Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 6 SB 231/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 B 36/09 SB ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 24.11.2009 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der 1943 geborene Antragsteller (ASt) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" (außergewöhnlich gehbehindert).
Durch Bescheid des Versorgungsamtes N vom 11.02.1992, bestätigt durch Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 29.07.1992 wurden bei dem ASt wegen der Funktionsbeeinträchtigungen
1. Muskelminderung des rechten Beines, Beinverkürzung rechts um 7 cm, Hüftgelenksverbildungen rechts (GdB 50),
2. Degenerative Lendenwirbel-Veränderungen, Wirbelgleiten (GdB 30),
3. Blutdruckerhöhung (GdB 10),
4. Vegetative Labilität (GdB 10),
5. Übergewicht (GdB 10) ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 und die Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens G (erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) festgestellt, diejenigen des Merkzeichens "aG" hingegen verneint. Zwei weitere auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" gerichtete Anträge aus den Jahren 1999 und 2004 blieben ohne Erfolg.
Am 5. Mai 2009 beantragte der ASt unter Hinweis auf sein Hüftgelenksleiden die Anhebung des GdB und erneut die gesundheitlichen Feststellungen für das Merkzeichen "aG". Nach Auswertung eines mit weiteren medizinischen Anlagen versehenen Befundberichtes des behandelnden Arztes Dr. N vom 19. Mai 2009 und eines im Widerspruchsverfahren vom Arzt Dr. L erstellten Gutachtens vom 08.09.2009 lehnte der Antragsgegner (AG) mit Bescheid vom 28.05.2009 den Antrag mit der Begründung ab, in den gesundheitlichen Verhältnissen, die bei Erteilung des Bescheides aus dem Jahre 1992 vorlagen, sei keine wesentliche, die Änderung jenes Bescheides rechtfertigende Änderung eingetreten; insbesondere gehöre er nach den ärztlichen Unterlagen trotz der bestehenden erheblichen Gehbehinderung nicht zu den außergewöhnlich gehbehinderten Menschen.
Nach Zurückweisung seines Widerspruchs vom 17.06.2009 durch Widerspruchsbescheid vom 20.10.2009 hat der ASt gegen die Versagung des Merkzeichens "aG" am 06.11.2009 Klage beim Sozialgericht Münster erhoben und gleichzeitig - sinngemäß - beantragt,
dem AG im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zuzuerkennen.
Der AG hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Durch Beschluss vom 24.11.2009 hat das Sozialgericht Münster den Antrag mit der Begründung abgelehnt, ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs "aG" lägen nach den bisherigen Erkenntnissen nicht vor. So bestünden beim ASt zwar Schäden an den unteren Gliedmaßen, die sein Gehvermögen erheblich beeinträchtigten und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertigten, jedoch sei er nach dem ärztlichen Gutachten des Dr. L noch in der Lage, sich - wenn auch "humpelnd" - ohne fremde Hilfe unter Benutzung orthopädischer Schuhe und eines Gehstockes fortzubewegen. Deshalb sei sein Gehvermögen noch nicht so gravierend beeinträchtigt wie etwa das eines einseitig Oberschenkelamputierten, der keine Prothese tragen könne.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des ASt vom 07.12.2009, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Hierzu trägt er im Wesentlichen vor, er habe seinen Antrag auf Anerkennung des Merkzeichens "aG" nicht nur wegen des Zeit seines Lebens bestehenden Schadens an der rechten Hüfte gestellt, sondern wegen des infolge der Überbeanspruchung des linken Hüftgelenkes dort auftretenden Verschleißes. Bislang sei die Beeinträchtigung an der linken Hüfte, insbesondere aber die hier bestehenden Schmerzen unberücksichtigt geblieben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des AG verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.
Das Sozialgericht Münster hat es zu Recht abgelehnt, den AG im Wege der einstweiligen (Regelungs-) Anordnung zu verpflichten, vorläufig das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das vom Antragsteller geltend gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d.h. die Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, Breith 2005, 803). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss eine umfassende Interessenabwägung erfolgen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn 29, 29a). Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist zu bejahen, wenn dem Antragsteller unter Berücksichtigung auch der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rn 28, 29a m.w.N.).
Hiervon ausgehend sind vorliegend die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung schon deshalb nicht erfüllt, weil der ASt keinen Anordnungs- grund glaubhaft gemacht hat. Seinem Vorbringen sind außer dem mit der Ablehnung des Antrags üblicherweise verbundenen Nachteil, derzeit mit dem Rollstuhlfahrer-Symbol gekennzeichnete Parkplätze nicht nutzen zu dürfen, keine weiteren Umstände zu entnehmen, die eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verlangen. Besondere Umstände, wonach der ASt nahezu unerlässlich auf die Benutzung dieser Parkplätze angewiesen sein könnte, sind nicht ersichtlich. Er steht im Verhältnis zu einer Vielzahl von Antragstellern und Klägern nicht anders da als diese, die auch wegen einer Gehbehinderung in den Genuss von Parkerleichterungen kommen wollen. Auch diese müssen regelmäßig den Ausgang des von ihnen betriebenen Klageverfahrens abwarten, wenn sie wegen der Versagung des Merkzeichens "aG" gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Allein der - für die anderen Kläger ebenso schwer wiegende - Umstand, dass das Klageverfahren eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, ist kein von vorneherein unzumutbarer Nachteil.
Im Übrigen geht - darauf sei für den ASt auch zur kritischen Überprüfung seines Klagebegehrens vorsorglich hingewiesen - der Senat mit dem Sozialgericht davon aus, dass der ASt das Vorliegen der Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG" nicht glaubhaft gemacht hat.
Für die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit Nr. 11 der zu § 46 Straßenverkehrsordnung (StVO) erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO) heranzuziehen (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 29. März 2007 - B 9a SB 5/05 R -, Behindertenrecht 2008, 138). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu gehören Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- und armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Diese Voraussetzungen sind in der Person des Antragstellers nicht erfüllt. Bei ihm liegt keine der oben im Einzelnen aufgeführten, die Gehfähigkeit beeinträchtigenden Funktionsstörungen vor. Er ist diesem Personenkreis auch nicht auf Grund von Erkrankungen, die sich vergleichbar nachteilig auswirken, gleichzustellen. Denn eine Gleichstellung ist (nur) bei den Personen zulässig, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die oben ausdrücklich aufgeführten Gruppen von behinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen können (vgl. BSG, a. a. O.). Dabei müssen die Leiden in ihren funktionellen Auswirkungen mit den Leiden der erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten vergleichbar sein; der Leidenszustand muss also wegen einer außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken (vgl. BSG, Urteil vom 6. November 1985 - 9a Rvs 7/83 -, SozR 3870 § 3 Nr. 18; Urteil vom 13. Dezember 1994 - 9 Rvs 3/94 -, SozR 3-3870 § 4 Nr. 11).
Diese Voraussetzungen sind nach den vorliegenden medizinischen Befunden, insbesondere des im Vorverfahren auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung erstellten ärztlichen Gutachtens des Dr. L vom 08.09.2009 nicht erfüllt. Dr. L sieht zwar eine erhebliche Gehbehinderung des Antragstellers (Merkzeichen "G") und schätzt den (Teil-)GdB allein für das Funktionssystem "Beine" mit 50 ein. Er beschreibt jedoch ein unter Nutzung orthopädischen Schuhwerks und eines Gehstocks bestehendes Restgehvermögen des ASt, welches er aus ärztlicher Sicht auch unter Berücksichtigung von Schmerzen als noch nicht in so ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sieht wie bei dem in der VwV-StVO genannten Personenkreis. Diese sozialmedizinische Beurteilung erscheint schlüssig und nachvollziehbar vor dem Hintergrund vor allem einer nach Angaben des ASt zur Anamnese "herabgesetzten Laufleistung" sowie eines vom Arzt festgestellten deutlichen Verkürzungshinkens rechts, einer Muskelminderung des rechten Beines und eines humpelnden Ganges mit orthopädischen Schuhen und Gehstock. Sie deckt sich auch mit der Angabe des behandelnden Arztes Dr. N in seinem Befundbericht vom 19.05.2009, wonach das Gehvermögen lediglich mit "läuft mit Gehstock" beschrieben wird, ohne einen Hinweis auf eine weitergehende ungewöhnlich schwere Beeinträchtigung der Gehfähigkeit. Allein die Notwendigkeit, einen Gehstock zu benutzen, reicht für die Zuerkennung des begehrten Merkzeichens aber nicht aus.
Soweit der ASt im Beschwerdeverfahren vorträgt, seinen Beschwerden im linken Hüftgelenk sei überhaupt nicht Rechnung getragen worden, ist dies nach Aktenlage unzutreffend. Denn der Gutachter Dr. L hat die ambulante Untersuchung und Einschätzung der Gehfähigkeit auch mit Blick auf die vom Antragsteller geltend gemachten "Hüftschmerzen bds." vorgenommen. Der vom Antragsteller angeführte Verschleiß-/Überlastungsschaden ist auch kein plötzlich auftretender Schaden, der in seinen Auswirkungen auf die Gehfähigkeit deshalb auch schon in den Befundbericht des Dr. N eingeflossen ist.
Soweit der Antragsteller bei einem seiner früheren noch an das Versorgungsamt N gerichteten Anträge Beschwernisse beim Ein- und Aussteigen beschreibt, um die Notwendigkeit zu begründen, auf den breiteren sog. Behindertenparkplätzen parken zu dürfen, ist dies unerheblich. Denn die Notwendigkeit eines vermehrten Platzbedarfes beim Ein- und Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug stellt kein Kriterium für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" dar. Zum Ausgleich derartiger Nachteile ist die Ausnahmegenehmigung nicht geschaffen worden. Der Nachteilsausgleich soll allein die neben der Benutzung eines PKW unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke so weit wie möglich verkürzen (BSG; Urteil vom 3. Februar 1988 - 9/9a Rvs 19/86 -, SozR 3870 § 3 Nr 28).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Der 1943 geborene Antragsteller (ASt) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" (außergewöhnlich gehbehindert).
Durch Bescheid des Versorgungsamtes N vom 11.02.1992, bestätigt durch Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 29.07.1992 wurden bei dem ASt wegen der Funktionsbeeinträchtigungen
1. Muskelminderung des rechten Beines, Beinverkürzung rechts um 7 cm, Hüftgelenksverbildungen rechts (GdB 50),
2. Degenerative Lendenwirbel-Veränderungen, Wirbelgleiten (GdB 30),
3. Blutdruckerhöhung (GdB 10),
4. Vegetative Labilität (GdB 10),
5. Übergewicht (GdB 10) ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 und die Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens G (erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) festgestellt, diejenigen des Merkzeichens "aG" hingegen verneint. Zwei weitere auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" gerichtete Anträge aus den Jahren 1999 und 2004 blieben ohne Erfolg.
Am 5. Mai 2009 beantragte der ASt unter Hinweis auf sein Hüftgelenksleiden die Anhebung des GdB und erneut die gesundheitlichen Feststellungen für das Merkzeichen "aG". Nach Auswertung eines mit weiteren medizinischen Anlagen versehenen Befundberichtes des behandelnden Arztes Dr. N vom 19. Mai 2009 und eines im Widerspruchsverfahren vom Arzt Dr. L erstellten Gutachtens vom 08.09.2009 lehnte der Antragsgegner (AG) mit Bescheid vom 28.05.2009 den Antrag mit der Begründung ab, in den gesundheitlichen Verhältnissen, die bei Erteilung des Bescheides aus dem Jahre 1992 vorlagen, sei keine wesentliche, die Änderung jenes Bescheides rechtfertigende Änderung eingetreten; insbesondere gehöre er nach den ärztlichen Unterlagen trotz der bestehenden erheblichen Gehbehinderung nicht zu den außergewöhnlich gehbehinderten Menschen.
Nach Zurückweisung seines Widerspruchs vom 17.06.2009 durch Widerspruchsbescheid vom 20.10.2009 hat der ASt gegen die Versagung des Merkzeichens "aG" am 06.11.2009 Klage beim Sozialgericht Münster erhoben und gleichzeitig - sinngemäß - beantragt,
dem AG im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zuzuerkennen.
Der AG hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Durch Beschluss vom 24.11.2009 hat das Sozialgericht Münster den Antrag mit der Begründung abgelehnt, ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs "aG" lägen nach den bisherigen Erkenntnissen nicht vor. So bestünden beim ASt zwar Schäden an den unteren Gliedmaßen, die sein Gehvermögen erheblich beeinträchtigten und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertigten, jedoch sei er nach dem ärztlichen Gutachten des Dr. L noch in der Lage, sich - wenn auch "humpelnd" - ohne fremde Hilfe unter Benutzung orthopädischer Schuhe und eines Gehstockes fortzubewegen. Deshalb sei sein Gehvermögen noch nicht so gravierend beeinträchtigt wie etwa das eines einseitig Oberschenkelamputierten, der keine Prothese tragen könne.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des ASt vom 07.12.2009, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Hierzu trägt er im Wesentlichen vor, er habe seinen Antrag auf Anerkennung des Merkzeichens "aG" nicht nur wegen des Zeit seines Lebens bestehenden Schadens an der rechten Hüfte gestellt, sondern wegen des infolge der Überbeanspruchung des linken Hüftgelenkes dort auftretenden Verschleißes. Bislang sei die Beeinträchtigung an der linken Hüfte, insbesondere aber die hier bestehenden Schmerzen unberücksichtigt geblieben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des AG verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.
Das Sozialgericht Münster hat es zu Recht abgelehnt, den AG im Wege der einstweiligen (Regelungs-) Anordnung zu verpflichten, vorläufig das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das vom Antragsteller geltend gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d.h. die Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, Breith 2005, 803). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss eine umfassende Interessenabwägung erfolgen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn 29, 29a). Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist zu bejahen, wenn dem Antragsteller unter Berücksichtigung auch der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rn 28, 29a m.w.N.).
Hiervon ausgehend sind vorliegend die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung schon deshalb nicht erfüllt, weil der ASt keinen Anordnungs- grund glaubhaft gemacht hat. Seinem Vorbringen sind außer dem mit der Ablehnung des Antrags üblicherweise verbundenen Nachteil, derzeit mit dem Rollstuhlfahrer-Symbol gekennzeichnete Parkplätze nicht nutzen zu dürfen, keine weiteren Umstände zu entnehmen, die eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verlangen. Besondere Umstände, wonach der ASt nahezu unerlässlich auf die Benutzung dieser Parkplätze angewiesen sein könnte, sind nicht ersichtlich. Er steht im Verhältnis zu einer Vielzahl von Antragstellern und Klägern nicht anders da als diese, die auch wegen einer Gehbehinderung in den Genuss von Parkerleichterungen kommen wollen. Auch diese müssen regelmäßig den Ausgang des von ihnen betriebenen Klageverfahrens abwarten, wenn sie wegen der Versagung des Merkzeichens "aG" gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Allein der - für die anderen Kläger ebenso schwer wiegende - Umstand, dass das Klageverfahren eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, ist kein von vorneherein unzumutbarer Nachteil.
Im Übrigen geht - darauf sei für den ASt auch zur kritischen Überprüfung seines Klagebegehrens vorsorglich hingewiesen - der Senat mit dem Sozialgericht davon aus, dass der ASt das Vorliegen der Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG" nicht glaubhaft gemacht hat.
Für die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit Nr. 11 der zu § 46 Straßenverkehrsordnung (StVO) erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO) heranzuziehen (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 29. März 2007 - B 9a SB 5/05 R -, Behindertenrecht 2008, 138). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu gehören Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- und armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Diese Voraussetzungen sind in der Person des Antragstellers nicht erfüllt. Bei ihm liegt keine der oben im Einzelnen aufgeführten, die Gehfähigkeit beeinträchtigenden Funktionsstörungen vor. Er ist diesem Personenkreis auch nicht auf Grund von Erkrankungen, die sich vergleichbar nachteilig auswirken, gleichzustellen. Denn eine Gleichstellung ist (nur) bei den Personen zulässig, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die oben ausdrücklich aufgeführten Gruppen von behinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen können (vgl. BSG, a. a. O.). Dabei müssen die Leiden in ihren funktionellen Auswirkungen mit den Leiden der erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten vergleichbar sein; der Leidenszustand muss also wegen einer außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken (vgl. BSG, Urteil vom 6. November 1985 - 9a Rvs 7/83 -, SozR 3870 § 3 Nr. 18; Urteil vom 13. Dezember 1994 - 9 Rvs 3/94 -, SozR 3-3870 § 4 Nr. 11).
Diese Voraussetzungen sind nach den vorliegenden medizinischen Befunden, insbesondere des im Vorverfahren auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung erstellten ärztlichen Gutachtens des Dr. L vom 08.09.2009 nicht erfüllt. Dr. L sieht zwar eine erhebliche Gehbehinderung des Antragstellers (Merkzeichen "G") und schätzt den (Teil-)GdB allein für das Funktionssystem "Beine" mit 50 ein. Er beschreibt jedoch ein unter Nutzung orthopädischen Schuhwerks und eines Gehstocks bestehendes Restgehvermögen des ASt, welches er aus ärztlicher Sicht auch unter Berücksichtigung von Schmerzen als noch nicht in so ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sieht wie bei dem in der VwV-StVO genannten Personenkreis. Diese sozialmedizinische Beurteilung erscheint schlüssig und nachvollziehbar vor dem Hintergrund vor allem einer nach Angaben des ASt zur Anamnese "herabgesetzten Laufleistung" sowie eines vom Arzt festgestellten deutlichen Verkürzungshinkens rechts, einer Muskelminderung des rechten Beines und eines humpelnden Ganges mit orthopädischen Schuhen und Gehstock. Sie deckt sich auch mit der Angabe des behandelnden Arztes Dr. N in seinem Befundbericht vom 19.05.2009, wonach das Gehvermögen lediglich mit "läuft mit Gehstock" beschrieben wird, ohne einen Hinweis auf eine weitergehende ungewöhnlich schwere Beeinträchtigung der Gehfähigkeit. Allein die Notwendigkeit, einen Gehstock zu benutzen, reicht für die Zuerkennung des begehrten Merkzeichens aber nicht aus.
Soweit der ASt im Beschwerdeverfahren vorträgt, seinen Beschwerden im linken Hüftgelenk sei überhaupt nicht Rechnung getragen worden, ist dies nach Aktenlage unzutreffend. Denn der Gutachter Dr. L hat die ambulante Untersuchung und Einschätzung der Gehfähigkeit auch mit Blick auf die vom Antragsteller geltend gemachten "Hüftschmerzen bds." vorgenommen. Der vom Antragsteller angeführte Verschleiß-/Überlastungsschaden ist auch kein plötzlich auftretender Schaden, der in seinen Auswirkungen auf die Gehfähigkeit deshalb auch schon in den Befundbericht des Dr. N eingeflossen ist.
Soweit der Antragsteller bei einem seiner früheren noch an das Versorgungsamt N gerichteten Anträge Beschwernisse beim Ein- und Aussteigen beschreibt, um die Notwendigkeit zu begründen, auf den breiteren sog. Behindertenparkplätzen parken zu dürfen, ist dies unerheblich. Denn die Notwendigkeit eines vermehrten Platzbedarfes beim Ein- und Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug stellt kein Kriterium für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" dar. Zum Ausgleich derartiger Nachteile ist die Ausnahmegenehmigung nicht geschaffen worden. Der Nachteilsausgleich soll allein die neben der Benutzung eines PKW unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke so weit wie möglich verkürzen (BSG; Urteil vom 3. Februar 1988 - 9/9a Rvs 19/86 -, SozR 3870 § 3 Nr 28).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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