L 10 R 5934/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 5114/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 5934/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.      Um einstweiligen Rechtsschutz gegen die Verrechnung eines einbehaltenen Rentennachzahlungsbetrages zu erhalten mit dem Ziel, die (vorläufige) Auszahlung zu erreichen, kann der Versicherte zulässigerweise eine Regelungsanordnung beantragen, auch wenn die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Verrechnungsbescheid bereits in einem anderen Verfahren rechtskräftig festgestellt worden ist.
2.      Im Rahmen der Prüfung des Anordnungsanspruches ist zu berücksichtigen, dass einerseits der Zahlungsanspruch auf Grund der bescheidmäßigen Feststellung der Rentennachzahlung feststeht, andererseits wegen der erklärten Verrechnung aber offen ist, ob dieser Zahlungsanspruch bereits erfüllt ist. Der Klage gegen den Verrechnungsbescheid kommt insoweit vorgreifliche Wirkung zu mit der Folge, dass eine Abwägung der Interessen des Versicherten und des Rentenversicherungsträgers zu erfolgen hat.
Die Beschwerde des Antragsstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 17.11.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Auszahlung einer bisher einbehaltenen Rentennachzahlung in Höhe von 9.529,03 EUR.

Ausgangspunkt der derzeitigen Auseinandersetzungen zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin ist der Bescheid vom 11.12.2007, mit dem die Antragsgegnerin dem Antragsteller Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.04.2001, befristet bis zum 31.08.2010, bewilligte und einen Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 01.04.2001 bis 31.01.2008 in Höhe von 54.041,55 EUR errechnete. Mit Schreiben vom 05.02.2008 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, sie habe aus der Rentennachzahlung in Höhe von 54.041,55 EUR einen Erstattungsanspruch des Landratsamtes wegen der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 34.983,48 EUR erfüllt. Einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 9.529,04 EUR überweise sie ihm. Die Restsumme von 9.529,03 EUR werde einbehalten, da noch eine Forderung der - vom Senat beigeladenen - Bundesagentur für Arbeit bestehe. Diese hatte bereits im August 2000 ein Verrechnungsersuchen wegen einer Forderung in Höhe von - im Oktober 2007 konkretisiert - insgesamt 11.037,92 EUR gestellt.

Nach Anhörung des Antragstellers verrechnete die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13.03.2008 zu Gunsten der Beigeladenen 9.529,03 EUR. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2008 zurückgewiesen. Das hiergegen am 21.05.2008 angestrengte Klageverfahren ist beim Sozialgericht Freiburg noch anhängig (S 12 R 2503/08). Auf einen am 26.05.2008 gestellten Antrag, die Vollziehung des Bescheides vom 13.03.2008 aufzuheben, hat das Sozialgericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 03.06.2008, S 12 R 2527/08 ER die aufschiebende Wirkung der Klage (S 12 R 2503/08) gegen den Bescheid vom 13.03.2008 festgestellt. Ein Versuch des Antragstellers, diesen Beschluss durch Zwangsgeld zu vollstrecken, ist erfolglos geblieben (Beschluss des Senats vom 02.02.2010, L 10 R 5942/09 B).

Am 13.10.2009 hat der Antragsteller beim Sozialgericht beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die einbehaltenen 9.529,03 EUR an ihn auszuzahlen. Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit am 23.11.2009 zugestelltem Beschluss vom 17.11.2009 und der Begründung abgelehnt, es liege kein Anordnungsgrund vor. Eine besondere Dringlichkeit erschließe sich allein aus der Tatsache des Bezuges ergänzender Sozialhilfe nicht.

Hiergegen richtet sich die am 18.12.2009 eingelegte Beschwerde, die der Antragsteller mit der Tatsache begründet, er beziehe ergänzende Sozialhilfe, was eine Verrechnung nicht zulasse und was nicht mit seiner Würde zu vereinbaren sei.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 17.11.2009 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, 9.529,03 EUR an ihn auszubezahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers bedarf es keiner Beiladung des Sozialhilfeträgers, insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vorliegen.

Rechtliche Grundlage für das Begehren des Antragstellers ist § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach sind einstweilige Anordnungen auch (also neben der sogenannten Sicherungsanordnung nach Satz 1 der Vorschrift) zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass § 86b Abs. 2 SGG den einstweiligen Rechtsschutz bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen regelt, während Absatz 1 des § 86b SGG mit der dort vorgesehenen Anordnung der aufschiebenden Wirkung den einstweiligen Rechtsschutz bei der Anfechtungsklage betrifft (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, § 86b Rdnr. 24) und einstweiliger Rechtsschutz vom Sozialgericht im Zusammenhang mit der beim Sozialgericht unter dem Aktenzeichen S 12 R 2503/08 anhängigen Anfechtungsklage gegen den Verrechnungsbescheid vom 13.03.2008 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2008) bereits durch den - rechtskräftigen und damit auch vom Senat zu beachtenden - Beschluss vom 03.06.2008, S 12 R 2527/08 ER in Form der Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gewährt worden ist. Denn die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Verrechnungsbescheid erschöpft sich darin, dass dieser Bescheid nicht vollzogen werden darf und somit ein Schwebezustand eintritt, während dessen vollendete Tatsachen nicht geschaffen werden dürfen (Keller, a.a.O., § 86a SGG Rdnr. 4). Auf Grund der Feststellung der aufschiebenden Wirkung ist die Beklagte somit zwar gehindert, Erfüllung durch Verrechnung einzuwenden. Allein hieraus folgt indessen nicht, dass damit auch ein Anspruch des Klägers auf Auszahlung des streitigen Betrages besteht. Dies ist auch nicht unmittelbarer Gegenstand des klägerischen Begehrens im Verfahren S 12 R 2503/08. Ein über den Beschluss des Sozialgerichts vom 03.06.2008 hinausreichendes Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf den vom Antragsteller behaupteten Zahlungsanspruch ist somit zu bejahen.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist für eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund Voraussetzung (vgl. Keller a. a. O., § 86b SGG Rdnr. 27 auch zum Nachfolgenden). Dabei betrifft der Anordnungsanspruch das materielle Recht, dessen sich der Antragsteller berühmt (hier also den behaupteten Zahlungsanspruch), der Anordnungsgrund bezieht sich auf die Erforderlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung, nämlich die Abwendung wesentlicher Nachteile.

Einzig mögliche Rechtsgrundlage für die vom Antragsteller behauptete Forderung in Höhe von 9.529,03 EUR ist dabei der Bescheid vom 11.12.2007 und der dort festgestellte Nachzahlungsbetrag in Höhe von 54.041,55 EUR, von dem der Antragsteller vorliegend einen - noch nicht durch Erfüllung befriedigten - Teilbetrag in Höhe der streitigen Forderung geltend macht. Dabei steht auf Grund der Bestandskraft dieses Bescheides (§ 77 SGG) fest, dass dem Antragsteller dieser Nachzahlungsbetrag tatsächlich zustand. Dies begründet indessen noch nicht den Anordnungsanspruch für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung. Denn es lässt sich derzeit nicht klären, ob diese Restforderung durch die anderweitig streitige Verrechnung erfüllt worden ist. Vielmehr kommt der beim Sozialgericht Freiburg unter dem Aktenzeichen S 12 R 2503/08 anhängigen Anfechtungsklage gegen den Verrechnungsbescheid vom 13.03.2008 vorgreifliche Bedeutung zu.

In derartigen Fällen eines nicht geklärten materiell-rechtlichen Anspruches hat eine Abwägung der Interessen der Beteiligten zu erfolgen (vgl. hierzu Keller, a. a. O., Rdnr. 29a). Abzuwägen sind die Folgen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch später herausstellt, dass der Anspruch besteht und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber später herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht.

Der Antragsteller hat auch im Beschwerdeverfahren nicht dargelegt, aus welchen Gründen ihm durch das Abwarten des Ausgangs der erwähnten Anfechtungsklage überhaupt wesentliche Nachteile entstehen würden. Soweit der Antragssteller auf die Inanspruchnahme von ergänzender Sozialhilfe verweist und deshalb die Rechtmäßigkeit des Verrechnungsbescheides in Zweifel zieht, sind dies Erwägungen, die der Prüfung in dem - wie oben dargelegt - vorgreiflichen Verfahren vor dem Sozialgericht S 12 R 2503/08 vorbehalten sind. Soweit er die Inanspruchnahme in geringem Umfang von ergänzender Sozialhilfe als Verstoß gegen seine Würde ansieht, folgt ihm der Senat nicht. Sozialhilfeleistungen stellen vielmehr die Führung eines menschenwürdigen Lebens sicher (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch). In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem streitigen Betrag um Geldleistungen für die Vergangenheit handelt, für deren Auszahlung im Rahmen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ohnehin kein Anordnungsgrund besteht (vgl. Keller, a. a. O., Rdnr. 29a mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung).

Auf der anderen Seite würden der Antragsgegnerin erhebliche Nachteile entstehen, würde sie vom Senat zur Auszahlung des verrechneten Betrages an den Antragsteller verpflichtet. Denn sie liefe in diesem Falle Gefahr, bei Abweisung der Anfechtungsklage gegen den Verrechnungsbescheid entsprechend der dann zu vollziehenden Verrechnungserklärung den streitigen Betrag an die Beigeladene auszahlen zu müssen und das an den Antragsteller ausgezahlte Geld - weil dann wegen der durch die Verrechnung bereits eingetretenen Erfüllung ohne Rechtsgrund gezahlt - von diesem zurückfordern zu müssen. Angesichts der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers dürfte eine Vollstreckung dieser Rückforderung kaum aussichtsreich sein, was im Ergebnis dazu führen würde, dass das Risiko des endgültigen Ausfalles mit dem streitigen Betrag von der Beigeladenen auf die Antragsgegnerin übergeht. Dies ist indessen nicht Sinn und Zweck der Verrechnungsmöglichkeit.

Der Senat gelangt somit im Rahmen der dargelegten Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass es dem Antragsteller zuzumuten ist, den Ausgang der Anfechtungsklage gegen den Verrechnungsbescheid abzuwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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