L 7 KA 34/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 79/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 34/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen war bis zum 31. Dezember 2003 nicht hinreichend ermächtigt, ein Arzneimittel (hier: Thymoject als Organhydrolysat) grundsätzlich in den nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Arzneimittelrichtlinien von der Erstattungsfähigkeit auszuschließen.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 17. Januar 2007 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelasssen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch um einen Regress wegen der Verordnung der Arzneimittel Thymoject sowie Factor AF2. Die Regresssumme beträgt 1.062,80 Euro.

Der Kläger nahm in den Jahren 2002/2003 als Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin an der vertragsärztlichen Versorgung im Land Brandenburg teil. Am 14. Juni 2001 verordnete er einem bei der Beigeladenen zu 2) krankenversicherten Patienten, der unter einer bösartigen Neubildung der Bronchien und der Lunge litt, das Arzneimittel Thymoject, das nach einer Auskunft des Arbeitsausschusses "Arzneimittel" des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen, die das Landesssozialgericht Nordrhein-Westfalen im Verfahren L 7 B 3/00 V eingeholt hat, fiktiv zugelassen war. Es enthält ausweislich der Fachinformation des Herstellers (Stand Februar 2004) den Wirkstoff "Thymus-Extrakt". Sein Anwendungsgebiet sind Erkrankungen, die mit einem Immundefekt verbunden sind, z. B. Tumore, rheumatische Erkrankungen, allergische Erkrankungen, endokrine Regulationsstörungen, Geriatrikum.

Unter den 22. März 2002 beantragte die Beigeladene zu 2) die Feststellung eines sonstigen Schadens, da eine Kostenübernahme für dieses Arzneimittel durch die gesetzliche Krankenversicherung ausgeschlossen sei. Der Prüfungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg setzte mit Bescheid vom 23. Oktober 2002 wegen der Verordnung einen Regress in Höhe von 217,75 Euro (425,88 DM) fest. Thymoject sei ein Thymuspräparat und gemäß Abschnitt F, Ziffer 17.1m der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien/AMR) aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen; es dürfe gemäß § 29 Abs. 10 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) von den Krankenkassen nicht erstattet werden. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 2006 zurück und setzte den Regress in Höhe von 217,75 Euro fest. Nach Ziffer 17.1m der AMR dürften "so genannte Zellulartherapeutika und Organhydrolysate" ausnahmslos nicht verordnet werden. Um ein solches Arzneimittel handele es sich bei Thymoject.

Einem weiteren bei der Beigeladenen zu 2) krankenversicherten Patienten, der an einer Tumorerkrankung litt, verordnete der Kläger am 8. März 2002 ebenfalls das Arzneimittel Thymoject und am 26. März 2002 das Arzneimittel Factor AF2. Es ist ausweislich der Fachinformation (Stand Juni 2008) mit der Zulassungsnummer Reg.-Nr. F 801 zugelassen und enthält den Wirkstoff "Leber-Milz-Extrakt". Anwendungsgebiet ist die adjuvante Tumortherapie, z.B. Verkürzung der rekonvaleszenten Phase in der Onkochirurgie, Verbesserung der Verträglichkeit der Strahlentherapie, Stabilisierung hämatologischer Parameter in der Chemotherapie, biologisches Antimetikum und Analgetikum.

Auf den Antrag der Beigeladenen zu 2) vom 29. November 2002 stellte der Prüfungsausschuss mit Bescheid vom 4. Juli 2003 wegen dieser Verordnungen einen sonstigen Schaden fest und setzte einen Regress in Höhe von 421,12 Euro fest. Der Beklagte wies den hiergegen gerichteten Widerspruch mit Bescheid vom 30. November 2005 zurück und setzte den Regress in Höhe von 421,12 Euro fest, da sowohl Thymoject als auch Factor AF2 als Organhydrolysate nach Ziffer 17.1m AMR von der Verordnung zu Lasten der Krankenversicherung ausgeschlossen seien.

Unter dem 12. August 2003 verordnete der Kläger wiederum bei einem krebskranken Patienten das Arzneimittel Thymoject. Auf den Antrag der Beigeladenen zu 2) vom 23. Juli 2004 stellte der Prüfungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung und der Verbände der Krankenkassen im Land Brandenburg mit Bescheid vom 8. Juli 2005 einen Regress wegen eines sonstigen Schadens in Höhe von 223,90 Euro fest. Der Beklagte wies mit Bescheid vom 8. Februar 2006 den Widerspruch zurück und setzte den Regress ebenfalls in dieser Höhe fest.

Mit den gegen die Bescheide des Beklagten zu den Aktenzeichen S 1 KA 79/06, S 1 KA 83/06 und S 1 KA 92/06 erhobenen Klagen, die das Sozialgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat (Beschluss vom 26. Mai 2006, Az.: S 1 KA 79/06), hat der Kläger vorgetragen, die Verordnung sei bei einem schulmedizinisch austherapierten Patienten, bei dem eine Krebserkrankung vorgelegen, also eine lebensbedrohliche oder sogar tödlich verlaufende Krankheit bestanden habe, erfolgt. Die Präparate Thymoject und Factor AF2 seien keine so genannten Organhydrolysate im Sinne von Ziffer 17.1m AMR. Denn hierunter seien nur "grobe Zubereitungen aus tierischen Organen wie z. B. Milz- oder Knorpelhydrolysate, zu verstehen, nicht aber aus Organen gewonnene Einzelsubstanzen wie etwa Heparin oder Pankreatin. Die beiden Präparate seien jedoch keine grobe Zubereitung, da die Ausschlussgrenze des Molekulargewichts unter 10.000 Dalton liege. Es werde hinsichtlich der Wirksamkeit und der Zusammensetzung auf die Angaben des Herstellers hingewiesen. Weiterhin sei die Regressfestsetzung auch deshalb unrechtmäßig, da der die Arzneimittelrichtlinien vor dem 1. Januar 2004 erlassene "alte" Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen nicht die Kompetenz gehabt habe, Arzneimittel in Richtlinien auszuschließen.

Das Sozialgericht Potsdam hat mit Urteil vom 17. Januar 2007 die angefochtenen Bescheide des Beklagten aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Verordnung von Leistungen, die nicht zu Lasten der Krankenkasse verordnet werden dürfen, sei nicht gegeben, da ein Schaden wegen unzulässiger Verordnung von Leistungen nicht vorliege. Die Verordnung der Arzneimittel Thymoject und Factor AF2 sei bis zum 31. Dezember 2003 nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen gewesen, da Ziffer 17.1 AMR a.F. wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam gewesen sei. § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung habe nur allgemein vorgesehen, dass die (damaligen) Bundesausschüsse Regelungen zur Sicherung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung treffen können. Dies habe jedoch die damaligen Bundesausschüsse nicht dazu ermächtigt, ein Arzneimittel gänzlich von der Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung auszuschließen. Eine solche Befugnis sei in dem vor dem 1. Januar 2004 geltenden Recht durch § 34 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB V ausdrücklich nur dem Verordnungsgeber eingeräumt worden. Es werde insoweit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 94, 302) sowie der Landessozialgerichte Nordrhein-Westfalen (Urteile vom 21. Dezember 2005, Az.: L 11 KA 90/04 und L 11 KA 104/04) und Schleswig-Holstein (in NZS 2005, 596) gefolgt. Unerheblich sei, dass der Gesetzgeber die zum 1. Januar 2004 vorgenommene Gesetzesänderung ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs.15/1525; seit 87 zu Nr. 22 b und c) als "Klarstellung" betrachtete. Denn das Bundessozialgericht habe eine Kompetenz zum Verordnungsausschluss für Arzneimittel nur beim Verordnungsgeber, nicht hingegen beim Richtliniengeber gesehen (BSGE 94, 302). Anderweitige Verordnungsausschlüsse für Thymoject und Factor AF2 seien weder ersichtlich noch vorgetragen.

Gegen das ihm am 3. April 2007 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10. April 2007 Berufung eingelegt. Er trägt vor, seine Bescheide seien rechtmäßig, da es auch bis zum 31. Dezember 2003 in der bis dahin geltenden Fassung des § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Bundesausschuss gegeben habe, die genannten Arzneimittel als unwirtschaftlich von der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen. Diese Vorschrift habe ausdrücklich zu den "erforderlichen Richtlinien über die Gewährung einer ... wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten" ermächtigt. Dass nach § 34 Abs. 3 SGB V a.F. auch das Bundesministerium durch Rechtsverordnung unwirtschaftliche Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausschließen konnte, habe nicht zur Folge gehabt, dass damit dem Bundesausschuss eine parallele Richtlinienkompetenz entzogen worden sei. Die im Gesetzgebungsverfahren diskutierte, dann aber nicht in das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 12. Dezember 1988 aufgenommen Erweiterung und Präzisierung der Richtlinienkompetenz des Bundesausschusses lasse keine Rückschlüsse dahingehend zu, die bereits bestehende Richtlinienkompetenz solle nicht - neben der Verordnungsermächtigung - fortbestehen. Die vom Sozialgericht zitierte Rechtsprechung des BSG und des LSG Schleswig-Holstein stelle im Wesentlichen darauf ab, dass der Bundesausschuss nicht die Kompetenz gehabt habe, Arzneimittel zur Behandlung bestimmter Erkrankungen auszuschließen, da damit unzulässiger Weise der Rechtsbegriff der Krankheit und des Arzneimittels definiert werde. Aus den Hilfserwägungen des BSG, dass nichts anderes gelte, wenn man darauf abstelle, der Bundesausschuss besäße nicht die Kompetenz, in den AMR einen verbindlichen Ausschluss bestimmter Gruppen von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zu regeln, könne dagegen keine generelle Sperrwirkung der Verordnungsermächtigung des § 34 Abs. 3 SGB V vor in Kraft treten der Neuregelung am 1. Januar 2005 entnommen werden. Anders als bei der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehe es bei Ziffer 17.1m AMR nicht um den Ausschluss der gesamten medizinische Behandlung einer bestimmten Krankheit, auch nicht um einen bestimmten Wirkstoff oder eine Wirkstoffgruppe, sondern allein um Arzneimittel einer bestimmten Art, die unwirtschaftlich sind. Dies verkenne auch das vom Sozialgericht zitierte Urteil des LSG NRW. Im Übrigen seien Thymoject und Factor AF2 Organhydrolysate im Sinne der Ziffer 17.1m AMR. Insoweit werde Bezug genommen auf eine schriftliche Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 12. April 2005.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 17. Januar 2007 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

Er bezieht sich auf das erstinstanzliche Urteil, welches nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Begründung zutreffend sei.

Die Beigeladene zu 2) hat sich der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen; die Beigeladene zu 1) hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben, da der von dem Beklagten verhängte Arzneimittelregress rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Die Verordnung der Präparate Thymoject und Factor AF2 war bereits deshalb nicht wirksam durch Ziffer 17.1m AMR ausgeschlossen, weil ein solcher Ausschluss bis zum 31. Dezember 2003 gegen höherrangiges Recht verstieß.

1. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist allein der Bescheid des Beschwerdeausschusses, nicht auch der Bescheid des Prüfungsausschusses (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Oktober 2004, B 6 KA 65/03, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26.).

2. a) Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 106 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 15 ("Prüfung in besonderen Fällen) der zwischen der Beigeladenen zu 1) und den (Landes-)Verbänden der Krankenkassen im Land Brandenburg abgeschlossenen Prüfvereinbarung (PV) in der Fassung vom 25. Januar 1999.

Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung geprüft durch

1. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung),

2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).

Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Satz 4, 1. Halbsatz SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner die Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden.

Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 15 PV folgendes:

1). 2) Der Prüfungsausschuß entscheidet auf begründeten Antrag der Krankenkassen oder ihrer Verbände im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verordnung von Leistungen, die nicht zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden dürfen, oder wegen schuldhaft fehlerhafter Ausstellung von Bescheinigungen. Ausgenommen hiervon sind Erstattungsansprüche der Krankenkassen wegen sachlich-rechnerischer Unrichtigkeiten sowie bei Verstößen gegen § 34 SGB V.

3) Der Prüfungsausschuss entscheidet darüber, ob und in welcher Höhe der Krankenkasse ein zu ersetzender Schaden entstanden ist. Läßt sich die Höhe des Schadens nicht eindeutig feststellen, bestimmt der Prüfungsausschuß den Schadensumfang nach gewisssenhafter Schätzung.

4) Die Anträge auf Prüfung können nur innerhalb einer Frist von 9 Monaten nach Abschluß des Quartals gestellt werden, in dem der Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vermutet wird. Bei Anträgen nach Abs. 2 endet die Frist 12 Monate- nach Ausstellung der Verordnungen oder Bescheinigungen durch den Arzt, längstens jedoch 9 Monate nach Eingang der Verordnungen oder Bescheinigungen bei der Krankenkasse. Über die Anträge soll der Prüfungsausschuß innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung entscheiden. 5) Ansprüche der Versicherten und der Krankenkassen wegen eines Behandlungsfehlers des Vertragsarztes richten sich ausschließlich nach bürgerlichem Recht.

-Anmerkung: In begründeteten Einzelfällen können die Partner nach Herstellung des Einvernehmens im Prüfungsausschuss von dieser Frist abweichen.

b) Hieran gemessen hätte der Beklagte gegen den Kläger wegen der Verordnung der Präparate Thymoject und Factor AF2 keine Schadensersatzverpflichtung i.S.v. § 15 Abs. 2 PV festsetzen dürfen, denn diese Arzneimittel waren bis einschließlich 31. Dezember 2003 zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig.

aa) Der Verordnungsfähigkeit von Thymoject steht nicht entgegen, dass das Medikament im Jahre 2002 nicht förmlich nach § 25 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) zugelassen war, sondern gemäß § 105 AMG nur als so genanntes Alt-Arzneimittel fiktiv als zugelassen galt (vgl. BSG, Urteil vom 27. September 2005, B 1 KR 6/04 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Dezember 2005, L 11 KA 104/04, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16).

bb) Die Unzulässigkeit der Verordnung von Thymoject und Factor AF2 ergab sich auch nicht aus Ziffer 17.1 m der Arzneimittelrichtlinien (AMR) in der Fassung vom 30. September 1998 bis zum 14. Juni 2004. Die Regelung der Ziffer 17.1 m AMR betrifft "Verordnungseinschränkungen auf Grund §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12, 70 SGB V", die damit begründet werden, für die genannten Arzneimittel fehlten - von den ausdrücklich geregelten Ausnahmen abgesehen - im allgemeinen die Voraussetzungen für die Notwendigkeit einer entsprechenden Arzneimitteltherapie und/oder für deren therapeutischen Nutzen. Unter den in Nr. 17.1 genannten Mitteln, die "nicht verordnet werden dürfen", werden unter Buchstabe m Zellulartherapeutika und Organhydrolysate genannt. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei den Präparaten Thymoject und Factor AF2 um Organhydrolysate im Sinne der Ziffer Nr. 17.1 m AMR handelt. Denn jedenfalls war der Bundesausschuss bis zum 31. Dezember 2003 nicht hinreichend ermächtigt, ein Arzneimittel grundsätzlich in den nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Richtlinien auszuschließen; Ziffer 17.1 m AMR war daher unwirksam (ebenso: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Dezember 2005, a.a.O. Rdnr. 19 ff.).

Die Befugnis zum Ausschluss bestimmter Arzneimittel aus der Verordnungsfähigkeit war in dem vor dem 1. Januar 2004 geltenden Recht in § 34 Abs. 3 SGB V ausdrücklich nur dem Verordnungsgeber eingeräumt. § 34 Abs. 3 Satz 1 SGB V ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit, unwirtschaftliche Arzneimittel durch Verordnung von der Versorgung nach § 31 SGB V auszuschließen. Als unwirtschaftlich anzusehen sind nach Satz 2 a.a.O. unter anderem Arzneimittel, deren Wirkung wegen der Vielzahl der enthaltenen Wirkstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden können oder deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist. Demgegenüber sah § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung nur allgemein vor, dass der Bundesausschuss Regelungen zur Sicherung einer wirtschaftlichen Versorgung treffen könne. Durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 ist mit Wirkung vom 1. Januar 2004 zum Einen in § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V ein Halbsatz 3 eingefügt worden, der nunmehr ausdrücklich den Gemeinsamen Bundesausschuss auch zum Ausschluss von Leistungen ermächtigt, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Zum Anderen ist § 34 Abs. 3 SGB V durch eine Regelung (Satz 3) ergänzt worden, wonach die Kompetenz des Gemeinsamen Bundesausschuss subsidiär neben der des Verordnungsgebers besteht. Der Senat sieht hierin eine Rechtsänderung im Sinne der (erstmaligen) Ermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Erstellung einer "Negativliste" im Rahmen der Arzneimittelrichtlinie und nicht nur eine "Klarstellung" des Gesetzgebers.

Die Frage, ob auch nach dem bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Recht der (frühere) Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen neben dem Verordnungsgeber die Kompetenz besaß, Arzneimittel in Richtlinien auszuschließen, war in der Literatur umstritten (siehe Nachweise bei Knispel, NZS 2000, 441, 442). Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hatte sie im Urteil vom 30. September 1999 (B 8 KN 9/98 KR R) noch offen gelassen. Seine Entscheidung, die die Unwirksamkeit der früheren Ausschlussregelung der Ziffer 17.1 f AMR für Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion betraf, beruhte darauf, dass der Bundesausschuss nicht ermächtigt sei, den Begriff "Krankheit" in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen selbst zu bestimmen und im Rahmen der Richtlinien die Behandlung bestimmter Krankheiten oder Krankheitssymptome zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung gänzlich auszuschließen. Für Heilmittel hatte der 1. Senat des Bundessozialgerichts allerdings im Urteil vom 16. September 1999 (B 1 KR 9/97 R) entschieden, dass § 34 Abs. 3 SGB V für die Anordnung von Leistungsverboten bei Heilmitteln eine abschließende Regelung treffe. In seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2005 (B 1 KR 25/03 R und B 1 KR 28/04 R) zum Ausschluss von Medikamenten zur Behandlung der erektilen Dysfunktion knüpft der 1. Senat nunmehr an diese Rechtsprechung an und stützt die Unwirksamkeit der früheren Ausschlussregelung der Ziffer 17.1 f AMR auch darauf, dass die Kompetenz zum Ausschluss von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorbehalten war. Ausdrücklich und entscheidungstragend führt das Bundessozialgericht insoweit aus, der Bundesausschuss habe nicht die Kompetenz besessen, in den AMR einen verbindlichen Ausschluss bestimmter Gruppen von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung zu regeln (B 1 KR 25/03 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24). Soweit die Gesetzesbegründung von einer "Klarstellung" spricht (BT-Drucksache 15/1525, S. 87) sieht das Bundessozialgericht zu Recht die jetzt erfolgte Regelung nicht als eine solche, sondern als Änderung der Rechtslage an. "Vorwirkungen" könne die Neuregelung nicht entfalten.

cc) Anderweitige Verordnungsausschlüsse für Thymojekt und Factor AF2 sind weder ersichtlich, noch vorgetragen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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