L 4 KA 70/09 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 235/09 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 70/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 2. Juli 2009 aufgehoben.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 17. April 2009 gegen den Bescheid vom 17. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2009 wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.

Der Streitwert wird auf 11.517,69 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Vollziehbarkeit eines Honorarberichtigungsbescheids für die Quartale II/2005 bis III/2006.

Der Antragsteller war seit 18. April 1995 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und nahm seit 1. Januar 1996 als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung im hausärztlichen Bereich teil. Nach Ablauf des 3. Quartals 2006 beendete er seine vertragsärztliche Tätigkeit. Vor seinem Ausscheiden bezog er zuletzt für das Quartal II/2005 eine Honorar in Höhe von 57.016,19 EUR und für das Quartal III/2005 in Höhe von 60.490,08 EUR, für die Quartale IV/2005 in Höhe von 57.012,47 EUR, für das Quartal I/2006 in Höhe von 51.079,22 EUR, für das Quartal II/2006 in Höhe von 50.466,98 EUR beziehungsweise für das Quartal III/2006 in Höhe von 50.019,64 EUR.

Die Antragsgegnerin führte für die streitbefangenen Quartale eine Plausibilitätsprüfung durch und übersandte dem Antragsteller mit Schreiben vom 1. Februar 2008 die zeitbezogenen Abrechnungsergebnisse für die Quartale II/2005 bis III/2006 unter Erläuterung der Ermittlung der Zeitprofile.

Mit Schreiben vom 17. Februar 2008 führte der Antragsteller hierzu aus, dass er in seiner Praxis sehr viele Patienten gehabt habe, die aufgrund ihrer allergischen Diathese behandelt worden seien. Die Allergiebehandlung und -therapie sei ein wesentlicher Schwerpunkt der Praxis gewesen. Nach der neuen Gebührenordnung sei für die Hypersensibilisierung ein Zeitfaktor angesetzt, der zu hoch sei. Die Allergiebehandlung in seiner früheren Praxis sei überwiegend von seiner Frau durchgeführt worden, die examinierte Kinderkrankenschwester sei. Seine Frau habe die Dosierung bestimmt, die Spritzen aufgezogen und - nachdem er selber die Injektion verabreicht hätte - die nachfolgende Überwachung des Patienten durchgeführt. Seine Arbeitszeit sei auf die alleinige Verabreichung der Injektion beschränkt gewesen, hierfür benötige man eine Minute, nicht aber 30 Minuten. Außerdem habe er in seiner Praxis einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Ausländern behandelt, der bei gut 90% gelegen habe. Die Erklärungen über die Erkrankung und deren Therapie hätten teilweise in der entsprechenden Landessprache durchgeführt werden müssen. Dies sei ebenfalls durch seine Frau unter Zuhilfenahme eines Übersetzers erfolgt. Auch hier seien Bewertungszeitfaktoren angefallen, die der Arbeitszeit des Arztes nicht direkt angelastet werden könnten. Aufgrund des hohen Ausländeranteils habe er auch einen hohen Anteil von Kindern mit einem Vitamin D-3-Mangel in Behandlung gehabt. Hier seien Ernährungsberatungen erforderlich gewesen, die in der Regel durch seine Frau getätigt worden seien. Auch bei den Patienten mit Nahrungsmittelallergien habe seine Frau die entsprechenden Ernährungsberatungen durchgeführt. Alle Beratungszeiten seiner Frau hätten sich natürlich in dem Zeitprofil des Arztes widergespiegelt und könnten so zu einer Verzerrung führen. Darüber hinaus hätten 2006 einige Kollegen, die sich überlegt hätten, die Praxis zu übernehmen, mitgearbeitet, um einen Einblick in die Arbeit zu erhalten. Damit habe praktisch ein zweiter Arzt bei der Versorgung der Patienten mitgeholfen. Auch hier gehe der entstandene Zeitfaktor zulasten des Praxisinhabers.

Mit Bescheid vom 17. Juli 2008 setzte die Antragsgegnerin die Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 34.712,06 EUR netto aufgrund einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen für die Quartale II/2005 bis III/2006 fest. Zur Begründung führte sie aus, die regelhafte Plausibilitätsprüfung erstrecke sich auf die Feststellung von Abrechnungsauffälligkeiten durch Überprüfung des Umfangs der abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand (Prüfung nach Zeitprofilen). Hierfür würden primär die im Anhang 3 zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgeführten Prüfzeiten für die ärztlichen Leistungen zu Grunde gelegt. Für jeden Tag der ärztlichen Tätigkeit werde im Hinblick auf die angeforderten Leistungen gleichrangig ein Tageszeitprofil und ein Quartalszeitprofil ermittelt. Betrage bei Vertragsärzten, die auf der Grundlage der Prüfzeiten ermittelte arbeitstägliche Zeit bei Tageszeitprofilen an mindestens drei Tagen im Quartal mehr als 12 Stunden oder im Quartalszeitprofil mehr als 780 Stunden, erfolgten weitere Überprüfungen. Diese hätten zum Ziel, mithilfe ergänzender Tatsachenfeststellungen und Bewertungen festzustellen, ob gegen die rechtliche Ordnungsmäßigkeit verstoßen worden sei. Die Berechnungsergebnisse der Praxis des Antragstellers hätten bezogen auf die Grenzwerte folgender Zeitwerte ergeben:

Quartalsübersicht
Quartal Anzahl Tage ) 12 Stunden Anzahl Tage ) 16 Stunden Zeitsumme Quartalsprofil
II/2005 46 22 1.240:49
III/2005 33 4 1.163:09
IV/2005 42 15 1.147:00
I/2006 45 21 1.259:21
II/2006 31 9 1.057:22
III/2006 21 4 1.029:13

Tagesübersicht (Beispiele)
Behandlungstag Zeitergebnis
01.04.1005 20:30
02.05.2005 17:13
30.05.2005 21:41
01.07.2005 16:53
04.07.2005 18:54
19.09.2005 17:02
04.10.2005 25:26
06.10.2005 174:53
10.10.2005 16:46
02.01.2006 28:25
09.01.2006 18:29
13.01.2006 16:07
16.01.2006 20:15
23.01.2006 17:11
03.04.2006 22:55
10.04.2006 20:40
02.05.2006 19:26
06.06.2006 20:14
03.07.2006 21:31
04.07.2006 17:04
10.07.2006 17:14

Der obligaten Leistungsinhalt in der Nr. 30130 EBM 2000plus bestehe in der Hyposensibilisierungsbehandlung durch subkutane Allergieinjektion(en) und Nachbeobachtung von mindestens 30 Minuten Dauer. Diese Leistung gehe mit einer Prüfzeit von 3 Minuten und nicht 30 Minuten sowohl in das Tages- als auch in das Quartalsprofil ein. Die Nachbeobachtungszeit von 30 Minuten werde aber nicht dem Arztzeitprofil angerechnet. Die Beobachtung bzw. Nachbereitung könne durchaus von einer examinierten Krankenschwester übernommen werden. Im Zusammenhang mit den Beratungszeiten sei festzustellen, dass der Anteil von Gesprächsleistungen nach der Nr. 04120 EBM 2000plus mit einer Dauer von mindestens 10 Minuten in dem Tagesprofil des Antragstellers sehr hoch sei. So seien am 4. April 2005 9 Stunden 30 Minuten, am 11. April 2005 8 Stunden 30 Minuten, am 30. Mai 2005 11 Stunden und am 6. Juni 2005 9 Stunden 10 Minuten allein für Gesprächsleistungen abgerechnet worden. Unter Hinzurechnung weiterer tagesbezogener Einzelleistungen ergäben sich Gesamtarbeitszeiten bis zu 21 Stunden und 41 Minuten (am 30. Mai 2005) im Quartal II/2005. Am 4. Oktober 2005 weise das Tageszeitprofil eine Zeit von 25 Stunden 26 Minuten und am 2. Januar 2006 von 28 Stunden 25 Minuten aus. Diese Zeiten seien irreal und auch nicht durch eine etwaige erhöhte Gesprächsnotwendigkeit bei ausländischen Patienten zu begründen. Hinsichtlich der Angabe, dass zeitweise ärztliche Kollegen in der Praxis mitgearbeitet hätten, hätten die Überprüfungen ergeben, dass in dem angegebenen Zeitraum keine Genehmigung zur Beschäftigung eines angestellten Arztes, eines Assistenten oder eines Jobsharing-Partners für die Praxis des Antragstellers vorgelegen habe.

Mit Schreiben vom 29. Juli 2008 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein und führte unter Vorlage eines Schreibens der Firma XY. Ärzteservice Product GmbH Co KG vom 14. Februar 2008 zur Begründung aus, dass zwischen den Zeitangaben der Antragsgegnerin und den Zeitprofilen der Praxis ganz erhebliche Unterschiede bestünden. Diese Diskrepanzen seien seit einer gewissen Zeit sowohl bei der Softwarefirma XY. als auch bei der Antragsgegnerin hinreichend bekannt gewesen. Der Grund hierfür liege in einer Falschinformation der Kassenärztlichen Bundesvereinigung an alle Softwarefirmen in Deutschland. Er habe im Jahr 2005 die Softwarefirma gewechselt, beide Programme hätten jedoch die gleichen Ergebnisse im Tagesprofil angezeigt. Die von ihm abgerechneten Leistungen habe er erbracht und sie seien auch medizinisch notwendig gewesen. Er habe sich bei der Berechnung der Tagesprofile auf die Anzeige seiner Praxis-EDV verlassen und habe dabei die zulässige Zeit nicht überschritten. Für fehlerhafte Lieferungen von Softwareprogrammen der KBV könne der einzelne Arzt nicht in Regress genommen werden, zumal ihm eine derartig fehlerhafte Lieferung bis dazu völlig unbekannt gewesen sei. Nach Aussage der Softwarefirma seien in vergleichbaren anderen Fällen die Verfahren eingestellt worden. Der Ansatz für eine Allergiespritze sei auch mit drei Minuten noch zu hoch. Wenn er dies besser organisieren könne, dürfe dies nicht zu seinen Lasten gehen. Der Zeitfaktor hierfür dürfe nur mit 30 Sekunden angegeben werden. Die Praxis in E-Stadt sei räumlich so aufgeteilt gewesen, dass die Beratungsleistungen durch seine Frau von ihm immer hätten eingehend kontrolliert werden können.

Mit Schreiben vom 3. Januar 2009 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung.

Mit Schreiben vom 21. Januar 2009 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass die Ordinationsgebühr eine nur einmal im Quartal berechnungsfähige Pauschale sei. Die im EBM hinterlegten Prüfzeiten würden im Quartalsprofil erfasst. Werde allerdings der Ordinationsgebührkomplex neben diagnostischen bzw. therapeutischen Leistungen abgerechnet, sei dafür eine Dauer der Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 20 Minuten Voraussetzung. In einem solchen Fall werde der Ordinationsgebührkomplex zusätzlich mit 10 Minuten im Tagesprofil erfasst. Diese Regelung verifiziere sich aus der Fußnote des EBM 2005 für den Ordinationskomplex der Fachgruppe des Antragsstellers. Im Rahmen der Prüfungsaktivitäten habe die Antragsgegnerin mit diversen Softwarefirmen in Kontakt gestanden und dabei festgestellt, dass die zuvor zitierten Fußnoten des EBM 2005 mehrheitlich dort sehr wohl korrekt verstanden und umgesetzt worden seien. Wenn bei der Firma XY. eine entsprechende Umsetzung nicht stattgefunden habe, sei das weder der KBV noch der Antragsgegnerin anzulasten. Beim Antragsteller seien Tagesprofile mit weit über 24 Stunden aufgelaufen. Unterstellt, dass alle an diesen Tagen aufgelaufenen Prüfzeiten für abgerechnete Ordinationskomplexe subtrahiert worden wären, würden sich die verbleibenden Zeitüberschreitung auch noch in einem solch erheblichen Ausmaß darstellen, dass die Plausibilität der Abrechnung nicht hätte festgestellt werden können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2009 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück und lehnte den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids ab. Die für die streitgegenständlichen Quartale erstellten Tageszeitprofile führten den Indizienbeweis, dass die Abrechnung des Antragstellers fehlerhaft sei. In einem Quartal habe der Antragsteller Tagesprofile von über 18 Stunden, teilweise sogar von über 24 Stunden erreicht. Hierzu komme die hohe Anzahl der Tage im Quartal mit über 12 beziehungsweise über 16 Stunden Behandlungszeit. Danach hätte der Antragsteller regelmäßig Kinder von z.B. 6:00 Uhr morgens ununterbrochen (d.h. ohne die Zeit für Pausen, für die Behandlung von Privatpatienten, für die Anweisung und Überwachung von Praxispersonal, für den Wechsel zwischen den Räumen) bis in den späten Abend behandelt. Diese Arbeitszeiten könne er tatsächlich nicht erbracht haben, daraus folge der Schluss, dass keine korrekte Abrechnung vorliege. Es sei für die Plausibilitätsprüfung nicht entscheidend, ob der Antragsteller sich auf die Angaben seines Softwareprogramms verlassen habe, sondern ob er die abgerechneten Leistungen zeitlich tatsächlich erbracht habe. Der Einwand, der angesetzte Zeitfaktor von 3 Minuten für die Verabreichung einer Allergiespritze sei zu hoch, überzeuge nicht. In die Prüfzeit werde nur die Zeit eingerechnet, die ein Tätigwerden des Arztes selber voraussetze. Zudem seien diese Zeiten so bemessen, dass auch ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen könne. Daraus folge, dass die Zeit für delegationsfähige Leistungen gar nicht in die Prüfzeit eingerechnet werde. Betrachte man, wie häufig die Nr. 30130 EBM 2005 in den geprüften Quartalen am Tag abgerechnet worden seien, so falle auf, dass in den Quartalen II/2005, III/2005, II/2006 und III/2006 diese Leistungen im geringen Umfang erbracht worden sei (zwischen null und fünfmal am Tag). Selbst wenn nur 30 Sekunden als Prüfzeit für diese Leistung anzunehmen sei, würde nur ein unwesentlicher Teil der Überschreitungszeit im Tagesprofil erklärt werden. Gleiches gelte auch für die Quartale IV/2005 und I/2006, in denen die Leistungsziffer häufiger am Tag abgerechnet worden sei (zwischen ca. 10 und 24mal). Im Übrigen gebe es auch Tage, an denen die Ziffer häufig abgerechnet worden sei, aber dennoch keine oder nur geringe Tagesprofilüberschreitungen vorlägen. Mit seinem Vortrag, dass seine Ehefrau die Beratung bei Nahrungsmittelallergien und Vitamin D-3-Mängeln sowie Ausländern durchgeführt habe, gebe der Antragsteller Verstöße gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung sowie gegen die Legende der Nr. 04120 EBM 2005 zu. Diese Leistung könne nicht auf nichtärztliches Personal delegiert werden. Nach § 15 Abs. 1 S. 2 BMV-Ä/§ 14 Abs. 1 EKV zählten nur die von genehmigten Assistenten und angestellten Ärzten gemäß § 32b Ärzte-ZV erbrachten ärztlichen Leistungen zu den persönlichen Leistungen des Vertragsarztes. Wie der Antragsteller selbst zugegeben habe, seien die Interessenten für die Praxis weder genehmigte Assistenten noch angestellte Ärzte gewesen. Folglich habe er diese Leistung nicht als von ihm persönlich erbrachte Leistungen abrechnen und dies mit der Sammelerklärung bestätigen dürfen. Er habe hier vorsätzlich Leistungen als persönlich erbrachte Leistungen angegeben und dies mit der Sammelerklärung bestätigt, die tatsächlich von anderen Personen erbracht worden seien. Dies führe dazu, dass die auf den nicht ordnungsgemäßen Sammelerklärungen beruhenden Honorarbescheide falsch seien und aufgehoben würden. Für die Neuberechnung des Honorars stehe der Antragsgegnerin ein weites Schätzungsermessen zu. Ermessensfehler oder Fehler bei der Berechnung seien hier nicht ersichtlich. Insbesondere sei die gewählte Berechnungsmethode nicht zu beanstanden, da die Rückforderung sich an dem Verhältnis zwischen plausiblen Zeiten und Überschreitung der plausiblen Zeit orientiere und dieses Verhältnis auf das erwirtschaftete Honorar übertrage. Angesichts des eigenen Vortrags des Antragstellers und erhöhter Tageszeitprofile müsse davon ausgegangen werden, dass mindestens eine weitere Person Leistungen wie ein zweiter Arzt erbracht habe. Von daher sei es gerechtfertigt, in den geprüften Quartalen die Honorare zu 50% zurückzufordern. Demgegenüber falle die hier vorliegende Rückforderung, die sich nur an den überschreitenden Zeiten orientiere, zu seinen Gunsten deutlich geringer aus.

Gegen den ihm am 14. April 2009 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Antragsteller am 17. April 2009 Klage (Az.: S 12 KA 229/09) beim Sozialgericht Marburg erhoben. Mit Beschluss vom 20. April 2009 hat das Sozialgericht das Verfahren hinsichtlich der Quartale III/2005 bis III/2006 unter den Aktenzeichen S 12 KA 230 bis 234/09 abgetrennt.

Mit der Klageerhebung hat der Antragsteller zugleich die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Aussetzung der sofortigen Vollziehung rechtfertige sich, weil der Bescheid nicht offenkundig rechtmäßig sei und er durch die Vollziehung unbillig belastet werde. Er erziele gegenwärtig Einnahmen aus seiner Altersversorgung, auf die er zur Bestreitung seines Lebensunterhalts angewiesen sei. Weil ihm die Zeitprofile nicht vorlägen, könne er keine seriösen Ausführungen zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Beschlusses machen. Die Antragsgegnerin habe bereits 5.798,46 EUR einbehalten. Aus seiner Teilnahme an der EHV der Antragsgegnerin erhalte er monatlich 700,00 EUR und darüber hinaus 2.676,61 EUR monatliche Altersrente von der ZZ. Ärzteversorgung. Seine in M. (Schweiz) betriebene Kinderarztpraxis weise für das Jahr 2007 einen Verlust von 22.601,82 CHF aus, für das 2008 sei ebenfalls mit einem Verlust zu rechnen. Er habe keine weiteren Einnahmen und kein Vermögen. Das Haus, das er bewohne, gehöre seiner Frau. Hierzu hat der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung mit Datum vom 30. April 2009 vorgelegt.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, es erscheine wenig glaubhaft, dass der Antragsteller nicht über Vermögen verfüge. Bei Einnahmen von wenigstens 3.376,61 EUR liege der pfändbare Betrag bei 1.781 EUR. Der Einbehalt in Höhe von 5.698,46EUR - nicht 5.798,46 EUR - stehe in Zusammenhang mit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung und sei nicht auf den Berichtigungsantrag anzurechnen. Die Plausibilitätsprüfung sei ohne Berücksichtigung der Ordinationskomplexe erfolgt. Diese würden nicht in die Tagesprofile eingerechnet. Die zeitliche Berücksichtigung der Ziffern 04110 und 04111 in der Prüfzeitübersicht erkläre sich allein aus dem Nebeneinander dieser Ziffern mit Ziffer 04120 EBM. Bei einer Nebeneinanderabrechnung mit der Ziffer 04120 sei eine Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 20 Minuten Voraussetzung für die Berechnung der Leistung. Da tatsächlich für die Ziffer 04120 nur je 10 Minuten angesetzt worden seien, sei die Nebeneinanderabrechnung über den Ordinationskomplex abzufangen.

Mit Beschluss vom 2. Juli 2009 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17. April 2009 zum Az. S 12 KA 229 bis 234/09 angeordnet, weil der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sei. In den Bescheidgründen sei nicht dargelegt, dass die Tagesprofile wesentlich auf der Nebeneinanderabrechnung der Ziffern 04110 und 04111 mit der Ziffer 04120 EBM 2005 beruhten. Dies sei zwar zutreffend, die Antragsgegnerin habe hierauf weder in den Bescheidgründen noch im Anhörungsschreiben vom 17. Februar 2008 hingewiesen. Es sei weder dem Ausgangs- noch dem Widerspruchsbescheid oder den Listen zu entnehmen, bei welchen Behandlungsfällen eine Nebeneinanderabrechnung stattgefunden habe, so dass eine Überprüfung dieser Fälle nicht möglich sei. Erst auf Anfrage des SG habe die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 8. Juni 2009 ihre Berechnungsweise erläutert. Damit fehle es an einer hinreichenden Erläuterung des Ermittlungsergebnisses und der tatbestandlichen Voraussetzungen und sei die Begründung für eine Ermessensentscheidung unzureichend. Eine ausreichende Nachholung der Begründung liege nicht vor, da jedenfalls nicht angegeben werde, bei welchen Behandlungsfällen eine Nebeneinanderabrechnung stattgefunden habe. Insofern sei auch die Anhörung des Antragstellers unzureichend, so dass der Fehler auch nicht unbeachtlich sei.

Gegen den ihr am 8. Juli 2009 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 24. Juli 2009 Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Sie führt aus, das SG verkenne, dass ein erheblicher Begründungsmangel nicht vorliege. Sie habe auf den Umstand der Berücksichtigung einer Prüfzeit bei dem Ordinationskomplex aufgrund der Nebeneinanderberechnung nicht eingehen müssen, da diese Vorgehensweise auf den Vorgaben des EBM beruhe. Es reiche zur Begründung aus, dass die Entscheidung nachprüfbar sei und tragende Erwägungen mitgeteilt würden. Ihr sei bei der Ermittlung der Tagesprofile kein Ermessen eingeräumt. Dass im Falle festgestellter Inplausibilität der Honorarbescheid zu berichtigen sei ("Ob") und anhand welcher Zeitangaben die Überprüfung auf eine Überschreitung hin durchzuführen sei ("Wie") beruhe auf festen Vorgaben. Insofern sei es ausreichend gewesen, zur Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen habe. Zu Unrecht gehe das SG davon aus, es handele sich um eine Ermessensentscheidung, deren Begründung an den Anforderungen von § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X zu messen sei. Ein Formfehler, der geheilt werden müsse, liege nicht vor. Selbst wenn ein solcher gegeben sei, eröffne § 41 SGB X die Möglichkeit, die fehlende Begründung nachzuholen. Dies sei spätestens im Schriftsatz vom 8. Juni 2009 erfolgt.

Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß),
den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 2. Juli 2009 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 17. April 2009 gegen den Bescheid vom 17. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2009 abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsteller trägt vor, bei der Überprüfung der Abrechnung könne einem erstellten Tagesprofil Indizwirkung zukommen. Dies aber nur dann, wenn es hinsichtlich jeder einzelnen Position transparent und schlüssig sei. Die Darlegungen der Antragsgegnerin habe die zu stellenden Anforderungen nicht ergänzt und nicht richtig gestellt, sie stütze ihre Darlegungen auf Berechnungen nach einem Überprüfungsprogramm, das entsprechende Schlussfolgerungen nicht zulasse. Er habe die streitgegenständlichen Abrechnungen nicht manipuliert oder betrügerisch angereichert. Zur Glaubhaftmachung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung vom 25. Oktober 2009, eine Kopie seines Antrags auf Prozesskostenhilfe im Hauptsacheverfahren vom 2. Juni 2009 nebst Anlagen und eine Kopie der Bilanz seiner Kinderarztpraxis in M. (Schweiz) für das Jahr 2007 vorgelegt.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 2. Juli 2009 ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17. April 2009 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2009 angeordnet.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war zunächst statthaft. Gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage ganz oder teilweise in den Fällen anordnen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 85 Abs. 4 Satz 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) hat die Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung keine aufschiebende Wirkung. Von dieser Norm werden auch Klagen gegen Bescheide erfasst, mit denen, wie im vorliegenden Fall, Honorarbescheide nachträglich geändert und bereits ausbezahlte Honorare zurückgefordert oder verrechnet werden (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2008 - L 7 B 10/08 KA ER - ).

Die aufschiebende Wirkung ist nicht im Wege des gerichtlichen Eilrechtsschutzes anzuordnen gewesen. Das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts überwiegt gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung, denn weder hat die Klage vom 17. April 2009 in der Hauptsache nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung überwiegende Aussicht auf Erfolg noch wurde vom Antragsteller hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht, dass die Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsakts für ihn eine unbillige Härte zur Folge hätte.

Das Gericht entscheidet über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach Ermessen und aufgrund einer Interessenabwägung (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, Kommentar zu § 86b Rdnr. 12). Dabei sind unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache die widerstreitenden Interessen der Beteiligten – das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung und das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der Vollziehung des Verwaltungsaktes – gegeneinander abzuwägen. Gem. § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG soll auch im Falle der gerichtlichen Entscheidung die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. zur Anwendbarkeit von § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG auf die gerichtliche Entscheidung: Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, Kommentar zu § 86b Rdnr. 12b).

Ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des mit der Klage vom 17. April 2009 angegriffenen Verwaltungsakts bestehen nicht. Dieser erscheint sowohl formell als auch materiell rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Honorarberichtigung ist § 75 Abs. 2 Satz 2 HS. 1 SGB V, § 106a Abs. 1 und 2 SGB V i. V. m. § 45 Abs. 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 Ersatzkassenvertrag-Ärzte (EKV-Ä), wonach die Kassenärztliche Vereinigung die Honorarforderung des Vertragsarztes bei Fehlern hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit berichtigt. Zur Feststellung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität, § 106a Abs. 2 Satz 1 HS. 2 SGB V, deren Gegenstand insbesondere der Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Vertragsarztes ist, § 106a Abs. 2 Satz 2 SGB V.

Der angegriffene Verwaltungsakt unterliegt hinsichtlich der Darstellung der Nebeneinanderabrechnung der Ziffern 04110 und 04111 mit der Ziffer 04120 EBM 2005 (Ordinationskomplex) in den Tagesprofilen keinem erheblicher Verfahrensfehler (vgl. § 42 SGB X).

Der Antragsteller ist zunächst hinreichend angehört worden. § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) erfordert es, dem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in dessen Rechte eingreift. Hierfür reicht die Übersendung der Tagesprofile mit dem Anhörungsschreiben vom 1. Februar 2005 aus, denn die Tageszeitprofile erbringen den Indizienbeweis für die inplausible Abrechnung (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 1993 – 6 RKa 70/91SozR 3-2500 § 95 Nr. 4 - zitiert nach Juris, Rdnr. 25), so dass für die Anhörung im Sinne von § 24 Abs. 1 SGB X grundsätzlich keine weitergehende Darstellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlich ist. Spätestens mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 21. Januar 2009 (Bl. 256 VA) wurde der Antragsteller weiterhin auf die Berücksichtigung des Ordinationskomplexes mit 10 Minuten bei einer Abrechnung neben diagnostischen bzw. therapeutischen Leistungen entsprechend der Leistungslegende des EBM 2005 hingewiesen.

Der Bescheid vom 17. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2009 genügt des weiteren den Anforderungen von § 35 SGB X. Etwaige Begründungsmängel hinsichtlich der Darstellung der Nebeneinanderabrechnung der Ziffern 04110 und 04111 mit der Ziffer 04120 EBM 2005 (Ordinationskomplex) in den Tagesprofilen sind jedenfalls mit dem Schriftsatz der Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht vom 8. Juni 2009 geheilt (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X; vgl. auch Engelmann in von Wulffen, SGB X, 6. Auflage 2008, § 35 Rdnr. 8); den Erlass eines weiteren Bescheids bedarf es insoweit nicht.

Für die Begründung des Verwaltungsaktes gilt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 9. März 1994 – 6 RKa 18/92SozR 3-2500 § 106 Nr. 23, zitiert nach Juris Rdnr. 21), dass zwar gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitgeteilt werden müssen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründungsanforderungen sind aber von Fall zu Fall verschieden und richten sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles. Es reicht aus, wenn dem Betroffenen die Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang bekanntgegeben werden, dass er seine Rechte sachgemäß verteidigen kann. Die Verwaltung darf sich deshalb auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken und braucht Gesichtspunkte und Umstände, die auf der Hand liegen oder dem Betroffenen bekannt sind, nicht nochmals ausführlich darzulegen (BSG SozR 2200 § 773 Nr. 1; BVerwGE 22, 215, 217 f; 38, 191, 194; BVerwG NVwZ 1986, 374, 375; 919, 921; jeweils m. w. N.). Dabei ist dem Umstand Bedeutung zuzumessen, dass sich die im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehenden Bescheide an einen sachkundigen Personenkreis richten, der mit den Leistungs- und Abrechnungsvoraussetzungen vertraut ist und zu dessen Pflichten es gehört, über die Grundlagen der wirtschaftlichen Praxisführung und der Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen unter Wahrung des Gebots der Wirtschaftlichkeit Bescheid zu wissen. Das erlaubt es den Prüfgremien, entsprechende Kenntnisse vorauszusetzen und die Begründung ihrer Bescheide hierauf einzustellen. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind diese Grundsätze auch für den Bereich der Plausibilitätsprüfung heranzuziehen. Hieraus folgt, dass die Antragsgegnerin davon ausgehen durfte, dass dem Antragsteller die einschlägigen Regelungen des EBM 2005 zur Leistungslegende des Ordinationskomplexes nach Ziff. 04120 ebenso bekannt waren wie die im Anhang des EBM 2005 abgedruckten Prüfzeitregelungen. Zusammen mit den Darlegungen im Schriftsatz vom 8. Juni 2009 ist nach Auffassung des Senats eine hinreichende Erläuterung des Ermittlungsergebnisses und der tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben. Einer Darstellung, bei welchen Behandlungsfällen eine Nebeneinanderberechnung der Ziffern 04110 und 04111 mit der Ziffer 04120 EBM 2005 bei der Erstellung der Tagesprofile erfolgte, ist demgegenüber nicht erforderlich. Denn § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X erfordert lediglich die Mitteilung der wesentlichen tatsächlichen Gründe, wozu die Einzelheiten der Erstellung der Tagesprofile nicht gehören.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht hinsichtlich der Anforderungen an die Begründung des Verwaltungsakts demgegenüber angenommen, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt. Nur bei Ermessensentscheidungen ist es gem. § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X erforderlich, dass auch die Tatsachen, die zur Ermessenausübung herangezogen werden, im Bescheid nachvollzogen werden können. Bei der hier im Streit stehenden Plausibilitätsprüfung handelt es sich indes nicht um eine Ermessenentscheidung. Nach dem Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä:" Die Kassenärztliche Vereinigung berichtigt die Honorarforderung des Vertragsarztes ") liegt hinsichtlich des Erlasses der Honorarberichtigung eine gebundene Entscheidung vor; auch § 8 Nr. 7 der Verfahrensordnung zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen der Antragsgegnerin räumt dieser keinen Ermessenspielraum ein. Hinsichtlich der Höhe der Kürzung wird zwar in der Literatur teilweise vertreten, es liege ein "Schätzungsermessen" vor (vgl. Wehebrink, NZS 2005, 400, 405). Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.9.1997 – 6 RKa 86/95SozR 3-5550 § 35 Nr. 1 – zitiert nach Juris Rdnr. 28), von der abzuweichen der Senat angesichts des Wortlauts von § 45 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä keine Veranlassung sieht, steht der Kassenärztlichen Vereinigung vielmehr ein Beurteilungsspielraum bei der Vornahme der Schätzung zu. Es besteht dabei kein der Gerichtskontrolle entzogener Beurteilungsspielraum, sondern die Schätzung gehört zu den Tatsachenfeststellungen, die das Gericht ggf. selbst vornehmen und dabei unter Umständen auch die Schätzungsgrundlage selbst erheben muss.

Der erkennende Senat hat auch keine durchgreifenden Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheids. Auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im Beschluss des Sozialgerichts vom 2. Juli 2009 (Umdruck S. 13 bis 15, 1. Absatz) wird zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Überzeugungsbildung Bezug genommen. Ergänzend ist folgendes auszuführen:

Soweit der Antragsteller die Richtigkeit des Prüfzeitansatzes von 3 Minuten für die Allergiebehandlung (Ziff. 30130 EBM 2005) anzweifelt, kann zunächst davon ausgegangen werden, dass die im Anhang zum EBM 2005 angegebene Zeit sich an einem erfahrenen geübten und zügig arbeitenden Arzt orientiert. Der Qualifizierung als Durchschnittszeit entspricht es, dass es sich hierbei nicht um die Festlegung absoluter Mindestzeiten handelt, sondern um eine Zeitvorgabe, die im Einzelfall durchaus unterschritten werden kann. Die Durchschnittszeit stellt sich aber bei einer ordnungsgemäßen und vollständigen Leistungserbringung als der statistische Mittelwert dar. Die Festlegung der für eine ärztliche Leistung aufzuwendenden Durchschnittszeit beruht auf ärztlichem Erfahrungswissen. Sie ist deshalb ebenso und in dem Umfang gerichtlich überprüfbar, in dem auch im Übrigen auf ärztlichem Erfahrungswissen beruhende Festlegungen überprüft werden (BSG, Urteil vom 24.11.1993 – RKa 70/91 – a. a. O. Rdnr. 26). Ob und inwieweit die Festsetzungen im Anhang des EBM 2005 durch dessen Normgeber einer gerichtlichen Überprüfung standhält, soweit vom Antragsteller substantiiert dargelegt werden könnte, dass aufgrund rationeller Praxisführung in einer optimal organisierten Praxis (vgl. hierzu Clemens, Juris PK § 106a SGB V, Rdnr. 144 m. w. N.) die von ihm aufzuwendende Durchschnittszeit regelmäßig den Zeitansatz von drei Minuten trotz ordnungsgemäßer Leistungserbringung signifikant unterschritten wurde, vermag der Senat im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht zu entscheiden. Ggf. müssten hierzu Ermittlung durchgeführt werden, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen.

Nach alledem sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens allenfalls offen, so dass kein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage erkennbar ist. Es verbleibt bei der gesetzlichen Wertung des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht, weil eine unbillige Härte i. S. v. § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG den Antragsteller im Falle der Vollziehung des Bescheides treffen würde. Eine solche unbillige Härte liegt z.B. vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder gutgemacht werden können, dabei muss der Antragsteller insoweit konkrete Angaben machen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, Kommentar zu § 86a Rdnr. 27b).

Unabhängig davon, ob die im Beschwerdeverfahren glaubhaft gemachte wirtschaftliche Situation des Antragstellers die Annahme einer unbilligen Härte rechtfertigt, kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung unter diesem Gesichtspunkt schon deshalb nicht in Betracht, weil § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zusätzlich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts verlangt, welche – wie ausgeführt – nicht bestehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, §§ 47, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Danach bestimmt sich der Streitwert aus der sich aus dem Antrag des Rechtsmittelführers ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen des Gerichts. Auszugehen war im Beschwerdeverfahren über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsaktes von einem Drittel des in der Hauptsache im Streit stehenden Honorarberichtigungsbetrags.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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