L 5 KR 72/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 47 KR 143/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 72/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
kein Krankengeld bie nachträglich ausgesteller AUB
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 5. Februar 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist ein Anspruch auf Krankengeld.

1.

Die 1958 geborene Klägerin leidet an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie und war deswegen immer wieder in den Nervenkliniken des Großraums E-Stadt in stationärer Behandlung unter anderem 1977, 1979, 1980, 1982, 1994 und 2000. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz von 60 v. H. anerkannt. Durch das Amtsgericht D., Vormundschaftsgericht, ist Betreuung der Klägerin angeordnet.

Die Klägerin stand seit 17.09.2002 im Arbeitslosengeldbezug und war deswegen gesetzlich Krankenversicherte der Beklagten. Wegen Absetzung der psychopharmakologischen Medikation kam es im Frühsommer 2003 zu einem weiteren Ausbruch der Erkrankung der Klägerin, so dass sie ab 01.07.2003 im Bezirkskrankenhaus H. untergebracht war. Nach der Entlassung aus der stationären Unterbringung war die Klägerin wegen Arbeitslosengeldbezug bis 28.01.2004, bis zur Erschöpfung des Anspruches, bei der Beklagten gemäß Arbeitslosengeldantrages vom 21.01.2004 gesetzlich krankenversichert. Ein Arbeitslosenhilfeantrag der Klägerin vom 22.01.2004 wurde mangels Bedürftigkeit mit Bescheid vom 04.02.2004 abgelehnt. Aus diesem Grunde blieb eine Veränderungsmitteilung der Klägerin vom 03.02.2004, sie sei ab 02.02.2004 arbeitsunfähig erkrankt, für den Leistungsbezug nach dem SGB III ohne Folgen. Ab 29.01.2004 ist die Klägerin freiwillig bei der Beklagten krankenversichert.

2.

Am 09.02.2004 stellte der behandelnde Nervenarzt Dr. G. der Klägerin eine Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit (AUB) beginnend ab 02.02.2004 aus. Am 16.02.2004 erstellte Dr. G. eine weitere AUB ab 26.01.2004 mit dem Vermerk "nachträgliche Ausstellung, damals telefonischer Kontakt bei nachvollziehbarer depressiver Symptomatik". Mit Schreiben vom 17.02.2004 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) lehnte die Beklagte Krankengeldzahlung infolge Arbeitsunfähigkeit ab 02.02.2004 ab, weil die Versicherungspflicht zum 28.01.2004 geendet habe, ab 29.01.2004 kein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bestehe. Antragsunterlagen für eine freiwillige Weiterversicherung würden noch zugesandt. Mit Bescheid vom 27.02.2004/Widerspruchsbescheid vom 12.01.2005 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld ab 29.01.2004 mit der Begründung ab, dass Arbeitsunfähigkeit nicht rückwirkend attestiert werden dürfe. Ein dazu in den Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien anerkannter Ausnahmefall sei tatbestandsmäßig nicht erfüllt.

3.

Die dagegen erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 05.02.2009). Das Sozialgericht hat einen Anspruch auf Krankengeld mit der Begründung verneint, dieser entstehe erst mit dem Tag, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folge. Ein Ausnahmefall dazu sei nicht anzuerkennen, weil die Klägerin im fraglichen Zeitpunkt weder handlungsunfähig noch ohne gesetzlichen Vertreter gewesen sei. Ein Krankengeldanspruch hätte daher erst mit der ersten AUB des Dr. G. entstehen können. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin wegen Ende des Leistungsbezuges jedoch bereits freiwillig Versicherte ohne Anspruch auf Krankengeld gewesen.

Dagegen hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Sie hat geltend gemacht, maßgeblich sei der vom behandelnden Arzt Dr. G. attestierte Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Zudem sei sie krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig die Arbeitsunfähigkeit attestieren zu lassen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 05.02.2009 sowie die Bescheide der Beklagten vom 17.02.2004 und 27.02.2004 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 26.01. bis 19.03.2004 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des Amtsgerichts B-Stadt, Vormundschaftsgericht sowie die Leistungsakten der F ... Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Instanzen wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG), jedoch unbegründet. Die Klägerin hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Krankengeld, weil dieser erst mit dem Folgetag der ärztlichen Bescheinigung entstehen kann und zu diesem Zeitpunkt nur eine freiwillige Versicherung der Klägerin ohne Krankengeldanspruch bestanden hatte.

Streitgegenstand sind die Ablehnungsbescheide der Beklagten vom 17.02. und 27.02.2004 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2005. Diese sind zu Recht ergangen, wie das Sozialgericht mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 05.02.2009 zutreffend entschieden hat.

1.

Gesetzlich krankenversicherte Personen wie die Klägerin, die bis 28.01.2004 infolge Arbeitslosengeldbezuges versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten war, haben gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf (Arbeitslosen-)
Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Arbeitsunfähig ist, wer durch Krankheit daran gehindert ist, seine Arbeit zu verrichten. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt.

2.

In Auswertung der medizinischen Dokumentation, insbesondere des Dr. G., ist nachgewiesen, dass eine AUB i. S. d. § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V erst am 09.02.2004 ausgestellt wurde. Ein Anspruch auf Krankengeld der Klägerin konnte deshalb frühestens am Folgetag, den 10.02.2004 entstehen. Hierbei ist maßgeblich, dass nach ständiger Rechtsprechung die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine reine Formalität darstellt, die auch rückdatiert werden könnte. Aus den Regelungszusammenhängen ist zu entnehmen, dass es den gesetzlichen Krankenkassen nicht zugemutet werden soll, die Voraussetzungen eines verspätet gemeldeten Krankengeldanspruches im Nachhinein aufklären zu müssen. Sie sollen vielmehr die Möglichkeit behalten, Arbeitsunfähigkeit zeitnah durch den MDK überprüfen zu lassen, um Leistungsmissbräuchen entgegenzutreten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2005 - B 1 KR 30/04 R).

Ein von dieser strikten Regelung abweichender, anzuerkennender Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.

a) Weder ist die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch Umstände verhindert oder verzögert, die dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzuordnen wären noch sind sonstige, der Beklagten zuzurechnenden Fehlabläufe erkennbar.

b) Auch die weitere Ausnahmemöglichkeit für Fälle, in denen es den Versicherten unmöglich war, die rechtzeitige Attestierung der Arbeitsunfähigkeit zu veranlassen, liegt nicht vor. Zwar litt die Klägerin nach der gesamten ärztlichen Dokumentation unter einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie, die nur unter ständiger ärztlicher pharmakologischer Behandlung gehindert ist, in vollem Umfange auszubrechen. Diese Krankheit war im Laufe des Jahres 2003 wieder ausgebrochen, mit der Folge der Unterbringung im Bezirkskrankenhaus H ... Jedoch hatte sich dieser Zustand der Entgleisung infolge der stationären Behandlung gebessert, wie die beigezogenen Berichte aus dem Verfahren des Amtsgerichts B-Stadt - Vormundschaftsgericht - beweisen. Danach war die medizinische Behandlung so erfogreich, dass die Klägerin Anfang 2004 auch wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen konnte und in Realisierung ihres Arbeitslosengeld-Restanspruches Leistungen der F. bezog.

Es ist zwar denkbar, dass entsprechend den Ausführungen und den Bescheinigungen des Dr. G. die Klägerin tatsächlich am 26.01.2004 wiederum unter den Folgen der psychischen Erkrankung gelitten hatte. Die entsprechende Einschätzung des Dr. G. ist in Anbetracht des Krankheitsverlaufes nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Allerdings bestehen auch gegenteilige Anhaltspunkte, die jedenfalls belegen, dass der von Dr. G. angenommene Wiederausbruch der Krankheit es der Klägerin nicht außer Stand gesetzt hatte, einen Arzt zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufzusuchen. Denn die beigezogenen Akten der F. beweisen, dass die Klägerin am 21.01.2004 in der Lage war, persönlich auf der Arbeitsagentur B-Stadt vorzusprechen und ihren Restanspruch auf Arbeitslosengeld geltend zu machen. Dabei konnte sie angeben, dass ihre Vermittlungsfähigkeit auch gesundheitlich nicht eingeschränkt war. Zudem konnte sie am Folgetag, dem 22.01.2004 ebenfalls auf der Arbeitsagentur B-Stadt persönlich Arbeitslosenhilfe beantragen und dabei durch Ankreuzen die Erklärung abgeben, sie sei nicht aus gesundheitlichen Gründen in der Vermittelbarkeit eingeschränkt. In die gleiche Richtung deutet, dass die Klägerin am 03.02.2004 eigenhändig eine Veränderungsmitteilung gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit unterzeichnet hat, sie sei ab 02.02.2004 arbeitsunfähig erkrankt.

In Auswertung der ärztlichen Feststellung des Dr. G. und der Dokumentation der F. ergibt sich somit, dass Hinweise für und gegen eine Arbeitsunfähigkeit bestehen. Die Nichterweislichkeit der Arbeitsunfähigkeit geht aber zu Lsten der Klägerin. Darüber hinaus fehlt es an der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Ausnahmefalls der nachträglichen AUB nämlich an der Verhinderung, die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig attestieren zu lassen.
3.

In der Folge kann ein Anspruch auf Krankengeld erst ab dem 10.02.2004 entstehen. Aber zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Der Arbeitslosengeldbezug hatte bereits am 28.01.2004 geendet, Arbeitslosenhilfe hatte die Klägerin nicht erhalten. Infolge der fristgerechten Erklärung des Betreuers der Klägerin war diese somit ab dem 29.01.2004 freiwillig Versicherte der Beklagten ohne Anspruch auf Krankengeld. In diesem Versicherungsstatus konnte die Klägerin Krankengeld nicht erhalten.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte den Anstoß dafür gegeben hatte, dass ihr Betreuer die freiwillige Krankenversicherung beantragt hatte und damit ein fortbestehender Leistungsanspruch gemäß § 19 Abs. 2 SGB V entfallen ist. Aus der Literatur zu § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ist nämlich zu entnehmen, dass ernst zu nehmende Stimmen die fortlaufende Leistungsberechtigung des § 19 Abs. 2 SGB V nur zur Geltung kommen lassen, wenn innerhalb der für einen Monat fortbestehenden Mitgliedschaft ein neues Versicherungsverhältnis entsteht oder dieses erkennbar ist. Diese auf die Entstehungsgeschichte Bezug nehmende Ansicht könnte auch auf Fälle wie den vorliegenden angewandt werden. Zum anderen entstehen gerade in Betreuungsfällen psychisch schwer erkrankter Personen insbesondere wegen der Vorversicherungszeiten als besonderer Voraussetzung der freiwilligen Krankenversicherung, immer wieder Streitfälle zur Rechtzeitigkeit eines Antrags auf freiwillige Versicherung. Vor diesem Hintergrund entsprach es der Sorgfaltspflicht des Betreuers, der wegen der schweren permanent behandlungsbedürftigen chronischen psychischen Erkrankung in einem vormundschaftsgerichtlichen Verfahren für die Klägerin bestellt worden war, deren Krankenversicherungsschutz ohne Eingehung von Risiken sicherzustellen und zwar möglichst nahtlos. Dass die Beklagte auf die freiwillige Versicherung hingewirkt hat, ist ihr somit nicht vorzuwerfen; ihr Vorgehen entsprach vielmehr der gesetzlich normierten Pflicht, keine Risiken für die sozialen Rechte der Versicherten entstehen zu lassen

Die Beklagte hat damit zu Recht einen Anspruch auf Krankengeld für den streitigen Zeitraum verneint. Die Berufung bleibt vollumfänglich ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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