Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 R 295/08 A
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 806/09 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zur Voraussetzung der "hinreichenden Erfolgsaussicht" gemäß § 114 Satz 1 ZPO.
2. Die Klärung schwieriger Rechtsfragen hat im Prozesskostenhilfeverfahren keinen Platz
2. Die Klärung schwieriger Rechtsfragen hat im Prozesskostenhilfeverfahren keinen Platz
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 1. September 2009 aufgehoben und der Beschwerdeführerin mit Wirkung vom 27. Juni 2008 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin B., B-Stadt, beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten vor dem Sozialgericht Landshut wegen der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Im hier vorliegenden Verfahren wendet sich die Klägerin und Beschwerdeführerin (Bf.) gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (im Folgenden: PKH) und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten.
Die Bf. ist serbische Staatsangehörige und lebt auch dort. Seit Februar 1988 bezieht sie eine Invalidenrente vom serbischen Versicherungsträger. Über den zugrunde liegenden Antrag entschied auf Seiten der deutschen Rentenversicherung die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) mit Bescheid vom 26.03.1990. Sie lehnte eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit mangels Eintritt des Versicherungsfalls ab. Die Bf. behauptet, in der Angelegenheit sei auch ein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden; als Nachweis hat sie eine einzige Seite eines Widerspruchsbescheids der BfA vorgelegt. Behördliche Unterlagen zu dem Rentenverfahren sind nicht mehr vorhanden. Dass die BfA über den Rentenantrag entschieden hatte, hat sich erst während des aktuellen Klageverfahrens herausgestellt.
Am 14.04.2006 beantragte die Bf. bei der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Bg.) eine Rente wegen Erwerbsminderung. Sie verdeutlichte, sie sehe den Eintritt einer Erwerbsminderung im Jahr 1987.
Mit Bescheid vom 13.10.2006 lehnte die Bg. den Rentenantrag ab, weil, ausgehend vom Antragsdatum, in den letzten 60 Kalendermonaten statt der erforderlichen 36 keine Pflichtbeitragszeiten (im Folgenden: Drei-Fünftel-Belegung) zurückgelegt worden seien.
Am 02.03.2007 stellte die Bf. den Antrag, den Bescheid vom 13.10.2006 gemäß § 44 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch zurückzunehmen. Die Bg. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27.03.2007 ab. Sie begründete dies damit, im Bescheid vom 13.10.2006 sei zu Recht die Erfüllung der Drei-Fünftel-Belegung verneint worden. Am 23.04.2007 legte
die Bf. dagegen Widerspruch mit der Begründung ein, sie beziehe bereits seit 1988 in Serbien eine Invalidenrente. Seit dieser Zeit sei sie schwer krank. Das habe sie davon abgehalten, die Drei-Fünftel-Belegung zu erfüllen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2008 wies die Bg. den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie stützte sich in der Begründung nunmehr darauf, eine relevante Erwerbsminderung liege nicht vor.
Mit Schriftsatz vom 07.03.2008 hat die Bf. beim Sozialgericht Landshut Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 27.06.2008 hat sie die Bewilligung von PKH und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten beantragt. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die BfA über den Rentenantrag aus dem Jahr 1987 entschieden hatte, hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 01.09.2009 diese Anträge mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. Die Leistungsvoraussetzung der Drei-Fünftel-Belegung, so das Sozialgericht zur Begründung, liege nicht vor. Nach den vorhandenen Unterlagen sei ausgeschlossen, dass vor 1996 eine Erwerbsminderung eingetreten sei. Bei einem Eintritt des Versicherungsfalls im Jahr 1996 sei die Drei-Fünftel-Belegung jedoch nicht mehr erfüllt.
Gegen den Beschluss vom 01.09.2009 richtet sich die mit Schriftsatz vom 04.09.2009 eingelegte Beschwerde. Diese wird damit begründet, die Zahlung freiwilliger Beiträge sei aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs immer noch möglich; ein solcher Anspruch bestehe, weil die BfA die Bf. nur unzureichend über die Gestaltungsmöglichkeiten informiert habe, aufgetretene Lücken im Versicherungsverlauf zu schließen bzw. diese zu verhindern. Das wirke sich letztlich dahin aus, dass die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI erfüllt seien und deswegen die Drei-Fünftel-Belegung nicht erforderlich sei. Auf den Einwand der Bg., die Bf. habe auf Seite 2 des Bescheids vom 26.03.1990 einen entsprechenden Hinweis erhalten, hat sie erwidert, dieser Hinweis sei ungenügend; zudem hätte sie im Widerspruchsbescheid erneut aufgeklärt werden müssen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten der Bg. sowie die Akten des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Es erscheint angemessen, der Bf. PKH rückwirkend zu bewilligen und ihre Prozessbevollmächtigte beizuordnen.
Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 der Zivilprozessordnung erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das Tatbestandsmerkmal "hinreichende Erfolgsaussicht" ist unter Berücksichtigung seiner verfassungsrechtlichen Bezüge zu interpretieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes geboten. Das ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet (vgl. BVerfGE 81, 347 ; stRspr). Verfassungsrechtlich ist zwar nicht zu beanstanden, wenn die Gewährung von PKH davon abhängig gemacht wird, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das bedeutet zugleich, dass PKH nur verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfGE 81, 347
; stRspr).
Gemessen daran war die Entscheidung des Sozialgerichts, PKH und die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten der Bf. abzulehnen, zum Zeitpunkt seiner Entscheidung richtig. Als das Sozialgericht den Beschluss vom 01.09.2009 erlassen hat, war aus seiner Sicht nach damaliger Aktenlage die Erfolgsaussicht des Klagebegehrens nur eine entfernte. Denn im Juni 2009 hatte sich definitiv herausgestellt, dass der Vortrag der Bf., es sei von Seiten eines deutschen Rentenversicherungsträgers nie über den Rentenantrag aus dem Jahr 1987 entschieden worden, falsch war. Nachdem sich das Sozialgericht erfolglos bemüht hatte, die Akten jenes mit Bescheid vom 26.03.1990 abgeschlossenen Verfahrens beizuziehen, hat es den PKH-Antrag abgelehnt.
Seinerzeit hat für das Sozialgericht kein Anlass bestanden, im Rahmen der "hinreichenden Erfolgsaussicht" zu prüfen, ob auf dem Weg des § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI in Verbindung mit dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch möglicherweise die fehlende
Drei-Fünftel-Belegung überwunden werden könnte. Denn ein entsprechender Vortrag der Bf. hatte noch nicht vorgelegen. Zwar gilt auch im PKH-Verfahren das Amtsermittlungsprinzip. Dieses wird jedoch durch erhöhte Mitwirkungspflichten der Antrag stellenden Partei, besonders wenn sie anwaltlich vertreten ist, überlagert; das kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass diese nach den gesetzlichen Vorgaben die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH glaubhaft machen muss. Die Mitwirkungspflicht der Bf. hat sich hier darin niedergeschlagen, dass das Sozialgericht ohne entsprechenden Hinweis von deren Seite keine Ermittlungen zu eventuellen Beratungsmängeln hat anstellen müssen.
Jedoch muss aufgrund des zwischenzeitlichen, neuen Sachvortrags der Bf. der Beschluss des Sozialgerichts aufgehoben und deren Anträgen entsprochen werden.
Zwar ergibt die vom Senat angestellte rechtliche Prüfung, dass die Erfolgsaussichten der Bf. eher pessimistisch einzuschätzen sind. Der von ihr geltend gemachte sozialrechtliche Herstellungsanspruch wird sich mit einiger Wahrscheinlichkeit als nicht zielführend erweisen.
Indes stimmt der Senat der Bf. zu, dass die Belehrung durch die BfA im Bescheid vom 26.03.1990 unzureichend war. Es war seinerzeit geboten, die Bf. auf die Lücke im Versicherungsverlauf hinzuweisen, die seit Beginn des Rentenverfahrens entstanden war, und ihr insoweit die Entrichtung freiwilliger Beiträge zu empfehlen. Darauf zielte offensichtlich auch die auf Seite 2 des Bescheids vorgedruckte Belehrung. Dadurch aber, dass die BfA die erforderlichen individuellen Eintragungen unterlassen hatte, hatte sie bei unbefangener Betrachtungsweise bei der Bf. möglicherweise den Eindruck erweckt, der Entrichtung freiwilliger Beiträge bedürfte es gerade nicht. Ungeklärt ist, ob mit dem Widerspruchsbescheid, von dem die Bf. nur eine einzige Seite vorlegen konnte und dessen Datum nicht einmal bekannt ist, eine hinreichende Belehrung nachgeholt wurde. Selbst wenn man dies zu Gunsten der Bf. verneinend unterstellen würde, erschiene die von ihr aus der Beratungspflichtverletzung abgeleitete Rechtsfolge zweifelhaft.
Die Bf. vertritt die Ansicht, dass der Verstoß der BfA gegen Belehrungspflichten dazu führen müsste, dass freiwillige Beiträge für sämtliche "Lückenzeiten" bis zum Eintritt des Ver-
sicherungsfalls nachentrichtet werden dürften. Das habe zur Folge, dass für diese Zeiten im Sinn von § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI keine Anwartschaftserhaltungszeiten erforderlich seien, was wiederum bewirke, dass die Voraussetzungen von § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI erfüllt seien. Dem vermag sich der Senat nicht ohne weiteres anzuschließen.
Das Ergebnis, zu dem die Bf. gelangt ist, könnte nur dann richtig sein, wenn sich die Beratungspflicht der BfA aus Anlass der Ablehnung einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente im Jahr 1990 auf die rentenversicherungsrechtliche Belegung auch künftiger Zeiträume erstreckt hätte. Es erscheint jedoch nicht fernliegend, der BfA nur eine auf den Zeitraum des Rentenverfahrens bezogene Beratungspflicht aufzuerlegen. Eine in die Zukunft gerichtete konkrete Beratung zu verlangen, würde nach Ansicht des Senats dagegen die Obliegenheiten des Rentenversicherungsträgers überspannen. Denn angesichts der Unvorhersehbarkeit der weiteren Erwerbsbiografie und der Mannigfaltigkeit der rentenversicherungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dürfte eine konkretisierte Informationsvermittlung für die Zukunft kaum möglich gewesen sein.
Denkbar wäre jedoch, wie es das Bundessozialgericht im Urteil vom 25.08.1993 - 13 RJ 43/92 (SozR 3-5750 Art 2 § 6 ArNVG Nr. 7, S. 31) angedeutet hat, dass die BfA die Bf. darauf hätte hinweisen müssen, dass jene zur Erhaltung ihrer versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung lückenlos seit 01.01.1984 Anwartschaftserhaltungszeiten vorzuweisen habe. Diese Frage bedarf keiner weiteren Erörterung. Denn selbst wenn man eine solche weiter gehende Beratungspflicht annähme, so spräche Einiges dafür, dass der Schutzzweckzusammenhang zwischen deren Verletzung und den Lücken im Versicherungsverlauf spätestens mit der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Juni 1996 beendet worden war. Von da an tut man sich schwer, Lücken im Versicherungsverlauf einer Informationspflichtverletzung seitens der BfA etliche Jahre vorher anzulasten.
Dagegen wird die Bf. kaum einwenden können, der Versicherungsfall sei so frühzeitig eingetreten, dass die nach dieser entgeltlichen Beschäftigung aufgetretenen Lücken im Versicherungsverlauf ohne Auswirkungen bleiben würden. Der Senat geht anders als das Sozialgericht davon aus, dass der Versicherungsfall tatsächlich erst im Februar 2008 eingetreten ist. Denn eine dahin gehende Meinungsäußerung der Bg. im Schriftsatz vom
05.11.2008 hat die Prozessbevollmächtigte der Bf. - egal, ob zu Recht - als Teilanerkenntnis interpretiert und dieses vorbehaltslos angenommen; ihr ging es offensichtlich darum, den Eintritt des Versicherungsfalls unverrückbar zu fixieren. Einen früheren Eintritt des Versicherungsfalls hat sie in diesem Kontext nicht behauptet.
Dass der Senat trotz der eher ungünstigen Perspektive der Klägerin eine hinreichende Erfolgsaussicht im prozesskostenhilferechtlichen Sinn bejaht, beruht auf dem verfassungsrechtlich begründeten Verbot, das Hauptsachverfahren in das PKH-Verfahren zu verlagern. Insoweit muss berücksichtigt werden, dass die Klärung schwieriger Rechtsfragen im PKH-Verfahren keinen Platz hat (vgl. BVerfG NJW 2000, S. 1936; BVerfG NJW 2003, S. 1857). Die Lösung der rechtlichen Probleme, die der Senat angesprochen hat, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Auch wenn sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Tendenz zu Ungunsten der Bf. abzeichnet, so hat sich diese erst nach einer rechtlichen Prüfung geoffenbart, die ihrerseits das PKH-Verfahren "überstrapazieren" würde.
Auch die übrigen, insbesondere die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH liegen vor. Es erscheint unangemessen, der Bf. zur Bestreitung der Prozesskosten den Einsatz ihres Hauses, in dem sie und ihr Ehemann wohnen, abzuverlangen, auch wenn dieses mit 120 qm Wohnfläche relativ groß ist. Eine Veräußerung wäre angesichts des vergleichsweise geringen Betrags, der für die Prozessführung notwendig ist, unverhältnismäßig. Gleiches nimmt der Senat wegen der hohen, damit verbundenen Kosten für eine Beleihung des Hauses an.
PKH ist rückwirkend zum Zeitpunkt der vollständigen Antragstellung zu bewilligen (vgl. nur BAG MDR 2004, S. 415; OLG Karlsruhe FamRZ 2004, S. 122 und 1217; Kalthoener/ Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Auflage 2005,
RdNr. 503, 504). Dass die Bf. erst am 04.09.2009 auf einen möglichen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch hingewiesen hat, bedingt keine Rückwirkung nur bis dorthin.
Die Anwaltsbeiordnung beruht auf § 121 Abs. 2 ZPO. Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist ohne Zweifel "erforderlich".
Eine Entscheidung zur Tragung der außergerichtlichen Kosten unterbleibt wegen § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten vor dem Sozialgericht Landshut wegen der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Im hier vorliegenden Verfahren wendet sich die Klägerin und Beschwerdeführerin (Bf.) gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (im Folgenden: PKH) und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten.
Die Bf. ist serbische Staatsangehörige und lebt auch dort. Seit Februar 1988 bezieht sie eine Invalidenrente vom serbischen Versicherungsträger. Über den zugrunde liegenden Antrag entschied auf Seiten der deutschen Rentenversicherung die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) mit Bescheid vom 26.03.1990. Sie lehnte eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit mangels Eintritt des Versicherungsfalls ab. Die Bf. behauptet, in der Angelegenheit sei auch ein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden; als Nachweis hat sie eine einzige Seite eines Widerspruchsbescheids der BfA vorgelegt. Behördliche Unterlagen zu dem Rentenverfahren sind nicht mehr vorhanden. Dass die BfA über den Rentenantrag entschieden hatte, hat sich erst während des aktuellen Klageverfahrens herausgestellt.
Am 14.04.2006 beantragte die Bf. bei der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Bg.) eine Rente wegen Erwerbsminderung. Sie verdeutlichte, sie sehe den Eintritt einer Erwerbsminderung im Jahr 1987.
Mit Bescheid vom 13.10.2006 lehnte die Bg. den Rentenantrag ab, weil, ausgehend vom Antragsdatum, in den letzten 60 Kalendermonaten statt der erforderlichen 36 keine Pflichtbeitragszeiten (im Folgenden: Drei-Fünftel-Belegung) zurückgelegt worden seien.
Am 02.03.2007 stellte die Bf. den Antrag, den Bescheid vom 13.10.2006 gemäß § 44 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch zurückzunehmen. Die Bg. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27.03.2007 ab. Sie begründete dies damit, im Bescheid vom 13.10.2006 sei zu Recht die Erfüllung der Drei-Fünftel-Belegung verneint worden. Am 23.04.2007 legte
die Bf. dagegen Widerspruch mit der Begründung ein, sie beziehe bereits seit 1988 in Serbien eine Invalidenrente. Seit dieser Zeit sei sie schwer krank. Das habe sie davon abgehalten, die Drei-Fünftel-Belegung zu erfüllen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2008 wies die Bg. den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie stützte sich in der Begründung nunmehr darauf, eine relevante Erwerbsminderung liege nicht vor.
Mit Schriftsatz vom 07.03.2008 hat die Bf. beim Sozialgericht Landshut Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 27.06.2008 hat sie die Bewilligung von PKH und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten beantragt. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die BfA über den Rentenantrag aus dem Jahr 1987 entschieden hatte, hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 01.09.2009 diese Anträge mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. Die Leistungsvoraussetzung der Drei-Fünftel-Belegung, so das Sozialgericht zur Begründung, liege nicht vor. Nach den vorhandenen Unterlagen sei ausgeschlossen, dass vor 1996 eine Erwerbsminderung eingetreten sei. Bei einem Eintritt des Versicherungsfalls im Jahr 1996 sei die Drei-Fünftel-Belegung jedoch nicht mehr erfüllt.
Gegen den Beschluss vom 01.09.2009 richtet sich die mit Schriftsatz vom 04.09.2009 eingelegte Beschwerde. Diese wird damit begründet, die Zahlung freiwilliger Beiträge sei aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs immer noch möglich; ein solcher Anspruch bestehe, weil die BfA die Bf. nur unzureichend über die Gestaltungsmöglichkeiten informiert habe, aufgetretene Lücken im Versicherungsverlauf zu schließen bzw. diese zu verhindern. Das wirke sich letztlich dahin aus, dass die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI erfüllt seien und deswegen die Drei-Fünftel-Belegung nicht erforderlich sei. Auf den Einwand der Bg., die Bf. habe auf Seite 2 des Bescheids vom 26.03.1990 einen entsprechenden Hinweis erhalten, hat sie erwidert, dieser Hinweis sei ungenügend; zudem hätte sie im Widerspruchsbescheid erneut aufgeklärt werden müssen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten der Bg. sowie die Akten des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Es erscheint angemessen, der Bf. PKH rückwirkend zu bewilligen und ihre Prozessbevollmächtigte beizuordnen.
Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 der Zivilprozessordnung erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das Tatbestandsmerkmal "hinreichende Erfolgsaussicht" ist unter Berücksichtigung seiner verfassungsrechtlichen Bezüge zu interpretieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes geboten. Das ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet (vgl. BVerfGE 81, 347 ; stRspr). Verfassungsrechtlich ist zwar nicht zu beanstanden, wenn die Gewährung von PKH davon abhängig gemacht wird, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das bedeutet zugleich, dass PKH nur verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfGE 81, 347
; stRspr).
Gemessen daran war die Entscheidung des Sozialgerichts, PKH und die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten der Bf. abzulehnen, zum Zeitpunkt seiner Entscheidung richtig. Als das Sozialgericht den Beschluss vom 01.09.2009 erlassen hat, war aus seiner Sicht nach damaliger Aktenlage die Erfolgsaussicht des Klagebegehrens nur eine entfernte. Denn im Juni 2009 hatte sich definitiv herausgestellt, dass der Vortrag der Bf., es sei von Seiten eines deutschen Rentenversicherungsträgers nie über den Rentenantrag aus dem Jahr 1987 entschieden worden, falsch war. Nachdem sich das Sozialgericht erfolglos bemüht hatte, die Akten jenes mit Bescheid vom 26.03.1990 abgeschlossenen Verfahrens beizuziehen, hat es den PKH-Antrag abgelehnt.
Seinerzeit hat für das Sozialgericht kein Anlass bestanden, im Rahmen der "hinreichenden Erfolgsaussicht" zu prüfen, ob auf dem Weg des § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI in Verbindung mit dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch möglicherweise die fehlende
Drei-Fünftel-Belegung überwunden werden könnte. Denn ein entsprechender Vortrag der Bf. hatte noch nicht vorgelegen. Zwar gilt auch im PKH-Verfahren das Amtsermittlungsprinzip. Dieses wird jedoch durch erhöhte Mitwirkungspflichten der Antrag stellenden Partei, besonders wenn sie anwaltlich vertreten ist, überlagert; das kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass diese nach den gesetzlichen Vorgaben die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH glaubhaft machen muss. Die Mitwirkungspflicht der Bf. hat sich hier darin niedergeschlagen, dass das Sozialgericht ohne entsprechenden Hinweis von deren Seite keine Ermittlungen zu eventuellen Beratungsmängeln hat anstellen müssen.
Jedoch muss aufgrund des zwischenzeitlichen, neuen Sachvortrags der Bf. der Beschluss des Sozialgerichts aufgehoben und deren Anträgen entsprochen werden.
Zwar ergibt die vom Senat angestellte rechtliche Prüfung, dass die Erfolgsaussichten der Bf. eher pessimistisch einzuschätzen sind. Der von ihr geltend gemachte sozialrechtliche Herstellungsanspruch wird sich mit einiger Wahrscheinlichkeit als nicht zielführend erweisen.
Indes stimmt der Senat der Bf. zu, dass die Belehrung durch die BfA im Bescheid vom 26.03.1990 unzureichend war. Es war seinerzeit geboten, die Bf. auf die Lücke im Versicherungsverlauf hinzuweisen, die seit Beginn des Rentenverfahrens entstanden war, und ihr insoweit die Entrichtung freiwilliger Beiträge zu empfehlen. Darauf zielte offensichtlich auch die auf Seite 2 des Bescheids vorgedruckte Belehrung. Dadurch aber, dass die BfA die erforderlichen individuellen Eintragungen unterlassen hatte, hatte sie bei unbefangener Betrachtungsweise bei der Bf. möglicherweise den Eindruck erweckt, der Entrichtung freiwilliger Beiträge bedürfte es gerade nicht. Ungeklärt ist, ob mit dem Widerspruchsbescheid, von dem die Bf. nur eine einzige Seite vorlegen konnte und dessen Datum nicht einmal bekannt ist, eine hinreichende Belehrung nachgeholt wurde. Selbst wenn man dies zu Gunsten der Bf. verneinend unterstellen würde, erschiene die von ihr aus der Beratungspflichtverletzung abgeleitete Rechtsfolge zweifelhaft.
Die Bf. vertritt die Ansicht, dass der Verstoß der BfA gegen Belehrungspflichten dazu führen müsste, dass freiwillige Beiträge für sämtliche "Lückenzeiten" bis zum Eintritt des Ver-
sicherungsfalls nachentrichtet werden dürften. Das habe zur Folge, dass für diese Zeiten im Sinn von § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI keine Anwartschaftserhaltungszeiten erforderlich seien, was wiederum bewirke, dass die Voraussetzungen von § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI erfüllt seien. Dem vermag sich der Senat nicht ohne weiteres anzuschließen.
Das Ergebnis, zu dem die Bf. gelangt ist, könnte nur dann richtig sein, wenn sich die Beratungspflicht der BfA aus Anlass der Ablehnung einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente im Jahr 1990 auf die rentenversicherungsrechtliche Belegung auch künftiger Zeiträume erstreckt hätte. Es erscheint jedoch nicht fernliegend, der BfA nur eine auf den Zeitraum des Rentenverfahrens bezogene Beratungspflicht aufzuerlegen. Eine in die Zukunft gerichtete konkrete Beratung zu verlangen, würde nach Ansicht des Senats dagegen die Obliegenheiten des Rentenversicherungsträgers überspannen. Denn angesichts der Unvorhersehbarkeit der weiteren Erwerbsbiografie und der Mannigfaltigkeit der rentenversicherungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dürfte eine konkretisierte Informationsvermittlung für die Zukunft kaum möglich gewesen sein.
Denkbar wäre jedoch, wie es das Bundessozialgericht im Urteil vom 25.08.1993 - 13 RJ 43/92 (SozR 3-5750 Art 2 § 6 ArNVG Nr. 7, S. 31) angedeutet hat, dass die BfA die Bf. darauf hätte hinweisen müssen, dass jene zur Erhaltung ihrer versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung lückenlos seit 01.01.1984 Anwartschaftserhaltungszeiten vorzuweisen habe. Diese Frage bedarf keiner weiteren Erörterung. Denn selbst wenn man eine solche weiter gehende Beratungspflicht annähme, so spräche Einiges dafür, dass der Schutzzweckzusammenhang zwischen deren Verletzung und den Lücken im Versicherungsverlauf spätestens mit der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Juni 1996 beendet worden war. Von da an tut man sich schwer, Lücken im Versicherungsverlauf einer Informationspflichtverletzung seitens der BfA etliche Jahre vorher anzulasten.
Dagegen wird die Bf. kaum einwenden können, der Versicherungsfall sei so frühzeitig eingetreten, dass die nach dieser entgeltlichen Beschäftigung aufgetretenen Lücken im Versicherungsverlauf ohne Auswirkungen bleiben würden. Der Senat geht anders als das Sozialgericht davon aus, dass der Versicherungsfall tatsächlich erst im Februar 2008 eingetreten ist. Denn eine dahin gehende Meinungsäußerung der Bg. im Schriftsatz vom
05.11.2008 hat die Prozessbevollmächtigte der Bf. - egal, ob zu Recht - als Teilanerkenntnis interpretiert und dieses vorbehaltslos angenommen; ihr ging es offensichtlich darum, den Eintritt des Versicherungsfalls unverrückbar zu fixieren. Einen früheren Eintritt des Versicherungsfalls hat sie in diesem Kontext nicht behauptet.
Dass der Senat trotz der eher ungünstigen Perspektive der Klägerin eine hinreichende Erfolgsaussicht im prozesskostenhilferechtlichen Sinn bejaht, beruht auf dem verfassungsrechtlich begründeten Verbot, das Hauptsachverfahren in das PKH-Verfahren zu verlagern. Insoweit muss berücksichtigt werden, dass die Klärung schwieriger Rechtsfragen im PKH-Verfahren keinen Platz hat (vgl. BVerfG NJW 2000, S. 1936; BVerfG NJW 2003, S. 1857). Die Lösung der rechtlichen Probleme, die der Senat angesprochen hat, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Auch wenn sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Tendenz zu Ungunsten der Bf. abzeichnet, so hat sich diese erst nach einer rechtlichen Prüfung geoffenbart, die ihrerseits das PKH-Verfahren "überstrapazieren" würde.
Auch die übrigen, insbesondere die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH liegen vor. Es erscheint unangemessen, der Bf. zur Bestreitung der Prozesskosten den Einsatz ihres Hauses, in dem sie und ihr Ehemann wohnen, abzuverlangen, auch wenn dieses mit 120 qm Wohnfläche relativ groß ist. Eine Veräußerung wäre angesichts des vergleichsweise geringen Betrags, der für die Prozessführung notwendig ist, unverhältnismäßig. Gleiches nimmt der Senat wegen der hohen, damit verbundenen Kosten für eine Beleihung des Hauses an.
PKH ist rückwirkend zum Zeitpunkt der vollständigen Antragstellung zu bewilligen (vgl. nur BAG MDR 2004, S. 415; OLG Karlsruhe FamRZ 2004, S. 122 und 1217; Kalthoener/ Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Auflage 2005,
RdNr. 503, 504). Dass die Bf. erst am 04.09.2009 auf einen möglichen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch hingewiesen hat, bedingt keine Rückwirkung nur bis dorthin.
Die Anwaltsbeiordnung beruht auf § 121 Abs. 2 ZPO. Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist ohne Zweifel "erforderlich".
Eine Entscheidung zur Tragung der außergerichtlichen Kosten unterbleibt wegen § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
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