S 11 KA 225/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 225/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 39/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Fachgruppe der Fachärzte für Anästhesiologie ist so inhomogen, dass einer Praxis mit Schwerpunkt im Bereich der Schmerztherapie eine Sonderregelung im Rahmen des Regelleistungsvolumens zuzuerkennen ist.

2. Der schmerztherapeutische Schwerpunkt kann anhand der Ziffern 30700 und 30701 EBM-Ä 2005 ermittelt werden, da diese Ziffern nicht mehr nebeneinander abgerechnet werden können.
Der Bescheid vom 05.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2008 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen für die Quartale II/05 bis IV/06. Die Klägerin begehrt eine Anhebung des Regelleistungsvolumens der Praxis um mindestens 2.000 Punkte pro Fall.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis bestehend aus zwei Fachärzten für Anästhesie mit Schwerpunkt Schmerztherapie, wobei Frau A. jedoch als Fachärztin für Allgemeinmedizin niedergelassen war. Beide Ärzte befinden sich seit dem 01.01.2008 im Ruhestand.

Es folgen zwei Tabellen, die aus technischen Gründen leider nicht dargestellt werden können:

Die Honorarabrechnung stellte sich in den streitgegenständlichen Quartalen wie folgt dar: Quartal II/05 III/05 IV/05 I/06 II/06 III/06 IV/06 Honorarbescheid vom 27.06.06 11.08.06 Alt vom 28.10.06 Neu vom 05.08.07 19.01.07 03.02.07 16.03.07 17.04.07 Honorar PK+EK 110.471,58 82.646,94 88.415,38 100.799,76 73.967,30 60.379,77 64.978,61 Honoraranf. in EUR 168.441,13 173.117,28 179.733,23 143.002,19 99.420,93 99.912,28 109.433,34 RLV Fallzahl 681 644 644 617 513 494 508 Fallwert 1.296,6 1.304,8 1.295,5 1.304,7 1.311,5 1.311,2 1.308,9 Praxisbezogenes RLV 882.984,6 840.291,2 836.234,0 804.999,9 672.799,5 647.732,8 664.921,2 Abgerechnetes Honorarvolumen 2.453.335 2.632.230 2.701.160 2.042.365 1.372.010 1.351.595 1.533.740 Überschreitung 1.570.350,4 1.791.938,8 1.864.926,0 1.237.365,1 699.210,5 703.862,2 868.818,8 Fallwert in Euro 166,83 134,35 142,87 167,47 145,37 122,23 127,96 7.5. Referenz-Fallwert 166,2957 142,5772 155,8964 195,7884 142,0665 123,5584 132,3027 Aktueller Fallwert 103,9000 101,6823 106,2503 93,0230 109,6330 104,6281 105,6239 Auffüllbetrag je Fall 54,0809 21,8762 25,2057 65,2960 30,2444 12,7524 17,0927 Auffüllbetrag 36.829,09 14.088,25 16.232,49 40.287,62 15.515,38 6.299,69 8.683,10

Die Klägerin behandelte Schmerzpatienten, deren Anteil sich wie folgt ermitteln läßt: Quartal Ziffer 30700 Ziffer 30701 Behandlungsfälle beider Ziffern Anteil der Schmerzp. Behandlungsfälle insgesamt II/05 151 367 518 76% 681 III/05 104 372 476 74% 644 IV/05 139 367 506 79% 644 I/06 116 361 477 77% 617 II/06 94 243 337 66% 513 III/06 207 101 308 62% 494 IV/06 140 205 345 68% 508 I/07 109 188 297 63% 470 II/07 145 208 353 72% 491 III/07 158 124 282 61% 459 IV/07 119 165 284 58% 492

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 12.04.2005 eine Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen für die Quartale II/05-IV/07. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die besondere Praxissituation und Praxisausrichtung darin bestünde, eine geringe Fallzahl chronisch therapieresistenter Schmerzpatienten zu behandeln. Eine umfassende Versorgung Schmerzkranker nach der Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie sei mit dem neuen EBM nicht mehr möglich, da dieser zahlreiche für die algesiologische Versorgung essentielle Leistungen entweder nicht mehr enthalte oder nur für bestimmte Fachgruppen reserviere. Zusätzlich sollten viele Leistungen im (praktisch halbierten) Ordinationskomplex enthalten sein, obwohl dieser nicht auf die Belange einer algesiologischen Spezialpraxis ausgerichtet sei. Mit 1.200 Punkten je Fall sei spezielle Schmerztherapie nicht zu leisten. Der Honorarverlust im Quartal II/05 habe über 38% betragen. Insoweit habe die Beklagte in Person ihrer Vorsitzenden, Frau Dr. C., im Rundschreiben vom 01.08.2006 darauf hingewiesen, dass bei einem Fallwertverlust von mehr als 15% eine einzelfallbezogene Prüfung zu erfolgen haben entsprechend der Regelung der Ziffer 7.5.2 HVV.

Die Praxis wurde als fachübergreifende Gemeinschaftspraxis dem arithmetischen Mittel der Regelleistungsvolumina der Hausärzte und Anästhesisten unterworfen, was sich im Einzelnen aus der folgenden Tabelle ergibt.

Es folgt eine Tabelle, die aus technischen Gründen leider nicht dargestellt werden kann:

Fallpunktzahl Primärkassen Ersatzkassen Altersgruppe der Patienten in Jahren 0-5 6-59 -)60 0-5 6-59 -)60 Fallpunktzahl lt. HVV für FA für Allgemeinmedizin 520 576 1.059 424 475 821 Fallpunktzahl lt. HVV für FA Anästhesiologie 1.616 1.586 1.548 2.412 1.600 1.770 Artithm. Mittelwert 1.068 1.081 1.304 1.418 1.038 1.296 GP-Zuschlag 130 130 130 130 130 130 Summe 1.198 1.211 1.434 1.548 1.168 1.426

Mit Bescheid vom 13.03.2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Sonderregelung ab, wogegen sich der Widerspruch der Klägerin vom 05.04.2007 richtet. Zur Begründung ihres Widerspruches wies die Klägerin darauf hin, dass auch die extrabudgetär abzurechnenden Schmerztherapieziffern 30700 und 30701 keinen Ausgleich für die erlittenen Verluste darstellen könnten. Die Bewertung sei nach über 10 Jahren nicht angepasst, sondern abgesenkt worden. Die Ziffern könnten nicht mehr nebeneinander abgerechnet werden obwohl die Leistungen genauso erbracht werden sollten. Von einer Sicherstellung schmerztherapeutischer Leistungen zu sprechen sei ein Hohn, da bisher nach allen vorliegenden Zahlen Schmerzpatienten überhaupt nur zu 20% versorgt seien. Die Anzahl der abrechnenden Ärzte spiele dabei allein keine Rolle. Mit den hohen Einbußen müsse schließlich die Patientenversorgung mittlerweile aus dem Privatvermögen finanziert werden. Eine Analyse der Abrechnung habe ergeben, dass bis einschließlich zum Quartal I/05 die Fallwerte der Schmerzpraxis bei 155 bis 165 Euro einschließlich der Kostenerstattungsbeträge der Schmerztherapievereinbarung gelegen hätten. Ab dem Quartal II/05 mit dem Inkrafttreten des EBM 2000 plus sei der Fallwert gesunken auf bis zu 127,96 Euro im Quartal IV/06. Ein Ausgleich sei nur über die erheblichen Ausgleichszahlungen, z. B. in den Quartalen II/05 und I/06 mit jeweils fast 40.000 Euro erfolgt. Bei den chronisch Schmerzkranken handele es sich um ein multimorbides und extrem behandlungsintensives Klientel. Diesem besonderen Behandlungsbedarf sei durch das Schmerzbudget der Ziffern 418 bis 450 und durch die Pseudoziffern 8450 und 8451 in der Vergangenheit Rechnung getragen worden. Das Schmerzbudget sei der Praxis in Höhe von 4.100 Punkten anerkannt worden, wobei das Budget zu keinem Zeitpunkt voll ausgeschöpft worden sei. Die Praxis habe für ihre speziellen Leistungen i. d. R. etwa 1.300.000 Punkte benötigt. Außerhalb dieser Leistungen läge der Schwerpunkt der Praxis bei den Untersuchungsgesprächen und den Betreuungsziffern, da die chronischen Schmerzpatienten viele Gespräche und Begleitung benötigten, damit die Compliance bei den Patienten selbst und auch ihren Angehörigen hergestellt und gehalten werden könne. Viele dieser Patienten seien zeitweise suizidal. Die EBM-Leistungen seien in der Vergangenheit im Rahmen des sog. grünen Budgets erbracht worden. Dieses habe bei der klägerischen Praxis bei einer Abrechnung von durchschnittlich 750 Fällen in einer Größenordnung von 830.000 bis 850.000 Punkten gelegen. Dazu sei das Schmerzbudget gekommen. Das neue Regelleistungsvolumen entspreche im Ergebnis dem damaligen grünen Budget. Das Schmerzbudget des alten EBM sei allerdings ersatzlos entfallen, wodurch der Schmerzpraxis ein notwendiges Behandlungs- und Abrechnungsvolumen von durchschnittlich 1,3 Millionen Punkten vorenthalten werde. Lediglich auf Grund der Stützungsmaßnahmen sei das Abrechnungsergebnis nicht vollkommen ruinös gewesen. Zudem habe mit der Versorgung von Privatpatienten die Schließung der Praxis verhindert werden können. Die Gemeinschaftspraxis komme noch auf durchschnittlich etwa 850.000 Punkte im Regelleistungsvolumen. Bis zum Quartal I/06 seien durchschnittlich 1,5 Millionen abgerechnete Punkte unvergütet geblieben. Ab dem Quartal II/06 habe sich die Leistungsforderung aufgrund rückläufiger Fallzahlen dann reduziert. Es sei rechtswidrig die Regelleistungsvolumina von Hausärzten und Anästhesisten im Falle der Schmerzpraxen anzuwenden, weil der Versorgungsauftrag grundlegend verschieden sei. Es sei unstreitig, dass die Spezialpraxis der Schmerztherapie weder der Struktur einer Hausarztpraxis entspreche noch die Tätigkeit des Schmerztherapeuten mit der eines Anästhesisten vergleichbar sei. Dem sei in der Vergangenheit durch entsprechende Budgets Rechnung getragen worden. Das Regelleistungskontingent von nur noch 1.200 Punkten pro Patient sei bereits beim ersten Behandlungstermin überschritten. Im neuen EBM 2008 sei das Kapitel Schmerztherapie dann neu gefasst und neue Schmerztherapie spezifische Positionen eingeführt worden, was dafür spreche, dass hier eine besondere Versorgungssituation vorliege. Ziffer 7.5.1 HVV solle nach dem Wortlaut lediglich eine Auffüllmaßnahme zur Vermeidung praxisbezogener Honorarverwerfungen bieten. Die Anwendung dieser Regelungen im vorliegenden Fall sei nach dem Sinn und Zweck damit nicht adäquat. Nach Ziffer 7.5.2 HVV hätte vielmehr eine Einzelfallprüfung stattfinden müssen, da die Fallwertminderung mehr als 15%, nämlich 37% betragen habe. Dies hätte von Amts wegen geschehen müssen.

Die Klägerin hat dann am 16. Juni 2008 Untätigkeitsklage erhoben, die Beklagte daraufhin am 23. Juli 2008 ihren ablehnenden Widerspruchsbescheid für die Quartale II/05 bis IV706 erlassen. Sie wies hinsichtlich des Streitgegenstandes darauf hin, dass für die Quartale I/07 bis IV/07 in einem gesonderten Verfahren entschieden werde. Die Entscheidung liegt bis heute nicht vor.

Zur Begründung ihrer Ablehnung führte die Beklagte aus, dass die Abrechnung mit den Vorgaben des Honorarverteilungsvertrages übereinstimmte. Insbesondere sei die Berechnung der Fallpunktzahlen nach dem arithmetischen Mittelwert nicht zu beanstanden. Eine Einzelfallprüfung nach Ziffer 7.5.2 HVV sei durch die Anerkennung von Auffüllbeträgen erfolgt und die entsprechenden Auffüllbeträge auch ausgezahlt worden. Im Rahmen von Honorarverhandlungen für die Jahre 2005 und 2006 im Bereich des Landesverbandes der Betriebskrankenkassen und der AOK Hessen habe sie Ausgleichszahlungen für die Praxen, welche die Leistungen nach Ziffern 30700 und 30701 EBM 2000 Plus abrechnen und in den Quartalen II/05 bis IV/06 gegenüber den Quartalen des Jahr 2004 Honorarverluste im Rahmen der Ausgleichsregelung verzeichnen mussten, erreicht. Dies habe zu erhöhten Auffüllbeträgen geführt.

Die Klägerin trägt ergänzend zum Vortrag im Widerspruchsverfahren vor, dass sich die Kosten der Praxis in den Jahren 2002 bis 2007 durchschnittlich auf ungefähr 400.000 Euro belaufen hätten. Die Einnahmen seien jedoch deutlich gesunken und zwar zum Teil so drastisch, dass die Kosten mit den Einnahmen nicht mehr hätten gedeckt werden können. Sie sei eben eine reine Schmerzpraxis.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 05.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 23.07.2008 aufzuheben und sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Unter Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheides trägt die Beklagte weiter vor, dass Regelleistungsvolumina eine Mischkalkulation darstellten und nicht jeweils auf eine 100%-Leistungserbringung jeder Gebührenordnungsposition in Höhe von 100% der Behandlungsfälle abstellten. Da die Regelleistungsvolumina selbst nur auf einer Grundlage von 80% der Leistungen im Referenzzeitraum basierten, sei eine Überschreitung der Regelleistungsvolumina zwingende Konsequenz. Die Ausgleichszahlung nach Ziffer 7.5 HVV seien auch im Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer Sonderregelung zu berücksichtigen. Schließlich habe ein Arzt die wirtschaftlichen Folgen seiner Spezialisierung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung alleine zu tragen.

Die Beklagte weist ferner darauf hin, dass durch die Ausgleichsregelung für alle Behandlungsfälle, auf welche entweder die Ziffer 30700 oder die Ziffer 30701 angewendet wurde, die bestehenden Honorarverluste vollständig ausgeglichen worden seien. Damit sei ein Fallwertausgleich im Bereich der AOK Hessen und der BKK Hessen zu 100% erreicht worden. Spätestens durch diese Nachzahlung seien evtl. Honorarverluste im vollen Umfang ausgeglichen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Prozessakten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Psychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 05.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 23.07.2008, der nach § 96 SGG Gegenstand des laufenden Gerichtsverfahrens geworden ist, rechtswidrig und war daher aufzuheben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über ihren Antrag auf Erhöhung der Fallpunktzahlen im Regelleistungsvolumen.

Nach der Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Verbänden der Krankenkassen zur Honorarverteilung für die Quartale 2/2005 bis 4/2005, bekannt gemacht als Anlage 2 zum Landesrundschreiben/Bekanntmachung vom 10.11.2005 (HVV), der insoweit im Jahr 2006 fortgeführt wurde, sind nach Ziffer 6.3 praxisindividuelle Regelleistungsvolumen zu bilden, da die Klägerin zu den entsprechenden Arztgruppen gehört.

Im Einzelnen bestimmt Ziffer 6.3 HVV:

"Die im Abrechnungsquartal für eine Praxis zutreffende Fallpunktzahl bestimmt sich aus der Zugehörigkeit der Ärzte einer Praxis zu einer in der Anlage 1 angeführten Arzt-/Fachgruppe unter Beachtung der angeführten Altersklassen. Bei Gemeinschaftspraxen bestimmt sich die Höhe der in der einzelnen Altersklasse zu treffenden Fallpunktzahl als arithmetischer Mittelwert aus der Fallpunktzahl der in der Gemeinschaftspraxis vertretenen Ärzte (gemäß Zuordnung entsprechend Anlage zu Ziffer 6.3) verbunden mit folgender Zuschlagsregelung:

130 Punkte bei arztgruppen- und schwerpunktgleichen Gemeinschaftspraxen sowie bei Praxen mit angestellten Ärzten, die nicht einer Leistungsbeschränkung gemäß Angestellten-Ärzte Richtlinien unterliegen, alternativ 30 Punkte je in einer arztgruppen- oder schwerpunktübergreifenden Gemeinschaftspraxis repräsentiertem Fachgebiet oder Schwerpunkt, mindestens jedoch 130 Punkte und höchstens 220 Punkte

Bei der Ermittlung der Zuschlagsregelung bleiben Ärzte aus Arztgruppen, für die gemäß Anlage zu Ziffer 6.3 keine arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen definiert sind, unberücksichtigt.

Die Zuschlagsregelung findet keine Anwendung bei Praxen mit angestellten Ärzten bzw. zugelassenen Ärzten, die einer Leistungsbeschränkung gemäß Bedarfsplanungsrichtlinien bzw. Angestellten-Ärzte-Richtlinien unterliegen. Für Ärzte bzw. Psychotherapeuten, die ihre Tätigkeit unter mehreren Gebiets- oder Schwerpunktbezeichnungen ausüben, richtet sich die Höhe der Fallpunktzahl in den einzelnen Altersklassen nach dem Schwerpunkt der Praxistätigkeit bzw. dem Versorgungsauftrag mit dem der Arzt bzw. Psychotherapeut zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist.

Das im aktuellen Abrechnungsquartal gültige praxisindividuelle (fallzahlabhängige) Regelleistungsvolumen einer Praxis bestimmt sich dann aus der Multiplikation der im aktuellen Quartal nach verstehender Vorgabe ermittelten arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen und der Fallzahl der Praxis unter Beachtung der Aufteilung der relevanten Fallzahlen in die verschiedenen Altersklassen.

Bei der Ermittlung der für die einzelnen Altersklassen gültigen relevanten Fallzahlen einer Praxis sind alle kurativ ambulanten Behandlungsfälle (gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 BMVÄ bzw. § 25 Absatz 1 Satz 1 GKV zugrunde zu legen, ausgenommen Behandlungsfälle, die gemäß Anlage 1 Und 2 zu Ziffer 7.1 Honorierung kommen, Notfälle im organisierten ärztlichen Bereitschaftsdienst bzw. Notdienst (Muster 19 A der Vordruckvereinbarung), Überweisungsfälle zur Durchführung ausschließlich von Probenuntersuchungen oder zur Befundung von dokumentierten Untersuchungsergebnissen sowie Behandlungsfälle, in denen ausschließlich Kostenerstattungen des Kapitels V. 40 abgerechnet werden. Die so festgestellten Fallzahlen reduzieren sich dabei (vorab der Berechnung des praxisindividuellen (fallzahlabhängigen) Regelleistungsvolumens) aufgrund einer zuvor durchgeführten fallzahlabhängigen Bewertung (Fallzahlbegrenzungsregelung) gemäß Ziffer 5.2, wobei die aus dieser Maßnahme resultierende Reduzierung anteilig auf die Altersklassen zu verteilen ist.

Das nach dieser Vorschrift festgestellte Regelleistungsvolumen einer Praxis im aktuellen Quartal ist dann nachfolgend für jeden über 150% der durchschnittlichen Fallzahl der Honorar(unter)gruppe im vergleichbaren Vorjahresquartal hinausgehenden Fall um 25% zu mindern. Die Feststellung der relevanten durchschnittlichen Fallzahl erfolgt bei Gemeinschaftspraxen und Praxen mit angestellten Ärzten, die nicht einer Leistungsbeschränkung unterliegen, je in der Gemeinschaftspraxis tätigen Arzt bzw. Psychotherapeuten.

Für die Bildung des Regelleistungsvolumens einer Praxis im Abrechnungsquartal gilt im Übrigen eine Fallzahlobergrenze in Höhe von 200% der durchschnittlichen Fallzahl der Honorar(unter)gruppe im vergleichbaren Vorjahresquartal. Überschreitet eine Praxis im aktuellen Abrechnungsquartal diese Fallzahlobergrenze, tritt diese anstelle der praxisindividuellen Fallzahl bei der Ermittlung des praxisspezifischen Regelleistungsvolumens. Dabei bestimmt sich im Falle von Gemeinschaftspraxen und Praxen mit angestellten Ärzten, die keiner Leistungsbeschränkung unterliegen, die Fallzahlobergrenze aus den arztgruppenbezogenen durchschnittlichen Fallzahlen im entsprechenden Vorjahresquartal je in der Gemeinschaftspraxis tätigen Art bzw. Psychotherapeuten.

Für Ärzte bzw. Psychotherapeuten, die ihre Tätigkeit unter mehreren Gebiets- oder Schwerpunktbezeichnungen ausüben, bestimmt sich die durchschnittliche Fallzahl im entsprechenden Vorjahresquartal für vorstehende Bewertungsvorgaben bzw. Fallzahlobergrenze aus der Honorar(unter)gruppe, zu der sie nach dem Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind.

Soweit in der Anlage zu Ziffer 6.3 Arztgruppen nicht aufgeführt sind, gehen deren Fälle und Honoraranforderungen nicht in die Berechnung des praxisspezifischen Regelleistungsvolumens ein.

Der Vorstand der KV Hessen ist ermächtigt, aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung praxisbezogenen Änderungen an den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen gemäß Anlage zu Ziffer 6.3 vorzunehmen."

Die Kammer hält diese Regelungen, soweit sie hier streitbefangen sind, im Anschluss an die ständige Rechtsprechung der 12. Kammer des SG Marburg sowie des HLSG (vgl. statt vieler Urteil des SG Marburg vom 21.05.2008, S 12 KA 18/07, Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 26.08.2009, L 4 KA 55/08), grundsätzlich für rechtmäßig.

Nach § 85 Abs. 4 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung v. 20.12.1988, BGBl. I S. 2477 in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) v. 14.11.2003, BGBl. I S. 2190 mit Gültigkeit ab 01.01.2005 (SGB V), verteilt die Kassenärztliche Vereinigung die Gesamtvergütungen an die Vertragsärzte; in der vertragsärztlichen Versorgung verteilt sie die Gesamtvergütungen getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung (§ 73) (§ 85 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Sie wendet dabei ab dem 1. Juli 2004 den mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen erstmalig bis zum 30. April 2004 gemeinsam und einheitlich zu vereinbarenden Verteilungsmaßstab an; für die Vergütung der im ersten und zweiten Quartal 2004 erbrachten vertragsärztlichen Leistungen wird der am 31. Dezember 2003 geltende Honorarverteilungsmaßstab angewandt (§ 85 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Bei der Verteilung der Gesamtvergütungen sind Art und Umfang der Leistungen der Vertragsärzte zu Grunde zu legen; dabei ist jeweils für die von den Krankenkassen einer Kassenart gezahlten Vergütungsbeträge ein Punktwert in gleicher Höhe zu Grunde zu legen (§ 85 Abs. 4 Satz 3 SGB V). Im Verteilungsmaßstab sind Regelungen zur Vergütung der psychotherapeutischen Leistungen der Psychotherapeuten, der Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, der Fachärzte für Nervenheilkunde, der Fachärzte für psychotherapeutische Medizin sowie der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte zu treffen, die eine angemessene Höhe der Vergütung je Zeiteinheit gewährleisten (§ 85 Abs. 4 Satz 4 SGB V). Der Verteilungsmaßstab hat sicherzustellen, dass die Gesamtvergütungen gleichmäßig auf das gesamte Jahr verteilt werden (§ 85 Abs. 4 Satz 5 SGB V). Der Verteilungsmaßstab hat Regelungen zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Vertragsarztes vorzusehen (§ 85 Abs. 4 Satz 6 SGB V). Insbesondere sind arztgruppenspezifische Grenzwerte festzulegen, bis zu denen die von einer Arztpraxis erbrachten Leistungen mit festen Punktwerten zu vergüten sind (Regelleistungsvolumina) (§ 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V). Für den Fall der Überschreitung der Grenzwerte ist vorzusehen, dass die den Grenzwert überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Punktwerten vergütet wird (§ 85 Abs. 4 Satz 8 SGB V). Widerspruch und Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung haben keine aufschiebende Wirkung (§ 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V). Die vom Bewertungsausschuss nach Absatz 4a Satz 1 getroffenen Regelungen sind Bestandteil der Vereinbarungen nach Satz 2 (§ 85 Abs. 4 Satz 10 SGB V). Dabei bestimmt nach § 85 Abs. 4a Satz 1 SGB V der Bewertungsausschuss Kriterien zur Verteilung der Gesamtvergütungen nach § 85 Abs. 4 SGB V, insbesondere zur Festlegung der Vergütungsanteile für die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung sowie für deren Anpassung an solche Veränderungen der vertragsärztlichen Versorgung, die bei der Bestimmung der Anteile der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung an der Gesamtvergütung zu beachten sind; er bestimmt ferner, erstmalig bis zum 29. Februar 2004, den Inhalt der nach § 85 Abs. 4 Satz 4, 6, 7 und 8 SGB V zu treffenden Regelungen.

Der Bewertungsausschuss ist seinen Regelungsverpflichtungen nach § 85 Abs. 4a SGB V u. a. durch den Beschluss in seiner 93. Sitzung am 29. Oktober 2004 zur Festlegung von Regelleistungsvolumen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 85 Abs. 4 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2005 (Deutsches Ärzteblatt 101, Ausgabe 46 vom 12.11.2004, Seite A-3129 = B-2649 = C-2525) (im Folgenden: BRLV) nachgekommen. Darin bestimmt er, dass Regelleistungsvolumina gemäß § 85 Abs. 4 SGB V arztgruppenspezifische Grenzwerte sind, bis zu denen die von einer Arztpraxis oder einem medizinischen Versorgungszentrum (Arzt-Abrechnungsnummer) im jeweiligen Kalendervierteljahr (Quartal) erbrachten ärztlichen Leistungen mit einem von den Vertragspartnern des Honorarverteilungsvertrages (ggf. jeweils) vereinbarten, festen Punktwert (Regelleistungspunktwert) zu vergüten sind. Für den Fall der Überschreitung der Regelleistungsvolumen ist vorzusehen, dass die das Regelleistungsvolumen überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Punktwerten (Restpunktwerten) zu vergüten ist (III.2.1 BRLV). Für die Arztpraxis oder das medizinische Versorgungszentrum, die bzw. das mit mindestens einer der in Anlage 1 genannten Arztgruppen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, sind im Honorarverteilungsvertrag nachfolgende Regelleistungsvolumina zu vereinbaren, für die dieser Beschluss die Inhalte der Regelungen vorgibt (III.3.1 Abs. 1 BRLV). Die in 4. aufgeführten Leistungen, Leistungsarten und Kostenerstattungen unterliegen nicht den Regelleistungsvolumina (III.3.1 Abs. 4 BRLV).

Die hier insbesondere strittigen schmerztherapeutischen Leistungen gehören nicht zu den unter III.4 BRLV aufgeführten Leistungen, Leistungsarten und Kostenerstattungen, die nicht den Regelleistungsvolumina unterliegen.

In der Anlage 1 BRLV werden unter den Arztgruppen, für die Arztgruppentöpfe gemäß III.1. BRLV und Regelleistungsvolumen gemäß III.3.1 BRLV berechnet werden, die Fachärzte für Anästhesiologie, innere Krankheiten und Allgemeinmedizin genannt. Entsprechend hat der HVV auch die Fach(unter)gruppen gebildet. Für Gemeinschaftspraxen und Praxen mit angestellten Ärzten hat Ziffer 6.3 Satz 2 HVV die Regelung nach III.3.2.2 BRLV übernommen.

Mit dem GMG hat der Gesetzgeber die bisher als Soll-Vorschrift ausgestaltete Regelung zu den Regelleistungsvolumina verbindlich vorgegeben. Dadurch soll erreicht werden, dass die von den Ärzten erbrachten Leistungen bis zu einem bestimmten Grenzwert mit festen Punktwerten vergütet werden und den Ärzten insoweit Kalkulationssicherheit hinsichtlich ihrer Praxisumsätze und -einkommen gegeben wird. Leistungen, die den Grenzwert überschreiten, sollen mit abgestaffelten Punktwerten vergütet werden; damit soll zum einen der Kostendegression bei steigender Leistungsmenge Rechnung getragen werden, zum anderen soll der ökonomische Anreiz zur übermäßigen Mengenausweitung begrenzt werden (vgl. BT-Drs. 15/1170, S. 79).

Regelleistungsvolumina dienen damit der Kalkulationssicherheit bei der Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen (vgl. Engelhard in: Hauck/Haines, SGB V, Kommentar, § 85, Rn. 256a f.; Freudenberg in: jurisPK-SGB V, Online-Ausgabe, Stand: 26.02.2008, § 85, Rn. 164). Zum anderen haben sie aufgrund des Zwecks, der Kostendegression bei steigender Leistungsmenge Rechnung zu tragen als auch den ökonomischen Anreiz zur Ausweitung der Leistungsmenge zu verringern, auch den Charakter von Honorarbegrenzungsmaßnahmen (vgl. Engelhard, ebd.). Nach Auffassung der Kammer steht aber angesichts der gesetzgeberischen Vorgaben der Gesetzeszweck der Kalkulationssicherheit im Vordergrund, insbesondere auch im Hinblick auf eine begrenzte Gesamtvergütung bei insgesamt steigenden Leistungsanforderungen.

Ausgehend von den Vorgaben im HVV hat die Beklagte das Regelleistungsvolumen und insbesondere die arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen zutreffend berechnet. Auf der Grundlage der Anlage zu Ziffer 6.3 HVV "Arztgruppenspezifische Regelleistungsvolumen" hat die Beklagte die Fallpunktzahlen zutreffend festgesetzt. Insbesondere ist zunächst nicht zu beanstanden, dass die Beklagte aufgrund der Tatsache, dass Frau A. als Fachärztin für Allgemeinmedizin niedergelassen war, die Fallpunktzahlen der Gemeinschaftspraxis nach dem arithmetischen Mittelwert der Fachgruppen der Allgemeinmediziner und der Anästhesiologen gebildet hat. Dies entspricht den Vorgaben des HVV.

Zur Überzeugung der Kammer liegt jedoch ein Ausnahmefall vor, so der Vorstand der Beklagten von seiner Ermächtigung, aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung praxisbezogenen Änderungen an den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen gemäß Anlage zu Ziffer 6.3 vorzunehmen, hätte Gebrauch machen müssen.

Nach dieser Ermächtigung ist der Vorstand verpflichtet, bei Vorliegen von Sicherstellungsgründen sein Ermessen im Hinblick auf eine Sonderregelung auszuüben. Wann ein solcher Ausnahmefall aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung vorliegt, wird weder im HVV noch im Beschluss des Bewertungsausschusses noch in den gesetzlichen Regelungen bestimmt und ist daher durch Auslegung zu konkretisieren.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht, darf der Vorstand einer Kassenärztlichen Vereinigung, was nach Auffassung der Kammer auch unter Geltung eines Honorarverteilungsvertrags gilt, außer zu konkretisierenden Bestimmungen, die nicht im voraus für mehrere Quartale gleichbleibend festgelegt werden können, auch dazu ermächtigt werden, Ausnahmen für sog. atypische Fälle vorzusehen. Es ist eine typische Aufgabe des Vorstandes, zu beurteilen, ob sog. atypische Fälle die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Freistellung von Obergrenzen erfüllen. Dabei beschränkt sich die Kompetenz des Vorstandes nicht auf die Statuierung von Ausnahmen für "echte Härten", vielmehr müssen sie generell für atypische Versorgungssituationen möglich sein (vgl. BSG, Urt. v. 03.03.1999 - B 6 KA 15/98 RSozR 3-2500 § 85 Nr. 31 = MedR 2000, 153, jurisRn. 36; BSG, Urt. v. 21.10.1998 - B 6 KA 65/97 R - SozR 3-2500 § 85 Nr. 27, jurisRn. 23). So hat das BSG eine vom Vorstand getroffene Sonderregelung für spezialisierte Internisten nicht beanstandet. Die Entscheidung, dass bei den Internisten, die eine Teilgebietsbezeichnung führten und deren spezielle Leistungen (einschließlich Folgeleistungen) 30 % der Gesamthonoraranforderung ausmachten, diese Leistungen herausgerechnet werden und dass diejenigen, deren spezialisierte Leistungen sogar 50 % der Gesamthonoraranforderung ausmachten, gänzlich von der Teilquotierung freigestellt werden, enthalte Schematisierungen, die nicht als sachwidrig beanstandet werden könnten. Derartige mit scharfen Grenzziehungen einhergehende Härten seien - wie z.B. auch für Stichtagsregelungen anerkannt - hinzunehmen, solange sie nicht im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung willkürlich seien (vgl. BSG, Urt. v. 03.03.1999 - B 6 KA 15/98 R – aaO., Rn. 36). Eine Generalklausel könne z.B. zur Anwendung kommen, wenn sich überraschend Änderungen der Versorgungsstruktur in einer bestimmten Region ergeben, weil etwa einer von wenigen Vertragszahnärzten in einer Stadt unvorhergesehen aus der vertragszahnärztlichen Versorgung ausgeschieden sei. Die von diesem Zahnarzt bisher behandelten Patienten müssten dann kurzfristig auf andere Zahnarztpraxen ausweichen, was zwangsläufig zu einer von diesen Praxen nur eingeschränkt steuerbaren Erhöhung der Zahl der dort behandelten Patienten führen werde. Vergleichbares gelte für die Änderung der Behandlungsausrichtung einer zahnärztlichen Praxis im Vergleich zum Bemessungszeitraum, etwa wenn sich ein bisher allgemein zahnärztlich tätiger Vertragszahnarzt auf oral-chirurgische Behandlungen konzentriert und deshalb höhere Fallwerte erreiche (vgl. BSG, Urt. v. 21.10.1998 - B 6 KA 65/97 R – aaO. Rn. 23). Darauf reagierende Differenzierungen hinsichtlich der Festlegung der individuellen Bemessungsgrundlage seien nicht nur dann geboten, wenn ihr Unterlassen zur Existenzgefährdung zahnärztlicher Praxen führen würde. Ein Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass sich auf eine Verletzung des Gebotes der Honorarverteilungsgerechtigkeit nur solche Vertrags(zahn)ärzte berufen können, bei denen die Anwendung der jeweils angegriffenen Honorarverteilungsregelung zu existenzbedrohenden Konsequenzen führen könnte, ist dem Vertrags(zahn)arztrecht fremd (vgl. BSG, Urt. v. 21.10.1998 - B 6 KA 65/97 R – aaO. Rn. 25).

Zur Erweiterung von Praxis- und Zusatzbudgets gemäß Nr. 4.3 der Allgemeinen Bestimmungen A I., Teil B, EBM 1996 im Einzelfall zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs hat das BSG zur Auslegung des Begriffs "besonderer Versorgungsbedarf" entschieden, dass der besondere Versorgungsbedarf eine im Leistungsangebot der Praxis tatsächlich zum Ausdruck kommende Spezialisierung und eine von der Typik der Arztgruppe abweichende Praxisausrichtung voraussetze, die messbaren Einfluss auf den Anteil der im Spezialisierungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl der Praxis habe. Dies erfordere vom Leistungsvolumen her, dass bei dem Arzt das durchschnittliche Punktzahlvolumen je Patient in dem vom Budget erfassten Bereich die Budgetgrenze übersteige und zudem, dass bei ihm im Verhältnis zum Fachgruppendurchschnitt eine signifikant überdurchschnittliche Leistungshäufigkeit vorliegt, die zwar allein noch nicht ausreiche, aber immerhin ein Indiz für eine entsprechende Spezialisierung darstelle (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 80/04 R - SozR 4-2500 § 87 Nr. 12 = GesR 2006, 363, jurisRn. 15 m.w.N.).

Die Beurteilung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Der Beklagten steht insoweit kein – der gerichtlichen Nachprüfung nur eingeschränkt zugänglicher – Beurteilungsspielraum zu. Es gelten dieselben Erwägungen wie zu den Ausnahmen von der Teilbudgetierung nach Nr. 4 der Weiterentwicklungsvereinbarung vom 7. August 1996 (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 87 Nr. 26) und der Erweiterung der Praxis- und Zusatzbudgets (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 87 Nr. 31).

Ausgehend hiervon hält die Kammer zunächst die Ermächtigung des Vorstands der Beklagten für rechtmäßig. Die Kammer vermag aber im Anschluss an die Rechtsprechung der 12. Kammer des SG Marburg (vgl. Urteile vom 21.05.2008, S 12 KA 18/07 Rn. 54 und S 12 KA 55/07 Rn. 51) keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Höhe des Honorars und Umfang des Regelleistungsvolumens zu erkennen. Die Fallpunktzahlen werden, KV-bezogen und nach Altersgruppen, anhand des artgruppenspezifischen Leistungsbedarfs in Punkten in den Quartalen II/03 bis I/04 und der Fallzahl berechnet. Der so ermittelte Fallwert für die in die Regelleistungsvolumina einbezogenen Leistungen wird mit dem Faktor 0,8 malgenommen, d. h. um 20 % vermindert (vgl. Anlage 2 zum Teil III BRLV). Im Ergebnis bedeutet dies, dass jeder Vertragsarzt nicht eigene Durchschnittswerte, sondern die seiner Honorargruppe zuerkannt bekommt. Damit gehen die Honorarregelungen von einem gleichförmigen Leistungsgeschehen aus, was im Grundsatz, da auf die Fachgruppen abgestellt wird, nicht zu beanstanden ist. Eine Ungleichbehandlung und damit ein Verstoß gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit kann jedoch dann vorliegen, wenn die Praxis einen zur Fachgruppe atypischen Versorgungsbedarf abdeckt. Dies ist unabhängig von der Honorarhöhe oder evtl. erfolgten Ausgleichszahlungen nach Ziff. 7.5 HVV. Insoweit kann die Beklagte der Klägerin nicht entgegenhalten, sie sei aufgrund der Zahlung von erheblichen Auffüllbeträgen im Rahmen der Ausgleichsregelung nicht beschwert. Auch der Hinweis der Beklagten, dass durch die Ausgleichsregelung für alle Behandlungsfälle, auf welche entweder die Ziffer 30700 oder die Ziffer 30701 angewendet worden sei, die bestehenden Honorarverluste vollständig ausgeglichen worden seien und so durch Sondervereinbarungen ein Fallwertausgleich im Bereich der AOK Hessen und der BKK Hessen zu 100% erreicht worden sei, vermag diese Feststellung nicht zu erschüttern. Der Beklagten mag zwar zuzugestehen sein, dass im Ergebnis und gerade aufgrund der hier mitaufgenommenen Sonderregelung für die Schmerztherapeuten die Anwendung der Ziff. 7.5 HVV, deren Inhalt und Rechtmäßigkeit nicht Gegenstand dieses Verfahrens war, die Bedeutung des Umfangs des Regelleistungsvolumens verringern, da Ziff. 7.5 HVV wesentlich an den individuellen Fallwerten des Vorjahresquartals anknüpft und auf dieser Grundlage Honorarveränderungen im Bereich von mehr als 5 % nach oben oder unten weitgehend nivelliert. Die Ausnahmeregelung im HVV sieht aber eine solche Verknüpfung zur Regelung nach Ziff. 7.5 HVV nicht vor, sondern ist vielmehr gerade Ausdruck des Gleichbehandlungsgebots, nach dem Ungleiches nicht gleich behandelt werden darf. Im Übrigen verliert die Honorarverteilung an Transparenz und Akzeptanz, wenn Unterschiede im Leistungsgeschehen nicht mehr adäquat erfasst werden. Maßstab für eine Ausnahmeregelung ist allein, wie bereits ausgeführt, ob im Leistungsangebot der betroffenen Praxis eine Spezialisierung und eine von der Typik der Arztgruppe abweichende Ausrichtung zum Ausdruck kommt, die messbaren Einfluss auf den Anteil der auf den Spezialisierungsbereich entfallenden abgerechneten Punkte auf die Gesamtpunktzahl der Praxis hat.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jede im Vergleich zur Fachgruppe vermehrte Erbringung von Einzelleistungen oder Leistungsgruppen oder Spezialisierung einen Ausnahmefall begründen kann, da dann die Regelleistungsvolumina ihren Zweck der Kalkulationssicherheit nicht mehr erreichen könnten. § 85 Abs. 4 und 4a SGB V gibt keine Vorgabe für differenzierte Ausnahmen und gibt insoweit die Tendenz der Nivellierung des Leistungsgeschehens vor. Von daher ist es auch nicht zu beanstanden, dass weder der Bewertungsausschuss noch der HVV ein den die früheren Praxisbudgets ergänzenden Zusatzbudgets vergleichbares Instrumentarium vorsehen. Auch wird im Regelfall ein Ausnahmetatbestand nicht vorliegen, wenn generell in allen oder vielen Leistungsbereichen ein gegenüber der Fachgruppe erhöhtes Leistungsvolumen abgerechnet wird, da insoweit die Regelleistungsvolumina auch der Leistungsbegrenzung dienen. Eine generelle Festlegung, wann ein Ausnahmefall vorliegt, kann aber, da es sich um eine Regelung für atypische Einzelfälle handelt, nicht getroffen werden.

Im vorliegenden Fall liegt jedoch eindeutig ein schmerztherapeutischer Schwerpunkt der klägerischen Praxis vor. Maßgeblich kann zum Nachweis eines schmerztherapeutischen Schwerpunktes auf die nur einmal im Krankheitsfall zulässige Abrechnung der Ziffer 30700 EBM 2005 (Zuschlag zum Ordinationskomplex für die Basisabklärung und umfassende schmerztherapeutische Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten gemäß der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten nach § 135 Abs. 2 SGB V) und die nur einmal im Behandlungsfall zulässige Abrechnung der Ziffer 30701 EBM 2005 (Zuschlag zum Ordinationskomplex für die Fortführung einer umfassende schmerztherapeutische Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten gemäß der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten nach § 135 Abs. 2 SGB V) abgestellt werden. Diese Ziffern, die nach dem EBM 2000plus nicht mehr nebeneinander abgerechnet werden können, geben verlässlich an, bei welchen Patienten es sich um sog. Schmerzpatienten nach der Schmerztherapievereinbarung handelt. Allein diese Patienten machen in der klägerischen Praxis in den streitgegenständlichen Quartalen durchschnittlich einen Anteil von 71% aus. Damit liegt ein signifikanter Schwerpunkt vor, auch wenn diese beiden Leistungsziffern selbst, da extrabudgetär vergütet, nicht dem Regelleistungsvolumen unterliegen. Aufgrund dieses Schwerpunktes mit Schmerzpatienten ist aber eine Vergleichbarkeit mit der Fachgruppe, der die klägerische Praxis zugerechnet wird, nicht gegeben. Aus den Honorarabrechnungen der Klägerin ergibt sich, dass von etwa 175 Praxen aus der Fachgruppe der Anästhesiologen rechnen nur etwa 35 Praxen die Ziffern 30700 und 30701 EBM 2005 abrechnen. Die Schmerztherapie setzt ein besonderes Leistungsgeschehen voraus, was nicht zuletzt auch in der Begrenzung auf 300 Schmerzpatienten bzw. die Begrenzung der Abrechnung der spezifischen Ziffer 30701 EBM 2005 auf 300 Behandlungsfälle im Quartal im EBM zum Ausdruck kommt. Von daher ist für Schmerztherapeuten insbesondere in der Fachgruppe der Anästhesiologen eine starke Inhomogenität gegeben, die die Zuerkennung eines Regelleistungsvolumens aufgrund von Durchschnittswerten der Fachgruppe nicht zulassen, sondern eine Sonderregelung für schwerpunktmässig schmerztherapeutisch tätige Praxen erfordern.

Aufgrund dieses Praxisschwerpunkts ist daher von einem Ausnahmefall auszugehen, da eine Unwirtschaftlichkeit bisher nicht festgestellt wurde.

Ausgehend von dem festgestellten Praxisschwerpunkt wird die Beklagte daher zu prüfen haben, ob und ggf. in welchem Umfang sie das Regelleistungsvolumen erhöht. Die Kammer kann aber, da es zunächst der Beklagten obliegt, ihr Ermessen auszuüben, zur Ermessensausübung keine konkreten Vorgaben machen. Sie kann nur allgemein darauf hinweisen, dass zunächst die auf der Grundlage des Schwerpunkts im einzelnen Behandlungsfall notwendigerweise zu erbringenden Leistungen zu erfassen und den Regelleistungsvolumina gegenüber zu stellen sind. Dabei kann die Beklagte weiter berücksichtigen, dass die Regelleistungsvolumina selbst nur auf einer 80 %-Grundlage, die dem Ausgleich anderer Regelungen, Stützungsmaßnahmen und von der Rechtsprechung geschütztem Wachstum sog. junger oder kleinen Praxen geschuldet ist, berechnet sind, d. h. dass Überschreitungswerte der Regelleistungsvolumina um 25 % dieser Berechnungsweise innewohnen und bereits von daher nicht zu einer Erhöhung des Regelleistungsvolumens führen müssen. Die Beklagte kann aber auch entsprechend der Berechnung nach Anlage 2 zum Teil III BRLV den praxisspezifischen Leistungsbedarf der klägerischen Praxis in Punkten in den Quartalen II/03 bis I/04 und der Fallzahl berechnen und den so ermittelten Fallwert für die in die Regelleistungsvolumina einbezogenen Leistungen mit dem Faktor 0,8 malnehmen. Wie die Fachgruppe würde der Leistungsbedarf der klägerischen Praxis anhand der genannten Referenzquartale ermittelt werden. Aufgrund des besonderen Versorgungsbedarfs wäre dann aber der Leistungsbedarf der klägerischen Praxis maßgebend. Im Rahmen der Gleichbehandlung wäre der so ermittelte Bedarf ebf. mit dem Faktor 0,8 malzunehmen, da auf diese Weise eine Punktwertstabilisierung erreicht werden soll. Sollte sich erweisen, dass bei der Fachgruppe insgesamt weniger als 80 % der Leistungen berücksichtigt werden, so kann die Beklagte dies bei der Sonderregelung ebf. berücksichtigen. Gleichfalls hält es die Kammer angesichts der Zahl von ca. 30 bis 50 schmerztherapeutischen Praxen für zulässig, dass die Beklagte anhand deren Abrechnungswerte ein spezifisches Regelleistungsvolumen bildet, wobei Praxen, die nicht vollumfänglich, d. h. mit Anteilen von 90 % und mehr, schmerztherapeutisch tätig sind, entsprechend ihres Umfangs zu gewichten sind.

Die Beklagte hat bei einer erneuten Bescheidung festzustellen, ob und in welchem Umfang die klägerische Praxis überhaupt tatsächlich noch hausärztlich tätig ist. Bei der Neubewertung der Fallpunktzahlen können typisch hausärztliche Leistungen ggf. entsprechend herausgerechnet werden bzw. kann das Regelleistungsvolumen nach den gewichteten Anteilen Schmerztherapie/Hausärztliche Tätigkeit gewichtet werden. Es kann jedenfalls berücksichtigt werden, dass nicht gleichzeitig eine Spezialisierung und allgemein-hausärztliche Tätigkeit nebeneinander für einen Arzt geltend gemacht werden kann.

Nach allem war der Klage daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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