L 10 P 8/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 15 P 442/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 P 8/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.12.2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 05.04.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 Pflegegeld nach Stufe I ab Mai 2005 weiter zu zahlen. Der Beklagten werden Kosten iHv 1.000,00 EUR auferlegt. Die Beklagte hat dem Kläger im Übrigen die in beiden Rechtszügen entstandenen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Einstellung von Leistungen nach der Pflegestufe I ab dem 01.05.2005.

Der am 00.00.1984 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert. Er leidet im Wesentlichen unter einem epileptischen Anfallsleiden primär generalisierter Genese, progredient myoklonisch-astatischen Anfällen, einem Ataxie-Syndrom unklarer Genese, mentaler Retardierung, einer Sprachentwicklungsstörung, Lernschwäche, geringgradiger cochleärer Hörstörung beidseits, spinocerebellären Apraxie sowie Dysarthrie.

Am 26.06.1995 beantragte der Kläger die Zahlung von Pflegegeld. Mit Gutachten vom 01.08.1995 stellte der MDK fest, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe I seit April 1995 vorlägen, ohne den konkreten Hilfebedarf zeitlich festzulegen. Mit Bescheid vom 08.08.1995 bewilligte die Beklagte Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab dem 26.05.1995 und befristete die Bewilligung zunächst bis zum 31.12.2000. Anlässlich von Wiederholungsbegutachtungen durch den MDK am 23.11.2000 und 30.11.2001 ist ein Hilfebedarf in der Grundpflege von 46 bzw. 51 Minuten festgestellt worden. Es blieb daraufhin bei der Zahlung von Leistungen nach der Pflegestufe I. Im Rahmen einer weiteren Wiederholungsbegutachtung vom 20.02.2003 stellte der MDK einen täglichen Hilfebedarf von 50 Minuten in der Grundpflege fest. Mit Bescheid vom 04.03.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass es aufgrund der Ausführungen des Gutachtens bei der Einstufung in Pflegestufe I verbleibe. Die Leistungszusage werde zunächst bis zum Zeitpunkt der für Januar 2005 geplanten Wiederholungsbegutachtung befristet.

In dem Wiederholungsgutachten vom 31.03.2005 stellte der MDK einen Hilfebedarf in der Grundpflege von nur noch 19 Minuten täglich fest. Mit Bescheid vom 05.04.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die gewährten Pflegeleistungen zum 30.04.2005 eingestellt würden. Unter Berücksichtigung des Gutachtens vom 31.03.2005 sei davon auszugehen, dass sich der notwendige Pflegeumfang verringert habe.

Zur Begründung des hiergegen am 10.05.2005 eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, in der Grundpflege werde ein erhöhter Zeitaufwand benötigt, da er bei psychischen Belastungen unter einem Tremor leide. Zu berücksichtigen sei auch, dass er zweimal täglich auf Hilfe bei der Medikamenteneinnahme angewiesen sei. Er erhalte zweimal wöchentlich krankengymnastische Behandlungen. Auch insofern benötige er Unterstützung. Die Beklagte holte ein weiteres Gutachten des MDK vom 14.09.2005 ein, worin ein Hilfebedarf in der Grundpflege von 21 Minuten täglich festgestellt wurde und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass aufgrund der Verringerung des Hilfebedarfs eine pflegestufen- relevante Änderung der Verhältnisse gem. § 48 SGB X eingetreten sei. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe I seien nicht mehr gegeben. Der Bescheid vom 04.03.2003 sei daher aufzuheben.

Am 15.12.2005 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass der Zeitbedarf für die notwendigen Pflegetätigkeiten im Bereich der Grundpflege keinesfalls geringer geworden sei. Er leide unter einer progredienten Myoklonus-Epilepsie, sodass sich sein Gesundheitszustand lediglich verschlechtere. Als pflegeerschwerende Faktoren seien sein hohes Körpergewicht und die geringe psychische Belastbarkeit zu berücksichtigen. Zur weiteren Begründung hat er Behandlungsberichte des N-Hospitals X vom 20.11.2001, der Neurologischen Universitätsklinik C vom 10.10.2002, des I-Jugendwerks vom 13.02.2004 sowie des Universitätsklinikums C1 vom 21.03.2005 und 25.10.2005 vorgelegt.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. L vom 29.05.2006 sowie Behandlungsberichte des Universitätsklinikums C1 vom 24.10.2005, 17.08.2006 und 08.09.2006 eingeholt. Es hat über den bestehenden Pflegebedarf weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Arztes für Nervenheilkunde Dr. S vom 08.11.2006. Dieser stellte einen Hilfebedarf in der Grundpflege von 30 Minuten fest. Er vertrat die Auffassung, der Zustand des Klägers sei im Jahr 2003 mit großer Wahrscheinlichkeit noch etwas schlechter gewesen. Seit etwa Mitte 2005 träten keine Anfälle mehr auf. Im Februar 2000 sei dem Kläger das Trinken - anders als im Rahmen der aktuellen Begutachtungssituation - nur mit Strohhalm möglich gewesen. Auch das Ausmaß der Gangataxie stelle sich als nicht so gravierend dar, wie dies in dem Gutachten aus dem Jahr 2003 dargestellt worden sei. Der 2003 festgestellte hohe Hilfebedarf beim Entkleiden sei nicht mehr nachvollziehbar, da dies praktisch selbständig geschehe. Hilfestellung beim Stuhlgang und dem Richten der Bekleidung seien aktuell nicht notwendig. Bei der Zahnpflege sei weder eine Vollübernahme noch ständiges Dabeisein erforderlich. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 07.04.2007 hat Dr. S an seiner Auffassung festgehalten. Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht ein Gutachten des Internisten und Sozialmediziners Dr. L1 vom 03.03.2008 eingeholt. Dieser ermittelte einen Hilfebedarf in der Grundpflege von 29 Minuten und vertrat die Auffassung, es könne davon ausgegangen werden, dass sich seit 2003 die gesundheitlichen Störungen und damit der grundpflegerische Hilfebedarf durch entsprechende Medikationen deutlich gebessert hätten. Im Bereich der Zahnpflege, beim Duschen, Rasieren, aber auch beim An- und Auskleiden habe sich der Hilfebedarf reduziert. Hilfestellung beim Richten der Bekleidung oder nach dem Stuhlgang sei nicht mehr nachvollziehbar. Das Sozialgericht hat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. L1 vom 22.09.2008 eingeholt, in der dieser an seiner zuvor vertretenen Auffassung festhielt.

Mit Urteil vom 16.12.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 04.03.2003 gem. § 48 Abs 1 S 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hätten vorgelegen, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei. Nach dem Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme bestehe bei dem Kläger ein Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege von 39 Minuten täglich. Das Sozialgericht berücksichtige hierbei den durch Dr. S ermittelten Hilfebedarf und addierte entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen Dr. L1 noch 9 Minuten für das 2 x wöchentliche Aufsuchen der Krankengymnastik hinzu. Der Zustand des Klägers habe sich 2003 noch etwas schlechter dargestellt. Auf die Ausführungen von Dr. S werde insofern Bezug genommen.

Gegen das am 09.01.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.01.2009 Berufung eingelegt. Eine Besserung seines Hilfebedarfs habe sich nicht ergeben. Eindeutiges Indiz hierfür sei die Tatsache, dass das Versorgungsamt E mit Wirkung ab dem 22.11.2005 eine Erhöhung des GdB von 80 auf 100 vorgenommen habe. Auch handele es sich bei seinem Krankheitsbild um ein progressiv verlaufendes.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.12.2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 05.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 zu ändern und ihm Pflegegeld auch ab Mai 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat ein Gutachten von Dr. Q vom 16.09.2009 eingeholt, in welchem dieser einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 68 Minuten zum Zeitpunkt der Begutachtungssituation und 73 Minuten bis Ende des Jahres 2008 festgestellt hat, da sich die Fahrzeiten zur wöchentlichen Krankengymnastik aufgrund eines Wechsels des behandelnden Physiotherapeuten reduziert hätten. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers sei seit 2003 nicht eingetreten. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 09.12.2009 hat der Senat die Mutter des Klägers als Pflegeperson im Einverständnis mit den Beteiligten informatorisch gehört. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom gleichen Tage wird insofern Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 05.04.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 ist rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I über den 30.04.2005 hinaus.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 55 Abs 4 SGG zulässig. Zu Unrecht hat die Beklagte die angefochtene Entscheidung allerdings auf § 48 SGB X gestützt und ist von einer reinen Aufhebungsentscheidung ausgegangen. Gem. § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Für ein Vorgehen nach § 48 SGB X war im vorliegenden Fall kein Raum, weil es im Mai 2005 an einer bis dahin noch wirksamen Bewilligungsentscheidung fehlte. Das Pflegegeld ist ab Februar 2005 ohne eine zugrunde liegende Bewilligungsentscheidung - rechtsgrundlos - gezahlt worden. Zu Unrecht ist der Bescheid vom 04.03.2003 als über Januar 2005 hinaus noch wirksam angesehen worden. Dieser Bescheid war Rechtsgrundlage für die Pflegegeldzahlungen bis Januar 2005, nicht aber für den darüber hinausgehenden Zeitraum, weil er bis zum Zeitpunkt der für Januar 2005 geplanten Wiederholungsbegutachtung befristet war. Die Frage, ob diese Befristung angesichts der Vorschriften der §§ 14, 15, 18 und 37 SGB XI überhaupt zulässig war, kann dahinstehen, da der Bescheid mit seiner Befristung bestandskräftig geworden ist. Die Befristung ist im weiteren Verlauf auch nicht aufgehoben worden. In der vorbehaltlosen Weitergewährung des Pflegegeldes über Januar 2005 hinaus kann keine Verwaltungsentscheidung der Beklagten gesehen werden, die Befristung aufzuheben. Es handelt sich insoweit nicht um einen durch konkludentes Handeln erlassenen Verwaltungsakt, der nach § 33 Abs 1 S 1 SGB X wirksam wäre, weil ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder "in anderer Weise" erlassen werden kann. Damit wird zwar auch konkludentes Handeln der Verwaltung erfasst. Es muss aber stets Anhaltspunkte dafür geben, dass die Behörde die Rechtslage geprüft und eine Verwaltungsentscheidung getroffen hat und auch treffen wollte (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2005, B 3 B 12/04 R, juris Rn 18 mwN). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Beklagte hat die Befristung der Leistungsbewilligung bis Januar 2005 offenbar übersehen und das Pflegegeld ab Februar weiter in der irrigen Annahme überwiesen, die Bewilligungsentscheidung sei in Kraft. Insofern scheidet auch die Möglichkeit der Annahme einer konkludenten Weiterbewilligung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab dem 01.02.2005 aus. Eine Prüfung der Neu - oder Weiterbewilligung des Pflegegeldes hat zu diesem Zeitpunkt nicht stattgefunden. Es fehlte somit zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits seit Februar 2005 an einer aufhebbaren Leistungsbewilligung. Soweit die Bewilligungsentscheidung vom 04.03.2003 gleichwohl gem. § 48 SGB X aufgehoben wurde, erweist sich die angefochtene Entscheidung als gegenstandslos (vgl. BSG aaO).

Darüber hinaus ist der angefochtene Bescheid nach § 43 SGB X in einen die begehrte Leistung ablehnenden Bescheid umzudeuten. Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenen Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind (BSG, aaO, juris Rn 19). Diese Umdeutungsvoraussetzungen liegen vor. Die Beklagte hat aufgrund einer Neubegutachtung des Klägers durch den MDK in einem Nachprüfungsverfahren nach § 18 SGB XI festgestellt, dass die zeitlichen Voraussetzungen des § 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI für die Zuordnung zur Pflegestufe I nicht mehr erfüllt seien und deshalb verfügt, dass Pflegegeld über April 2005 hinaus nicht mehr gewährt wird. Die fehlerhafte Aufhebungsentscheidung steht insoweit der Entscheidung über die Ablehnung eines Leistungsantrags gleich und entspricht von der angeordneten Rechtsfolge her der erkennbaren Absicht der Behörde (§ 43 Abs 2 SGB X), Pflegegeld nicht zu gewähren.

Es liegt auch der nach § 33 Abs. 1 SGB XI erforderliche Leistungsantrag des Klägers vor. Zwar hat er diesen nicht ausdrücklich gestellt. Sein Begehren, auch ab Mai 2005 weiterhin Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu beziehen, hat er jedoch mit hinreichender Deutlichkeit in seinem Widerspruch vom 10.05.2005 gegen den Bescheid vom 05.04.2005 zum Ausdruck gebracht, mit dem die - der Leistungsablehnung gleichstehende - Leistungseinstellung zum 01.05.2005 angeordnet worden war.

Da der angefochtene Bescheid somit in eine wirksame Leistungsablehungsentscheidung umzudeuten ist, erweist sich die ursprünglich erhobene reine Anfechtungsklage als nicht ausreichend. Geboten ist die Auslegung des Klagebegehrens des Klägers als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG, weil im Falle der Rechtswidrigkeit des die Leistung ablehnenden Verwaltungsakts Zahlungen nur aufgrund einer Verurteilung der Beklagten zur Leistung verlangt werden können (BSG, aaO, juris Rn 22).

Die danach zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I über den 30.04.2005 hinaus. Die Voraussetzungen für die Pflegestufe I nach § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 iVm. § 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI sind erfüllt. Nach diesen Vorschriften setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe I voraus, dass er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Außerdem verlangt § 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI, dass der Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, 90 Minuten täglich beträgt, wobei auf die Grundpflege mindestens 45 Minuten entfallen müssen. Für die Zuordnung zur Pflegestufe I ist nur der Umfang des Pflegebedarfs bei den gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen maßgebend, die § 14 Abs 4 SGB XI in die Bereiche der Körperpflege, Ernährung und Mobilität sowie dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung aufteilt.

Ein entsprechender täglicher Hilfebedarf liegt vor. Insbesondere ist ein pflegestufenrelevanter Hilfebedarf in der Grundpflege von mehr als 45 Minuten gegeben. Der entsprechende Hilfebedarf des Klägers betrug bis Ende des Jahres 2008 59 Minuten und ab 2009 54 Minuten. Hiervon ist der Senat aufgrund des nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachtens von Dr. Q sowie der Einlassung der Mutter des Klägers als Pflegeperson im Rahmen der mündlichen Verhandlung überzeugt. Dr. Q hat sein Gutachten nach gründlicher Untersuchung des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher aktenkundiger medizinischer Unterlagen erstattet und ausführlich und überzeugend begründet. Die Einlassung der Mutter des Klägers war durchweg glaubhaft und nachvollziehbar. Insbesondere war ihre Einlassung nicht einseitig darauf gerichtet, einen möglichst hohen Hilfebedarf darzustellen. Vielmehr hat sie nachvollziehbar dargelegt, dass sie sich bemühe, den Kläger möglichst selbständig zu erziehen und entsprechend sogar das Vorliegen solcher Hilfebedarfe verneint, die im Rahmen der Sachverständigengutachten noch zugrunde gelegt wurden. Der Kläger benötigt Hilfe bei der morgendlichen Teilwäsche des Oberkörpers. Seine Mutter hat insofern ausgeführt, sie müsse die ganze Zeit bei der Wäsche des Oberkörpers dabei bleiben, weil sie diese selber durchführe. Dr. Q hat festgestellt, dass der Kläger zwar durchaus in der Lage sei, die Oberkörperwäsche motorisch durchzuführen. Die sorgfältige und erforderliche Körperpflege könne aber nur durch die Anwesenheit einer Pflegekraft gewährleistet werden, da der Kläger aufgrund seiner geistigen Behinderung die Körperpflege unmittelbar beende, sobald die Pflegeperson das Zimmer verlässt. Sowohl der Sachverständige als auch die Mutter haben angegeben, dass die Reinigung teilweise von der Pflegeperson übernommen werde, da dies insgesamt der Beschleunigung gegenüber dauerhafter Motivation und Anleitung dienen würde. Ein Beaufsichtigungsbedarf ist im Rahmen der Grundpflege zu berücksichtigen, wenn die Aufsichtsperson nicht nur verfügbar und einsatzbereit, sondern durch die notwendigen Aufsichtsmaßnahmen - wie bei der Übernahme von Verrichtungen - auch zeitlich und örtlich in der Weise gebunden ist, dass sie vorübergehend an der Erledigung anderer Dinge gehindert ist, denen sie sich widmen würde bzw. könnte (zB Arbeiten aller Art im Haushalt oder Freizeitgestaltung), wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde (vgl. BSG, Urteile vom 24.06.1998, B 3 P 4/97 R und 06.08.1998, B 3 P 17/97 R sowie Beschluss vom 08.05.2001, B 3 P 4/01 B). Der Senat geht davon aus, dass diese Voraussetzungen vorliegen, sodass im Rahmen der Grundpflege auch der Beaufsichtigungsbedarf des Klägers zu berücksichtigen ist. Da dieser jedoch rein motorisch in der Lage ist, bei der Wäsche mitzuwirken, wird ein Hilfebedarf für die Teilwäsche des Oberkörpers von acht Minuten zugrunde gelegt. Aufgrund der Einlassung der Mutter des Klägers wird ein Hilfebedarf für die Teilwäsche Hände/Gesicht von zwei Minuten zugrunde gelegt, da diese im Wesentlichen nur nach der Rückkehr des Klägers aus der Werkstatt erfolgt. Hinsichtlich der Hilfe beim Duschen hat die Mutter des Klägers ausgeführt, dass sie ihm unter die Dusche helfe, Wasser und Temperatur einstelle und daneben stehen bleibe und ihm das Shampo in die Hand gebe, damit er sich die Haare wasche. Auch gebe sie ihm das Duschzeug in den Waschlappen und leite ihn bei der Körperwäsche an. Einen Teil müsse sie nachreinigen. Auch hier ergebe sich das Erfordernis ständiger Aufsicht. Abweichend von dem Gutachten Dr. Q legt der Senat insofern einen Hilfebedarf von 15 Minuten zugrunde, da einerseits der Beaufsichtigungsbedarf des Klägers nach dem oben Gesagtem zu berücksichtigen ist, andererseits aber durchaus ein Restleistungsvermögen besteht. Unter Berücksichtigung des umfassenden Beaufsichtigungsbedarfs bei der Zahnpflege ist insofern ein Hilfebedarf von zehn Minuten täglich für zwei Verrichtungen zu berücksichtigen. Weiterhin besteht aufgrund der nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. Q ein Hilfebedarf beim Kämmen von einer Minute täglich. Hinsichtlich des Rasierens ist aufgrund der Einlassung der Mutter des Klägers von einem umfassenden Hilfebedarf von zehn Minuten täglich auszugehen. Der Senat folgt insofern ihrer Einlassung, dass der Kläger im vollen Umfange rasiert werden müsse, da er sonst das Gesicht voll roter Striemen habe. Diese Einlassung ist aufgrund des Krankheitsbildes plausibel. Für das mundgerechte Portionieren der Nahrung ist ein Hilfebedarf von einer Minute zu berücksichtigen. Für das Ankleiden ein solcher von zwei Minuten, da sich die Hilfestellung auch nach Einlassung der Mutter auf das Bereitlegen der Kleidung beschränkt und der Kläger sich dann selber anzieht. Für den Transfer in die Dusche ist ein Zeitansatz von einer Minute zugrunde zu legen. Schließlich hat der Senat für das Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung im Hinblick auf die ärztlich verordnete Krankengymnastik einen Hilfebedarf von neun Minuten von Mai 2005 bis Ende 2008 und vier Minuten ab 2009 berücksichtigt. Den entsprechenden Hilfebedarf hat Dr. Q in seinem Gutachten überzeugend dargelegt. Nach allem wird die Schnittstelle zur Pflegestufe I mit 45/90 Minuten klar überschritten.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der Gutachten des MDK vom 31.03.2005 und 14.09.2005 sowie der Gutachten von Dr. S vom 08.11.2006 und Dr. L1 vom 03.03.2008. Die Gutachten des MDK vom 31.03.2005 und 14.09.2005 haben zwar das Krankheitsbild des Klägers beschrieben, den konkreten Hilfebedarf für die einzelnen Verrichtungen aber in keiner Weise nachvollziehbar begründet. Dies wird auch dadurch deutlich, dass sich die Zeitwerte für die zu berücksichtigenden Einzelverrichtungen in beiden Gutachten zum Teil völlig unterschiedlich darstellen, indem einerseits unterschiedliche Verrichtungen berücksichtigt, andererseits unterschiedliche Zeitansätze geschätzt wurden, ohne dass dies im Einzelnen begründet wurde. Die Gutachten sind insofern inhaltlich nicht nachvollziehbar. Überdies enthält das Gutachten vom 14.09.2005 keinerlei Ausführungen dazu, wie weit sich der Gesundheitszustand und Hilfebedarf des Klägers gebessert haben soll. Das Gutachten vom 31.03.2005 beinhaltet lediglich den Hinweis, der Kläger habe durch intensive Förderung eine gewisse Selbständigkeit im Bereich der Körperpflege, des Kleidens und der Ernährung erreicht, ohne dies näher zu erläutern und die hierdurch bedingte Einschränkung des Hilfebedarfs gegenüber denjenigen im Jahr 2003 konkret darzulegen.

Auch die durch das Sozialgericht eingeholten Gutachten von Dr. L1 und Dr. S sind nicht geeignet, eine pflegestufenrelevante Änderung des Hilfebedarfs dahingehend zu begründen, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht mehr vorliegen. Das Gutachten von Dr. L1 stellt allein auf die motorischen Fähigkeiten des Klägers ab. Der durch Dr. Q überzeugend dargelegte Beaufsichtigungsbedarf des Klägers wird in keiner Weise berücksichtigt. Auch Dr. S hat in seinem Gutachten den notwendigen Beaufsichtigungsbedarf weitestgehend unberücksichtigt gelassen. Darüber hinaus hat er den Hilfebedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung nicht berücksichtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und, soweit der Beklagten Kosten auferlegt werden, auf § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG in der Fassung vom 01.04.2008. Danach kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Die Beklagte hat den Rechtsstreit fortgeführt, obwohl der Vorsitzende dem Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 09.12.2009 dargelegt hat, dass der geltend gemachte Anspruch besteht, die Fortführung des Verfahrens durch die Beklagte insoweit aussichtslos und die weitere Rechtsverfolgung missbräuchlich ist. Der Vorsitzende hat den Vertreter der Beklagten auf die Möglichkeit der Auferlegung von Kosten bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen. Die grundsätzliche Kostenfreiheit in sozialgerichtlichen Verfahren ist an die Grenze gelangt, wenn die Gerichte - wie hier - sinnlos und über Gebühr in Anspruch genommen werden. Zwar besteht ein Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung, nicht aber ein solcher auf eine kostenfreie gerichtliche Entscheidung. Der Bevollmächtigte der Beklagten konnte aufgrund der Hinweise die Sinnlosigkeit der Fortführung des Verfahrens ohne Weiteres erkennen. Die Fortführung des Verfahrens hat er lediglich mit dem Vorliegen der vier aus Sicht der Beklagten positiven Gutachten begründet, obwohl ihm in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich dargelegt worden ist, dass und warum der Senat diesen Gutachten nicht folgt. Argumente, die die Einlassung der Mutter des Klägers in Frage stellen könnten, hat der Vertreter der Beklagten nicht gebracht, obwohl für ihn aufgrund der mündlichen Verhandlung ersichtlich war, dass der Senat seine Entscheidung im Wesentlichen auch auf diese Einlassung stützen würde. Das Fortführen des Verfahrens stellt sich insofern als rechtsmissbräuchlich dar. Die Höhe der auferlegten Kosten bestimmt sich nach § 192 Abs 1 S 3 iVm. § 184 Abs 2 SGG. Der Senat hat es für angemessen erhalten, der Beklagten Kosten in Höhe von 1.000,00 EUR aufzuerlegen, die den Mindestbetrag von 225,00 EUR übersteigen. Angesichts der oben dargelegten Sachlage ist es gerechtfertigt, der Beklagten durch die Festsetzung von Kosten über den Mindestbetrag hinaus vor Augen zu führen, dass die sinnlose Inanspruchnahme der Gerichte mit erheblichen Kosten verbunden ist. Der festgesetzte Betrag von 1.000,00 EUR entspricht insofern in etwa den Kosten der Absetzung des vorliegenden Urteils und ist daher angemessen.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Rechtskraft
Aus
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