L 9 U 929/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 1566/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 929/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente und Leistungen zur Teilhabe wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. Januar 2003.

Der 1975 geborene Kläger war seit Oktober 2002 bei der Luhrhaus GmbH als Zimmerermeister beschäftigt. Am 9. Januar 2003 schoss er sich bei Holznagelarbeiten mit einem Nagelschussgerät einen Nagel in den linken Oberschenkel. In der Klinik für Unfall- und Handchirurgie des H.-K. wurde der Nagel entfernt und eine diagnostische Kniegelenks-Arthroskopie und Spülung durchgeführt. Am 15. Januar 2003 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen; die Diagnose lautete: Nagelschuss-Verletzung linkes Kniegelenk (mit arthroskopisch gesicherter Knorpelverletzung an der Kondylenrolle/retropat. Gleitlager - DA-Bericht vom 10. Januar 2003 und Bericht vom 14. Januar 2003 von Chefarzt PD Dr. P.). Ab 10. März 2003 bescheinigte PD Dr. P. Arbeitsfähigkeit und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) über die 26. Woche nach dem Unfall auf unter 20 v.H. (Mitteilung vom 7. März 2003 und Bericht vom 18. März 2003).

Am 27. Juni 2003 stellte sich der Kläger erneut bei PD Dr. P. vor, der Belastungsbeschwerden des linken Kniegelenks mit Verdacht auf Knorpelschaden des lateralen femeropatellaren Gleitlagers sowie der patellaren Rückfläche und eine deutliche Oberschenkelmuskelatrophie diagnostizierte und eine Arthroskopie vorschlug (Bericht vom 27. Juni 2003). Bei einer weiteren Vorstellung am 2. Juli 2003 empfahl PD Dr. P. einen Muskelaufbau des linken Oberschenkelmuskels und am 9. September 2004 - wegen persistierender Schmerzen und Instabilität des linken Kniegelenks - erneut eine Arthroskopie.

Am 29. Oktober 2004 stellte sich der Kläger in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen vor. Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Klinik, führte im Bericht vom 4. November 2004 aus, der Kläger habe beschwerdebedingt seinen ursprünglichen Beruf als Zimmermannmeister verloren und sei nur noch als Hilfsarbeiter auf dem Bau täglich. Er gebe Restbeschwerden im linken Kniegelenk insbesondere beim Hinabgehen der Treppe, unter Belastung und bei Beugung an. Vom 14. März bis 18. März 2005 wurde der Kläger stationär in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen behandelt, wo am 15. März 2005 eine Arthroskopie und Mikrofrakturierung vorgenommen wurde. In der Stellungnahme vom 8. April 2005 teilten Prof. Dr. W. und Dr. St. mit, sie gingen davon aus, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit als gelernter Zimmerermeister wieder aufnehmen könne. Allerdings sei diese Einschätzung so früh nach der Operation nur eingeschränkt verwertbar. Die berufliche Wiedereingliederung sollte über eine Belastungserprobung erfolgen. Eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß könne vorübergehend vorliegen. Im Zwischenbericht von 24. Mai 2005 führte Prof. Dr. W. aus, die Behandlung sei nunmehr abgeschlossen; ab 1. Juni 2005 bestehe vollschichtige Arbeitsfähigkeit, der Kläger sollte sich beim zuständigen Arbeitsamt arbeitslos melden. Nachdem die Beklagte einen Betrieb gefunden hatte, in dem der Kläger eine Belastungserprobung als Zimmermannmeister hätte durchführen können, erklärte Prof. Dr. W. unter dem 6. Juni 2005, die Belastungserprobung könne am 15. Juni 2005 mit einer täglichen Stundenzahl von vier Stunden für drei Wochen, dann sechs Stunden für weitere drei Wochen durchgeführt werden. Ständiges Gehen und Stehen sowie Steigen auf Leitern und Gerüste bzw. Dachschrägen, Gehen auf unebenem Boden sowie Heben und Tragen schwerer Lasten sollte für die Zeit der beruflichen Wiedereingliederung vermieden werden. Ob der Kläger seine Tätigkeit als Zimmerermeister weiterhin vollschichtig ausüben könne, bleibe abzuwarten. In der Stellungnahme vom 13. Juli 2005 vertrat Prof. Dr. W. die Ansicht, er gehe davon aus, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit als gelernter Zimmerermeister wieder aufnehmen können werde. Dies beinhalte auch das Besteigen von Leitern und Gerüsten, Klettern auf Dächern, Heben und Tragen von Lasten über 20 kg sowie Gehen auf unebenem Boden u.ä. Zur Kontrolle des Ergebnisses der Mikrofrakturierung empfehle er eine Kernspintomographie des betroffenen Kniegelenks.

Der Orthopäde Dr. A. stellte im Gutachten vom 8. August 2005 beim Kläger folgende Unfallfolgen fest: Posttraumatischer Knorpelschaden im linken Femoropatellargelenk, endgradige Beugeeinschränkung im linken Knie von 10°, reizlos abgeheilte Arthroskopienarben. Die MdE betrage vom 11. März 2003 bis 15. März 2006 20 v.H., danach voraussichtlich 10 v.H. Seine jetzige Tätigkeit als Lkw-Fahrer könne der Kläger weiterhin ausüben. Der Einsatz in seinem früheren Beruf als Zimmerermeister mit wiederholtem Besteigen von Leitern und Gerüsten sowie mit Gehen auf Dächern sei nicht mehr zumutbar.

Am 9. November 2005 stellte sich der Kläger mit MRT-Bildern in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen vor. Prof. Dr. W. gelangte im Zwischenbericht vom 15. November 2005 zum Ergebnis, im MRT finde sich kein Nachweis eines höhergradigen Knorpelschadens im medialen Kniegelenkskompartiment sowie im patellofemolaren Gleitlager. Der Kläger sei in seinem Beruf als Zimmermann uneingeschränkt arbeitsfähig und wettbewerbsfähig. Die im Rentengutachten festgestellte MdE und die HinW. zur Einschränkung der Arbeitsfähigkeit seien nicht nachvollziehbar.

Mit Bescheid vom 25. November 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ein Anspruch auf Rente und auf Leistungen zur Teilhabe bestehe nicht. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2006 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 16. März 2006 Klage zum Sozialgericht (SG) Konstanz, mit der er die Gewährung von Rente nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) VII begehrte. Mit Beschluss vom 21. April 2006 verwies das SG Konstanz den Rechtsstreit an das SG Reutlingen.

In der mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2007 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente nach dem SGB VII sowie die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Mit Urteil vom 24. Januar 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, beim Kläger liege ab Eintritt der Arbeitsfähigkeit (1. Juni 2005) keine unfallbedingte MdE um 20 v.H. vor. Soweit Dr. A. im Gutachten vom 8. August 2005 eine unfallbedingte MdE um 20 v.H. noch für die Dauer eines Jahres seit dem operativen Eingriff vom 15. März 2005, also bis März 2006, angenommen habe, lasse sich dies im Hinblick auf die von ihm bei seiner Untersuchung am 2. August 2005 erhobenen Befunde, wie sie im Gutachten vom 8. August 2005 beschrieben seien, nicht nachvollziehen, wie auch die Ärzte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen in ihrem Bericht vom 15. November 2005 zutreffend bemerkt hätten. Nach den in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. Seite 724 dargestellten Erfahrungswerten bedinge eine Bewegungseinschränkung des Kniegelenks bei Streckung/Beugung von 0/0/120° eine MdE um 10 v.H. und von 0/0/90° eine MdE um 20 v.H. Beim Kläger habe das Bewegungsausmaß im linken Kniegelenk hinsichtlich Beugung/Streckung 130/0/0° betragen und rechts 140/0/0°. Auch soweit der Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben begehre, sei die Klage unbegründet. Bis zu der erfolgreichen Mikrofrakturierung vom 15. März 2005 mit anschließender Rekonvaleszenz, die im Wesentlichen am 1. Juni 2005 abgeschlossen gewesen sei, sei der Kläger in der Ausübung seines erlernten Berufs als Zimmermann durch die Unfallfolgen deutlich beeinträchtigt gewesen und es sei ihm insofern auch nicht möglich gewesen, diesen wettbewerbsfähig ausüben. Ab 1. Juni 2005 seien die Unfallfolgen soweit abgeheilt gewesen, dass ihm auch wieder in zunehmendem Maße ständiges Gehen und Stehen sowie Steigen auf Leitern und Gerüsten bzw. Dachschrägen wie auch Gehen auf unebenem Boden und Heben und Tragen von schweren Lasten möglich gewesen sei. Das SG stütze sich hierfür auf die Einschätzungen von Prof. Dr. W. vom 6. Juli 2005 und 15. November 2005. Die abweichende Beurteilung von Dr. A. finde in den objektiven Befunden keine hinreichende Grundlage. Im Übrigen habe Dr. A. eine Umschulung auch nicht für zwingend erforderlich gehalten, sondern lediglich eine dahingehende Empfehlung abgegeben. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 16. Februar 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Februar 2007 Berufung eingelegt und vorgetragen, er sei im Herbst 2005 im Kreiskrankenhaus Tuttlingen radiologisch untersucht worden. Dabei sei ihm mitgeteilt worden, dass eine nicht ausgeheilte Knorpelverletzung vorliege.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Januar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten von 25. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente nach dem SGB VII sowie dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuW.n.

Der Senat hat den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. K. als sachverständigen Zeugen gehört (Auskunft vom 14. September 2007), den MRT-Befund des linken Kniegelenks vom 4. November 2005 beigezogen und nach Beiziehung von Röntgen-Bildern und einer CD vom Kläger bei Prof. Dr. W. eine gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage eingeholt.

Prof. Dr. W. hat in der gutachterlichen Stellungnahme vom 15. April 2008 ausgeführt, ausgehend von dem von Dr. A. erhobenen Befund vom August 2005 sei der Kläger in der Lage, als Zimmerer/Zimmerermeister vollschichtig zu arbeiten. Die endgradige Beugeeinschränkung im linken Kniegelenk von 10° stelle keine wesentliche Einschränkung dar. Bezüglich des bestehenden Knorpelschadens liege ein Arthroskopie-Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen vom 4. März 2005 vor. Der 3 mm durchmessende rundliche Defekt (hervorgerufen durch die Verletzung mit dem Bolzenschussapparat) stelle bei gut und stabil erhaltenen Knorpelrändern eine nahezu irrelevante Knorpelschädigung dar, so dass die Entwicklung einer posttraumatischen Arthrose als sehr unwahrscheinlich anzusehen sei. Die CD der Kernspintomographie vom 4. November 2005 zeige in den knorpelsensitiven Sequenzen eine minimale Signalanhebung im femoropatellaren Gleitlager bei erhaltener Knorpeloberfläche. Die Knorpelbeschaffenheit erscheine altersentsprechend und normal, ohne Zeichen einer posttraumatischen Arthrose. Eine MdE aufgrund der Unfallfolgen bestehe nicht.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat den Orthopäden Dr. St. mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser ist im Gutachten vom 4. September 2008 zum Ergebnis gelangt, als Unfallfolge liege eine Knorpelschädigung der äußeren Oberschenkelrolle und damit eine Minderbelastbarkeit des Kniescheibengleitlagers mit Einschränkung der Streck/Beugebelastung vor. Außerdem bestünden eine Muskelminderung des linken Oberschenkels und belastungsabhängige Reizzustände. Die Tätigkeit eines Zimmerermeisters könne der Kläger seit dem Unfall ohne Gefahr auf Verschlimmerung nicht verrichten, da sie mit Treppen- und Leitersteigen, meist unter Körpergewichtsbelastung, sowie mit knienden und hockenden Arbeiten verbunden sei. Die MdE betrage ab 11. März 2003 20 v.H. Die zuletzt angefertigte kernspintomographische Untersuchung des Kniegelenks belege, dass der Knorpels erheblich ausgedünnt und die Grenzlamelle zum Knochen noch arrodiert sei. Dies müsse als posttraumatische Arthrose angesehen werden, weswegen die durch die Bewegungseinschränkung (Beugebehinderung des linken Knies 20°) und Muskelminderung des linken Oberschenkels (bis 2 cm) bedingte MdE von 10 v.H. auf 20 v.H. anzuheben sei.

Nachdem Dr. B. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 8. Oktober 2008 die Einholung eines aktuellen MRT vorgeschlagen und Dr. St. in der Stellungnahme vom 18. November 2008 dazu die radiologische Abteilung der Universitätsklinik Tübingen vorgeschlagen hatte, hat der Senat bei Prof. Dr. C., Ärztlicher Direktor der Radiologischen Klinik der Universitätsklinik Tübingen, ein Gutachten vom 12. März 2009 eingeholt. Darin hat dieser ausgeführt, nach erfolgter Mikrofrakturierung sei von einem subtotalen Wiederaufbau des ehemals traumabedingt lazerierten Knorpels auszugehen. Eine Femoropatellargelenkarthrose habe sich im längerfristigen Verlauf nicht entwickelt.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 20. Juli 2009 hat Dr. St. ausgeführt, da nach 4½ Jahren noch ein Reizerguss im verletzten Knie und eine Umfangsdifferenz im Oberschenkel bis zu 2 cm bestehe, sei eine volle und normale Belastbarkeit des linken Beines nicht möglich. Seines Erachtens verbleibe eine MdE um 20 v.H.

In den ergänzenden Stellungnahmen vom 15. April und 9. September 2009 hat Dr. B. die Auffassung vertreten, es habe sich ein gutes Knorpelregenerat entwickelt. Hinweise auf eine beginnende Arthrose lägen nach vier Jahren nicht vor. Bei Ausübung der Tätigkeit eines Zimmermanns sei ein vorzeitiger Verschleiß nicht zu erwarten; lediglich eine tiefe Hocke sei nicht möglich. Die MdE liege unter 20 v.H. Der Gelenkerguss sei so minimal, dass er sogar im MRT als diskret bezeichnet worden sei.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Verletztenrente sowie auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 9. Januar 2003 hat.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verB.iche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Unter Zugrundelegung der oben genannten Maßstäbe hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente, da der Arbeitsunfall vom 9. Januar 2003 nach Wegfall der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und über die 26. Woche hinaus keine MdE von mindestens 20 v.H. hinterlassen hat. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Bericht von PD Dr. P. vom 18. März 2003, den von Dr. A. im Gutachten vom 8. August 2005 beschriebenen Befunden, dem Zwischenbericht von Prof. Dr. W. vom 15. November 2005, der gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. W. vom 15. April 2008 sowie den von Dr. St. im Gutachten vom 4. September 2008 beschriebenen Befunden, dem Gutachten von Prof. Dr. C. vom 12. März 2009 und den beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. B. vom 15. April und 9. September 2009.

Als Folgen des Arbeitsunfalls vom 9. Januar 2003, bei dem sich der Kläger mit einem Nagelschussgerät einen Nagel in den linken Oberschenkel geschossen hat und der am selben Tag im H.-Klinikum entfernt worden ist, liegen beim Kläger noch eine endgradige Beugeeinschränkung im linken Knie von 10° (so Gutachten Dr. A. vom 8. August 2005) bzw. 15° (so Gutachten Dr. St. vom 4. September 2008) und eine Muskelminderung des linken Oberschenkels bis zu 2 cm (so Gutachten Dr. St., während eine solche bei der gutachterlichen Untersuchung von Dr. A. nicht vorlag) sowie ein Knorpelschaden am linken Femoropatellargelenk vor. Zum Zeitpunkt des MRT vom 4. November 2005 - nach durchgeführter Mikrofrakturierung - zeigte sich ein lazerierter hyaliner Knorpel und kein minderwertiger Faserknorpel. Im langfristigen Verlauf war im MRT vom 27. Februar 2009 ein Wiederaufbau des Knorpels feststellbar, welcher nur noch einen erstgradigen Restdefekt aufweist. Eine Femoropatellargelenksarthrose vermochte Prof. Dr. C. nicht zu bestätigen, und auch kein Frühstadium einer Arthrose, wie der Senat seinem Gutachten vom 12. März 2009 entnimmt.

Angesichts dessen vermag den Senat die Beurteilung von Dr. St. vom 4. September 2008 nicht zu überzeugen, der von einer MdE um 10 v.H. für die Bewegungseinschränkung und Muskelminderung ausgeht und eine Erhöhung auf 20 v.H. aufgrund der Minderbelastbarkeit des Knorpels und der Arthroseentwicklung im verletzten äußeren Oberschenkelrollenbereich annimmt. Eine Arthrose liegt jedoch nicht vor, wie sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. C. ergibt; vielmehr hat sich der Knorpel gut (subtotal) regeneriert. Soweit Dr. St. in der Stellungnahme vom 20. Juli 2009 nunmehr zur Begründung der von ihm geschätzten MdE um 20 v.H. auf den Reizerguss abstellt, ist dieser - wie Dr. B. in der Stellungnahme vom 9. September 2009 zu Recht ausführt - so minimal, dass er sogar im MRT als diskret bezeichnet wird. Funktionseinschränkungen, die auf diesen minimalen Reizerguss zurückzuführen sind, lassen sich den Ausführungen von Dr. St. nicht entnehmen. Soweit Dr. A. die MdE auf 20 v.H. einschätzt, folgt der Senat dem - ebenso wie das SG - nicht, da er keinen Grund angegeben hat, warum bei einer lediglich endgradigen Beugeeinschränkung des linken Knies von 10° - und ohne Muskelminderung - eine MdE um 20 v.H. abweichend von der unfallmedizinischen Literatur gegeben sein soll. Auf die Ausführungen im Urteil des SG hierzu wird Bezug genommen und von einer weitergehenden Begründung gemäß § 153 Abs. 2 SGG abgesehen. Im Übrigen ging auch Dr. A. davon aus, dass die MdE ab 15.3.2006 voraussichtlich mit 10 v.H. zu bewerten sein würde.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Nach Ansicht des Senats ist die Ablehnung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 77 SGG bindend geworden. Im Bescheid vom 25. November 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2006 sind zwei Verfügungssätze enthalten: 1. Ablehnung der Rente 2. Ablehnung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Lediglich gegen die Ablehnung der Rentengewährung hat sich der Kläger mit der fristgerecht am 16. März 2006 beim SG Konstanz eingegangenen Klage gewandt, mit der er die Feststellung der MdE und die Gewährung von Rente begehrte. Innerhalb der einmonatigen Klagefrist hat der anwaltlich vertretene Kläger keinen Klagantrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gestellt und auch keine Ausführungen gemacht, aus denen sich ein solches Begehren ergeben würde, so dass die Ablehnung insoweit bestandskräftig geworden ist.

Aber selbst wenn man die Klage auch auf die Ablehnung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beziehen könnte, wäre die Berufung nicht begründet. Das SG hat die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zutreffend dargelegt. Hierauf nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug und kommt - ebenso wie das SG - zum Ergebnis, dass der Kläger jedenfalls seit dem 15. Juni 2005 nicht gehindert war, seinen erlernten Beruf als Zimmerermeister wettbewerbsfähig auszuüben. Die Überzeugung des Senats beruht auf den Ausführungen von Prof. Dr. W. im Zwischenbericht vom 15. November 2005 sowie in der gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 15. April 2008, dem Gutachten von Prof. Dr. C. vom 12. März 2009 sowie den Stellungnahmen von Dr. B. vom 15. April und 9. September 2009.

Wie oben dargelegt liegt beim Kläger lediglich eine Beugeeinschränkung des linken Kniegelenks von 10° bzw. 15° gegenüber rechts vor. Dies stellt keine wesentliche Einschränkung der Knie¬gelenksbeweglichkeit dar, sondern führt lediglich dazu, dass die tiefe Hocke nicht eingenommen werden kann. Die Beurteilung von Prof. Dr. W. in der Stellungnahme vom 15. April 2008, wonach aufgrund der Knorpelverhältnisse die Entwicklung einer posttraumatischen Arthrose unwahrscheinlich sei, wird durch das Ergebnis des MRT vom 27. Februar 2009 und das radiolo¬gische Gutachten von Prof. Dr. C. bestätigt. Danach konnte keine Femoropatellar-gelenksarthrose und auch kein Frühstadium einer Arthrose festgestellt werden. Vielmehr hat sich nach der Mikrofrakturierung der Knorpelschaden deutlich gebessert und es ist zu einem subtotalen Aufbau des Knorpels gekommen. Angesichts dessen hält der Senat die Be¬urteilungen von Professor Dr. W. und Dr. B. für nachvollziehbar und überzeugend, dass der Kläger zumindest seit 15. Juni 2005 nicht gehindert ist, als Zimmerermeister zu arbeiten. Überzeugende Gründe, die dagegen sprechen würden, lassen sich aus dem Gutachten von Dr. A. und Dr. St. nicht entnehmen.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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