L 8 R 276/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 R 7264/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 276/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Februar 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist höhere Altersrente. Der Kläger ist im Oktober 1941 geboren worden und hat sein Berufsleben bis 1984 in der DDR zurückgelegt. Ihm war dort nach bestandener Abschlussprüfung in der Fachrichtung Tiefbau der Ingenieurschule B das Recht zuerkannt worden, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen (Urkunde vom 14. Juli 1962). Darüber hinaus war ihm vom Rat der Sektion für Geotechnik und Bergbau der Bergakademie F der akademische Grad Diplom-Ingenieur verliehen worden (Urkunde vom 26. Juli 1971). 1984 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über. Die Beklagte stellte durch Bescheid vom 1. Juni 1988 Beschäftigungszeiten in der DDR von Januar 1965 bis 28. Mai 1984 als Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) fest und nahm Einstufungen in Leistungsgruppen vor. Nachdem der Kläger im Jahr 2000 bei der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Trägerin der Rentenversicherung eine Rentenauskunft angefordert hatte, leitete diese ein Kontenklärungsverfahren ein. Während dieses Kontenklärungsverfahrens lehnte es die Beklagte in ihrer Funktion als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme durch Bescheid vom 14. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2003 ab, Feststellungen nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) zu treffen. Das Gesetz sei auf den Kläger nicht anwendbar. Er habe weder zu DDR-Zeiten eine Versorgungszusage gehabt noch am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt, die dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Seine Klage, mit der er weiterhin die Feststellung der Zeit von September 1962 bis Mai 1984 als Zeit der Zugehörigkeit zu den zusätzlichen Altersversorgungen der wissenschaftlichen bzw. technischen Intelligenz geltend machte, blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. November 2003 – S 7 RA 2635/03; Beschluss des Landessozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2005 – L 17 RA 125/03). Auf der Grundlage des Bescheides des Versorgungsträgers erließ die Beklagte den Kontenklärungsbescheid vom 8. Juli 2002. Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kläger unter anderem mit der Begründung, dass die von März 1971 bis zum 28. Mai 1984 berücksichtigten Entgelte erheblich unter denen lägen, die im Bescheid vom 1. Juni 1988 aufgeführt gewesen seien. Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2002 zurück. Die früheren Feststellungen könnten aufgrund mehrerer Gesetzesänderungen nicht mehr berücksichtigt werden. Sofern der "Überprüfungsantrag" beim Versorgungsträger erfolgreich sei, werde der Versicherungsverlauf von Amts wegen geändert werden. Aufgrund seines Antrags vom September 2004 bewilligte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 18. November 2004 Altersrente nach Arbeitslosigkeit oder Altersteilzeitarbeit ab dem 1. Januar 2005. Zur Feststellung der Rentenhöhe berücksichtigte sie bis zum 28. Februar 1971 die vom Kläger in der DDR aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigungen tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte, nach Umrechnung mit den Werten der Anlage 10 zum Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Für die Zeit ab dem 1. März 1971 bis zum 31. Dezember 1983 berücksichtigte sie tatsächliche Arbeitsentgelte bis zu 600,- M monatlich; für die Zeit vom 1. Januar bis zum 28. Mai 1984, die im vorgelegten Sozialversicherungsausweis des Klägers nicht eingetragen war, wurde anteilig das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, das sich aus Anlage 14 zum SGB VI, Tabelle 19, Qualifikationsgruppe 2 ergab. Höhere Entgelte könnten ab dem 1. März 1971 nicht berücksichtigt werden, da der Kläger nicht Mitglied der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der Sozialversicherung der DDR (FZR) gewesen sei. Gegen den Bescheid legte der Kläger erneut Widerspruch mit der Begründung ein, dass die ab 1. März 1971 bis zum 28. Mai 1984 erzielten Entgelte erheblich unter denen lägen, die der Bescheid vom 1. Juni 1988 ausweise. Für Zeiten bis zum 31. Dezember 1981 habe der Bescheid verbindliche Feststellungen getroffen. Auch für den Zeitraum danach seien die Entgelte zu korrigieren. Er werde für seine Entscheidung bestraft, nach Berlin (West) überzusiedeln. Gesetzliche Regelungen, die solch ein Absurdum und Unrecht hervorbrächten, dürfe es nicht geben. Er habe außerdem einen Antrag nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz gestellt, über den noch keine Entscheidung getroffen worden sei. Mit Zustimmung des Klägers wurde das Widerspruchsverfahren bis zur Entscheidung über den Antrag zum Ruhen gebracht. Nachdem das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin den Antrag des Klägers auf Rehabilitierung durch Bescheid vom 21. Juli 2008 bestandskräftig abgelehnt hatte, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 3. November 2008 zurück. Die Rentenberechnung sei fehlerfrei erfolgt. Auf den früheren Feststellungsbescheid könne der Kläger sein Anliegen nicht stützen. Solch ein Bescheid diene vorrangig der Beweissicherung und schütze nicht vor eventuellen Rechtsänderungen. Die Voraussetzungen für die Übergangsregelung, die noch die Anwendung des FRG vorgesehen habe, erfülle der Kläger nicht.

Mit seiner Klage hat der Kläger das Anliegen weiterverfolgt, die Zeiten vom 1. März 1971 bis zum 28. Mai 1984 als Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG zu berücksichtigen und dementsprechend weitere tatsächlich erzielte Entgelte rentensteigernd zu berücksichtigen. Er hat erneut die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des AAÜG als erfüllt angesehen werden müssten, um seiner Situation gerecht zu werden. Außerdem werde das Gleichheitsgebot verletzt, indem er mit seinem Geburtsjahrgang nicht in den Genuss der Übergangsregelung für die Anwendung des FRG komme. Durch Urteil vom 16. Februar 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger ausdrücklich die Berücksichtigung von Zeiten nach dem AAÜG begehre. Insoweit sei kein Vorverfahren durchgeführt worden. Durch die angefochtenen Bescheide sei keine Entscheidung über die Zeit der Zugehörigkeit zu Zusatzversorgungssystemen nach dem AAÜG getroffen worden. Im übrigen habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits entschieden, dass der "Stichtag" 30. Juni 1990 mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Soweit der Kläger sinngemäß die Berücksichtigung höherer Entgeltpunkte oder von Überentgelten fordere, sei die Klage zwar zulässig, aber unbegründet. Für sein Anliegen gebe es keine Rechtsgrundlage. Mit der Berufung verfolgt der Kläger das Anliegen weiter, die Zeiten vom 1. März 1971 bis zum 28. Mai 1984 als Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG zu berücksichtigen. Die anderslautenden Bescheide des Versorgungsträgers müssten geändert werden. Er sei als Zugehöriger zum Zusatzversorgungssystem der Altersversorgung der technischen Intelligenz beziehungsweise der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen zu behandeln. Der Kläger beantragt der Sache nach das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Februar 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Altersrente ab 1. Januar 2005 unter Berücksichtigung der Zeiten vom 1. März 1971 bis zum 28. Mai 1984 als Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Die Gerichtsakte des vorliegenden Rechtsstreits, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 7 RA 2635/03 (LSG Berlin L 17 RA 125/03) lagen dem Senat bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Er hält sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich; der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist geklärt und zu den für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen liegt eine umfassende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und der Landessozialgerichte vor. Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die geltend gemachten Zeiträume als Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG und – als Folge davon – weitere Arbeitsentgelte rentensteigernd berücksichtigt. Durch die hier angefochtenen Bescheide hat die Beklagte eine Rente bewilligt. Sie ist insoweit als der nach dem SGB VI für die Aufgaben der gesetzlichen Rentenversicherung zuständige Leistungsträger tätig geworden. Keine Zuständigkeit besitzt die Beklagte in der Funktion, in der sie hier tätig geworden ist, für Feststellungen über die Anwendbarkeit des AAÜG, den Umfang von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem im Sinne des AAÜG und das während festgestellter Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen. Dies sind gemäß § 8 Abs. 1 und 2 AAÜG ausschließlich Aufgaben der Versorgungsträger für die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme (dazu stellvertretend BSG, Beschluss vom 9. Oktober 2006 – B 4 RA 263/05 B, in Entscheidungssammlung Sozialrecht [SozR] 4-8570 § 8 Nr. 3, und BSG, Urteil vom 18. Juli 1996 – 4 RA 7/95, SozR 3-8570 § 8 Nr. 2). Die Beklagte in ihrer Funktion als Träger der Rentenversicherung ist gemäß § 8 Abs. 5 Satz 2 AAÜG an den Bescheid des Versorgungsträgers gebunden. Daran ändert sich nichts dadurch, dass der Versorgungsträger für die vom Kläger geltend gemachten Versorgungssysteme ebenfalls bei der Deutschen Rentenversicherung Bund angesiedelt ist. Entscheidend ist, dass diese in ihrer Funktion als Versorgungsträger durch Bescheid Feststellungen getroffen hat, die bindend geworden sind (§ 77 SGG). Die Ausführungen des Klägers zur Anwendbarkeit des AAÜG sind angesichts dessen für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht erheblich. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Kläger Einwendungen, die sich gegen Sachverhalte aus dem Zuständigkeitsbereich des Versorgungsträgers richten, nicht noch einmal gegen den Träger der Rentenversicherung geltend machen kann. Im Rechtsstreit gegen den Versorgungsträger hatte er ausreichend Gelegenheit, seinen Rechtsstandpunkt zur Anwendbarkeit des AAÜG darzulegen (s. dazu auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. März 2000 – 1 BvR 2216/96, SozR 3-8570 § 8 Nr. 5). Als Folge davon hatte die Beklagte für den streitigen Zeitraum Arbeitsverdienste lediglich in dem durch § 256a SGB VI vorgesehenen Umfang rentensteigernd zu berücksichtigen. Dies ist geschehen. Da der Kläger der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der Sozialversicherung der DDR nicht beigetreten war, konnten ab 1. März 1971 bis zum 28. Mai 1984 lediglich die Arbeitsentgelte bis zu der in der DDR geltenden Pflichtversicherungsgrenze von 600 M im Monat berücksichtigt werden. Andere Gründe, die der Klage jedenfalls im Ergebnis teilweise zum Erfolg verhelfen, also zu einer höheren Rentenzahlung führen könnten, sind nicht ersichtlich. Ein für sich günstigeres Ergebnis kann der Kläger nicht aus dem Feststellungsbescheid vom 1. Juni 1988 herleiten. Die Wirkung dieses Bescheides ist bereits durch den bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 8. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2002 rechtmäßig beseitigt worden. Denn Art. 38 Satz 1 des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG) vom 25. Juli 1991 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 1606) schreibt vor, dass Bescheide, die außerhalb einer Rentenbewilligung aufgrund der Versicherungsunterlagen-Verordnung oder des Fremdrentenrechts Feststellungen getroffen haben, zu überprüfen sind, ob sie mit den zum Zeitpunkt des Rentenbeginns geltenden Vorschriften des SGB VI und des Fremdrentenrechts übereinstimmen. Schließlich hat der Kläger – wie das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat – keinen Anspruch auf Anwendung der Übergangsregelung des § 259a SGB VI, die dazu führt, dass für Pflichtbeitragszeiten, die nach dem 8. Mai 1945 und vor dem 19. Mai 1990 im Beitrittsgebiet zurückgelegt worden sind, an Stelle der nach den §§ 256a bis 256c SGB VI zu ermittelnden Werte Entgeltpunkte aufgrund der Anlagen 1 bis 16 des FRG ermittelt werden. Dies scheitert daran, dass der Kläger nicht vor dem Stichtag 1. Januar 1937 geboren ist. Dass der Gesetzgeber einen Stichtag eingeführt hat, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Dem Gesetzgeber ist grundsätzlich nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte aus sachlichen Erwägungen Stichtage einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, stellvertretend Urteil vom 11. November 2008 – 1 BvL 3/05 u. a., Amtliche Entscheidungssammlung [BverfGE] 111, 151ff). Die Stichtagsregelung des § 259a SGB VI ist von sachgerechten Erwägungen getragen. Das FRG hatte seine Rechtfertigung durch die Zweiteilung Europas und die Existenz zweier deutscher Staaten: Es begründete für Personen, die – wie der Kläger – seinem Anwendungsbereich unterfielen, Ansprüche auf Rentenleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Sachverhalten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden waren und für die folglich von den begünstigten Personen keine Beitragsleistungen in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland erbracht worden waren. Jedenfalls für Deutsche im Sinne des Grundgesetzes entfiel die Rechtfertigung des FRG mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und der Einführung eines in den "alten Ländern" und dem "Beitrittsgebiet" einheitlichen Rentenrechts. Der Gesetzgeber durfte diese Änderung zum Anlass nehmen, die weitere Anwendung des Sonderrechts des FRG auf Versicherte der Jahrgänge zu beschränken, die bei Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 die (damalige) Altersgrenze von 65 Jahren für die Regelaltersrente in weniger als 10 Jahren erreichen würden. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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