L 11 KR 3068/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 3219/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3068/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 26. März 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte den Kläger von Kosten in Höhe von 2535,84 EUR für eine vom 19. Februar 2003 bis zum 15. März 2003 in der Rheumaklinik Bad W. durchgeführte stationäre Anschlussrehabilitation ganz oder teilweise freistellen muss.

Der 1939 geborene und bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner versicherte Kläger litt an einer Coxarthrose links, rheumatoiden Arthritis, Hypertonie, Hyperurikämie und einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Wegen der rheumatoiden Arthritis stand der Kläger seit längerer Zeit bei Prof. Dr. J., Arzt für Innere Medizin, Rheumatologie, Physikalische und Rehabilitative Medizin und Chefarzt der Rheumaklinik, in Behandlung. Vom 05. bis 19. Februar 2003 wurde er stationär in der Chirurgischen Universitätsklinik U. behandelt, wo am 06. Februar 2003 eine Synovektomie (Abtragung der erkrankten Gelenkinnenhaut) und Hüfttotalendoprothese links durchgeführt wurde. Im Anschluss daran war eine stationäre Anschlussheilbehandlung erforderlich. Mit Schreiben vom 06. Februar 2003 beantragte der Soziale Beratungsdienst des Universitätsklinikums U. bei der Beklagten für den Kläger die Durchführung einer stationären Anschlussheilbehandlung zur stationären Mobilisation mit aktiver krankengymnastischer Übungstherapie, Gehschulung, Balneotherapie usw. Der Kläger wolle wegen der rheumatoiden Arthritis nur in die Klinik nach Bad W., die Aufnahme sei für den 18. Februar 2003 vereinbart.

Am 10. Februar 2003 teilte die Beklagte dem Kläger telefonisch mit, dass sie zwar eine stationäre Rehabilitationsbehandlung zur Verfügung stelle, jedoch nicht in der vom Kläger gewünschten Klinik, sondern sie eine solche nur in den Rehakliniken in Bad B. oder Bad W. genehmige.

Nachdem der Kläger darauf beharrte, dass er sich am 18. Februar 2003 zu Prof. Dr. J. in Behandlung begeben werde, fragte die Beklagte beim Kurhaus Bad B. sowie der K.-Kurklinik an, ob eine Aufnahme in der jeweiligen Klinik und eine Mitbehandlung der rheumatoiden Arthritis möglich wäre. Dies wurde von beiden Kliniken bejaht. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 2003 die Kostenübernahmeerklärung für die Klinik ab. Zur Begründung führte sie aus, da beide Rehakliniken in Bad B. und Bad W. auch über eine Rheumatologie verfügten, bestehe keine medizinische Notwendigkeit für die Durchführung der Maßnahme in Bad W ... Die ausgewählten Kliniken lägen im tolerierbaren Umkreis von 100 bis 130 km. Die Klinik in Bad W. verfüge darüber hinaus über einen eigenen Fahrdienst, so dass auf den Kläger keine Transportprobleme zukämen. Eine Fahrzeit von 1 bis 1,5 Stunden sei zumutbar. Die Belegung der von der Kasse ausgewählten Kliniken würde den berechtigten Wünschen des Klägers entsprechen.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, die von ihm ausgewählte Klinik liege nur 29 km von R. entfernt und sei mit öffentlichen Verkehrsmitteln in rund 53 Minuten erreichbar. Durch den bestehenden Versorgungsvertrag der Klinik bestehe auch die Gewähr einer wirtschaftlichen Leistungserbringung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger führte die stationäre Anschlussrehabilitation vom 19. Februar bis 15. März 2003 in Bad W. durch, wobei die Klinik am 03. März 2003 eine Verlängerung der stationären Behandlung beantragt hatte. Sie stellte dem Kläger dafür am 18. März 2003 2535,84 EUR in Rechnung, und zwar für medizinische Behandlungen 1141,20 EUR (24 Tage zu 47,55 EUR, für Unterkunft 1065,12 EUR (24 Tage zu 44,38 EUR), für Kost 304,32 EUR (24 Tage zu 12,68 EUR) sowie für Kurtaxe 25,20 EUR (24 Tage zu 1,05 EUR). Diesen Betrag, der dem mit den gesetzlichen Kostenträgern vereinbarten Pflegesatz in Höhe von 105,66 EUR pro Behandlungstag entsprach, bezahlte der Kläger bislang nicht.

Seine gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten am 31. März 2003 beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil vom 30. März 2004, S 2 KR 608/05). Auf seine dagegen am 20. Mai 2005 eingelegte Berufung (L 4 KR 2071/05) verpflichtete der 4. Senat des LSG die Beklagte mit Urteil vom 1. August 2007 unter Abänderung der angefochtenen Bescheide, über den Antrag des Klägers auf Kostenfreistellung in Höhe von 2070,00 EUR unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden. Zur Begründung führte das LSG aus, der Bescheid vom 14. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. März 2003 sei zwar insoweit rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten, soweit darin die Kostenfreistellung in Höhe von 2535,84 EUR abgelehnt worden wäre. Mit den Bescheiden habe die Beklagte aber über den Anspruch auf Freistellung in Höhe von 2070 EUR nicht (ermessenfehlerfrei) entschieden. Dieser Betrag wäre der Beklagten entstanden, wenn die stationäre Rehabilitationsbehandlung in Bad W. durchgeführt worden wäre. Zwar sehe das Leistungsrecht der Krankenversicherung, soweit es um die Gewährung von Sachleistungen, auf die ein Rechtsanspruch bestehe, keinen alternativen Anspruch auf Erstattung bzw. Freistellung von Sowiesokosten bei der Inanspruchnahme von Leistungen außerhalb des Sachleistungssystems, insbesondere bei Behandlungen durch Privatärzte bzw in nicht zugelassenen Krankenhäusern, in der Höhe, wie sie bei der Leistungsinanspruchnahme innerhalb des Sachleistungssystems entstanden wären, nicht vor. Jedoch sei im Rahmen der Ermessenausübung insbesondere dann, wenn die Krankenkasse bei der Auswahlentscheidung hinsichtlich der Rehabilitationseinrichtung zulässigerweise an sich den Gesichtspunkt der Kostenersparnis hätte berücksichtigen dürfen, von der Krankenkasse zu erwägen, dass es diesem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht widerstreite, ja sogar entsprechen könnte, die Sowiesokosten dann zu erstatten, wenn die selbst beschaffte Anschlussrehabilitation in einer gleich geeigneten Reha- Einrichtung durchgeführt worden wäre, die ebenfalls über einen Versorgungsvertrag verfüge. Der Gesichtspunkt, dass die Beklagte mit der K.-Kurklinik in Bad W., die nicht ihre eigene Klinik sei, die günstigere Vollpauschale ausgehandelt und deswegen daran interessiert sei, diese Klinik auch tatsächlich zu belegen, um höhere Kosten zu vermeiden, stünde einem Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe dieser Sowiesokosten nicht entgegen. Deswegen müsse die Beklagte über diesen Antrag erneut entscheiden. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wurde vom Bundessozialgericht als unzulässig verworfen (Beschluss vom 21. Februar 2008 - B 1 KR 107/07 B).

Mit Bescheid vom 06. September 2007 lehnte die Beklagte erneut ab, dem Kläger Kosten in der Höhe zu erstatten, die bei Durchführung der Maßnahme in der K.- Kurklinik Bad W. entstanden wären. Eine Erstattung der Differenzkosten sei rechtswidrig bzw eine Zahlung nur zulässig, wenn durchgesetzt ausdrücklich erlaubt. Dies sei indessen nicht der Fall, denn es könnten nur solche Sachleistungen als Geldleistungen erbracht werden, die nicht in Rehabilitationseinrichtungen durchgeführt würden. Auf stationäre Anschlussheilbehandlungen treffe dies nicht zu. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 19. November 2007).

Mit der am 23. November 2007 beim SG erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Mit Urteil vom 26. März 2009, der Beklagten zugestellt am 22. Juni 2009, hat das SG die Beklagte verurteilt, den Antrag des Klägers auf Kostenfreistellung in Höhe von 2070 EUR unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klage sei insofern begründet, als die Beklagte über den Anspruch des Klägers auf Kostenfreistellung in Höhe von 2070 EUR erneut nicht ermessensfehlerfrei entschieden habe. Dies sei nachzuholen. Die Beklagte habe zwar mit den angefochtenen Bescheiden vom 06. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2007 eine Entscheidung, jedoch nicht eine Ermessenentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des LSG getroffen. Während das LSG ausdrücklich dargelegt habe, dass für die Ermessenausübung auch der Gesichtspunkt des § 9 Abs 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zu berücksichtigen sei, sehe sich die Beklagte durch § 9 Abs 1 SGB IX gehindert, den Kläger zumindest von "Sowiesokosten" freizustellen. Da die Beklagte somit kein Ermessen ausgeübt habe, schon gar nicht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, sei sie unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung hierzu erneut zu verpflichten. Soweit der Kläger darüber hinaus einen Rechtsanspruch auf Freistellung in der tatsächlich entstandenen Höhe, hilfsweise in Höhe von 2070 EUR geltend mache, könne die Klage auch in diesem Verfahren keinen Erfolg haben.

Mit ihrer dagegen am 06. Juli 2009 eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, sie könne weiterhin der Rechtsauffassung beider Gerichte nicht folgen. Somit erscheine es nicht zielführend, die Sache nochmals zu bescheiden, da es sich hierbei um einen identischen Bescheid wie den am 06. September 2007 handeln werde. Die einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage sei § 13 Abs 3 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 15 Abs 1 Satz SGB IX. Danach bestehe eine Erstattungspflicht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen könne oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Eine Ermessensentscheidung sei in diesen Fällen also gerade nicht zu treffen, sondern die Krankenkasse habe die dem Versicherten entstandenen Kosten zu erstatten, wenn eine der beiden Tatbestandsalternativen vorliege. Hier käme allein die unrechtmäßig erfolgte Ablehnung in Betracht, da sie dem Versicherten die rechtzeitige Leistungserbringung in der von der Krankenkasse bestimmten Einrichtung angeboten habe. Die Ablehnung sei deswegen auch nicht zu Unrecht erfolgt. Eine Zurückverweisung lasse sich aus dem Gesetz nicht begründen. Es könne sich hier allenfalls um eine Einzelfallentscheidung aus "Billigkeitsgründen" zu Gunsten des Versicherten handeln. Diese lasse sich jedoch weder aus dem Gesetz herleiten noch mit Wirtschaftlichkeitsgründen rechtfertigen. Im Zweifel werde eine solche Verurteilung auch dazu führen, dass die Einrichtung die Zusammenarbeit beende bzw die Vergütungen entsprechend anpasse, dh die Kosten höher würden, um die verminderte Auslastung auszugleichen. Sie hat hierzu auf die (rechtskräftige) Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14. Mai 2009 (L 5 KR 155/08) hingewiesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 26. März 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten und die beigezogenen Akten L 4 KR 2071/05 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben, denn die Beklagte ist nach § 141 Abs 1 Nr 1 SGG verpflichtet, das rechtskräftige Urteil des LSG auszuführen. Dem ist sie durch die angefochtenen Bescheide nicht nachgekommen, insbesondere hat sie, worauf das SG, dessen Begründung sich der Senat in vollem Umfang anschließt und deswegen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs 2 SGG absieht, zu Recht hinweist, keine Ermessensentscheidung getroffen. Aus der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14. Mai 2009 kann die Beklagte daher nichts herleiten, es kommt nicht darauf an, ob sie die Entscheidung des LSG, die sie auszuführen hat, für inhaltlich falsch erachtet. Vielmehr ist die Beklagte an die Rechtsauffassung des Gerichts nach § 131 Abs 3 SGG gebunden (vgl auch Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl 2008, § 131 RdNr 16, § 141 RdNr 11a). Die Beklagte muss bei ihrer Entscheidung davon ausgehen, dass der Kläger einen Anspruch darauf hat, dass die Beklagte über einen Anspruch auf Kostenfreistellung in Höhe von 2070 EUR ermessensfehlerfrei und unter Beachtung der Rechtsauffassung der vom 4. Senat im Urteil vom 1. August 2007 dargelegten Rechtsauffassung entscheidet.

Dabei ist es unerheblich, ob die vom 4. Senat des LSG abweichende Rechtsauffassung der Beklagten zutrifft. Selbst wenn davon ausgegangen werden müsste, dass die Entscheidung des 4. Senats unrichtig ist, muss die Beklagte dieses rechtskräftig gewordene Urteil ausführen. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung kann zwar der Grundsatz von Treu und Glauben der Berufung auf eine rechtskräftige, aber materiell unrichtige gerichtliche Entscheidung entgegenstehen (vgl Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 07. November 2008, L 17 B 549/08 U, zit nach Juris unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 08. Februar 1996, IX ZR 215/94, NJW-RR 1996, 826). Die Rechtskraft muss zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar ist, dass der Titelinhaber (hier der Kläger) seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten der Gegner ausnutzt. Eine Durchbrechung der Rechtskraft muss aber auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, weil sonst die Rechtskraft ausgehöhlt, die Rechtssicherheit beeinträchtigt und der Rechtsfrieden in Frage gestellt wird. Dazu reicht eine vom unterlegenen Beteiligten vertretene, vom rechtskräftigen Urteil abweichende Rechtsmeinung natürlich nicht aus. Es müssten vielmehr besondere Umstände hinzutreten, die hier ersichtlich nicht vorliegen, aufgrund deren es dem Titelinhaber zugemutet werden müsste, die ihm mit dem rechtskräftigen Titel unverdient zugefallene Rechtsposition aufzugeben.

Die Berufung der Beklagten ist deswegen als unbegründet zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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