Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 50/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 135/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Verschuldenserfordernis besteht im Rahmen von Honorarkürzungen oder Verordnungsregressen gemäß § 106 SGB V nicht (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2009, B 6 KA 3/08 R [Wobe Mugos E]). Zu unterscheiden ist zwischen dem verschuldensabhängigen Begriff des „sonstigen Schadens“ und dem verschuldensunabhängigen Verordnungsregress wegen Unwirtschaftlichkeit.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2006 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Arzneimittelregress in Höhe von 7.006,80 Euro wegen der Verordnung von Intraglobin F für die Patientin F K zur Behandlung Multipler Sklerose.
Ausweislich der Fachinformation (Stand Dezember 2001) ist Intraglobin F für folgende Anwendungsgebiete zugelassen:
Substitutionstherapie bei Primären Immunmangelsyndromen wie: - Kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie, - Allgemeine variable Immunmangelkrankheiten, - Schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten,
Myelom oder chronisch-lymphatische Leukämie mit schwerer sekundärer Hypogammaglobulinämie und rezidivierenden Infektionen,
Kinder mit angeborenem AIDS und rezidivierenden Infektionen,
Immunmodulation,
Idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP) bei Kindern oder Erwachsenen mit einem hohen Blutungsrisiko oder vor chirurgischen Eingriffen zur Korrektur der Thrombozytenzahl,
Kawasaki-Syndrom,
Allogene Knochenmarktransplantation.
Im Juli 2002 stellte die Beigeladene zu 2), bei der die Patientin F K krankenversichert war, bei der Beigeladenen zu 1) einen Antrag auf Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 der Prüfvereinbarung vom 1. Oktober 1993, unter anderem wegen der Verordnung von Intraglobin bei der Versicherten. Der Forderungsbetrag belief sich auf 13.704,11 DM (7.006,80 Euro) wegen der Verordnung von Intraglobin am 25. Januar 2001, 22. Februar 2001 und 22. März 2001. Im Rahmen ihrer Anhörung trug die Klägerin im September 2002 unter anderem vor, die Patientin K habe an einer schubförmig verlaufenden fokalen Multiplen Sklerose mit Begleitautoimmunphänomenen wie etwa einem Visusverlust gelitten. Die Gabe von Immunglobulinen sei bei ihr indiziert gewesen, weil eine Alternativtherapie ausgeschlossen gewesen sei. Wegen des Vorhandenseins von Kardiolipin-Antikörpern habe eine Interferontherapie nicht durchgeführt werden können; zudem habe die Patientin seinerzeit einen starken Kinderwunsch gehabt, so dass eine Therapie mit Imurek bei ihr nicht in Betracht gekommen sei. Das neue Medikament Copaxone sei damals für die Behandlung von Multipler Sklerose nicht zugelassen gewesen. Auf Anforderung des Prüfungsausschusses reichte die Klägerin außerdem einen "Dokumentationsbogen bei Verordnung von Immunglobulinen zur MS-Therapie als Anlage zum Eckpunktepapier der Berliner Krankenkassen mit Vertretern der Berliner Nervenärzte" zu den Akten ("schubförmig remittierende MS, Intraglobin 3 x 10 g als Erhaltungstherapie").
Mit Bescheid vom 4. Juni 2003 setzte der Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin gemäß § 14 der Prüfvereinbarung eine Schadensersatzverpflichtung der Klägerin unter anderem für die Verordnung von Intraglobin bei der Patientin F K in Höhe von 13.704,11 DM (7.006,80 Euro) fest. Einen indikationsgerechten Einsatz des Immunglobulinpräparates könne der Ausschuss nicht erkennen. Gegenwärtig gebe es keine Studienlage, die die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Immunglobulinen in der Therapie der Multiplen Sklerose bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und im Wochenbett absichere.
Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass eine Alternativtherapie bei der Patientin im fraglichen Zeitraum nicht in Betracht gekommen sei. Von den Gaben des Immunglobulins haben sie in relativ kurzer Zeit profitiert. Die Einschätzung zur Studienlage könne nicht geteilt werden. Es sei vielfach belegt, dass die Gabe von Immunglobulinen bei einer schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose indiziert sei. Die Therapie sei erfolgt, um schwerwiegende Komplikationen bei der Patientin zu verhindern und ihr eine Schwangerschaft zu ermöglichen.
Mit Bescheid vom 18. November 2003 wies der Beschwerdeausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin den Widerspruch der Klägerin zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Verordnung von Intraglobin bei der Patientin K bewege sich nicht im Rahmen einen zulässigen Off-Label-Use, wie ihn das Bundessozialgericht definiert habe. Auch nach Auffassung des Beschwerdeausschusses liege keine ausreichende Studienlage vor, die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Immunglobulinen in der MS-Therapie bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und im Wochenbett absichere. Dies sei auch in den "Eckpunkten einer Erklärung der Berliner Krankenkassen, der KV Berlin und der Vertreter des Arbeitskreises MS der Berliner Nervenärzte zur Immunglobulintherapie der Multiplen Sklerose" festgehalten. Die einzige vorhandene Phase III-Studie zum Einsatz von Immunglobulinen bei der akut remittierenden Verlaufsform der Multiplen Sklerose werde von keiner Zulassungsbehörde als zulassungsrelevant im Sinne eines eindeutigen Wirksamkeitsnachweises klassifiziert. Einschlussbedingung für Patientinnen in diese Studie sei eine Schwangerschaftsverhütung gewesen. Mithin seien Kinderwunsch, Schwangerschaft, Wochenbett und Stillzeit in dieser Studie ausdrücklich ausgeschlossen gewesen. Auch die aktuelle Leitlinie "Multiple Sklerose" der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in der Fassung vom 1. April 2002 bringe nur zum Ausdruck, dass die monatliche Immunglobulingabe zur Schubprophylaxe während der Schwangerschaft als "möglicherweise effektiv" eingestuft werde. Bei den sonst von der Klägerin benannten Studien speziell zur Wirksamkeit von Immunglobulinen handele es sich um kleinere Untersuchungen, die fast durchweg in eine Empfehlung zur Durchführung größerer Studien mündeten. Eine doppelbinde randomisierte Phase-III-Studie sei von der Widerspruchsführerin nicht zitiert worden. Damit stehe fest, dass eine Verordnung des Arzneimittels Intraglobin für die Patientin K außerhalb der Zulassungsindikation nicht zu Lasten der Krankenkasse erfolgen durfte.
Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen: Die Verordnung von Intraglobin sei erfolgt, um der Patientin K eine ausreichende Verordnung im Rahmen ihrer Erkrankung zu gewährleisten; ein Arzt sei sogar dazu verpflichtet, ein Medikament im Off-Label-Use zu verordnen, wenn dies - wie hier - medizinisch geboten sei. Die Verordnung sei auf der Basis wissenschaftlichen Erkenntnismaterials erfolgt. Bei Intraglobin habe es sich um das einzige Arzneimittel gehandelt, das einer von der Patientin gewünschten zukünftigen Schwangerschaft nicht abträglich gewesen sei. Der Beklagte habe es unterlassen, nach Verordnungsalternativen zu suchen. Jedenfalls fehle es an dem nach § 14 der Prüfvereinbarung verlangten Verschulden. Sofern es um die "Eckpunkte-Vereinbarung" gehe, gelte diese nur für niedergelassene Vertragsärzte und nicht für die Klägerin als Universitätsklinikum. Unabhängig davon sei die Behandlung der Patientin mit Intraglobin von den in der Vereinbarung geforderten Einschlusskriterien umfasst.
Die Beigeladene zu 2) hat darauf hingewiesen, dass weiterhin keine kontrolliert klinische Prüfung der Phase III vorliege. Entscheidend sei überdies, wie im fraglichen Zeitraum - im ersten Quartal des Jahres 2001 - die Studienlage gewesen sei und ob seinerzeit in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen des Medikaments für die fragliche Indikation bestanden habe. Weder im ersten Quartal 2001 noch Jahre später sei eine Studienlage veröffentlicht gewesen, die die Wirksamkeit der Gabe von Immunglobulinen bei der Multiplen Sklerose belege.
Mit Urteil vom 31. Mai 2006 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Gemessen an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-Label-Gebrauch von Arzneimitteln sei nicht einmal nachgewiesen, dass keine andere Therapie für die Patientin in Betracht gekommen sei. Vor allen Dingen sei nicht nachgewiesen, dass die Patientin tatsächlich wegen ihres Kinderwunsches behandelt worden sei. Es sei nicht zu erkennen, dass der Kinderwunsch der Patientin den Ausschlag für die Behandlung mit den verordneten Präparaten gegeben habe. Im Hinblick auf die Studienlage habe der Beklagte zu Recht ausgeführt, dass diese nicht ausreichend sei für die Frage der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Immunglobulin in der Therapie der Multiplen Sklerose bei Kinderwunsch.
Gegen das ihr am 8. November 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Dezember 2006 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Ein Regressanspruch bestehe nicht, weil die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Off-Label-Einsatz des fraglichen Arzneimittels vorgelegen hätten. Die bei der Patientin vorliegende fokale Multiple Sklerose mit Antiphospholipidsyndrom stelle eine zumindest die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung dar. Zum Einsatz von Intraglobin habe es auch keine alternative Therapiemöglichkeit gegeben, insbesondere weil im Therapiezeitpunkt eine jederzeit bevorstehende Schwangerschaft der Behandlung mit alternativen Therapien entgegengestanden habe. Schließlich bestehe auch eine ausreichend abgesicherte Datenlage für den Einsatz von Immunglobulinen in der MS-Therapie bei Kinderwunsch zum Zeitpunkt der Therapie. Die Datenlage sichere die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit von Intraglobin ab. Selbst wenn man dem nicht folge, sei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Kriterien für einen Off-Label-Use unter grundrechtlichen Aspekten zu erweitern. Im Zentrum stehe hier das Grundrecht der Patientin auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Im Falle der Patientin K sei die Behandlung mit Intraglobin um so wichtiger gewesen, als bei Behandlungsbeginn ein fast kompletter Verlust der Sehkraft eingetreten sei; unter der Behandlung im Intraglobin habe sich die Sehkraft wieder verbessert. Vor allen Dingen dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die gewünschte Schwangerschaft die Behandlung mit dem fraglichen Arzneimittel geboten habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18. November 2003 aufzuheben, soweit er sich auf die Verordnung von Intraglobin für die Versicherte K im ersten Quartal 2001 bezieht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien die Voraussetzungen für den Off-Label-Einsatz von Intraglobin im Falle der Patientin K nicht erfüllt gewesen.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2006 ist zulässig, aber unbegründet. Die erstinstanzliche Entscheidung würdigt die Sach- und Rechtslage zutreffend. Zu Recht hat der Beklagte gegen die Klägerin eine Schadensersatzverpflichtung in Höhe von 7.006,80 Euro wegen der Verordnung von Intraglobin bei der Patientin Kim ersten Quartal 201 festgesetzt.
1. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist allein der Bescheid des Beschwerdeausschusses, nicht auch der Bescheid des Prüfungsausschusses (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Oktober 2004, B 6 KA 65/03, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26.).
2. a) Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 106 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) in der bis zum 30. Dezember 2001 geltenden, hier maßgeblichen Fassung i.V.m. § 14 ("Prüfung in besonderen Fällen / sonstiger Schaden") der zwischen der Beigeladenen zu 1) und den (Landes-)Verbänden der Krankenkassen im Land Berlin abgeschlossenen Prüfvereinbarung (PV) vom 10. Januar 1994.
Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird geprüft durch
1. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung),
2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Satz 4, 1. Halbsatz SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner die Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden.
Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 14 PV folgendes:
Prüfung in besonderen Fällen / sonstiger Schaden
1. Der Prüfungsausschuss entscheidet auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. Unterschiedliche vertragliche Regelungen (Bundesmantelvertrag, Arzt-/Ersatz-kassenvertrag) finden Anwendung.
2. Der Antrag ist zu begründen und muss innerhalb einer Frist von 6 Monaten seit Bekanntwerden des Sachverhalts beim Prüfungsausschuss vorliegen. Bei nicht verordnungsfähigen Präparaten beginnt die Frist mit dem Eingang der sortierten Rezepte bei der jeweiligen Krankenkasse. Die Krankenkasse muss dem Antrag alle zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen und die Nachweise zur Schadenshöhe beifügen sowie die Höhe des Schadens benennen.
3. Hält die KV Berlin Regressansprüche gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln, die von der Versorgung ausgeschlossen sind, für berechtigt, wird sie den Vertragsarzt entsprechend informieren und den jeweiligen Schadensbetrag bei Einverständnis des Vertragsarztes einbehalten und an die Krankenkasse abführen.
4. Der Antrag kann sich nur auf den Zeitraum der letzten, dem Antrag vorausgegangenen 2 Kalenderjahre erstrecken.
5. Ein Antrag ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Schadensbetrag DM 100,- nicht übersteigt. Dies gilt nicht für Anträge betreffend ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel gemäß gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen.
b) Hieran gemessen hat der Beklagte zu Recht gegen die Klägerin eine Schadensersatzverpflichtung i.S.v. § 14 Ziff. 1 PV festgesetzt.
aa) § 14 PV dient nicht nur als Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines sonstigen Schadens. Der Wortlaut von Ziff. 2 Satz 2, 3 und 5 Satz 2 dieser Vorschrift belegt, dass die Prüfgremien auch zur Festsetzung von Regressansprüchen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel ermächtigt wurden.
Ein Schaden i.S.v. § 14 PV ist der Beigeladenen zu 2. dadurch entstanden, dass die Klägerin im Quartal I/2001 insgesamt dreimal das Immunglobulin Intraglobin für die Versicherte verordnete, obwohl hierfür keine Leistungspflicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestand.
bb) Gemäß §§ 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte u. a. Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten unterliegt dabei allerdings den sich aus §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Danach umfasst er nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Bezogen auf die Arzneimitteltherapie bedeutet dies, dass es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben muss, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Es fehlt deshalb an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Mai 2004, B 1 KR 21/02 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 14 mit Nachweisen zur ständ. Rspr.).
Das von der Klägerin verordnete Immunglobulin ist als Serum Fertigarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und 3 Arzneimittelgesetz (AMG). Als solches hat es eine Zulassung gemäß § 21 Abs. 1 AMG. Die streitgegenständlichen Verordnungen bewegten sich jedoch außerhalb der von der Zulassung umfassten Anwendungsgebiete. Die Therapie der Multiplen Sklerose ist nicht von der Zulassung erfasst, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Für das Vorliegen einer der anderen von der Zulassung umfassten Indikationen fehlen jegliche Anhaltspunkte.
cc) Aus den Grundsätzen über den Off-label-Gebrauch von Arzneimitteln ergibt sich nichts anderes. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (seit dem Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R) kann ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Davon kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist, und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
(1) Der Senat kann unterstellen, dass es sich im hier streitgegenständlichen Behandlungsfall um eine schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankung im oben genannten Sinne handelte. Es kann auch dahinstehen, ob und inwieweit eine andere Therapie zur Verfügung stand. Jedenfalls fehlt es an dem Nachweis, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht bestand, dass mit der Verabreichung des Immunglobulins Intraglobin ein Behandlungserfolg hätte erzielt werden können. Hierfür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die - hier bezogen auf das erste Quartal 2001 - erwarten ließen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könnte. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und deshalb in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, a.a.O.).
(2) Diese Voraussetzungen sind für das Arzneimittel Intraglobin bis heute nicht erfüllt (ebenso jüngst zum Immunglobulin Octagam: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Februar 2008, L 4 KR 2153/06, zitiert nach juris, dort Rdnr. 27; desgleichen: Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 2. April 2003, L 9 KR 70/00, zitiert nach juris, dort Rdnr. 33 ff.). Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 19. März 2002 (a.a.O.) darauf abgestellt, dass nach den vom zuständigen Paul-Ehrlich-Institut veröffentlichten Ergebnissen eines internationalen Symposiums von November 2001 für die sekundär-progrediente Multiple Sklerose kein wissenschaftlicher Konsens über den Nutzen einer Behandlung mit Immunglobulinen bestand. Daran hat sich nichts geändert. Weitere neue Erkenntnisse liegen nicht vor (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, a.a.O., mit Hinweis auf eine dort eingeholte Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 24. Mai 2007). Es gibt zwar nach der Datenlage Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit von Immunglobulinen zur Behandlung der schubförmig verlaufende Multiplen Sklerose, allerdings fehlt bisher eine kontrollierte, adäquat durchgeführte Phase III-Studie, auf die die begründete Aussicht auf einen wirksamen Einsatz dieser Medikamentengruppe gestützt werden könnte. Es sind auch keine Forschungsergebnisse ersichtlich, die eine Zulassung des Präparats zur Behandlung der sekundär-chronischen oder der schubförmigen Multiplen Sklerose erwarten ließen. Damit ist auszuschließen, dass derzeit außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens Erkenntnisse vorliegen, die denjenigen einer Phase III-Studie gleichstehen.
(3) Im Übrigen hätten die anspruchsauslösenden positiven Erkenntnisse zu einem mutmaßlichen Behandlungserfolg bereits zum Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin, also im ersten und zweiten Quartal 2001, vorliegen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Bundessozialgericht, Urteil vom 27. März 2007, B 1 KR 17/06 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16). Umso mehr kann der Senat sich daher bei seiner Entscheidung auf das oben genannte Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. März 2002 stützen, in dem die Datenlage besonders auch des Jahres 2001 erörtert und für nicht ausreichend befunden wurde.
(4) Aus den "Eckpunkten einer Erklärung der Berliner Krankenkassen, der KV Berlin und Vertretern des Arbeitskreises MS der Berliner Nervenärzte zur Immunglobulin-Therapie der Multiplen Sklerose" kann die Klägerin - unabhängig von der rechtlichen Bedeutung dieser Erklärung und ihrer Verbindlichkeit - im Hinblick auf etwaigen Vertrauenschutz nichts herleiten. Die "Eckpunkte" stammen aus dem Jahr 2002 und können daher keine Bedeutung entfalten im Hinblick auf die Verordnung eines Immunglobulins im ersten Quartal 2001.
dd) Eine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 2) ergibt sich auch nicht unmittelbar aus Verfassungsrecht bzw. grundrechtlichen Gewährleistungen (vgl. hierzu grundlegend Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Dezember 2005 [Nikolausbeschluss], 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, S. 25 = NJW 2006, S. 891). Aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip folgt regelmäßig kein verfassungsmäßiger Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung. Es bedarf allerdings einer besonderen Rechtfertigung, wenn dem Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten werden. Darüber hinaus sind auch die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten. Es ist dem Gesetzgeber jedoch nicht verwehrt, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen. Konkret in Bezug auf Arzneimitteltherapien hat das Bundesverfassungsgericht bereits früher auf das in § 12 Abs. 1 SGB V enthaltene Wirtschaftlichkeitsgebot hingewiesen, welches die finanziellen Grenzen markiert, die der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung von der Belastbarkeit der Beitragszahler und der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft gezogen werden. Danach ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Leistung im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB V mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts verknüpft und deshalb verneint wird, weil das Arzneimittel nicht oder noch nicht zugelassen ist (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 5. März 1997, 1 BvR 1071/95, zitiert nach juris, dort Rdnr. 10). Denn das Arzneimittelrecht schließt neben der Unbedenklichkeit auch die Prüfung der Qualität und der Wirksamkeit des jeweiligen Arzneimittels mit ein (§ 1 AMG). Daher ist die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-label-use aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Auch bei einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage liegt somit kein Verfassungsverstoß vor, wenn die Leistungspflicht einer Krankenkasse im Rahmen der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels - wie hier - mit der Begründung verneint wird, nach den vorliegenden Erkenntnissen lägen keine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse vor, aus denen sich hinreichende Erfolgsaussichten für den begehrten Off-label-use ableiten ließen (siehe jüngst: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 30. Juni 2008, 1 BvR 1665/07, zitiert nach juris, dort Rdnrn. 10, 11).
ee) Ein Verschuldenserfordernis schließlich besteht im Rahmen von Honorarkürzungen oder Verordnungsregressen gemäß § 106 SGB V nicht (ständ. Rspr. des Bundessozialgerichts, vgl. zuletzt Urteil vom 6. Mai 2009, B 6 KA 3/08 R [Wobe Mugos E], zitiert nach juris, dort Rdnr. 28 m.w.N.; vgl. auch Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 28 I, S. 319 f.). Zu unterscheiden ist nämlich zwischen dem verschuldensabhängigen Begriff des "sonstigen Schadens" und dem verschuldensunabhängigen Verordnungsregress wegen Unwirtschaftlichkeit; in diesem Sinne ist auch § 14 PV zu verstehen, der sowohl den "sonstigen" Schaden regelt - und für diesen eine Außerachtlassung der nach den Umständen erforderlichen Sorgfalt fordert - als auch den Verordnungsregress im engeren Sinne. Die notwendige Abgrenzung erfolgt danach, ob der Schaden der Krankenkasse darin besteht, dass sie - wie vorliegend beim Verordnungsregress - für Behandlungen Kosten aufgewandt hat, die sie prinzipiell aufwenden muss, die aber im konkreten Fall nicht angefallen wären; dann liegt eine der allgemeinen Wirtschaftlichkeitsprüfung vergleichbare Konstellation vor, in der der Arzt für die Beachtung der Grenzen der Leistungspflicht der Krankenkassen verschuldensunabhängig einstehen muss. Soweit dagegen das Verhalten des Arztes Folgekosten in anderen Leistungsbereichen ausgelöst hat, etwa weil aufgrund falscher Bescheinigungen Krankengeld gezahlt wurde, liegt ein "sonstiger Schaden" vor, für den der Arzt nur bei Verschulden Ersatz leisten muss (vgl. Wenner, a.a.O.).
Diese Sichtweise entspricht dem hohen Stellenwert, der dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Instrument der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Rahmen der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zukommt. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat eine wichtige Ausprägung durch die Regelungen über die Wirtschaftlichkeitsprüfung in § 106 Abs. 1 SGB V erfahren. Diese verpflichten die Träger der gemeinsamen Selbstverwaltung zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung. Schon das Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477) hat die Notwendigkeit wirtschaftlicher Leistungserbringung für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der GKV hervorgehoben und eine strikte Verpflichtung der Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Behandlung durch die (zahn)ärztlichen Leistungserbringer normiert; diese hat der Gesetzgeber in der Folgezeit mit Änderungen des § 106 SGB V durch das GSG von 1992 und durch das Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2626) fortgeschrieben. Den hohen Rang der Wirtschaftlichkeitsprüfung hat der Gesetzgeber mit verschiedenen Regelungen deutlich gemacht. Er hat dem in § 12 Abs. 1 SGB V normierten Gebot, dass die Leistungserbringer unwirtschaftliche Leistungen nicht bewirken dürfen, zusätzlich durch § 2 Abs. 1 Satz 3, § 70 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2, § 75 Abs. 1 SGB V Ausdruck verliehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Arzneimittelregress in Höhe von 7.006,80 Euro wegen der Verordnung von Intraglobin F für die Patientin F K zur Behandlung Multipler Sklerose.
Ausweislich der Fachinformation (Stand Dezember 2001) ist Intraglobin F für folgende Anwendungsgebiete zugelassen:
Substitutionstherapie bei Primären Immunmangelsyndromen wie: - Kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie, - Allgemeine variable Immunmangelkrankheiten, - Schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten,
Myelom oder chronisch-lymphatische Leukämie mit schwerer sekundärer Hypogammaglobulinämie und rezidivierenden Infektionen,
Kinder mit angeborenem AIDS und rezidivierenden Infektionen,
Immunmodulation,
Idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP) bei Kindern oder Erwachsenen mit einem hohen Blutungsrisiko oder vor chirurgischen Eingriffen zur Korrektur der Thrombozytenzahl,
Kawasaki-Syndrom,
Allogene Knochenmarktransplantation.
Im Juli 2002 stellte die Beigeladene zu 2), bei der die Patientin F K krankenversichert war, bei der Beigeladenen zu 1) einen Antrag auf Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 der Prüfvereinbarung vom 1. Oktober 1993, unter anderem wegen der Verordnung von Intraglobin bei der Versicherten. Der Forderungsbetrag belief sich auf 13.704,11 DM (7.006,80 Euro) wegen der Verordnung von Intraglobin am 25. Januar 2001, 22. Februar 2001 und 22. März 2001. Im Rahmen ihrer Anhörung trug die Klägerin im September 2002 unter anderem vor, die Patientin K habe an einer schubförmig verlaufenden fokalen Multiplen Sklerose mit Begleitautoimmunphänomenen wie etwa einem Visusverlust gelitten. Die Gabe von Immunglobulinen sei bei ihr indiziert gewesen, weil eine Alternativtherapie ausgeschlossen gewesen sei. Wegen des Vorhandenseins von Kardiolipin-Antikörpern habe eine Interferontherapie nicht durchgeführt werden können; zudem habe die Patientin seinerzeit einen starken Kinderwunsch gehabt, so dass eine Therapie mit Imurek bei ihr nicht in Betracht gekommen sei. Das neue Medikament Copaxone sei damals für die Behandlung von Multipler Sklerose nicht zugelassen gewesen. Auf Anforderung des Prüfungsausschusses reichte die Klägerin außerdem einen "Dokumentationsbogen bei Verordnung von Immunglobulinen zur MS-Therapie als Anlage zum Eckpunktepapier der Berliner Krankenkassen mit Vertretern der Berliner Nervenärzte" zu den Akten ("schubförmig remittierende MS, Intraglobin 3 x 10 g als Erhaltungstherapie").
Mit Bescheid vom 4. Juni 2003 setzte der Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin gemäß § 14 der Prüfvereinbarung eine Schadensersatzverpflichtung der Klägerin unter anderem für die Verordnung von Intraglobin bei der Patientin F K in Höhe von 13.704,11 DM (7.006,80 Euro) fest. Einen indikationsgerechten Einsatz des Immunglobulinpräparates könne der Ausschuss nicht erkennen. Gegenwärtig gebe es keine Studienlage, die die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Immunglobulinen in der Therapie der Multiplen Sklerose bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und im Wochenbett absichere.
Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass eine Alternativtherapie bei der Patientin im fraglichen Zeitraum nicht in Betracht gekommen sei. Von den Gaben des Immunglobulins haben sie in relativ kurzer Zeit profitiert. Die Einschätzung zur Studienlage könne nicht geteilt werden. Es sei vielfach belegt, dass die Gabe von Immunglobulinen bei einer schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose indiziert sei. Die Therapie sei erfolgt, um schwerwiegende Komplikationen bei der Patientin zu verhindern und ihr eine Schwangerschaft zu ermöglichen.
Mit Bescheid vom 18. November 2003 wies der Beschwerdeausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin den Widerspruch der Klägerin zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Verordnung von Intraglobin bei der Patientin K bewege sich nicht im Rahmen einen zulässigen Off-Label-Use, wie ihn das Bundessozialgericht definiert habe. Auch nach Auffassung des Beschwerdeausschusses liege keine ausreichende Studienlage vor, die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Immunglobulinen in der MS-Therapie bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und im Wochenbett absichere. Dies sei auch in den "Eckpunkten einer Erklärung der Berliner Krankenkassen, der KV Berlin und der Vertreter des Arbeitskreises MS der Berliner Nervenärzte zur Immunglobulintherapie der Multiplen Sklerose" festgehalten. Die einzige vorhandene Phase III-Studie zum Einsatz von Immunglobulinen bei der akut remittierenden Verlaufsform der Multiplen Sklerose werde von keiner Zulassungsbehörde als zulassungsrelevant im Sinne eines eindeutigen Wirksamkeitsnachweises klassifiziert. Einschlussbedingung für Patientinnen in diese Studie sei eine Schwangerschaftsverhütung gewesen. Mithin seien Kinderwunsch, Schwangerschaft, Wochenbett und Stillzeit in dieser Studie ausdrücklich ausgeschlossen gewesen. Auch die aktuelle Leitlinie "Multiple Sklerose" der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in der Fassung vom 1. April 2002 bringe nur zum Ausdruck, dass die monatliche Immunglobulingabe zur Schubprophylaxe während der Schwangerschaft als "möglicherweise effektiv" eingestuft werde. Bei den sonst von der Klägerin benannten Studien speziell zur Wirksamkeit von Immunglobulinen handele es sich um kleinere Untersuchungen, die fast durchweg in eine Empfehlung zur Durchführung größerer Studien mündeten. Eine doppelbinde randomisierte Phase-III-Studie sei von der Widerspruchsführerin nicht zitiert worden. Damit stehe fest, dass eine Verordnung des Arzneimittels Intraglobin für die Patientin K außerhalb der Zulassungsindikation nicht zu Lasten der Krankenkasse erfolgen durfte.
Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen: Die Verordnung von Intraglobin sei erfolgt, um der Patientin K eine ausreichende Verordnung im Rahmen ihrer Erkrankung zu gewährleisten; ein Arzt sei sogar dazu verpflichtet, ein Medikament im Off-Label-Use zu verordnen, wenn dies - wie hier - medizinisch geboten sei. Die Verordnung sei auf der Basis wissenschaftlichen Erkenntnismaterials erfolgt. Bei Intraglobin habe es sich um das einzige Arzneimittel gehandelt, das einer von der Patientin gewünschten zukünftigen Schwangerschaft nicht abträglich gewesen sei. Der Beklagte habe es unterlassen, nach Verordnungsalternativen zu suchen. Jedenfalls fehle es an dem nach § 14 der Prüfvereinbarung verlangten Verschulden. Sofern es um die "Eckpunkte-Vereinbarung" gehe, gelte diese nur für niedergelassene Vertragsärzte und nicht für die Klägerin als Universitätsklinikum. Unabhängig davon sei die Behandlung der Patientin mit Intraglobin von den in der Vereinbarung geforderten Einschlusskriterien umfasst.
Die Beigeladene zu 2) hat darauf hingewiesen, dass weiterhin keine kontrolliert klinische Prüfung der Phase III vorliege. Entscheidend sei überdies, wie im fraglichen Zeitraum - im ersten Quartal des Jahres 2001 - die Studienlage gewesen sei und ob seinerzeit in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen des Medikaments für die fragliche Indikation bestanden habe. Weder im ersten Quartal 2001 noch Jahre später sei eine Studienlage veröffentlicht gewesen, die die Wirksamkeit der Gabe von Immunglobulinen bei der Multiplen Sklerose belege.
Mit Urteil vom 31. Mai 2006 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Gemessen an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-Label-Gebrauch von Arzneimitteln sei nicht einmal nachgewiesen, dass keine andere Therapie für die Patientin in Betracht gekommen sei. Vor allen Dingen sei nicht nachgewiesen, dass die Patientin tatsächlich wegen ihres Kinderwunsches behandelt worden sei. Es sei nicht zu erkennen, dass der Kinderwunsch der Patientin den Ausschlag für die Behandlung mit den verordneten Präparaten gegeben habe. Im Hinblick auf die Studienlage habe der Beklagte zu Recht ausgeführt, dass diese nicht ausreichend sei für die Frage der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Immunglobulin in der Therapie der Multiplen Sklerose bei Kinderwunsch.
Gegen das ihr am 8. November 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Dezember 2006 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Ein Regressanspruch bestehe nicht, weil die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Off-Label-Einsatz des fraglichen Arzneimittels vorgelegen hätten. Die bei der Patientin vorliegende fokale Multiple Sklerose mit Antiphospholipidsyndrom stelle eine zumindest die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung dar. Zum Einsatz von Intraglobin habe es auch keine alternative Therapiemöglichkeit gegeben, insbesondere weil im Therapiezeitpunkt eine jederzeit bevorstehende Schwangerschaft der Behandlung mit alternativen Therapien entgegengestanden habe. Schließlich bestehe auch eine ausreichend abgesicherte Datenlage für den Einsatz von Immunglobulinen in der MS-Therapie bei Kinderwunsch zum Zeitpunkt der Therapie. Die Datenlage sichere die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit von Intraglobin ab. Selbst wenn man dem nicht folge, sei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Kriterien für einen Off-Label-Use unter grundrechtlichen Aspekten zu erweitern. Im Zentrum stehe hier das Grundrecht der Patientin auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Im Falle der Patientin K sei die Behandlung mit Intraglobin um so wichtiger gewesen, als bei Behandlungsbeginn ein fast kompletter Verlust der Sehkraft eingetreten sei; unter der Behandlung im Intraglobin habe sich die Sehkraft wieder verbessert. Vor allen Dingen dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die gewünschte Schwangerschaft die Behandlung mit dem fraglichen Arzneimittel geboten habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18. November 2003 aufzuheben, soweit er sich auf die Verordnung von Intraglobin für die Versicherte K im ersten Quartal 2001 bezieht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien die Voraussetzungen für den Off-Label-Einsatz von Intraglobin im Falle der Patientin K nicht erfüllt gewesen.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2006 ist zulässig, aber unbegründet. Die erstinstanzliche Entscheidung würdigt die Sach- und Rechtslage zutreffend. Zu Recht hat der Beklagte gegen die Klägerin eine Schadensersatzverpflichtung in Höhe von 7.006,80 Euro wegen der Verordnung von Intraglobin bei der Patientin Kim ersten Quartal 201 festgesetzt.
1. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist allein der Bescheid des Beschwerdeausschusses, nicht auch der Bescheid des Prüfungsausschusses (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Oktober 2004, B 6 KA 65/03, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26.).
2. a) Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 106 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) in der bis zum 30. Dezember 2001 geltenden, hier maßgeblichen Fassung i.V.m. § 14 ("Prüfung in besonderen Fällen / sonstiger Schaden") der zwischen der Beigeladenen zu 1) und den (Landes-)Verbänden der Krankenkassen im Land Berlin abgeschlossenen Prüfvereinbarung (PV) vom 10. Januar 1994.
Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird geprüft durch
1. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung),
2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Satz 4, 1. Halbsatz SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner die Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden.
Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 14 PV folgendes:
Prüfung in besonderen Fällen / sonstiger Schaden
1. Der Prüfungsausschuss entscheidet auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. Unterschiedliche vertragliche Regelungen (Bundesmantelvertrag, Arzt-/Ersatz-kassenvertrag) finden Anwendung.
2. Der Antrag ist zu begründen und muss innerhalb einer Frist von 6 Monaten seit Bekanntwerden des Sachverhalts beim Prüfungsausschuss vorliegen. Bei nicht verordnungsfähigen Präparaten beginnt die Frist mit dem Eingang der sortierten Rezepte bei der jeweiligen Krankenkasse. Die Krankenkasse muss dem Antrag alle zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen und die Nachweise zur Schadenshöhe beifügen sowie die Höhe des Schadens benennen.
3. Hält die KV Berlin Regressansprüche gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln, die von der Versorgung ausgeschlossen sind, für berechtigt, wird sie den Vertragsarzt entsprechend informieren und den jeweiligen Schadensbetrag bei Einverständnis des Vertragsarztes einbehalten und an die Krankenkasse abführen.
4. Der Antrag kann sich nur auf den Zeitraum der letzten, dem Antrag vorausgegangenen 2 Kalenderjahre erstrecken.
5. Ein Antrag ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Schadensbetrag DM 100,- nicht übersteigt. Dies gilt nicht für Anträge betreffend ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel gemäß gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen.
b) Hieran gemessen hat der Beklagte zu Recht gegen die Klägerin eine Schadensersatzverpflichtung i.S.v. § 14 Ziff. 1 PV festgesetzt.
aa) § 14 PV dient nicht nur als Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines sonstigen Schadens. Der Wortlaut von Ziff. 2 Satz 2, 3 und 5 Satz 2 dieser Vorschrift belegt, dass die Prüfgremien auch zur Festsetzung von Regressansprüchen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel ermächtigt wurden.
Ein Schaden i.S.v. § 14 PV ist der Beigeladenen zu 2. dadurch entstanden, dass die Klägerin im Quartal I/2001 insgesamt dreimal das Immunglobulin Intraglobin für die Versicherte verordnete, obwohl hierfür keine Leistungspflicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestand.
bb) Gemäß §§ 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte u. a. Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten unterliegt dabei allerdings den sich aus §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Danach umfasst er nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Bezogen auf die Arzneimitteltherapie bedeutet dies, dass es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben muss, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Es fehlt deshalb an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Mai 2004, B 1 KR 21/02 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 14 mit Nachweisen zur ständ. Rspr.).
Das von der Klägerin verordnete Immunglobulin ist als Serum Fertigarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und 3 Arzneimittelgesetz (AMG). Als solches hat es eine Zulassung gemäß § 21 Abs. 1 AMG. Die streitgegenständlichen Verordnungen bewegten sich jedoch außerhalb der von der Zulassung umfassten Anwendungsgebiete. Die Therapie der Multiplen Sklerose ist nicht von der Zulassung erfasst, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Für das Vorliegen einer der anderen von der Zulassung umfassten Indikationen fehlen jegliche Anhaltspunkte.
cc) Aus den Grundsätzen über den Off-label-Gebrauch von Arzneimitteln ergibt sich nichts anderes. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (seit dem Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R) kann ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Davon kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist, und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
(1) Der Senat kann unterstellen, dass es sich im hier streitgegenständlichen Behandlungsfall um eine schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankung im oben genannten Sinne handelte. Es kann auch dahinstehen, ob und inwieweit eine andere Therapie zur Verfügung stand. Jedenfalls fehlt es an dem Nachweis, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht bestand, dass mit der Verabreichung des Immunglobulins Intraglobin ein Behandlungserfolg hätte erzielt werden können. Hierfür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die - hier bezogen auf das erste Quartal 2001 - erwarten ließen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könnte. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und deshalb in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, a.a.O.).
(2) Diese Voraussetzungen sind für das Arzneimittel Intraglobin bis heute nicht erfüllt (ebenso jüngst zum Immunglobulin Octagam: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Februar 2008, L 4 KR 2153/06, zitiert nach juris, dort Rdnr. 27; desgleichen: Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 2. April 2003, L 9 KR 70/00, zitiert nach juris, dort Rdnr. 33 ff.). Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 19. März 2002 (a.a.O.) darauf abgestellt, dass nach den vom zuständigen Paul-Ehrlich-Institut veröffentlichten Ergebnissen eines internationalen Symposiums von November 2001 für die sekundär-progrediente Multiple Sklerose kein wissenschaftlicher Konsens über den Nutzen einer Behandlung mit Immunglobulinen bestand. Daran hat sich nichts geändert. Weitere neue Erkenntnisse liegen nicht vor (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, a.a.O., mit Hinweis auf eine dort eingeholte Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 24. Mai 2007). Es gibt zwar nach der Datenlage Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit von Immunglobulinen zur Behandlung der schubförmig verlaufende Multiplen Sklerose, allerdings fehlt bisher eine kontrollierte, adäquat durchgeführte Phase III-Studie, auf die die begründete Aussicht auf einen wirksamen Einsatz dieser Medikamentengruppe gestützt werden könnte. Es sind auch keine Forschungsergebnisse ersichtlich, die eine Zulassung des Präparats zur Behandlung der sekundär-chronischen oder der schubförmigen Multiplen Sklerose erwarten ließen. Damit ist auszuschließen, dass derzeit außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens Erkenntnisse vorliegen, die denjenigen einer Phase III-Studie gleichstehen.
(3) Im Übrigen hätten die anspruchsauslösenden positiven Erkenntnisse zu einem mutmaßlichen Behandlungserfolg bereits zum Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin, also im ersten und zweiten Quartal 2001, vorliegen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Bundessozialgericht, Urteil vom 27. März 2007, B 1 KR 17/06 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16). Umso mehr kann der Senat sich daher bei seiner Entscheidung auf das oben genannte Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. März 2002 stützen, in dem die Datenlage besonders auch des Jahres 2001 erörtert und für nicht ausreichend befunden wurde.
(4) Aus den "Eckpunkten einer Erklärung der Berliner Krankenkassen, der KV Berlin und Vertretern des Arbeitskreises MS der Berliner Nervenärzte zur Immunglobulin-Therapie der Multiplen Sklerose" kann die Klägerin - unabhängig von der rechtlichen Bedeutung dieser Erklärung und ihrer Verbindlichkeit - im Hinblick auf etwaigen Vertrauenschutz nichts herleiten. Die "Eckpunkte" stammen aus dem Jahr 2002 und können daher keine Bedeutung entfalten im Hinblick auf die Verordnung eines Immunglobulins im ersten Quartal 2001.
dd) Eine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 2) ergibt sich auch nicht unmittelbar aus Verfassungsrecht bzw. grundrechtlichen Gewährleistungen (vgl. hierzu grundlegend Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Dezember 2005 [Nikolausbeschluss], 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, S. 25 = NJW 2006, S. 891). Aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip folgt regelmäßig kein verfassungsmäßiger Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung. Es bedarf allerdings einer besonderen Rechtfertigung, wenn dem Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten werden. Darüber hinaus sind auch die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten. Es ist dem Gesetzgeber jedoch nicht verwehrt, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen. Konkret in Bezug auf Arzneimitteltherapien hat das Bundesverfassungsgericht bereits früher auf das in § 12 Abs. 1 SGB V enthaltene Wirtschaftlichkeitsgebot hingewiesen, welches die finanziellen Grenzen markiert, die der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung von der Belastbarkeit der Beitragszahler und der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft gezogen werden. Danach ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Leistung im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB V mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts verknüpft und deshalb verneint wird, weil das Arzneimittel nicht oder noch nicht zugelassen ist (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 5. März 1997, 1 BvR 1071/95, zitiert nach juris, dort Rdnr. 10). Denn das Arzneimittelrecht schließt neben der Unbedenklichkeit auch die Prüfung der Qualität und der Wirksamkeit des jeweiligen Arzneimittels mit ein (§ 1 AMG). Daher ist die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-label-use aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Auch bei einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage liegt somit kein Verfassungsverstoß vor, wenn die Leistungspflicht einer Krankenkasse im Rahmen der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels - wie hier - mit der Begründung verneint wird, nach den vorliegenden Erkenntnissen lägen keine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse vor, aus denen sich hinreichende Erfolgsaussichten für den begehrten Off-label-use ableiten ließen (siehe jüngst: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 30. Juni 2008, 1 BvR 1665/07, zitiert nach juris, dort Rdnrn. 10, 11).
ee) Ein Verschuldenserfordernis schließlich besteht im Rahmen von Honorarkürzungen oder Verordnungsregressen gemäß § 106 SGB V nicht (ständ. Rspr. des Bundessozialgerichts, vgl. zuletzt Urteil vom 6. Mai 2009, B 6 KA 3/08 R [Wobe Mugos E], zitiert nach juris, dort Rdnr. 28 m.w.N.; vgl. auch Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 28 I, S. 319 f.). Zu unterscheiden ist nämlich zwischen dem verschuldensabhängigen Begriff des "sonstigen Schadens" und dem verschuldensunabhängigen Verordnungsregress wegen Unwirtschaftlichkeit; in diesem Sinne ist auch § 14 PV zu verstehen, der sowohl den "sonstigen" Schaden regelt - und für diesen eine Außerachtlassung der nach den Umständen erforderlichen Sorgfalt fordert - als auch den Verordnungsregress im engeren Sinne. Die notwendige Abgrenzung erfolgt danach, ob der Schaden der Krankenkasse darin besteht, dass sie - wie vorliegend beim Verordnungsregress - für Behandlungen Kosten aufgewandt hat, die sie prinzipiell aufwenden muss, die aber im konkreten Fall nicht angefallen wären; dann liegt eine der allgemeinen Wirtschaftlichkeitsprüfung vergleichbare Konstellation vor, in der der Arzt für die Beachtung der Grenzen der Leistungspflicht der Krankenkassen verschuldensunabhängig einstehen muss. Soweit dagegen das Verhalten des Arztes Folgekosten in anderen Leistungsbereichen ausgelöst hat, etwa weil aufgrund falscher Bescheinigungen Krankengeld gezahlt wurde, liegt ein "sonstiger Schaden" vor, für den der Arzt nur bei Verschulden Ersatz leisten muss (vgl. Wenner, a.a.O.).
Diese Sichtweise entspricht dem hohen Stellenwert, der dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Instrument der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Rahmen der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zukommt. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat eine wichtige Ausprägung durch die Regelungen über die Wirtschaftlichkeitsprüfung in § 106 Abs. 1 SGB V erfahren. Diese verpflichten die Träger der gemeinsamen Selbstverwaltung zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung. Schon das Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477) hat die Notwendigkeit wirtschaftlicher Leistungserbringung für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der GKV hervorgehoben und eine strikte Verpflichtung der Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Behandlung durch die (zahn)ärztlichen Leistungserbringer normiert; diese hat der Gesetzgeber in der Folgezeit mit Änderungen des § 106 SGB V durch das GSG von 1992 und durch das Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2626) fortgeschrieben. Den hohen Rang der Wirtschaftlichkeitsprüfung hat der Gesetzgeber mit verschiedenen Regelungen deutlich gemacht. Er hat dem in § 12 Abs. 1 SGB V normierten Gebot, dass die Leistungserbringer unwirtschaftliche Leistungen nicht bewirken dürfen, zusätzlich durch § 2 Abs. 1 Satz 3, § 70 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2, § 75 Abs. 1 SGB V Ausdruck verliehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved