L 17 U 95/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 80/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 95/06
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Gefahr im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz BKV.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Würzburg vom 26.01.2006 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig zwischen den Beteiligten ist noch, ob die Beklagte der Klägerin Maßnahmen nach § 3 Berufskrankheitenverordnung (BKV) zu gewähren hat.

Die 1951 geborene Klägerin war von 1988 bis zu ihrer Arbeitsunfähigkeit im Juni 1997 als selbstständige Textilhändlerin tätig. Seit 01.10.2001 erhält sie Erwerbsminderungsrente.

Mit Schreiben vom 09.06.1999 zeigte die B. Ersatzkasse bei der Beklagten unter Angabe, dass bei der Klägerin ab Juni 1997 Arbeitsunfähigkeit wegen eines Emphysems bestanden habe, eine Berufskrankheit (BK) an. Beigegeben war dieser Anzeige ein vorläufiger Arztbericht der Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie der Universität B-Stadt vom 19.05.1999 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 10.05.1999 bis 19.05.1999, in dem als Diagnose ein Verdacht auf allergische Alveolitis gestellt wurde. Auf Anforderung der Beklagten übersandte die o.g. Klinik am 20.09.1996 einen herz- und thoraxchirurgischen Behandlungsbericht. In der zusammenfassenden Stellungnahme bezüglich der Frage des Vorliegens einer BK nach Ziffer 4201 wurde mitgeteilt, dass es sich bei der Klägerin aufgrund des bei ihr am 12.05.1999 entnommenen und im pathologischen Institut der Universität B-Stadt aufgearbeiteten Lungengewebes nicht um eine exogen-allergische Alveolitis handle, sondern um eine schwere interstitielle Lungenfibrose und eine desquamative intraalveoläre Pneumonie. Mit Schreiben vom 28.07.2000 teilte der Direktor des Pathol. Instituts der Universität B-Stadt, Prof. Dr.M., der Beklagten mit, dass sich in den untersuchten Biopsien auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Mitbegutachtung durch Frau Prof. Dr.K. keine Zeichen einer exogenen, allergischen Alveolitis zeigen würden. Bei der jetzigen Erkrankung handle es sich um eine interstitielle fibrosierende Lungenerkrankung, wobei die von Frau Prof. Dr.K. beschriebenen Narben und ihre Verteilung im Lungengewebe sowie die Assoziation mit der desquamativen Pneumonie am ehesten für einen Zustand nach Langerhanszell-Histiozytose der Lunge sprechen würden, wobei diese Erkrankung nicht unter die Berufskrankheiten fallen würde. Insgesamt bestünden keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Textilarbeit und der jetzt vorliegenden Lungenerkrankung.

Mit Bescheid vom 08.08.2000 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer exogen-allergischen Alveolitis als BK nach Nr 4201 der BKV unter Bezugnahme auf die Feststellungen des Pathologen Prof. Dr.M. und Frau Prof. Dr.K. ab.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2001 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Anfangsverdacht einer Alveolitis nicht mehr nachgewiesen werden konnte, dass die beschriebenen Narben und ihre Verteilung im Lungengewebe im Zusammenhang mit der schuppenförmigen Lungenentzündung für eine Langerhanszell-Histiozytose sprächen, dass eine berufliche Verursachung dieser Erkrankung wissenschaftlicherseits nicht bekannt sei, dass diese Erkrankung häufig bei schweren Rauchern beobachtet werden könne und dass diese Erkrankung nicht in der BK-Liste erfasst sei. Soweit eine Allergie gegen Textilinhaltsstoffe geltend gemacht werde, müsse dies in einem eigenständigen Feststellungsverfahren zum Vorliegen einer BK nach Nr 4301 der BKV geprüft werden.

Auf Bitte der Klägerin mit Schreiben vom 07.03.2001 leitete die Beklagte ein eigenständiges Feststellungsverfahren diesbezüglich ein. Der Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Sozialmedizin, Allergologie Dr.L. kam in seinem Gutachten vom 27.08.2001 aufgrund persönlicher Untersuchung der Klägerin zu dem Ergebnis, dass eine bronchiale Hyperreagibilität vorliege. Diese sei nach einem negativen Methocholintest im April 1999 und einer nochmaligen Überprüfung im Juli 2000 mit fraglich bis schwachem positiven Ergebnis erst nach Beendigung der Textilexposition aufgetreten und könne damit nicht als BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV gewertet werden. Da sich bei den allergologischen Untersuchungen kein Hinweis für eine klinisch relevante Typ-I-Reaktion gezeigt habe und der von der Cortison-Medikation unabhängige IgG-Total-Wert im unteren Normbereich gelegen habe bzw. im Rahmen des stationären Aufenthalts nur grenzwertig gewesen sei, spreche alles gegen eine allergische Diathese. Da auch keinerlei Antikörper gegenüber Pollen, Schimmelpilzen und häuslichen Allergenen, Baumwolle und weiteren Stoffarten festgestellt worden seien, könne mangels entsprechender Allergiebereitschaft auch keine BK i.S. der BK-Nr. 4301 gesehen werden. Bei früher jedoch einmal gelungenem Antikörper Typ-III-Nachweis gegenüber Schimmelpilzen, der Tatsache, dass histologisch eine früher abgelaufene exogen-allergische Alveolitis nicht sicher ausgeschlossen werden könne und im Hinblick auf die bronchiale Hyperreagibilität seien Maßnahmen nach § 3 BKV erforderlich, zumal ein serologisch positives Pestizid-Screening-Ergebnis wohl durch berufliche Exposition bedingt sei.

Nach Einholung einer Stellungnahme des Staatl. Gewerbearztes Dr.H. vom 20.09.2001 lehnte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 04.10.2001 die Anerkennung einer BK nach Nr 4301 der Anlage zur BKV und von Maßnahmen nach § 3 BKV ab, da eine Verursachung der Erkrankung der Klägerin durch die berufliche Tätigkeit nicht hinreichend wahrscheinlich sei, da keine Sensibilisierungen gegenüber Berufsstoffen habe festgestellt werden können und da die bronchiale Hyperreagibilität erst lange Zeit nach Tätigkeitsaufgabe aufgetreten sei.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Dr.L. vom 08.01.2002, wonach die nachgereichten Berichte, Atteste, Blutzuckerprotokolle sowie das für die A.-Lebensversicherung-AG erstellte psychiatrische Gutachten keine Textilallergie nachweisen würden, mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2002 zurück. Dr. L. habe es auch nur für möglich gehalten, dass bei Fortführung der zuvor ausgeübten Tätigkeit eine BK entstehen könne.

Mit den am 07.03.2001 und 03.04.2002 beim Sozialgericht (SG) Würzburg erhobenen Klagen begehrte die Klägerin weiterhin die Anerkennung und Entschädigung einer Lungenerkrankung als BK nach Nr 4201 und 4301 der Anlage zur BKV sowie die Gewährung von Leistungen nach § 3 BKV.

Das SG hat die Klägerin in der Klinik M. (Lungenfachklinik des Bezirks Unterfranken) gerichtsärztlich untersuchen lassen. In seinem Gutachten vom 22.09.2004 kam der Ärztliche Direktor und Chefarzt der Klinik, der Lungenfacharzt Dr.J., zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin weder eine exogen-allergische Alveolitis noch eine mit allergisierenden Stoffen oder mit chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen verursachte obstruktive Atemwegserkrankung vorliege, sondern eine Lungenfibrose bei Langerhanszell-Histiozytose, so dass eine BK nach Nr 4201 und 4301 der Anlage zur BKV nicht gegeben sei. Sodann hat das SG die Klägerin auf ihren Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 06.09.2005 durch den Lungenfacharzt Dr.B. gerichtsärztlich untersuchen lassen. Dieser kam in seinem Gutachten vom 04.09.2005 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin keine exogen-allergische Alveolitis, sondern eine Histiozytosis X (Langerhanszell-Granuloma-tose bzw. eosinophiles Granulom) vorliege, wobei nicht mehr geklärt werden könne, ob früher eine exogen-allergische Alveolitis zusätzlich vorgelegen habe. Zudem habe weder eine obstruktive Lungenerkrankung noch eine bronchiale Hyperreagibilität vorgelegen.

Mit Beschluss vom 26.01.2006 hat das SG die beiden Klagen vom 07.03.2001 und 03.04.2002 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 26.01.2006 die Klagen als unbegründet abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorliegen einer BK nach Nr 4201 oder 4301 der Anlage zur BKV nach den schlüssigen Gutachten der gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr.J. und Dr.B. nicht mit der notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sei. Für das Vorliegen einer BK nach Nr 4201 fehle es insoweit schon an dem Vorliegen einer Erkrankung i.S. der entsprechenden BK-Nummer, zumal die gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr.J. und Dr.B. übereinstimmend festgestellt hätten, dass kein Nachweis einer exogen-allergischen Alveolitis, sondern vielmehr, insbesondere auch unter Berücksichtigung der histologischen Untersuchungen, eine Langerhanszell-Histiozytose bzw. ein eosinophiles Granulom gegeben sei. Dr.B. habe insbesondere darauf hingewiesen, dass die Untersuchung von Frau Prof. Dr.K. eine mäßig schwere Fibrose bei eosinophilem Granulom erbracht habe und dass auch der Befund eines aktiven Langerhanszell-Fokus beweisend für die o.g. Erkrankung sei. Zwar erinnere die klinische Symptomatik der Klägerin während ihrer Arbeitszeit als Textilhandelskauffrau mit Bronchitis, Dyspnoe, Abgeschlagenheit, Fieber, Augenrötung, Rhinitis an die Symptome einer exogen-allergischen Alveolitis, jedoch sei eine entsprechende Bewertung nicht durch radiologische Untersuchung bestätigt worden, sondern vielmehr durch den Nachweis des aktiven Langerhanszell-Fokus ausgeschlossen worden. Zwar bestehe die Möglichkeit, dass früher eine exogen-allergische Alveolitis bei der Klägerin bestanden habe, jedoch reiche diese Möglichkeit einer entsprechenden Erkrankung als Nachweis i.S. der gesetzlichen Unfallversicherung nicht aus. Auch liege entsprechend den übereinstimmenden Feststellungen der gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr.J. und Dr.B. kein Krankheitsbild i.S. der BK Nr 4301 (und auch 4302) der Anlage zur BKV vor, da weder eine relevante Obstruktion noch eine bronchiale Hyperreagibilität letztendlich nachgewiesen worden sei.

Gegen das am 16.02.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.03.2006 Berufung eingelegt, welche sie mit Schriftsatz vom 24.08.2009 auf die Gewährung von Leistungen nach § 3 BKV beschränkt hat.

Nach Anforderung und Übersendung der bildgebenden Dokumente hat der Senat ein Gutachten von Prof. Dr.E., Facharzt für Arbeitsmedizin, Internist, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin, vom 21.03.2008 erholt.

Der Sachverständige kam in seinem Gutachten nach Aktenlage zu dem Ergebnis, dass keine exogen-allergische Alveolitis i.S. der BK Nr 4201, oder eine durch allergisierende oder chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung i.S. der BK Nr 4301 bzw. 4302 vorliege. Zum einen sei im Rahmen einer durchgeführten video-assistierten Thorakoskopie (VATS) von Frau Prof. Dr.K. die Diagnose einer Histiozytosis X gestellt worden, wobei die in den CT-Thorax-Untersuchungen erhobenen HRCT-Befunde zur pathologisch-anatomischen Diagnosestellung passen würden. Auch weise der Funktionsverlauf nicht auf eine exogen-allergische Alveolitis hin, da sich nur leichtgradige restriktive Ventilationsstörungen finden würden und auch die zunehmende Adipositas berücksichtigt werden müsse. Eine obstruktive Ventilationsstörung könne wegen fehlender Funktionsdaten zum Zeitpunkt der beruflichen Exposition nicht nachgewiesen werden. Auch umfangreiche allergologische Untersuchungen ließen nicht an eine durch berufliche Allergene bedingte Erkrankung denken, wobei ein mehrfach dokumentierter Methacholintest in seiner Aussagekraft aufgrund begleitender antiobstruktiver Medikation nicht zu verwerten sei und die vorhandenen Lungenfunktionsparameter aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes höchst unwahrscheinlich i.S. eines Asthma bronchiale zu werten seien. Passend zum Bild der Histiozytosis X habe sich als Noxe ein langjähriges inhalatives Zigarettenrauchen gefunden, wobei die gefundene Beschwerdesymptomatik mit dem Bild eines hyperreagiblen Bronchialsystems durchaus vereinbar sei. Somit seien die von Seiten der Klägerin geschilderten Beschwerden in Bezug auf die berufliche Exposition nicht i.S. einer BK nach Nr 4301 bzw. 4302 zu werten, eine BK nach Nr 4201 sei schon aufgrund der histopathologischen Diagnose nicht zu begründen. Dies gelte auch für Maßnahmen nach § 3 BKV.

Mit Schreiben vom 20.05.2008 hat die Klägerin unter Beigabe eines Fragenkatalogs an Prof. Dr.E. mitgeteilt, dass Maßnahmen nach § 3 BKV aufgrund der Tatsache, dass sich bei der Erstdiagnose das Bild einer exogen-allergischen Alveolitis gezeigt habe, klar zu erbringen seien, weil die Gefahr weiterer Schädigung nach damaliger Beurteilung und Diagnose zur Berufsaufgabe geführt habe und zweifellos die weitere Tätigkeit auch nicht vertretbar gewesen sei.

In seiner daraufhin vom Senat erholten gutachterlichen Stellungnahme vom 16.07.2008 hat Prof. Dr.E. zunächst darauf verwiesen, dass nach den Ausführungen des Internisten, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie Dr.P. im April 1998 für die A.-Lebensver-sicherung-AG nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Klägerin den Forderungen der Tätigkeitsaufgabe sofort nachgekommen sei. Außerdem hat Prof. Dr.E. weiterhin die Auffassung geäußert, dass Maßnahmen nach § 3 BKV nicht zu begründen seien, da im Vordergrund nachweislich die Histiozytosis X stehe, aufgrund der vorliegenden Datenlage das klinische Bild einer exogen-allergischen Alveolitis nicht hinreichend begründbar sei, ebenso wenig das Vorliegen eines exogen-allergischen Asthma bronchiale. Auch sei im Januar 1992 nur von einem diffusen, intestitiellen, doppelseitigen Pulmonalprozess die Rede gewesen, differentialdiagnostisch sei eine Sarkoidose und Lungenasbestose genannt worden. In den Diagnosen sei das Vorliegen einer Alveolitis nicht genannt worden, lediglich aufgrund der Anamnese kritisch hinterfragt worden. Eine endgültige Diagnoseabsicherung durch eine Bronchoskopie mit transbronchialer Lungengewebsbiopsie sei zwar vorgeschlagen aber nicht durchgeführt worden. Bei entsprechender frühzeitiger Diagnose wäre die Aufgabe des langjährigen Nikotinkonsums im Vordergrund gestanden.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 16.09.2008 hat der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass nach dem Gutachten von Prof. Dr.E. die BK Nr 4201 und 4301 nicht anzuerkennen seien. Bezüglich der Leistungen nach § 3 BKV hat die Klägerin ausgeführt, dass diese berechtigt seien aufgrund der Ausführungen in dem psychiatrischen Gutachten vom 09.11.2000, erstellt für die A.-Lebensversicherung-AG, des Befundberichts vom 28.01.2003, von Dr.L. in seinem Gutachten vom 27.08.2001 sowie in seiner Stellungnahme vom 08.01.2002, von Dr.F. in seinem Arztbericht vom 31.01.1992 und von Dr.R. in der BK-Anzeige vom 24.08.1999.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 26.01.2006 sowie unter Aufhebung der Bescheide vom 08.08.2000 und 04.10.2001 in der jeweiligen Fassung der Widerspruchsbescheide vom 20.02.2001 und 21.03.2002 zu verurteilen, der Klägerin vorbeugende Maßnahmen nach § 3 BKV zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie der beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, da die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Maßnahmen nach § 3 BKV hat.

Nach § 3 Abs 2 Satz 1 BKV hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung einem Versicherten, der die "gefährdende Tätigkeit" einstellt bzw. unterlässt, weil die Gefahr einer Entstehung, eines Wiederauflebens oder einer Verschlimmerung einer BK für ihn nicht zu beseitigen ist, zum Ausgleich der hierdurch verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Die Übergangsleistung hat als unterstützende Maßnahme den Zweck, den Versicherten im Rahmen der Prävention und zur Vorbeugung weiterer Gesundheitsgefahren zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu veranlassen, sog. "Anreizfunktion". Die bei einem Arbeitsplatzwechsel auftretende Verdienstminderung und sonstigen wirtschaftlichen Nachteile sollen abgefedert und dem Versicherten so ein Übergang auf eine ggf. wirtschaftlich ungünstigere Situation erleichtert werden. Im Vordergrund steht bei § 3 Abs 2 Satz 1 BKV also der Anreiz, die gefährdende Tätigkeit einzustellen. § 3 BKV hat dabei eine klar präventive Zielrichtung und ist als Maßnahme der Vorbeugung und Krankheitsverhütung von den sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung üblichen Entschädigungsleistungen zu unterscheiden. Die Vorschrift ist in die Zukunft gerichtet und will den Versicherten vor aktuellen Gesundheitsgefahren schützen. Ausdrücklich führt das Bundessozialgericht (BSG) aus, dass § 3 BKV entsprechend dieser Zielrichtung auch bei einem bereits eingetretenem Versicherungsfall einer BK nicht ausgeschlossen ist, "wenn er trotzdem weiter arbeitet" und damit "weiterhin den Einwirkungen dieser BK ausgesetzt ist" (vgl. BSG Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 1/03 R = SozR 4-5671 § 3 Nr 1). Auf die Übergangsleistung besteht dem Grunde nach ein Anspruch des Versicherten, wenn die genannten Voraussetzungen gegeben sind. Die Entscheidung über Art, Dauer und Höhe der Leistungen hingegen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Unfallversicherungsträgers (vgl. BSG aaO).

Neben dem Bestehen einer konkret individuellen Gefahr als erster Voraussetzung ist als Zweitvoraussetzung für den Anspruch auf eine Übergangsleistung die Einstellung der "gefährdenden Tätigkeit" erforderlich. Des Weiteren ist ein doppelter Kausalzusammenhang Voraussetzung: Es muss ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang einerseits zwischen der drohenden BK und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit und andererseits zwischen dieser Einstellung und der Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile bestehen (vgl. BSG Urteil vom 20.02.2001 - B 2 U 10/00 R = SozR 3-5670 § 3 Nr 5). Die Zusammenschau dieser Voraussetzungen macht deutlich, dass bereits die generelle Gefahr, durch bestimmte schädigende Einwirkungen, die zur Aufnahme in die BK-Liste geführt haben, nicht ausreicht, um ein Tätigwerden des Versicherungsträgers zu veranlassen bzw. Leistungen nach § 3 BKV beanspruchen zu können. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte über die generelle Gefahr hinaus den besonderen Schädigungen durch seine Arbeit ausgesetzt ist und deswegen unter einer konkreten, individuellen Gefahr steht, an einer BK zu erkranken. Das BSG hat deshalb ausdrücklich ausgeführt, dass "die für eine BK relevanten, besonderen, schädigenden Einwirkungen den Versicherten am konkreten Arbeitsplatz treffen und in seiner Person die individuelle Gefahr begründen (müssen), dass sie i.S. der Kausalitätsanforderungen in der gesetzlichen Unfallversicherung eine BK entstehen, wieder aufleben oder verschlimmern lassen" (vgl. BSG Urteil vom 16.03.1995 - 2 RU 18/94 = HV-Info 1995, 1505).

Vorliegend hat nach Auffassung und zur Überzeugung des Senats die Klägerin ihre Tätigkeit als selbstständige Textileinzelhändlerin 1997 nicht eingestellt, weil die Gefahr einer Entstehung, eines Wiederauflebens bzw. einer Verschlimmerung einer BK für sie nicht anders zu beseitigen war, sondern weil sie durch die gesundheitlichen Folgen der bei ihr nachweislich im Vordergrund stehenden Histiozytosis X dazu gezwungen war.

Dies ergibt sich insbesondere aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.E. in seinem Gutachten vom 31.03.2008 und in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 16.07.2008. Danach liegt bei der Klägerin unter Berücksichtigung aller vorliegenden Befunde eine erstmals im Jahre 1992 diagnostizierte, nicht durch berufliche Noxen verursachte und mit dem langjährigen, nicht unerheblichen inhalativen Zigarettenrauchen assoziierte interstitielle Lungenerkrankung mit der pathologisch-anatomischen Diagnose Histiozytosis X vor.

Das Vorliegen einer exogen-allergischen Alveolitis i.S. der BK Nr 4201 konnte von Prof. Dr.E. überzeugend ausgeschlossen werden. Zwar ist die klinische Symptomatik der Klägerin mit Dyspnoe, Abgeschlagenheit, Fieber und Müdigkeit sowie die erstmalige radiologische Verifizierung grundsätzlich mit dem Bild der exogen-allergischen Alveolitis vereinbar, doch hätte die zumindest 1994 durchgeführte Cortisonbehandlung bei einer akuten exogen-allergischen Alveolitis zu einer Remission und Beschwerdefreiheit führen müssen, was aber vorliegend nicht der Fall war. Gegen das Vorliegen einer chronisch exogen-allergischen Alveolitis spricht, dass ein positiver IgG-Antikörpernachweis auch bei Gesunden geführt werden kann und deshalb allein auf der Basis der spezifischen IgG-Untersuchungen die Diagnose einer exogen-allergischen Alveolitis nicht gestellt werden darf und kann, dass bei Lungenfunktionsprüfungen im Jahre 1992 und weiter bis 1997 kein entscheidender Befundwandel i.S. einer zunehmenden restriktiven Ventilationsstörung dokumentiert werden konnte, dass sich aus den im zeitlichen Verlauf von 1994 bis Sept. 2005 unter Ruhe- und Belastungsbedingungen dokumentierten Blutgaswerten lediglich das Bild einer Adipositas bzw. einer chronischen Bronchitis bei langjährigem Nikotinkonsum ergibt, dass aufgrund des Ergebnisses der CT-Thoraxuntersuchung aus dem April 1998 keine Veränderungen i.S. einer exogen-allergischen Alveolitis nachweisbar sind und dass auf der Basis der Befunde der offenen Lungenbiopsie die Diagnose einer exogen-allergischen Alveolitis nicht wahrscheinlich gemacht werden kann.

Auch konnte von Prof. Dr.E. aufgrund der Lungenfunktionsbefunde zum Zeitpunkt der beruflichen Exposition, der bodyplethismographischen Daten von Dr.B., des als konkurrierende Noxe bestehenden langjährigen inhalativen Zigarettenrauchens, der seit ca. 1984 deutlichen rhinokonjunktivistischen Beschwerdesymptomatik, der bei der Klägerin nicht gegebenen hohen Expositionsverhältnissen gegenüber Insektiziden und Pestiziden eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht objektiviert werden, zumal aufgrund des Fehlens eines Peak-Flow-Protokolls am Arbeitsplatz bzw. an arbeitsfreien Tagen der Vollbeweis für das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung aufgrund einer Exposition am Arbeitsplatz nicht zu führen ist.

Somit liegt nach den für den Senat schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr.E. in seinem Gutachten vom 31.03.2008, bestätigt durch die gutachterliche Stellungnahme vom 16.07.2008, bei der Klägerin weder eine exogen-allergische Alveolitis i.S. der BK Nr 4201 der Anlage zur BKV noch eine durch allergisierende oder chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung i.S. der Nr 4301 bzw. 4302 der Anlage zur BKV vor, sondern eine nicht durch berufliche Noxen verursachte und mit dem langjährigen, nicht unerheblichen inhalativen Zigarettenrauchen assoziierte Histiozytosis X. Bei letzterer handelt es sich nicht um eine BK.

Damit hat die Klägerin im Jahre 1997 ihre Tätigkeit als selbstständige Textilhändlerin nicht deshalb eingestellt bzw. unterlassen, weil durch die schädigenden Einwirkungen am Arbeitsplatz eine BK hätte entstehen, wieder aufleben oder sich verschlimmern können, sondern weil sich hier die nicht durch berufliche Noxen verursachte und mit dem langjährigen, nicht unerheblichen inhalativen Zigarettenrauchen assoziierte Histiozytosis X, die keine BK i.S. der BKV darstellt, verschlimmern hätte können, so dass kein Anspruch auf Gewährung von Maßnahmen nach § 3 BKV besteht.

Selbst wenn - entgegen der anzustellenden nachträglichen objektiven Betrachtungsweise (vgl. BSG Urteil vom 29.08.1980 - 8a RU 72/79 = SozR 2200 § 589 Nr 4) - mit der Klägerin davon auszugehen wäre, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 3 Abs 2 BKV nicht auf den Zeitpunkt der Beschäftigungsaufgabe im Juni 1997, sondern auf den Januar 1992 (Arztbericht des Arztes für Lungen- u. Bronchialheilkunde, Allergologie Dr.F. vom 31.01.1992) abzustellen sei, besteht nach Auffassung und zur Überzeugung des Senats kein Anspruch auf Gewährung von Maßnahmen nach § 3 BKV. Zum einen hat Dr.F. in diesem Arztbericht keine Anzeichen einer beginnenden BK geschildert, sondern es war nur von einem diffusen, interstitiellen, doppelseitigen Pulmonalprozess die Rede, differentialdiagnostisch wurden eine Sarkoidose und Lungenasbestose genannt, eine Alveolitits wurde als Diagnose nicht genannt, sondern lediglich in der Anamnese aufgrund des einmaligen akuten Auftretens von Schüttelfrost und Fieber im Jahre 1989 kritisch hinterfragt. Zum damaligen Zeitpunkt wurde aber schon darauf hingewiesen, dass zur endgültigen Diagnoseabsicherung eine histologische Sicherung in Form einer Bronchoskopie mit transbronchialer Lungengewebsbiopsie vorgeschlagen wurde und bei frühzeitiger Diagnose die Aufgabe des langjährigen Nikotinkonsums im Vordergrund gestanden hätte. Somit hat im Januar 1992 eine konkret individuelle Gefahr des Entstehens, des Wiederauflebens oder der Verschlimmerung einer BK nicht bestanden. Zum anderen wäre aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin ihre Tätigkeit als selbstständige Textilhändlerin über den Januar 1992 bis Juni 1997 fortgesetzt hat, nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 1/03 R = SozR 4-5671 § 3 Nr 1) eine konkret individuelle Gefahr nicht ausreichend, sondern es hätte für die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs 2 BKV sogar schon eine BK eingetreten sein müssen. Letzteres ist nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr.E. weder im Januar 1992 noch im Juni 1997 der Fall gewesen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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