L 16 R 1458/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 4 R 443/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1458/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juli 2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte im Wege des Überprüfungsverfahrens – nur noch – auf Gewährung von Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser, Erwerbsminderung (EM) nach § 43 Abs. 2 und Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) "seit Beantragung" der Rente in Anspruch.

Die Klägerin, geboren am 1949 in B (Türkei), hatte – nach ihren Angaben – in der Türkei keine Schule besucht und keine Berufsausbildung durchlaufen. Nach ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland im August 1972 war die Klägerin ab 1973 u. a. als Reinigungskraft und zuletzt vom 7. Januar 1985 bis Mai 1993 als Maschinenarbeiterin in einer Kabelfabrik versicherungspflichtig beschäftigt. Das letzte Arbeitsverhältnis endete auf Grund einer betriebsbedingten Kündigung seitens des Arbeitgebers. Die Klägerin bezog in der Folgezeit u. a. Arbeitslosengeld und erhält seit 24. Februar 2005 Arbeitslosengeld II.

Bei der Klägerin wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt auf Grund "seelischer Störung, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Migräne, rezidivierender Nebenhöhlenentzündungen, Nierensteinleiden, Stressinkontinenz, chronischer Magenschleimhautentzündung, Blutunterdruck, Funktionsbehinderung des Schultergelenks" (Bescheid des Versorgungsamts B vom 31. Mai 2005).

Auf Kosten der Beklagten unterzog sich die Klägerin in der Zeit vom 16. Dezember 2003 bis 27. Januar 2004 einem psychosomatischen Heilverfahren in der B; auf den Entlassungsbericht der Kurklinik vom 03. Februar 2004 wird Bezug genommen. Nach der Rentenantragstellung im Juni 2005 ließ die Beklagte die Klägerin durch die Fachärztin für Innere Medizin Dr. C untersuchen und begutachten; auf das in der Akte der Beklagten befindliche Gutachten vom 6. Juli 2005 wird Bezug genommen. Mit Bescheid vom 12. Juli 2005 lehnte die Beklagte die beantragte Gewährung von Rente wegen EM bestandskräftig ab. Im Oktober 2005 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen EM, den die Beklagte als Überprüfungsantrag wertete und mit Bescheid vom 23. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2006 ablehnte.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, dass sie nicht mehr in der Lage sei, vollschichtig zu arbeiten und deshalb voll erwerbsgemindert sei. Das Sozialgericht (SG) Bhat Befundberichte von der Ärztin für Orthopädie K vom 03. Mai 2005 und von dem Arzt für Neurologie-Psychiatrie Dr. S vom 11. Mai 2006 erstatten lassen sowie die Akte des Versorgungsamts B beigezogen, daraus Fotokopien gefertigt und zur Akte genommen. Das SG hat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G als Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt; auf dieses Sachverständigengutachten vom 6. Oktober 2006 wird Bezug genommen. Auf den Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B als Sachverständige eingesetzt worden; auf das Sachverständigengutachten dieser Ärztin vom 22. Mai 2007 wird ebenfalls Bezug genommen. Nachdem die Klägerin ein Attest von Dr. S vom 5. Juli 2007 eingereicht hatte, hat das SG die auf Gewährung von Rente wegen voller EM, hilfsweise wegen teilweiser EM bzw. wegen teilweiser EM bei Berufsunfähigkeit und auf Verzinsung der zu gewährenden Rentenleistungen seit Klagezustellung gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. Juli 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides der Beklagten vom 12. Juli 2005. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) lägen nicht vor. Das ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. G, dem bezüglich der Erkrankungen der Klägerin und der Beurteilung des Leistungsvermögens gefolgt werde. Auf Grund der von Dr. G aufgeführten Diagnosen sei das Leistungsvermögen der Klägerin zwar in qualitativer Hinsicht eingeschränkt. Es bestehe jedoch noch ein Leistungsvermögen im Umfang von acht Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten überwiegend in geschlossenen Räumen, ohne längeren Einfluss besonderer klimatischer Bedingungen und im Wechsel der Haltungsarten bei erforderlicher Toilettennähe. Das Heben und Tragen leichter und gelegentlich mittelschwerer Lasten sei ebenso möglich wie das Arbeiten an laufenden nach außen hin geschlossenen Maschinen und das teilweise Arbeiten am Computer. Die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit seien wie die Arbeitsfähigkeit mit Publikumsverkehr nicht beeinträchtigt. Auch die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben und die üblichen Pausen seien ausreichend. Das Ergebnis des Gutachtens von Dr. G stimme auch im Wesentlichen überein mit dem auf Antrag der Klägerin von Dr. B erstellten Gutachten. Danach könne die Klägerin trotz der auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet gestellten Diagnosen täglich noch mindestens acht Stunden leichte körperliche Arbeiten ohne besondere klimatische Einflüsse im Wechsel der Haltungsarten verrichten. Arbeiten in festgelegtem Arbeitsrhythmus seien dabei ebenso möglich wie das Heben und Tragen von Lasten bis 8 kg. Zu vermeiden seien hingegen einseitige körperliche Belastungen, Zeitdruck, Arbeiten an laufenden Maschinen, in Wechsel- und Nachtschicht und auf Leitern und Gerüsten ebenso wie Arbeiten mit besonderem Publikumsverkehr und Ansprüchen an eine besondere Fingergeschicklichkeit der linken Hand. Auch im Rehabilitationsentlassungsbericht vom 3. Februar 2004 werde von einem grundsätzlich vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Zwangshaltung ausgegangen. Dr. C habe aus allgemeinmedizinisch-internistischer Sicht ebenfalls ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt. Aus den von den behandelnden Ärzten der Klägerin eingeholten Befundberichten ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine abweichende Leistungsbeurteilung. Diese Befundberichte hätten den Sachverständigen Dr. G und Dr. B vorgelegen und seien von diesen umfassend gewürdigt und berücksichtigt worden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem nach Erstellung der Gutachten eingereichten Attest des Dr. S vom 5. Juli 2007. Dort würden die bereits bekannten Diagnosen und als neu hinzugekommene ein Hypertonus sowie ein Glaukomleiden mitgeteilt. Der Hypertonus sei auch von Dr. B festgestellt worden und führe dem Gutachten zufolge zu keiner quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens. Das mitgeteilte Glaukomleiden werde laut dem Attest derzeit medikamentös eingestellt. Hierdurch bedingte Gesichtsausfälle würden nicht mitgeteilt. Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens sei hierdurch nicht ersichtlich. Schließlich bestünden auch keine Zweifel, dass die Klägerin das Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich auch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts realisieren könne. Die gesundheitlichen Einschränkungen seien nicht so erheblich, dass von vornherein ernste Zweifel an der Einsetzbarkeit in einem Betrieb aufkämen. Die Frage, ob die Klägerin auch tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt eine Tätigkeit finde, falle in den Risikobereich der Arbeitslosenversicherung. Sei die Klägerin damit bereits nicht teilweise erwerbsgemindert, komme ein Anspruch auf Rente wegen voller EM nach § 43 Abs. 2 SGB VI nicht in Betracht.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin – nunmehr nur noch – ihr Begehren auf Gewährung von Rente wegen voller EM, hilfsweise wegen teilweiser EM, nach § 43 SGB VI weiter. Sie verweist zur Begründung darauf, dass sie des Lesens und Schreibens nicht ausreichend mächtig sei; das ergebe sich aus dem Gutachten von Dr. G auf Seite 4.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juli 2008 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 23. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2006 zu verurteilen, ihr ab 1. Juni 2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren und insoweit den Bescheid vom 12. Juli 2005 zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie überreicht den Versicherungsverlauf der Klägerin vom 10. November 2008.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, wegen der medizinischen Feststellungen auf die zum Verfahren eingeholten Befundberichte und die Sachverständigengutachten von Dr. G und Dr. BBezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die Akte der Beklagten und die Gerichtsakten (2 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Änderung des Bescheides vom 12. Juli 2005 und auf Gewährung von Rente wegen voller EM oder auch nur wegen teilweiser EM für die Zeit "ab Rentenantragstellung", d.h. unter Beachtung des § 99 SGB VI für die Zeit ab 1. Juni 2005. Denn die Klägerin ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 bzw. des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 und des Satzes 2 SGB VI.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindesten drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist dabei nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Voraussetzungen für den Eintritt einer vollen oder teilweisen EM liegen nicht vor. Denn nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist das Restleistungsvermögen der Klägerin quantitativ nicht derart eingeschränkt, dass es einen regelmäßigen täglichen Arbeitseinsatz von mindestens 6 Stunden nicht mehr zuließe. Dr. G hat zwar bei der Klägerin neben den bereits zuvor bekannten Gesundheitsstörungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparats und innerer Organe noch eine motorische Schwäche im Bereich des linken Daumens, ein Syndrom unruhiger Beine und eine somatoforme (psychosomatische) sowie eine ängstlich depressive Störung als neue Befunde mitgeteilt. Dieselben Befunde hat auch die auf den Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingesetzte Sachverständige Dr. B erhoben und auf nervenärztlichem Gebiet ein Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom auf der Grundlage degenerativer Veränderungen mit rezidivierender mehrortiger Wurzelreizung, einen Verdacht auf Sulcus-ulnaris-Syndrom links bei Funktionsbehinderung des Daumens, ein medikamtentös ausreichend behandeltes Restless-legs-Syndrom und einen Spannungskopfschmerz, auf psychiatrischem Fachgebiet eine Angst- und depressive Störung gemischt, eine Somatisierungsstörung, funktionelle Magenbeschwerden, psychogene Anfälle bei überwiegend histrionischen Persönlichkeitszügen und eine somatoforme Schmerzstörung und im Übrigen eine Hypercholesterinämie bei alimentärer Adipositas, ein degeneratives Skelettleiden bei beginnender Gonarthrose beidseits, eine Daumengrundgelenksarthrose beidseits, eine Gebrauchsbeeinträchtigung des linken Schultergelenks, ein Nierensteinleiden – derzeit ohne Aktivität – und als von der Klägerin angegebene Leiden – ohne untermauernde Befunde – ein Asthma bronchiale und eine Stressinkontinenz der Blase aufgeführt. Gleichwohl erlaubt aber das quantitative Restleistungsvermögen der Klägerin nach der übereinstimmenden Leistungsbeurteilung beider Gerichtssachverständigen noch einen regelmäßigen täglichen mindestens achtstündigen Arbeitseinsatz, wenn die von den Gerichtssachverständigen beschriebenen qualitativen Leistungseinschränkungen dabei beachtet werden. Selbst wenn man dem Klagevorbringen der Klägerin Rechnung tragen wollte, wonach sie nicht mehr in der Lage sei, vollschichtig Arbeiten zu verrichten, so findet sich doch in sämtlichen gutachterlichen Aussagen von Dr. B, Dr. G, Dr. C und auch von den Klinikärzten der B nirgendwo ein Anhalt dafür, dass das Restleistungsvermögen der Klägerin auf unter sechs Stunden täglich und damit auf ein rentenberechtigendes Ausmaß herabgesunken wäre (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Soweit sich die Klägerin zum Nachweis eines volle EM begründenden entsprechend reduzierten Restleistungsvermögens auf das Attest ihres behandelnden Neurologen Dr. S vom 5. Juli 2007 berufen hat, kommt dieser Leistungseinschätzung kein Beweiswert zu. Die Leistungsbeurteilung obliegt vielmehr ausschließlich den vom Gericht eingesetzten Sachverständigen. Der behandelnde Arzt wird regelmäßig, wenn von diesem Befundberichte erbeten werden, nur als – sachverständiger – Zeuge gehört.

Wenn Dr. S in dem Attest vom 5. Juli 2007 einen labilen Hypertonus als neues Leiden der Klägerin anführt, so ist ein gegebenenfalls bestehendes Bluthochdruckleiden jedenfalls von Dr. B nicht unberücksichtigt geblieben. Denn auch Dr. B hatte bei der Blutdruckmessung in ihrer Praxis erhöhte Blutdruckwerte vorgefunden. Gleichwohl hatte die Sachverständige insoweit eine gutachterliche Abklärung nicht für erforderlich gehalten. Hinsichtlich des von Dr. S ebenfalls als neuen Befund angeführten Glaukomleidens lässt sich aus dem Attest vom 5. Juli 2007 jedenfalls nichts für eine fortgeschrittene Glaukomerkrankung mit daraus resultierender rentenrechtlich erheblicher Einschränkung des Sehvermögens ersehen. Denn nach den Angaben von Dr. S in diesem Attest wurde das Glaukomleiden "derzeit medikamentös eingestellt".

Das vollschichtige und damit auch noch mindestens sechsstündige Restleistungsvermögen der Klägerin war und ist nach den von den Gerichtssachverständigen festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen auch nicht derart reduziert, dass es einem Arbeitseinsatz der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsüblichen Bedingungen entgegen stünde (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI). Die Klägerin kann zwar nach den von den Sachverständigen getroffenen Feststellungen wegen ihrer Leiden jedenfalls nur noch körperlich leichte Arbeiten mit dem regelmäßigen Heben und Tragen von Lasten bis 8 kg (Dr. B) im Wechsel der Haltungsarten ohne einseitige körperliche Belastung, ohne Zeitdruck und ohne Wechsel- und Nachtschicht verrichten. Ausgeschlossen sind außerdem Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und Arbeiten, die Fingergeschicklichkeit und feinmotorische Fähigkeiten der linken Hand voraussetzen, wobei die Einsetzbarkeit des linken Arms auch durch Schultergelenksveränderungen herabgesetzt ist. Gering eingeschränkt sind auch die Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit und die Kontaktfähigkeit sowie die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit.

Bei Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen bestand und besteht aber weder eine spezifische Leistungsbehinderung, noch lag oder liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 1998 – B 5/4 RA 58/97 R – juris). Es lagen und liegen zwar bei der Klägerin Leistungseinschränkungen vor, die teilweise über den Rahmen dessen hinaus gehen, was inhaltlich vom Begriff der körperlich leichten Tätigkeiten umfasst wird. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Notwendigkeit, bestimmte äußere Einwirkungen wie z. B. Hitze und Kälte zu vermeiden (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 1991 – B 13 RJ 71/97 R – juris). Die bei der Klägerin vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen sind aber nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Denn Leistungseinschränkungen wie der Ausschluss von Arbeiten in Zwangshaltungen und mit einseitiger körperlicher Belastung, in Hitze, Kälte, Feuchtigkeit und Zugluft, unter Zeitdruck, auf Leitern und Gerüsten zählen nicht zu den ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen und schon gar nicht zu den schweren spezifischen Leistungsbehinderungen (vgl. dazu die auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats ergangenen Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 – GS 1-4/95 – GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8). Das Gleiche gilt hinsichtlich der eingeschränkten geistigen Fähigkeiten der Klägerin, die von Dr. B nur als gering ausgeprägt festgestellt worden sind. Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen – dem Ausbildungsniveau der Klägerin entsprechenden – Arbeitsplatz lassen sich daraus nicht ersehen; nur eine besondere Einschränkung der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit, die von den Gerichtssachverständigen nicht festgestellt worden ist, könnte aber eine spezifische schwere Leistungsbehinderung darstellen (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 104, 117). Auch die Beschränkung auf Lastgewichte bis zu 8 kg ist nicht geeignet, das Feld leichter körperlicher Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Regelmäßig wird zwar bereits die Beschränkung auf 10 kg zu dem Bereich leichter Arbeiten gezählt. Dies reicht aber nicht aus, das Vorliegen eines noch ausreichenden Arbeitsfeldes zu verneinen (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 1997 – B 13 RJ 87/96 – juris). Soweit Dr. G ausgeführt hat, dass wegen der von der Klägerin vorgebrachten Harninkontinenz "eine Toilette in der Nähe sein müsse", haben Dr. B Befunde, die dieses Leiden bestätigen könnten, nicht vorgelegen. Im Übrigen schränkt dieses Erfordernis der "Toilettennähe", das, wie allgemein bekannt ist, in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarkts in der Regel gewahrt ist, das Restleistungsvermögen der Klägerin nicht zusätzlich ein. Insgesamt betreffen die bei der Klägerin festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen jedenfalls lediglich einen Teilbereich des allgemeinen Arbeitsmarkts, lassen aber ein weites Feld von Beschäftigungsmöglichkeiten unberührt. So könnte und kann die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen z. B. noch leichtere Tätigkeiten verrichten, die mit dem Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen verbunden sind (vgl. insoweit BSG SozR 4-2600 § 44 Nr 1). Neben einem Arbeitseinsatz im Rahmen von Sortier- und Verpackungstätigkeiten kommt überdies auch noch die Tätigkeit einer – einfachen – Pförtnerin in Betracht. Etwa fehlende deutsche Sprachkenntnisse stehen einem Arbeitseinsatz der Klägerin als Pförtnerin jedenfalls nicht entgegen (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 119). Im Hinblick darauf, dass nach der übereinstimmenden Leistungsbeurteilung der Gerichtssachverständigen jedenfalls für derart leichte Tätigkeiten keine relevanten Einschränkungen bzgl. der Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit, der Auffassungsgabe und der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sowie der Konzentrationsfähigkeit bestehen, konnte und kann die Klägerin auch noch derart einfache Tätigkeiten nach einer Zeit der Einarbeitung bis zu drei Monaten vollwertig verrichten.

Soweit die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung darauf verweist, dass sie "keine Schulbildung genossen habe und des Lesens und Schreibens nicht ausreichend mächtig" sei (Schriftsatz vom 27. Oktober 2008), hatte die Klägerin zwar bei ihrer Untersuchung bei Dr. G auf den fehlenden Schulbesuch in der Türkei hingewiesen, gleichzeitig aber erklärt, dass sie mit ihren Geschwistern zu Hause auf Türkisch Lesen und Schreiben und ein bisschen Rechnen gelernt habe. Für das Lesen türkischer Zeitungen reichen die auf diesem Weg erworbenen Fähigkeiten nach den eigenen Angaben der Klägerin jedenfalls aus. Dass die Klägerin "mit dem Lesen deutscher Zeitungen Probleme habe und komplexe Texte auf Deutsch nicht lesen könne" (Seite 4 des Gutachtens von Dr. G), ist auf die mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache zurückzuführen und wirkt sich damit nicht auf die geltend gemachten Rentenansprüche aus. Denn bei der Prüfung des Vorliegens einer EM kann sich eine Versicherte nicht darauf berufen, dass eine andere Sprache als Deutsch ihre Muttersprache ist und sie deshalb für die Ausübung einer im Übrigen zumutbaren Verweisungstätigkeit keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache besitzt (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 11; vgl. auch BSG SozR 4-2600 § 44 Nr 1). Auf der Grundlage der Angaben der Klägerin hatte jedenfalls auch Dr. B die ihr unter der Nr. 2b gestellte Beweisfrage dahingehend beantwortet, dass die Klägerin zum Lesen einfachster Texte in ihrer Muttersprache in der Lage sei.

Da nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische schwere Leistungsbehinderung nicht vorlagen und auch nicht vorliegen, ist die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit nicht erforderlich. Für die Klägerin in Betracht kommende Tätigkeitsfelder sind aufgezeigt worden. Darauf, ob die Klägerin einen ihrem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz tatsächlich erhalten hätte oder erhalten kann, kommt es nicht an. Denn die jeweilige Arbeitsmarktlage, die für leistungsgeminderte Arbeitnehmer wie die Klägerin kaum entsprechende Arbeitsplatzangebote zur Verfügung stellt, ist für die Feststellung von EM, wie der Gesetzgeber klargestellt hat, unerheblich (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI).

Da nach der übereinstimmenden Leistungsbeurteilung der Sachverständigen auch die erforderliche Wegefähigkeit der Klägerin erhalten geblieben und sie damit in der Lage ist, für sie in Betracht kommende Arbeitsplätze aufzusuchen, erweist sich das Rentenbegehren der Klägerin als nicht begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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