken und die Krankenversichertenkarte zu sperren bzw. zurückzufordern. So ergibt sich aus der Liste der Kontakte zwischen ihr und dem Kläger bzw. den Eltern des Klägers, dass der Datensatz des Klägers auch vor Beginn der Interferon-Behandlung mehrmals bearbeitet wurde, nämlich am 09. Februar 2000 bzw. am 22. Februar 2002. Mindestens hierbei konnte die Beklagte ohne weiteres erkennen, dass eine Versicherung für den Kläger tatsächlich nicht mehr bestand. In solchen Fällen eines möglicherweise erheblichen Mitverschuldens der Behörde an dem unrechtmäßigen Leistungsbezug bedarf es Ausführungen, wenn von dem Berechtigten gleichwohl der vollen Leistungsbetrag zurückgefordert wird. Es kann hier aus Ermessenserwägungen heraus angezeigt sein, den Rückforderungsbetrag zu verringern, um dem Ausmaß des beiderseitigen Verschuldens an den zu Unrecht erbrachten Leistungen Rechnung zu tragen. Da die Beklagte diese Umstände nicht gewürdigt hat, ist von einem Ermessensnichtgebrauch auszugehen.
Dieser Ermessensfehler ist auch nicht geheilt worden. Hierbei kann offen bleiben, ob eine fehlende Ermessensausübung lediglich einen (formellen) Begründungsmangel darstellt und daher nach § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X bis zum Ende des Berufungsverfahrens nachgeholt werden kann (vgl. Schütze, a.a.O., § 41 Rn. 11). Denn die Beklagte hat, obwohl sie durch die Ausführungen des SG in dem Urteil vom 27. Februar 2007 auf ihren Ermessensfehler hingewiesen worden war, keine nachträgliche Ermessensabwägung angestellt.
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Beklagte erstattet dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Kostenerstattungsforderung der Beklagten wegen der Inanspruchnahme von Leistungen.
Der am 1979 geborene Kläger war zunächst über seinen Vater bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich Beklagte) familienversichert. Ab dem 23. März 1999 war er als Lehrling der Firma D. bei der Beklagten pflichtversichert. Er brach die Ausbildung zum 15. März 2001 ab. Der nachgehende Versicherungsschutz bei der Beklagten endete am 15. April 2001. Anschließend war der Kläger beschäftigungslos. Er hielt sich in der Folgezeit zeitweise bei seinen Eltern in Baden-Württemberg und zeitweise bei Verwandten in Kroatien und in der Schweiz auf. Er meldete sich zu dieser Zeit weder bei dem damaligen Arbeitsamt oder beim Sozialamt. Am 03. Mai 2002 übersandte die Beklagte dem Kläger eine neue Krankenversichertenkarte für eine Pflichtversicherung bei ihr. Das Begleitschreiben zu dieser Übersendung konnte von den Beteiligten nicht mehr vorgelegt werden. Am 06. Mai 2002 ging bei der Beklagten ein vom Vater des Klägers unterschriebener "Antwortschein" mit "Angaben zur Familienversicherung" vom 02. Mai 2002 ein, auf dem dieser lediglich die beiden Geschwister des Klägers als familienversichert angab.
Ab etwa Mitte 2003 benötigte der Kläger wegen eines Leberschadens ärztliche Behandlung und die Versorgung mit Medikamenten. Er war in dieser Zeit u.a. bei der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. O. und dem Internisten Dr. S. in S. G. in Behandlung. Bei seinen Behandlungen bei den Ärzten und in den Apotheken, in denen der Kläger die von den Ärzten verschriebenen Medikamente erwarb, legte er jeweils die Krankenversichertenkarte der Beklagten vom 03. Mai 2002 vor. Er erhielt die genannten Leistungen ohne Beanstandung. Die Ärzte und Apotheken erhielten die geschuldeten Vergütungen für ihre Behandlungen und für die Medikamente.
Mit Datum vom 16. Februar 2004 ging bei der Beklagten ein von der Mutter des Klägers unterschriebener weiterer "Antwortschein" mit "Angaben zur Familienversicherung" ein. In diesem war allein der Kläger als "Kind" aufgeführt. Er enthielt den handschriftlichen Zusatz, der Kläger halte sich ab dem 01. Oktober 2003 wieder in der Bundesrepublik Deutschland auf, beziehe kein Arbeitslosengeld und kein sonstiges Einkommen und suche eine "Lohnstelle". Alle Angaben sind in einer anderen Schrift gehalten als die Unterschrift der Mutter des Klägers. Mit Schreiben vom 05. März 2004, gerichtet an den Kläger unter seiner baden-württembergischen Adresse, teilte die Beklagte mit, den Antrag auf Familienversicherung "Ihres Sohnes" geprüft zu haben, für eine Familienversicherung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres sei jedoch der Besuch einer Schule oder ein Studium nachzuweisen. In dem Schreiben wird auch mitgeteilt, die Beklagte gebe die ihr überlassene Rechnung zurück. Nach dem Vortrag des Klägers betraf diese Rechnung von ihm in der Schweiz erworbene Medikamente.
Am 08. September 2004 ging bei der Beklagten ein neuer "Antwortschein" wegen einer Familienversicherung ein, den der Kläger, seine Eltern und seine Geschwister am 05. September 2004 unterschrieben hatten. Mit diesem Antwortschein wurden der Kläger, seine beiden Geschwister und seine Mutter als familienversichert angemeldet. Am 21. September 2004 meldete sich der Kläger auf einer Geschäftsstelle der Beklagten und bat um die Ausstellung einer Krankenversichertenkarte. Die Mitarbeiterin der Beklagten rief bei dem zuständigen Sozialamt an. Von dort wurde ihr mitgeteilt, der Kläger werde ab dem 07. September 2004 nach § 37 des früheren Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) angemeldet. Eine solche Anmeldung erfolgte jedoch nicht. Am 15. Dezember 2004 übersandte die Beklagte dem Kläger ein Schreiben, in dem sie ausführte, der Kläger habe in dem laufenden Jahr bereits Ausgaben für Zuzahlungen zu Medikamenten gehabt. Die Beklagte bot an, die Mehrkosten zu erstatten und den Kläger bis zum Jahresende von weiteren Zuzahlungen zu befreien, wenn die bisherigen Aufwendungen bereits zwei v.H. seines jährlichen Brutto-Einkommens überstiegen hätten. Sie forderte ihn auf, einen beigefügten Erstattungsvordruck auszufüllen und zurückzusenden.
Vom 01. Januar 2005 bis 31. März 2006 erhielt der Kläger Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II), weshalb er in diesem Zeitraum bei der Beklagten pflichtversichert war.
Unter dem 15. August 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er sei in der Zeit vom 16. April 2001 bis zum 06. September 2004 nicht bei ihr krankenversichert gewesen, habe jedoch gleichwohl unberechtigterweise in dieser Zeit Leistungen zu ihren Lasten bezogen, und forderte den Kläger auf, die "zu Unrecht entstandenen Kosten" in Höhe von EUR 13.503,54 bis zum 30. August 2005 zu erstatten. Unter dem 23. August 2005 teilte die Beklagte dem Kläger weiter mit, eine Rücksprache mit ihrer Regionaldirektion Schwäbisch Gmünd habe ergeben, dass sein Fall mit dem Sozialamt besprochen worden sei und das Sozialamt mitgeteilt habe, eine Meldung sei erst ab 07. September 2004 erfolgt, weil er vorher im Ausland gewesen sei. Die Beklagte bestritt, dass der Kläger familienversichert gewesen sei. Die letzte Krankenversichertenkarte für eine Familienversicherung sei bereits 1999 verschickt worden. Die Beklagte räumte ein, dass dem Kläger am 03. Mai 2002 eine Krankenversichertenkarte für eine eigene Versicherung zugesandt worden war. Dies sei jedoch irrelevant, da die Leistungen erst ab Februar 2003 angefallen seien. In dieser Mitteilung und mit Mahnungen vom 06. September 2005 und 27. September 2005 hielt die Beklagte ihre Erstattungsforderung von EUR 13.503,54 aufrecht und forderte den Kläger zur Erstattung zuletzt bis zum 12. Oktober 2005 auf. Keine der genannten Mitteilungen enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung.
Mit Bescheid vom 17. Januar 2006 forderte die Beklagte den Kläger zur Erstattung der Forderung bis zum 17. Februar 2006 auf. Wegen zwischenzeitlich angefallener Mahngebühren in Höhe von EUR 4,00 belief sich die geltend gemachte Forderung nunmehr auf EUR 13.507,54. Dieser Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung mit Hinweis auf den Widerspruch.
Der Kläger erhob am 26. Januar 2006 Widerspruch. Er werde die Erstattungsforderung nicht bezahlen, da er sich im Jahr 2003 nach seiner weiteren Versicherung erkundigt und von der Beklagten die Auskunft erhalten habe, noch bis zum 25. Lebensjahr familienversichert zu sein. Mit Widerspruchsbescheid vom 07. März 2006 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Die Familienversicherung des Klägers habe zum 28. August 2002 geendet, weil der Kläger an diesem Tag das 23. Lebensjahr vollendet habe. Eine weitere Versicherung bis zum 25. Lebensjahr sei nicht möglich, weil der Kläger nicht nachgewiesen habe, sich in dieser Zeit in Schul- oder Berufsausbildung befunden zu haben. Sie, die Beklagte, habe die vom Kläger behauptete Auskunft, noch bis zum 25. Lebensjahr familienversichert zu sein, nicht gegeben. Eine solche Auskunft gebe kein Kundenberater, da diesem die gesetzlichen Vorgaben genauestens bekannt seien. Im Übrigen sei der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht als familienversichert im Bestand geführt worden. Die Familienversicherung habe mit Aufnahme einer Beschäftigung zum 23. März 1999 geendet. Danach sei der Kläger lediglich bis zum 15. April 2001 selbst bei der Beklagten versichert gewesen. Die in Anspruch genommenen Leistungen seien alle über die Krankenversichertenkarte des Klägers aus der eigenen Versicherung abgerechnet worden.
Am 29. März 2006 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Ulm (SG). Er begehrte, den Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 17. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006 aufzuheben. Er trug vor, ihm sei nicht bekannt gewesen, zur Zeit seiner Behandlung im Jahr 2003 nicht krankenversichert gewesen zu sein. Er behauptete, er habe, bevor er sich zum Arzt begeben habe, persönlich bei der Geschäftsstelle Schwäbisch Gmünd der Beklagten vorgesprochen und nachgefragt, ob er krankenversichert sei, da er voraussichtlich eine Interferon-Kur benötigt habe. Er habe erklärt, arbeitslos zu sein, ohne beim Arbeitsamt gemeldet zu sein, und bei seinen Eltern zu wohnen. Man habe ihm mitgeteilt, er sei bis zum seinem 25. Lebensjahr familienversichert. Auf Grund dieser Auskunft habe er sich am 21. Oktober 2003 in die notwendige ärztliche Behandlung bei Dr. O. begeben. Die Behandlung habe bis Ende 2004 gedauert. Er sei (erst) Anfang Februar 2004 zu seiner Tante in die Schweiz gereist und habe sich dort vier Wochen aufgehalten. Er sei Anfang März 2004 wieder nach Baden-Württemberg zurückgekehrt. Das Schreiben vom 05. März 2004 habe er nicht erhalten. Einen Arzt in Konstanz habe er nie aufgesucht. Er habe im Juli 2004 bei der Beklagten erneut vorgesprochen, um eine Weiterversicherung nach der Vollendung des 25. Lebensjahres am 29. August 2004 zu klären. Er sei von der Beklagten zum Sozialamt geschickt worden. Auch jetzt seien keinerlei Hinweise gegeben worden, er sei nicht krankenversichert gewesen. Der Kläger verwies ferner auf das Schreiben der Beklagten vom 15. Dezember 2004 über die Möglichkeit einer Befreiung von weiteren Zuzahlungen. Er behauptete, er habe aufgrund dieses Schreibens erneut bei der Beklagten vorgesprochen und dort die Auskunft erhalten, er solle eine Liste mit den bezogenen Medikamenten einreichen. Auch bei diesem Gespräch sei er nicht darauf hingewiesen worden, in der Vergangenheit nicht krankenversichert gewesen zu sein. Die Beklagte hätte bereits unmittelbar, nachdem er seine Erwerbstätigkeit aufgegeben und keine Beiträge mehr gezahlt habe, bemerken müssen, dass seine Mitgliedschaft beendet gewesen sei. Dessen ungeachtet habe sie ihm noch am 03. Mai 2002 eine neue Versichertenkarte für eine eigene Versicherung übersandt. Auch habe sie den Rückforderungsbescheid erst zweieinhalb Jahre nach Inanspruchnahme der ersten unberechtigten Leistung erlassen. Bei der persönlichen Anhörung durch das SG gab der Kläger an, er habe einen Monat oder zwei Monate vor Beginn der Behandlung bei Dr. O. bei der Beklagten nachgefragt, ob er familienversichert sei. Er sei sich dessen damals nicht sicher gewesen. Er habe während des Aufenthalts in der Schweiz für seine Medikamente ein Privatrezept bekommen. Seine Mutter sei mit diesem Privatrezept bei der Beklagten gewesen und habe gefragt, ob die Aufwendungen erstattet werden könnten. In diesem Zusammenhang sei sie aufgefordert worden, den Fragebogen wegen der Familienversicherung auszufüllen. Es sei dann das Schreiben vom 05. März 2004 mit dem Rezept zurückgekommen. Der Kläger bestätigte, er sei im Juli 2004 bei der Beklagten gewesen und habe wegen seines bevorstehenden 25. Geburtstags nachgefragt. Eine nicht unterschriebene Krankenversichertenkarte gab der Kläger der Beklagten wegen des Ende des Leistungsbezugs nach dem SGB II im Termin zur Erörterung des Sachverhalts beim SG am 22. August 2006 zurück.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Eine Nachfrage im Oktober 2003 könne deswegen nicht stattgefunden haben, weil zur Überprüfung eines Anspruchs auf Familienversicherung ein Fragebogen ausgefüllt werden müsse, ihr jedoch für jenen Zeitpunkt kein Fragebogen vorliege. Ferner trug die Beklagte vor, ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ruhe, solange sich der Versicherte im Ausland aufhalte. Der Kläger habe vorgetragen, er sei Anfang des Jahres 2004 für mehrere Monate in der Schweiz gewesen. In der Zeit vom 23. Dezember 2003 bis 08. Juli 2004 seien Arzneimittel durch einen Arzt in Konstanz verordnet worden. Die Beklagte behauptete ferner, den unberechtigten Leistungsbezug des Klägers am 08. März 2005 durch eine EDV-Prüfung des neu gegründeten Fachcenters Ulm festgestellt zu haben. Die Beklagte legte vor dem SG Computerausdrucke über ärztliche Behandlungen des Klägers vom 12. Februar 2003 bis zum 19. Juli 2004 und über den Bezug von Medikamenten vom 23. Dezember 2003 bis zum 08. Juli 2004 vor sowie einen Computerausdruck über die Kontakte zum Kläger und weitere interne Arbeiten an den Datensätzen über seine Versicherungen vom 24. Juni 1999 bis zum 22. August 2006 (Ausdruck vom 24. August 2006).
Mit Urteil vom 27. Februar 2007 wies das SG die Klage ab. Es führte aus, der Beklagten stehe der geltend gemachte Rückforderungsbetrag zu. Gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) seien Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden seien. §§ 45 und 48 SGB X gälten entsprechend. Die von der Beklagten zurückgeforderten Leistungen seien ohne Verwaltungsakt, nämlich als Sach- bzw. Dienstleistung erbracht worden. Solche Leistungen seien gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 SGB X in Geld zu erstatten. Der durch §§ 45 und 48 SGB X gewährte Vertrauensschutz greife zu Gunsten des Klägers nicht ein. Der Kläger könne sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen. Er habe die Rechtswidrigkeit der Leistungsinanspruchnahme, wenn er sie nicht erkannt haben sollte, jedenfalls aufgrund einer besonders schwerwiegenden Verletzung der erforderlichen und jedem Versicherten, auch dem vermeintlich Versicherten, zumutbaren Sorgfalt nicht erkannt. Er habe wahlweise vorsätzlich oder grob fahrlässig Leistungen der Beklagten unter Vorlage der Krankenversichertenkarte in Anspruch genommen, ohne als Mitglied oder aus sonstigem Grund krankenversichert gewesen zu sein. Dass er seit dem Abbruch seiner Lehre am "15. April 2004" (gemeint 15. März 2004) kein Mitglied mehr gewesen sei, habe er gewusst, denn sonst ergebe es keinen Sinn, dass er sich um seine Familienversicherung gekümmert habe bzw. seine Mutter gebeten habe, sich für ihn darum zu kümmern. Der Vortrag des Klägers, er habe sich erst bei der Beklagten erkundigt, ob er versichert sei und sich erst dann behandeln lassen, lasse sich nicht nachvollziehen. Wenn die Beklagte ihm die Auskunft gegeben haben sollte, seine Familienversicherung bestehe ohne weitere Voraussetzungen bis zum 25. Lebensjahr, machten seine aktenkundigen Bemühungen, vor Vollendung des 25. Lebensjahres eine Familienversicherung zu erhalten, - wie z.B. der Antrag vom 16. Februar 2004 - keinen Sinn. Nach den Kontaktunterlagen der Beklagten, die zahlreiche Begegnungen enthielten, habe der Kläger vor Inanspruchnahme von Leistungen im Herbst 2003 keinen Kontakt zur Beklagten gehabt. Die Behauptung des Klägers werte es (das SG) als reine Schutzbehauptung, die durch nichts belegt sei. Bei der Beurteilung der Frage der Wahlfeststellung zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit solle das Verhalten des Klägers nach Beendigung seiner (weiteren) Mitgliedschaft aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld II ab dem 01. April 2006 mitbedacht werden. Der Kläger habe die Krankenversichertenkarte erneut nicht freiwillig zurückgegeben, sondern habe durch das Gericht in dem Erörterungstermin vom 22. August 2006 dazu gedrängt werden müssen. Dass er diese Krankenversichertenkarte nicht unterschrieben habe, stimme darüber hinaus nachdenklich. Dass dem Kläger am 03. Mai 2002 eine Krankenversichertenkarte übersandt worden sei, begründe keine Krankenversicherung. Das der Übersendung der Karte regelmäßig beigefügte Schreiben der Beklagten habe nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Verweis auf SozR 3-2500 § 10 Nr. 19) keine Verwaltungsaktqualität. Der Kläger habe dies auch selbst nicht angenommen, denn sonst hätte er die Frage der Familienversicherung Anfang 2004 nicht zur Diskussion stellen müssen. Der Kläger habe seine Krankenversichertenkarte demnach seit Herbst 2003 und bis Juli 2004 ohne Rechtsgrund benutzt. Der Beklagten sei die unrechtmäßige Leistungsbeanspruchung nach ihrem nicht anzuzweifelnden Vorbringen erstmals durch den Datenabgleich des Fachcenters am 08. März 2005 bekannt geworden. Die erste Rückzahlungsaufforderung datiere vom 15. August 2005, der streitgegenständliche Bescheid vom 17. Januar 2006, so dass die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zweifellos eingehalten sei. Ferner sei der streitige Erstattungsanspruch ausnahmsweise nicht begründungsbedürftig gewesen. Lasse die Begründung eines belastenden Ermessensbescheids die Ermessenserwägungen der Behörde nicht erkennen, könne daraus auf einen fehlerhaften Ermessensnichtgebrauch nur geschlossen werden, wenn eine Begründung überhaupt rechtlich geboten gewesen sei. Einer Begründung bedürfe es jedoch nicht, wenn dem Adressaten des Verwaltungsakts die Auffassung der Behörde hinreichend bekannt sei. Die Beklagte habe es dem Kläger im August 2005 und in der Folgezeit stets unmissverständlich mitgeteilt, dass er zu ihren Lasten Leistungen bezogen habe, ohne bei ihr versichert gewesen zu sein. Der Ermessensspielraum der Beklagten sei auf Null reduziert gewesen, auch wenn es der Beklagten nicht bewusst gewesen sei, dass sie evtl. eine Ermessensentscheidung hätte treffen müssen. Ein bösgläubig zu Unrecht bereicherter Versicherter hafte - auch in der Sozialversicherung - verschärft auf Erstattung der Leistung. Anhaltspunkte dafür, dass hier eine Ausnahme vorliege, fehlten. Bei der Rücknahme einer Begünstigung für die Vergangenheit seien grundsätzlich keine billigenswerten Interessen des Leistungsempfängers rechtlich anzuerkennen, das schuldhaft zu Unrecht Erlangte ganz oder teilweise zu behalten. Dass die Rückforderung eine wirtschaftliche Härte sei, sei für sich genommen kein Argument.
Gegen dieses Urteil, das seiner Prozessbevollmächtigten am 05. März 2007 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 04. April 2007 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er behauptet, das SG sei von völlig falschen Tatsachen ausgegangen. Es unterstelle ohne weitere Aufklärung, dass er sich um eine Familienversicherung bemüht habe, was tatsächlich nicht so gewesen sei. Er sei davon ausgegangen, versichert zu sein. Er sei nach Abbruch seiner Lehre weiterhin im Besitz einer Krankenversichertenkarte gewesen. Ihm sei am 03. Mai 2002 trotz des nicht bestehenden Versicherungsverhältnisses eine neue Krankenversichertenkarte zugesandt worden. Vor Beginn seiner Interferon-Behandlung habe er sich allerdings noch einmal tatsächlich versichern wollen, versichert zu sein, da die Behandlung besonders kostenintensiv gewesen sei. Er habe diese Behandlung begonnen, nachdem er die mündliche Auskunft erhalten habe, er sei bis zum 25. Lebensjahr familienversichert. Ihm hätten dabei keine Zweifel kommen müssen, da seine Versichertenkarte anstandslos funktioniert habe. Er habe seine Mutter vor ihrer Vorsprache am 16. Februar 2004 bei der Beklagten ausschließlich beauftragt, nachzufragen, ob die Beklagte auch Medikamente zahle, die er in der Schweiz erwerbe. Aus welchen Gründen seiner Mutter ein Antrag auf Familienversicherung mitgegeben worden sei, entziehe sich seiner Kenntnis. Die Behauptung der Beklagten, er habe sich vom 23. Dezember 2003 bis zum 08. Juli 2004 Arzneimittel durch einen Arzt in Konstanz verschreiben lassen, treffe nicht zu. Er sei niemals bei einem Arzt in Konstanz gewesen. Der Kläger meint, es sei Sache der Beklagten gewesen, die Krankenversichertenkarte nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses zu sperren bzw. dafür zu sorgen, dass ihm keine neue Krankenversichertenkarte übersandt wird. Die Beklagte könne nicht damit gehört werden, den Mangel seiner Versicherung erst durch das Fachcenter Ulm festgestellt zu haben. Auch vor der Gründung dieses Fachcenters habe es für eine Krankenkasse möglich sein müssen festzustellen, dass eine nicht versicherte Person Leistungen in Anspruch nehme. Es sei insbesondere schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte erstmals am 08. März 2005 von dem fehlenden Versicherungsverhältnis erfahren habe. Auch die Höhe des Rückzahlungsbetrags sei nicht unstreitig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27. Februar 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie trägt vor, sie habe dem Kläger am 03. Mai 2002 eine neue Krankenversichertenkarte mit dem Status Versicherter übersandt, weil die Frist der bisherigen Krankenversichertenkarte abgelaufen gewesen sei. Diese Versichertenkarte habe sich auf eine eigenständige Mitgliedschaft des Klägers bezogen, die zu jener Zeit irrtümlich noch bei ihr geführt worden sei. Mit dem Schreiben vom 05. März 2004 sei deswegen keine Krankenversichertenkarte zurückgefordert worden, weil für die Familienversicherung des Klägers keine Krankenversichertenkarte ausgestellt worden sei. Der Kläger habe nach dem 05. März 2004 noch Leistungen im Umfang von EUR 7.562,12 in Anspruch genommen.
Der Berichterstatter des Senats hat den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert und den Kläger persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Erörterung und der Anhörung wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 28. Juli 2009 verwiesen.
Der Berichterstatter hat danach in der Praxis des Arztes Dr. U. B. Br. in Konstanz die telefonische Auskunft eingeholt (Frau R.), es handle sich bei jener Praxis um eine laboratoriumsmedizinische Praxis, bei der im November 2003 und im März 2004 jeweils eine Probe Blut, Urin oder dergleichen des Klägers untersucht worden sei, die von der Praxis v. d. L. in Schwäbisch Gmünd eingeschickt worden sei. Der Kläger selbst sei nicht in Konstanz gewesen. Die Praxis des Arztes v. d. L. (Frau S.) hat daraufhin telefonisch bestätigt, im November 2003 einen entsprechenden Untersuchungsauftrag des behandelnden Arztes/Internisten Dr. M. an die Praxis Br. in Konstanz weitergeleitet zu haben. Für März 2004 habe kein Auftrag vorgelegen, weitere Untersuchungen habe es im Mai und September 2004 gegeben, zumindest diese letztere sei dem Kläger privat in Rechnung gestellt worden.
Der Berichterstatter hat weiterhin die behandelnden Ärzte des Klägers Dr. O. und Dr. S. schriftlich als Zeugen vernommen. Dr. O. hat unter dem 11. August 2009 mitgeteilt, sie habe vom 21. Oktober 2003 bis zum 11. Oktober 2004 insgesamt sechs Patientenkontakte ohne Behandlungen zu dem Kläger gehabt. Sie habe ihn ferner an Dres. S. und M. überwiesen. Ferner habe sie dem Kläger angeraten, eine Kostenübernahmezusage der Beklagten einzuholen. Dr. S. hat unter dem 21. August 2009 bekundet, bei dem Kläger vom 02. Dezember 2003 bis zum 20. Dezember 2004 eine chronische Hepatitis C antiviral behandelt zu haben. Er habe hierbei Überweisungen an den Laborarzt v. d. L., an die Hausärztin des Klägers und an einen Sportmediziner ausgestellt. Er habe die chronische Hepatitis C mit Interferon in Form von PegaSys 180 und Rebetol 200 behandelt. Die Kosten für diese Behandlung würden von den Kassen übernommen.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Zum 01. Januar 2010 ist auf Beklagtenseite ein Beteiligtenwechsel eingetreten. Aufgrund der Fusion der früheren Beklagten mit weiteren Krankenkassen ist die jetzige Beklagte Rechtsnachfolgerin der früheren Beklagten.
2. Gegenstand des Rechtsstreites ist der Bescheid vom 17. Januar 2006 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006). Denn allein dieser Bescheid regelt zuletzt die von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsforderung. Zwar hat die Beklagte bereits zuvor unter dem 15. und 23. August 2005 die Erstattungsforderung geltend gemacht. Auch insoweit handelt es sich um Verwaltungsakte gemäß § 31 SGB X. Diese sind aber nicht mehr wirksam, weil sie auf andere Weise erledigt sind (§ 39 Abs. 2 SGB X). Mit dem Bescheid vom 17. Januar 2006 hat die Beklagte eine neue sachliche Entscheidung im Sinne eines sogenannten Zweitbescheides erteilt, der den Klageweg (neu) eröffnet (Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-8100 Art 19 Nr. 5; SozR 3-4100 § 94 Nr. 1). Der Kläger und die Beklagte gehen erkennbar davon aus, dass die Frage, ob der Kläger die von der Beklagten erbrachten Sach- und Dienstleistungen zu erstatten hat, durch den Bescheid vom 17. Januar 2006 abschließend geregelt wird. Die Steuerungsfunktion des Verwaltungsakts geht auch verloren, wenn die an einem Verwaltungsakt Beteiligten - sei es als Behörde, als Adressat oder als unmittelbar oder nur mittelbar Betroffener - übereinstimmend dem ursprünglichen Verwaltungsakt keinerlei tatsächliche oder rechtliche Bedeutung mehr beimessen. Das setzt keinen Verzichtswillen voraus, sondern nur "konsensuales" Verhalten. Ähnlich dem Verlust der Wirksamkeit durch Zeitablauf, stellen sich die Beteiligten bewusst auf eine neue, veränderte Sachlage ein, die sie ihrem weiteren Verhalten nunmehr zugrunde legen. Sie verändern übereinstimmend gleichsam die "Geschäftsgrundlage" (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] NVwZ 1998, 729).
3. Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 153 Abs. 1 i.V. mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, insbesondere nach § 151 Abs. 1 form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 SGG) abgewiesen. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Das Urteil des SG und der genannte Bescheid waren daher aufzuheben.
4. Grundlage für den geltend gemachten Rückforderungsanspruch der Beklagten kann nur § 50 Abs. 2 SGB X sein. Danach sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten. §§ 45 und 48 SGB X gelten entsprechend. Der Kläger hat die ärztlichen Behandlungen und die verordneten Medikamente als Sach- und Dienstleistungen ohne vorangegangene Bewilligung durch die Beklagte in Form eines Verwaltungsakts erhalten. Die Behandlung durch einen Vertragsarzt und die Abgabe verordneter Medikamente zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sind regelmäßig nicht mit dem Erlass eines Bescheids der jeweiligen Krankenkasse verbunden. Die Krankenkasse selbst ist in die jeweilige konkrete Leistungserbringung nicht eingebunden. Arzt und Apotheke als Leistungserbringer sind rechtlich nicht in der Lage, für die jeweilige Krankenkasse Bescheide zu erlassen. Deshalb greift hier nicht § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ein, wonach vor einer Rückforderung ein Bewilligungsbescheid zurückzunehmen oder aufzuheben ist.
a) Die ärztliche Behandlung und die Medikamente, die der Kläger erhielt, waren rechtlich Leistungen der Beklagten. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) sind es die Krankenkassen, die den Versicherten die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stellen, nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind diese Leistungen von den Krankenkassen - als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen. Auch der Versicherte selbst, der bei seinem Arzt oder in seiner Apotheke seine Krankenversichertenkarte, die von seiner Krankenkasse ausgestellt ist, vorlegt, weiß, dass er Leistungen zu Lasten eben dieser Krankenkasse in Anspruch nimmt. Die Krankenkassen tragen die Kosten der dem Versicherten erbrachten Leistungen durch direkte Abrechnung mit den Leistungserbringern bzw. ihren Vereinigungen.
b) Der Kläger hat die genannten Leistungen der Beklagten zu Unrecht, also ohne rechtlichen Grund, bezogen, weil er keinen Anspruch mehr auf die Versorgung durch die Beklagte hatte. Ein solcher Anspruch steht nur Mitgliedern gegen ihre Krankenkasse zu. Der Kläger war aber spätestens ab dem Jahr 2003 kein Mitglied der Beklagten mehr, als er die Behandlungen bei Dr. O. und Dr. S. und die von ihnen veranlassten Untersuchungen bei anderen Ärzten sowie die verordneten Medikamente zu Lasten der Beklagten in Anspruch genommen hat.
Dass er nach dem Abbruch seiner Ausbildung und dem Ende des nachgehenden Versicherungsschutzes ab dem 15. April 2001 keine eigene Versicherung mehr bei der Beklagten unterhielt, ist unstreitig, denn er war nicht mehr beschäftigt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Ein anderer Tatbestand der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 SGB V lag ebenfalls nicht vor. Auch eine Familienversicherung bestand nach seinem 23. Geburtstag, dem 29. August 2002, nicht mehr, denn eine solche Versicherung nach dem Erreichen dieses Lebensjahrs setzt nach § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V voraus, dass eine Ausbildung an einer Schule oder Hochschule absolviert wird, was bei dem Kläger nicht der Fall war. Der Kläger hat auch selbst nicht vorgetragen, eine Familienversicherung habe tatsächlich bestanden, sondern lediglich, die Beklagte habe ihm dies mitgeteilt. Eine freiwillige Versicherung letztlich (§ 9 SGB V) nach dem Ende seiner Pflicht- oder seiner Familienversicherung hat der Kläger nicht beantragt.
Dass die Beklagte dem Kläger unter dem 03. Mai 2002 eine neue Krankenversichertenkarte für seine - nicht mehr bestehende - eigene Versicherung bei ihr übersandte, hat nicht zu einer (Pflicht )Mitgliedschaft geführt. Eine Versicherungspflicht tritt nur mit der Verwirklichung des sie begründenden Tatbestandes ein, ohne dass es auf den Willen oder das Bewusstsein der Beteiligten ankommt (vgl. BSG SozR 5420 § 2 Nr. 33) und es eines "Aufnahmebescheides" der Krankenkasse bedarf. Die Übersendung einer neuen Krankenversichertenkarte stellt keinen Verwaltungsakt dar (vgl. BSG SozR 3-2500 § 10 Nr. 19). Die schlichte Übersendung einer neuen Krankenversichertenkarte kann viele Gründe haben, sei es, dass die Gültigkeitsdauer der alten Krankenversichertenkarte abgelaufen ist, sei es, dass die alte Krankenversichertenkarte verloren wurde. In diesen Fällen kann der Übersendung keine rechtliche, konstitutive Wirkung zukommen, weil sich die Rechtslage überhaupt nicht verändert hat. Ob etwas anderes anzunehmen ist, wenn eine Krankenversichertenkarte erstmals auf eine entsprechende Anmeldung eines Antragstellers übersandt wird oder wenn der Krankenversichertenkarte ein Begleitschreiben mit Ausführungen zur Art und/oder zum Beginn der Versicherung enthält, muss hier nicht entschieden werden. Der Senat kann deshalb nicht der Auffassung des Sozialgerichts Aachen (Gerichtsbescheid vom 15. März 2004, S 6 KR 168/03, veröffentlicht in Juris, Rn. 9 f.) und des Sozialgerichts Hamburg (Urteil vom 19. Januar 2004, S 28 KR 44/02, veröffentlicht in Juris, Rn. 18) folgen, die in derartigen Fällen angenommen haben, dass ein Verwaltungsakt vorliegt. Der Kläger erhielt seine neue Krankenversichertenkarte im Mai 2002, weil die Gültigkeitsdauer der alten abgelaufen war. Welchen Inhalt das Begleitschreiben zu dieser Krankenversichertenkarte hatte, konnte der Senat nicht feststellen, weil keiner der beiden Beteiligten dieses Schreiben vorlegen konnte.
c) Allerdings gelten auch für einen Rückforderungsanspruch nach § 50 Abs. 2 SGB X die Vertrauensschutzregelungen des § 45 (bzw. des § 48) SGB X entsprechend.
aa) Dies gilt zunächst für den materiellen Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 SGB X.
Hiernach ist eine Rückforderung bereits erbrachter Leistungen, die im Rahmen des § 45 Abs. 1 und 4 SGB X der Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit entspricht, nur möglich, wenn der Leistungsempfänger entweder den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Abs. 2 Satz 3 Nr. 1), vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat, um die Leistung zu erlangen (Nr. 2) oder aber erkannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit verkannt hat, dass die Leistung an ihn keinen Rechtsgrund hat (Nr. 3). Grobe Fahrlässigkeit im Sinne von Nr. 2 und Nr. 3 dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X). Anzulegen ist ein subjektiver Maßstab, nämlich die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten (BSGE 44, 264, 273). Der Begünstigte wendet nicht die erforderliche Sorgfalt auf, wenn er schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (BSGE 42, 184).
Im Falle des Klägers kommt, wie auch das SG angenommen hat, nur § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X als Rechtsgrundlage für die Rückforderung in Betracht. Falsche Angaben gegenüber der Beklagten hat der Kläger nie gemacht. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X liegen jedoch nicht für den gesamten hier streitigen Zeitraum vor.
(1) Allerdings wusste der Kläger, dass er nach dem Abbruch der Ausbildung nicht mehr als Mitglied bei der Beklagten (pflicht-)versichert war, wie dies der am 03. Mai 2002 übersandten Krankenversichertenkarte zu Grunde lag. Dass eine eigene Versicherung eine Beschäftigung oder eine berufliche Ausbildung vor¬aussetzt, ist unter den Krankenversicherten weitgehend bekannt. Der Kläger hielt sich nach dem Abbruch seiner Lehre längere Zeiträume im Ausland auf und war weder beim damaligen Arbeits- noch beim Sozialamt gemeldet. Dass eine eigene Versicherung unter diesen Umständen nicht bestehen konnte, wusste auch der Kläger. Dies ergibt sich aus seinem Vortrag im Gerichtsverfahren, er sei - auch auf Grund der angeblichen Auskünfte der Beklagten - von einer Familienversicherung ausgegangen, also nicht von einer eigenen (Pflicht )Versicherung.
(2) Anders als das SG vermag der Senat zumindest grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich des Bestehens einer Familienversicherung allerdings nicht für den gesamten hier streitigen Zeitraum zu bejahen.
Möglicherweise ist dem Kläger - nur - für den Zeitraum ab Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 05. März 2004 vorzuwerfen, grob fahrlässig nicht erkannt zu haben, nicht familienversichert zu sein. In jenem Schreiben an den Kläger hatte die Beklagte mitgeteilt, eine Aufnahme in die Familienversicherung komme nicht in Betracht. Aus dieser ablehnenden Aussage musste jeder Versicherte bzw. Versicherungsbewerber erkennen, dass - aus Sicht der Beklagten - überhaupt keine Versicherung vorlag. Der Senat geht auch davon aus, dass dieses Schreiben den Kläger erreicht hat. Es war an ihn unter seiner baden-württembergischen Adresse gerichtet, unter der er sich - seinem eigenen Vortrag nach - nach seiner Rückkehr aus der Schweiz "Anfang März" wieder aufhielt. Das Schreiben ist nicht zur Akte der Beklagten zurückgekehrt. Im Übrigen hat der Kläger den Zugang nicht bestritten. Er hat sogar auf einen anderen Hinweis der Beklagten in dem Schreiben, dass nämlich die eingereichten Privatrezepte für den Medikamentenbezug in der Schweiz nicht erstattet werden könnten, Bezug genommen. Dies zeigt, dass ihm das Schreiben bekannt geworden sein muss. Und bei seiner Anhörung vor dem Berichterstatter des Senats am 28. Juli 2009 hat er vorgetragen, an der auf dem Schreiben angegebenen Adresse habe sich ein Briefkasten mit seinem Familiennamen befunden.
Dagegen ist für die Zeit vor Erhalt dieses Schreibens, also für die Leistungsbezüge ab Herbst 2003 bis Anfang März 2004, der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit des Klägers an eine noch bestehende Familienversicherung nicht zu machen. Der Kläger war bis zu seinem 23. Geburtstag am 29. August 2002 bei der Beklagten familienversichert. Es ist nicht nachgewiesen, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass eine Familienversicherung mit diesem Lebensjahr endet. Das SG hat hier argumentiert, aus den Bemühungen des Klägers um Aufnahme in eine Familienversicherung ergebe sich, dass er zumindest Zweifel daran gehabt habe. Solche Bemühungen sind jedoch aus der Zeit vor Februar 2004 nicht dokumentiert. Der Antwortbogen vom 06. Mai 2002, in dem der Vater des Klägers nur seine weiteren Kinder, nicht aber den Kläger angab, datiert aus der Zeit vor dem unrechtmäßigen Leistungsbezug. Außerdem bestand zu diesem Zeitpunkt noch eine Familienversicherung. Der Kläger nun hat selbst behauptet, sich im Sommer oder Herbst 2003 bei der Beklagten erkundigt zu haben. Was den Inhalt seiner Nachfragen angeht, hat sein Vortrag im Prozess aber geschwankt. Während er vor dem SG und auch in der Berufungsinstanz zunächst noch angegeben hatte, er habe sich nach seinem Versichertenstatus erkundigt, hat er in dem Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des Senats am 28. Juli 2009 behauptet, sich nur um eine Kostenzusage für die anstehende umfangreiche Behandlung seiner Hepatitis C bemüht zu haben. In diesem Zusammenhang hat die behandelnde Ärztin Dr. O. in ihrer schriftlichen Zeugenaussage vom 11. August 2009 bekundet, dem Kläger tatsächlich geraten zu haben, eine Kostenübernahmeerklärung einzuholen. Der Senat geht im Ergebnis davon aus, dass sich der Kläger überhaupt nicht bei der Beklagten erkundigt hat, sondern dies nur deswegen behauptet hat, um darzutun, von der Beklagten die Auskunft erhalten zu haben, er sei familienversichert. Zu dieser Einschätzung kommt der Senat, weil in dem ansonsten umfassenden Ausdruck der Beklagten über die Kontakte zum Kläger seit 1999 keine Vorsprachen oder Nachfragen des Klägers im Jahre 2003 verzeichnet sind. Dass ein Mitarbeiter der Beklagten dem Kläger wirklich die - eindeutig falsche - Auskunft gegeben habe, er sei - ohne eine Schule oder Hochschule zu besuchen - bis zum 25. Geburtstag familienversichert, erscheint grundsätzlich nicht glaubhaft. Wenn aber demnach der Kläger in Wirklichkeit überhaupt nicht nachgefragt hat, kann ihm auch nicht unterstellt werden, er habe Zweifel an seinem Versichertenstatus gehabt. Die dann nächste Kontaktaufnahme, nämlich der "Antwortschein" vom 16. Februar 2004, ist nicht zwingend dem Kläger zuzurechnen. Es war seine Mutter, die diesen Bogen unterschrieb. Dass dies im Auftrag oder auch nur mit Kenntnis des Klägers geschah, ist nicht festzustellen. Der Vortrag des Klägers, seine Mutter sei allein wegen der Erstattung für die in der Schweiz eingelösten Rezepte bei der Beklagten vorstellig geworden, ist nicht völlig abwegig. Dass es bei der Vorsprache der Mutter zumindest auch um diese Rezepte ging, ergibt sich aus dem Antwortschreiben der Beklagten an den Kläger vom 05. März 2004 selbst. Es erscheint denkbar, dass die Beklagte der Mutter des Klägers bei der Vorsprache einen "Antwortschein" wegen einer Familienversicherung vorgelegt hat, weil sie festgestellt hatte, dass der Kläger nicht als familienversichert gemeldet war, und dieser sogleich dort ausgefüllt und auf der Dienststelle der Beklagten zurückgelassen wurde. Darauf deutet hin, dass er keinen Posteingangsstempel der Beklagten ausweist. Zudem ist in diesem "Antwortschein" als Kind der Kläger angegeben, nicht aber seine Geschwister. Auch sind die dortigen Angaben in einer anderen Schrift als derjenigen der Mutter des Klägers niedergelegt. Die Beklagte hat insoweit im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 28. Juli 2009 die Schrift des Mitarbeiters eingeräumt, der als Kundenberater oben auf dem "Antwortschein" genannt ist. Unabhängig hiervon könnte eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers, hätte er von diesem Antrag gewusst, nur für die Zeit ab dem 16. Februar 2004, nicht aber für den Zeitraum zuvor, angenommen werden.
Die anderen Indizien, auf die sich das SG gestützt hat, tragen auch in ihrer Gesamtheit ebenfalls nicht den Schluss, der Kläger sei bereits vor März 2004 zumindest grob fahrlässig gewesen. Dass der Kläger entgegen seiner Verpflichtung aus § 291 Abs. 1 Satz 2 SGB V die Krankenversichertenkarte vom 03. Mai 2002 nicht unterschrieben hatte, lässt keine Schlüsse auf sein Wissen um seinen Versicherungsstatus zu. Aus diesem Verhalten folgt eher der Verdacht, der Kläger habe die Karte anderen überlassen wollen. Der in diesem Zusammenhang verdächtige Einsatz der Karte bei der Praxis Dr. Br. in Konstanz konnte im Berufungsverfahren aufgeklärt werden. Dort wurden auf Veranlassung eines behandelnden Arztes laboratoriumsmedizinische Untersuchungen durchgeführt. Dass der Kläger auch nach dem neuerlichen Ende seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten ab dem 01. April 2006 seine Krankenversichertenkarte nicht zurückgegeben hat, lässt ebenfalls keine Schlüsse auf seinen Kenntnisstand drei Jahre zuvor zu.
bb) Der Senat lässt jedoch an dieser Stelle offen, ob auch für die Zeit vor März 2004 zumindest grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X anzunehmen ist. Jedenfalls ist der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. März 2006 deswegen rechtswidrig, weil die Beklagte in diesen Bescheiden kein Ermessen ausgeübt hat.
(1) Nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG ist ein Verwaltungsakt auch dann rechtswidrig, wenn die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt war, nach ihrem Ermessen zu handeln, jedoch die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. In einem solchen Fall ist die Anfechtungsklage begründet und das Gericht muss den angegriffenen Bescheid nach § 131 Abs. 1 SGG aufheben.
(2) Auch die Entscheidung über die Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit, die nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X ohnehin nur gegenüber bösgläubigen Begünstigten möglich ist, bleibt eine Ermessensentscheidung (BSG, SozR 3-1300 § 45 Nr. 4, Nr. 5 und § 50 Nr. 17). Ermessen ist im Bereich des § 45 SGB X immer auszuüben, nicht nur in "atypischen Fällen" wie bei der Soll-Verpflichtung zur Aufhebung eines Bescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X (vgl. Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 45 Rn. 79 m.w.N.). Das BSG hat lediglich in seinen Urteilen vom 25. Januar 1994 (SozR 3-1300 § 50 Nr.16) und vom 24. Oktober 1996 (4 RA 27/95, veröffentlich in Juris) Fälle zu entscheiden gehabt, in denen bei bösgläubigen Begünstigten von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen war. Dies besagt gerade, dass grundsätzlich die Rückforderung - auch bei bösgläubigen Versicherten - im Ermessen des Versicherungsträgers steht (BSG, SozR 3-1300 § 45 Nr. 37). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom SG zitierten Urteil des BSG vom 25. Januar 1994 (SozR 3-1300 § 50 Nr. 16). Darin hat das BSG lediglich für den "Regelfall" eines bösgläubigen Begünstigten eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen und bestimmte Einschränkungen zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte bei der Entscheidung über die Rückforderung gemacht. Dass bei weiteren, besonderen Umständen eine Ermessensentscheidung nötig bleibt, hat es dagegen nicht ausgeschlossen. Solche besonderen Umstände, die auch bei bösgläubigen Begünstigen eine Rückforderung ganz oder teilweise ausschließen können, sind z.B. das Ausmaß der Bösgläubigkeit des Begünstigten - bei Vorsatz dürfte regelmäßig eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen -, ein etwaiges Mitverschulden der Behörde und sein Ausmaß, die Dauer des unrechtmäßigen Leistungsbezugs oder die Belastung mit der Rückzahlung der gesamten Summe, die einen existenzvernichtenden Eingriff darstellen und über die Stundungs- und Erlassregeln in § 76 Abs. 2 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) nicht ausgeglichen werden könnte (vgl. hierzu BSG, SozR 3-4100 § 155 Nr. 2).
Diese Voraussetzungen gelten bei einer Rückforderung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X entsprechend.
(3) Der angegriffene Bescheid leidet an einem Ermessensnichtgebrauch.
Die Beklagte hat weder in dem angegriffenen Bescheid vom 17. Januar 2006 noch im Widerspruchsbescheid vom 07. März 2006 Ermessenserwägungen angestellt. Es finden sich keine Ausführungen dazu, ob Umstände vorliegen, die der Rückforderung ganz oder teilweise entgegenstehen könnten. Insbesondere die Frage, ob der Beklagten wegen der Übersendung der Krankenversichertenkarte am 03. Mai 2002 - mehr als zwei Jahre nach dem Ende der Pflichtversicherung und fast zehn Monate nach dem Ende der Familienversicherung des Klägers - ein erhebliches Mitverschulden vorzuwerfen ist, wird nicht aufgeworfen. Diese Frage war aber relevant: Durch die Übersendung der Krankenversichertenkarte am 03. Mai 2002 an den Kläger hat die Beklagte einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Auch zu diesem Zeitpunkt war der Kläger bereits nicht mehr bei ihr versichert. Die Beklagte hat im Verfahren selbst eingeräumt, bei ihr sei für den Kläger eine offene Mitgliedszeit beginnend mit dem 10. September 1999 gespeichert gewesen, die falsch eingepflegt gewesen und nicht rechtzeitig storniert worden sei. Ferner hatte die Beklagte mehrfach Gelegenheit, noch vor Beginn der Behandlung des Klägers ihren Fehler zu bemerken und die Krankenversichertenkarte zu sperren bzw. zurückzufordern. So ergibt sich aus der Liste der Kontakte zwischen ihr und dem Kläger bzw. den Eltern des Klägers, dass der Datensatz des Klägers auch vor Beginn der Interferon-Behandlung mehrmals bearbeitet wurde, nämlich am 09. Februar 2000 bzw. am 22. Februar 2002. Mindestens hierbei konnte die Beklagte ohne weiteres erkennen, dass eine Versicherung für den Kläger tatsächlich nicht mehr bestand. In solchen Fällen eines möglicherweise erheblichen Mitverschuldens der Behörde an dem unrechtmäßigen Leistungsbezug bedarf es Ausführungen, wenn von dem Berechtigten gleichwohl der vollen Leistungsbetrag zurückgefordert wird. Es kann hier aus Ermessenserwägungen heraus angezeigt sein, den Rückforderungsbetrag zu verringern, um dem Ausmaß des beiderseitigen Verschuldens an den zu Unrecht erbrachten Leistungen Rechnung zu tragen. Da die Beklagte diese Umstände nicht gewürdigt hat, ist von einem Ermessensnichtgebrauch auszugehen.
Dieser Ermessensfehler ist auch nicht geheilt worden. Hierbei kann offen bleiben, ob eine fehlende Ermessensausübung lediglich einen (formellen) Begründungsmangel darstellt und daher nach § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X bis zum Ende des Berufungsverfahrens nachgeholt werden kann (vgl. Schütze, a.a.O., § 41 Rn. 11). Denn die Beklagte hat, obwohl sie durch die Ausführungen des SG in dem Urteil vom 27. Februar 2007 auf ihren Ermessensfehler hingewiesen worden war, keine nachträgliche Ermessensabwägung angestellt.
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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