L 7 VG 10/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 1 VG 22/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VG 10/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. März 2005 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte dem Kläger wegen von ihm anerkannter gesundheitlicher Folgen einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) über den 31. August 2001 hinaus eine Beschädigtenrente in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu gewähren hat.

Der am ... 1940 geborene Kläger beantragte am 18. April 1992 beim Beklagten Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG. Er machte geltend, am 16. November 1991 durch einen Hammerschlag einen Schädeldachdefekt erlitten zu haben. An diesem Tage war der Kläger im Verlauf eines Streits mit einem Nachbarn vor dem gemeinsam bewohnten Haus zu Boden gegangen. Noch am selben Tage war er in die chirurgische Abteilung des Kreiskrankenhauses H. aufgenommen worden. Dort hatte er angegeben, er sei von dem Nachbarn mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen worden. Bereits am Aufnahmetag war er wegen einer röntgenologisch und klinisch gesicherten Schädelimpressionsfraktur (unvollständiger Biegungsbruch am Schädeldach) operiert worden.

In einem Gutachten für die Kriminalpolizei vom 19. November 1991 hatte der Oberarzt der chirurgischen Abteilung Dr. B. eine 5 cm lange, um 0,5 cm klaffende, blutende Wunde im Bereich des linken Hinterkopfes (okzipital) und eine Impressionsfraktur in einer Flächenausdehnung von 8 mal 6 cm mit einem eingepressten Knochenstück von 1,5 mal 5 cm Größe beschrieben. Die Hirnhaut und die Gefäße seien nicht verletzt gewesen. Dr. B. hatte eine "offene Schädelimpressionsfraktur links occipitale" sowie ein Schädel-Hirn-Trauma I. Grades diagnostiziert. Die Verletzung könne mit einem Hammer oder einem ähnlichen Gegenstand herbeigeführt worden sein. Die Verursachung einer solchen Verletzung durch heftiges Aufschlagen des Kopfes auf einen ähnlichen Gegenstand könne aber nicht ausgeschlossen werden. Wegen anhaltender Kopfschmerzen und Schwindelgefühl sei am 19. November 1991 ein Neurologe konsultiert worden. Nach dessen Befund bestehe eine Schädigung des Kleinhirns und der rechten Großhirnseite (Hirnschwellung, Prellungsbezirk oder Bluterguss möglich).

Der Kläger war bis zum 10. Januar 1992 in der chirurgischen Abteilung und anschließend bis zum 2. März des Jahres in der neurologisch-psychiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses H. stationär behandelt worden. Durch ein Computertomogramm (CT) vom 29. November 1991 waren im Frakturbereich intrakraniell (innerhalb des Schädels) zwei größere Knochensplitter nachgewiesen worden sowie ein größeres Hirnödem (Einlagerung von Wasser in das Gehirn) ohne Anhalt für Blutung. Das Elektroenzephalogramm (EEG) vom 23. Dezember 1991 hatte ein lokales Hirnödem frontal (stirnseitig) gezeigt. Nach dem Krankenhausbericht der chirurgischen Abteilung vom 9. Januar 1992 hatten sich bei persistierendem (anhaltendem) Kopfschmerz die neurologischen Symptome nur allmählich zurückgebildet. Eventuelle Diskrepanzen zwischen den objektiv klinisch nachweisbaren Befunden und den subjektiven Beschwerden seien durch eine psychogene Überlagerung zu erklären. Bei der Entlassung sei der neurologische Status weitgehend unauffällig gewesen.

Der wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagte Nachbar hatte die Tat bestritten. Das Kreisgericht H. hatte ihn mit Urteil vom 23. Juli 1992 freigesprochen. Es hatte den Tatvorwurf als nicht erwiesen angesehen.

Nach Beiziehung der Akte des Kreisgerichts H. lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 27. September 1994 ab und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 18. Oktober 1995 zurück. Zur Begründung führte er an, es sei nicht feststellbar, dass die erlittene Kopfverletzung auf einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG zurückzuführen sei. Mit seiner hiergegen beim Sozialgericht Halle zu dem Aktenzeichen – S 1 VG 110/95 – erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er hielt an seiner Darstellung des schädigenden Ereignisses fest. In der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 1997 vernahm das Sozialgericht Zeugen über den Vorfall am 16. November 1991. Mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag erhob der Kläger einen Anspruch auf die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG wegen der Folgen der am 16. November 1991 erlittenen offenen Schädelimpressionsfraktur links. Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 13. Februar 1997 ab und führte zur Begründung aus, ein vorsätzlicher tätlicher Angriff auf den Kläger sei nicht nachgewiesen. Dieser trage die objektive Beweislast.

Hiergegen legte der Kläger beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung ein. Der Senat zog von der Bundesknappschaft, bei der der Kläger im Juni 1996 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beantragt hatte, das Gutachtenheft bei. In einem darin enthaltenen Entlassungsbericht der B.-Klinik vom 12. November 1996 waren folgende Diagnosen festgehalten worden: Ausgeprägtes hirnorganisches Psychosyndrom (HOPS) nach Schädel-Hirn-Trauma III. Grades, Schädelfraktur, Contusio cerebri (Hirnprellung) mit Hirnleistungsstörung und affektiver Störung. Die Ärzte waren zu dem Ergebnis gekommen, die Leistungsfähigkeit des Klägers sei wegen der Hirnleistungsstörung und der neurotischen Verarbeitung der Verletzungsfolgen der Gewalttat auf Dauer aufgehoben. Diese Beurteilung war durch die Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dedek, Sozialmedizinischer Dienst der Bundesknappschaft H., vom 18. März 1997 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Poser vom 6. Mai des Jahres im Wesentlichen bestätigt worden. Bei der Beurteilung der Hirnleistungsfähigkeit hatten sich alle diese Ärzte auf eine testpsychologische Diagnostik des Diplompsychologen Dr. S. vom 21. Juni 1995 gestützt. Außerdem holte der Senat von den behandelnden Ärzten Befundberichte ein.

In der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2001 vernahm der Senat nochmals Zeugen über den Vorfall am 16. November 1991. Nach der Zeugenvernehmung und einer Zwischenberatung des Senats schlossen die Beteiligten den folgenden Teilvergleich:

1. Der Kläger begrenzt sein Begehren im vorliegenden Verfahren auf folgenden Antrag:

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 13. Februar 1997 und den Bescheid des Beklagten vom 27. September 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 1995 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ab 1. November 1991 als Schädigungsfolge "mit Defekt verheilte offene Schädelimpressionsfraktur mit zwei intrakraniell verbliebenen Knochensplittern" anzuerkennen und ihm dafür Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz mit Wirkung vom 1. November 1991 zu gewähren.

2. Für den Fall, dass der Kläger bezüglich dieses Antrags rechtskräftig obsiegt, verpflichtet sich der Beklagte, dem Kläger bezüglich der vollständigen Schädigungsfolgen und der Minderung der Erwerbsfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben und aufgrund eines etwaigen besonderen beruflichen Betroffenseins mit Wirkung vom 1. November 1991 einen neuen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen.

3. Der Beklagte geht auch dabei davon aus, dass der Kläger am 16. November 1991 durch einen tätlichen Angriff im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes geschädigt worden ist und Versagungsgründe nicht vorliegen.

4. Bei der Neubescheidung wird er sich nicht darauf berufen, dass der Bescheid vom 27. September 1994 bestandskräftig geworden sei.

Mit Urteil vom 23. Mai 2001 gab das Landessozialgericht der Berufung mit dem gemäß Ziffer 1 des Teilvergleichs gestellten Antrag statt. Die Begründung stützte es auf § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Es führte im Einzelnen aus, der Kläger sei am 16. November 1991 von seinem Nachbarn tätlich und auch vorsätzlich und rechtswidrig angegriffen worden. Nach Überzeugung des Senats habe dieser ihn mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen. Es lägen auch keine Gründe vor, aus denen die Leistungen nach § 2 OEG zu versagen seien. Am Schluss des Urteils heißt es, infolge des tätlichen Angriffs habe der Kläger auch "die geltend gemachte gesundheitliche Schädigung erlitten". Eine gesundheitliche Beeinträchtigung sei gemäß der Verweisung auf § 1 Abs. 1 und 3 BVG dann eine "Schädigungsfolge", wenn deren Ursache mit Wahrscheinlichkeit auf den tätlichen Angriff zurückzuführen sei. Der Kläger leide infolge der Tat an einer "mit Defekt verheilten offenen Schädelimpressionsfraktur mit zwei intrakraniell verbliebenen Knochensplittern". Diese unmittelbare somatische Folge der Verletzung sei klinisch noch unverheilt schon unmittelbar nach dem Vorfall und sodann computertomographisch gestützt von den behandelnden Ärzten im Kreiskrankenhaus H. "und zuletzt weiterhin anlässlich der Rentenbegutachtung festgestellt worden". Schon aufgrund dieser Schädigungsfolge bestehe ein Anspruch auf Versorgung, der gemäß § 60 Abs. 1 BVG im Monat der Schädigung beginne. Über etwaige weitere Schädigungsfolgen werde der Beklagte aufgrund des in der mündlichen Verhandlung geschlossenen Vergleichs zu entscheiden haben. Das Urteil ist rechtskräftig geworden.

Zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus Ziff. 2 des Teilvergleichs leitete der Beklagte Ermittlungen zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts ein. Im Auftrag des Beklagten erstellte der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Neuroradiologie Dr. G. das Gutachten vom 12. September 2001. Er untersuchte den Kläger am 23. August des Jahres. In einer für die Untersuchung gefertigten schriftlichen Aufstellung der Gesundheitsstörungen, die er auf die Gewalttat zurückführe, gab der Kläger an: Kopfschmerzen, Rauschen und Summen im Kopf, Vergesslichkeit, Konzentrationsschwäche, Ausdauerminderung, Angstgefühl, Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, Nervosität, Schlafstörungen, Schwindel, Schmerzen Halswirbelsäule und Hinterkopf. Der Sachverständige ließ durch den Facharzt für Diagnostische Radiologie Dipl.-Med. H. am 27. August 2001 ein Computertomogramm (CT) und ein Magnetresonanztomogramm (MRT) des Neurocraniums (Gehirnschädel) erstellen. Nach dessen Beurteilung zeigte sich bei Zustand nach linksokzipitaler Kalottenimpressionsfraktur lediglich eine leichte Impression bzw. Verdickung der Schädelkalotte (Schädeldach) um ca. 5 bis 6 mm mit leicht pelottierendem (drückendem) Effekt auf den Gyrus occipitalis (Gehirnwindungen an der Oberfläche des Hinterhauptlappens) links, der aber keine pathologische Signalveränderung aufweise. Insgesamt seien supra- und infratentoriell (im Bereich des Kleinhirnzeltes) keine entzündlichen, tumurösen oder vasculären Läsionen nachweisbar. Auch Hinweise auf posttraumatische intrakranielle Blutungen ergäben sich bei fehlendem Nachweis von Hämosiderin (Blutfarbstoffreste) nicht. Außerdem zog der Sachverständige die Krankenakte der chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses H. bei und wertete auch die in den Akten des Beklagten enthaltenen medizinischen Unterlagen einschließlich der beigezogenen Unterlagen der Bundesknappschaft aus. Der Sachverständige berichtete über seine eigene Befragung des Klägers, die von diesem angegebenen Symptome der aufgelisteten Gesundheitsstörungen seien von der Intensität her minimal gewesen. Der von ihm durchgeführte Test, mit dem erhoben werde, was der Proband primär (also vor der Schädigung) verfügbar hatte, habe eine unterdurchschnittliche Intelligenz ergeben. Die Hirndiagnostik durch den Diplompsychologen Dr. S. sei nicht verlässlich. Der Sachverständige Dr. G. kam zu dem Ergebnis, intrakranielle Knochensplitter lägen nicht vor. Eine Verletzung der Dura (harte Hirnhaut) sei schon in dem Bericht über die Operation ausgeschlossen worden. Für ein traumatisches organisches Psychosyndrom sehe er keine Grundlage. Objektiv seien als verletzungsbedingte Folgen verblieben:

Knöchern fast völlig, nach Meinung des Radiologen Dipl.-Med. H. vollständig, abgedeckte Trepanationslücke (Lücke infolge der Aufbohrung der knöchernen Schädeldecke mit einem Trepan [Bohrgerät]) links okzipital mit kleinem Knochenbuckel nach intrakraniell (in Richtung der Innenseite des Schädels) ohne funktionelle Störungen und ohne lokale Hirnläsion (MdE 10 v.H.). Lokal okzipitale Hirnödemreaktion in der akuten Phase ohne verbleibende bildmorphologische Hirnrinden- oder Marklagerschädigung. Kein Anhalt für eine lokale Kontusionsblutung. Keine andersartigen hirntraumatischen Läsionen. (MdE 0 v.H.).

Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes erließ der Beklagte den "Ausführungsbescheid" vom 14. Dezember 2001, in dem er die folgenden vier Entscheidungen bekannt gab: Als durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 OEG entstandene Schädigungsfolgen erkannte er mit Wirkung vom 1. November 1991 an: "mit Defekt verheilte offene Schädelimpressionsfraktur mit zwei intrakraniell verbliebenen Knochensplittern". Die Gewährung einer Rente lehnte er ab, da die Schädigungsfolgen keine rentenberechtigende MdE um mindestens 25 v.H. gemäß § 30 Abs. 1 BVG bedingten. Er stellte fest, dass die anerkannten Schädigungsfolgen einen Anspruch auf Heilbehandlung begründeten. Die Anerkennung der vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen "Kopfschmerzen, ständiges Rauschen im Kopf, Nervosität und Schlafstörungen" als Schädigungsfolgen lehnte er ab.

Zur Begründung führte der Beklagte an, nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen habe der Kläger infolge des tätlichen Angriffs am 16. November 1991 eine Schädelimpressionsfraktur ohne Verletzung der Dura erlitten. Die klinische Symptomatik infolge des Gewalttraumas entspreche einem Schädel-Hirn-Trauma I. Grades. Das in der akuten Phase nach der Gewalteinwirkung festgestellte Hirnödem sei kurze Zeit später folgenlos abgeklungen. Da hirntraumatische Läsionen nicht verblieben seien, könnten aus dem erlittenen Gewalttrauma hirnorganisch bedingte Veränderungen, etwa im Sinne eines hirnorganischen Psychosyndroms bzw. einer hirnorganisch bedingten Persönlichkeitsstörung nicht resultieren. Die beim Kläger vorliegenden Symptome einer psychischen Störung wiesen auch nicht die Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung auf. Die Entscheidung über eine besondere berufliche Betroffenheit im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG bleibe einem weiteren Bescheid vorbehalten.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, schon die nach dem Berufungsurteil anzuerkennende Schädigungsfolge bedinge jedenfalls eine MdE um 25 v.H. Für den ärztlichen Dienst des Beklagten vertrat die Gutachterin Dr. W. in ihren Stellungnahmen vom 27. Februar und 15. April 2003 die Auffassung, nach den CT- und MRT-Befunden vom 27. August 2001 liege als Schädigungsfolge nur noch eine "ohne Defekt verheilte offene Schädelimpressionsfraktur" mit einer MdE um 0 v.H. vor. Davor habe ein nicht gedeckter Substanzverlust am Schädel vorgelegen, der nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" von 1996 (Nr. 26.2) eine MdE um 30 v.H. bedinge. Dieser Beurteilung schloss sich der Beklagte an. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2003 half er dem Widerspruch insoweit ab, als er dem Kläger für den Zeitraum vom 1. November 1991 bis zum 31. August 2001 eine Beschädigtenrente nach einer MdE gem. § 30 Abs. 1 BVG um 30 v.H. gewährte. Den weitergehenden Widerspruch wies er zurück. Zur Begründung führte er an, anfangs und auch noch bei der Begutachtung durch den Rentenversicherungsträger im Jahre 1997 habe das Ausmaß des Schädelknochendefekts noch eine MdE um 30 v.H. bedingt. Ab 1. September 2001 würden die Schädigungsfolgen eine MdE um unter 25 v.H. gem. § 30 Abs. 1 BVG bedingen. Durch die CT- und MRT-Aufnahmen vom August 2001 werde nämlich belegt, dass sich die Knochenlücke so gut wie geschlossen habe. Die intrakraniellen Knochensplitter, für die schon zuvor keine MdE messbar gewesen sei, seien nicht mehr erkennbar gewesen. Nach ärztlicher Beurteilung seien sie wahrscheinlich im Laufe der Zeit mit dem knöchernen Rand des Knochendefektes verwachsen und hätten zu einer leichten Verdickung des Schädeldachs geführt. Die nun verbliebenen Schädigungsfolgen rechtfertigten nach den Anhaltspunkten keine rentenberechtigende MdE mehr. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen habe die Gewalttat beim Kläger über die anerkannten Schädigungsfolgen hinaus keine weiteren Gesundheitsstörungen hinterlassen.

Hiergegen hat der anwaltlich vertretene Kläger am 15. Mai 2003 mit dem Ziel der Gewährung der Beschädigtenrente über den 31. August 2001 hinaus beim Sozialgericht Halle Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 2003 hat er beantragt, unter Abänderung des Bescheides vom 14. Dezember 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2003 den Beklagten zu verurteilen, ihm "für die anerkannten Schädigungsfolgen" über den 31. August 2001 hinaus Beschädigtenrente nach einer MdE (gemeint: nach § 30 Abs. 1 BVG) um 30 v.H. zu gewähren.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. K. das Gutachten vom 3. November 2004 eingeholt. Diese hat den Kläger am 27. September des Jahres untersucht. Bei der körperlichen Untersuchung hat sie einen 3,5 x 1,5 cm großen Kalottendefekt gefunden, der inzwischen bindegewebig organisiert sei. Nach der zusammenfassenden Wiedergabe durch die Sachverständige haben die hirnleistungsdiagnostischen Tests Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit ergeben. Das abgeleitete EEG habe Hinweise auf eine Funktionsstörung okzipito-parietal (seitlich am Hinterkopf) gezeigt (Alphaverminderung). Die Sachverständige hat die Auffassung vertreten, der Befund insgesamt spreche für eine Hirnleistungsschwäche, die als posttraumatisch einzustufen sei. Durch die Schlagwirkung sei es zwar nicht zu einer Duraverletzung im Sinne von Duraeinrissen gekommen. Eine Beteiligung des Gehirns werde aber durch den CT-Befund vom 29. November 1991 belegt. Eine zehn Jahre später durchgeführte MRT-Untersuchung mit dem Ergebnis, dass jetzt nichts mehr zu sehen sei, könne eine (gemeint: frühere) Hirnschädigung nicht ausschließen, sondern spreche nur für eine relativ gute Restitution. Zu den Beweisfragen ist die Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, die "Auswirkungen der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung" lägen beim Kläger auch über den 31. August 2001 hinaus vor. Die Bezeichnung der Schädigungsfolge sei nicht zu ändern. Die Erwerbsfähigkeit sei als Folge der Gewalttat um 30 v.H. gemindert.

Der Beklagte hat unter Vorlage einer Stellungnahme seiner Gutachterin Dr. W. vom 29. November 2004 gegen das Gutachten eingewendet, nach den damaligen ärztlichen Befunden sei eine Hirnschädigung durch die Schädelverletzung ausgeschlossen. Auch wenn jetzt bei dem inzwischen 64 Jahre alten Kläger in einem eng umschriebenen Bereich des Gehirns EEG-Veränderungen sichtbar würden, könnten diese keine globale Hirnleistungsminderung bedingen. Bei einer Hirnschädigung in diesem Gebiet wären die zugehörigen sensiblen, praktischen und sprachlichen Funktionen bzw. die Sehfähigkeit gestört.

In der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2005 hat der Kläger den am 29. Oktober 2003 gestellten Antrag unter wörtlicher Zitierung der Bezeichnung der in dem Bescheid vom 14. Dezember 2001 anerkannten Schädigungsfolge wiederholt. Mit Urteil vom 23. März 2005 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 14. Dezember 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2003 abgeändert und den Beklagten verurteilt, für die anerkannte Schädigungsfolge über den 31. August 2001 hinaus Beschädigtenrente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren. Zur Begründung hat es sinngemäß ausgeführt: Aufgrund des am 23. Mai 2001 im Verfahren vor dem Landessozialgericht geschlossenen Teilvergleichs liege beim Kläger ab dem 1. November 1991 als Schädigungsfolge nach dem OEG eine "mit Defekt verheilte offene Schädelimpressionsfraktur mit zwei intrakraniell verbliebenen Knochensplittern" vor. Für diese Schädigungsfolge sei, wie der Beklagte im Widerspruchsbescheid eingeräumt habe, eine MdE um 30 v.H. zu gewähren. In dem Teilvergleich sei die dort anerkannte Schädigungsfolge nicht befristet worden. Sie könne auch nicht aufgrund neuerer Erkenntnisse abgeändert werden. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. G. vom 12. September 2001 habe die anerkannte Schädigungsfolge zwar am 23. Mai 2001 nicht mehr vorgelegen. Dies sei aber unerheblich, da die Schädigungsfolge mit der genannten Bezeichnung durch die rechtskräftige Entscheidung des Landessozialgerichts ausgeurteilt worden sei. Daher müsse es bei dieser Schädigungsfolge verbleiben. Aufgrund dieser Entscheidung und des Teilvergleichs sei der Beklagte verpflichtet, ohne zeitliche Begrenzung für die anerkannte Schädigungsfolge eine Beschädigtenrente nach einer MdE um 30 v.H. zu zahlen. Einen Anspruch auf Feststellung einer weiteren Schädigungsfolge habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht mehr geltend gemacht. Im Übrigen sei eine Verletzung des unter dem Schädel liegenden Gehirns durch den Hammerschlag auch durch das Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. K. nicht, wie erforderlich, nachgewiesen worden.

Der Beklagte hat am 7. Juli 2005 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt gegen das ihm am 9. Juni des Jahres zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Nach seiner Auffassung hat die anerkannte Schädigungsfolge "mit Defekt verheilte offene Schädelimpressionsfraktur mit zwei intrakraniell verbliebenen Knochensplittern" bei Erlass des Urteils des Landessozialgerichts vom 23. Mai 2001 beim Kläger noch vorgelegen. Bei seiner Untersuchung im August 2001 sei die offene Schädelimpressionsfraktur zwar verheilt gewesen, aber nicht folgenlos, sondern mit einem Knochendefekt. Für den Schweregrad der MdE komme es darauf an, ob der Knochendefekt gedeckt oder nicht gedeckt sei. Nach Nr. 26.2 der Anhaltspunkte (Ausgabe von 1996 S. 49) sei ein nicht gedeckter Knochendefekt mit einer MdE um 30 v.H. zu bewerten sei, kleinere Knochenlücken und Substanzverluste (auch größere gedeckte) dagegen nur mit einer MdE um 0 bis10 v.H. Beim Kläger habe ein nicht gedeckter Kalottendefekt erstmals durch die im August 2001 erhobenen Befunde ausgeschlossen werden können. Danach sei daher keine MdE um 30 v.H. mehr begründet. Zwar seien auch "intrakraniell verbliebene Knochensplitter" unbefristet als Schädigungsfolge anerkannt worden, obwohl sie im August 2001 nicht mehr gefunden worden seien. Darauf komme es aber für die Bemessung der MdE nicht an, weil sie keine funktionellen Einschränkungen verursacht hätten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. März 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Berichterstatter hat den Kläger darauf hingewiesen, dass die Tragfähigkeit der Begründung des Urteils des Sozialgerichts fraglich sei. Eine Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger eine Beschädigtenrente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren, sei weder in dem Teilvergleich vereinbart noch in der Entscheidungsformel des Urteils des Landessozialgerichts ausgesprochen worden und könne beiden Texten wohl auch nicht durch Auslegung entnommen werden. Das Gericht habe dem Kläger die in Ziffer 1 des Teilvergleichs enthaltene Klagebeschränkung empfohlen, weil es die Regelungen, zu denen sich der Beklagte in Ziffer 2 des Teilvergleichs verpflichtet habe, insbesondere auch die Bemessung der für die Gewährung einer Beschädigtenrente maßgeblichen MdE, noch nicht für entscheidungsreif gehalten habe. Durch Ziffer 3 des Teilvergleichs habe der Beklagte nur bei Erteilung des neuen Bescheids an das Ergebnis der in dem Termin erfolgten Beweisaufnahme gebunden werden sollen. Auch aus der Bezeichnung der Schädigungsfolge in dem Urteil des Landessozialgerichts könne nicht, wie das Sozialgericht zu meinen scheine, geschlossen werden, dass eine Schädelverletzung in genau dem Sinne gemeint gewesen sei, für die in den Anhaltspunkten Nr. 26. 2 (S. 49 der damals maßgeblichen Fassung von 1996) ein Schweregrad von 30 vorsehen sei. In den

Entscheidungsgründe:

n finde sich dafür keinerlei Anhalt. Die Begründung trage wohl nicht einmal eine Auslegung der Entscheidungsformel, nach der auch noch zum Zeitpunkt der Entscheidung eine "offene" Schädelimpressionsfraktur vorgelegen haben solle. Die nach dem Teilvergleich noch vom Beklagten vorzunehmende Beurteilung der MdE habe gerade nicht präjudiziert werden sollen. Die Klage könnte demnach nur Erfolg haben, wenn die tatsächlichen Auswirkungen der als Schädigungsfolge anerkannten Schädelverletzung auch in der Zeit seit dem 1. September 2001 mindestens einen Schweregrad von 25 bedingten. Ergänzend hat der Berichterstatter den Kläger auch noch darauf hingewiesen, dass das Sozialgericht in dem Urteil vom 23. März 2005 – wie beantragt – nur über die Gewährung einer Beschädigtenrente "für die anerkannte Schädigungsfolge" entschieden habe. Auf die Einschätzung der nach § 109 SGG gutachtlich gehörten Sachverständigen Prof. Dr. K. und deren Vorschlag, eine Hirnleistungsschwäche als Folge einer Hirnschädigung durch die Gewalttat anzuerkennen, komme es demnach nicht an.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die OEG-Akte des Beklagten über den Kläger – Antragsl.-Nr. – 64/92/OEG –, die Schwerbehinderten-Akte – Antragsl.-Nr. 344976 – und die Akte des Sozialgerichts Halle – S 1 VG 110/95 – haben dem Senat in der mündlichen Verhandlung vorgelegen und sind der Entscheidung zugrunde gelegt worden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthafte, Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Die Klage ist als Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 14. Dezember 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2003 ist in dem angefochtenen Umfang rechtmäßig.

Gegenstand des Verfahrens ist nur die Frage, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die Zeit seit dem 1. September 2001 wegen der durch den Bescheid vom 14. Dezember 2001 als gesundheitliche Folge einer Schädigung durch den tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG am 16. November 2001 anerkannten "mit Defekt verheilten offenen Schädelimpressionsfraktur mit zwei intrakraniell verbliebenen Knochensplittern" eine Beschädigtenrente nach einem Schweregrad im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG von 30 zu gewähren. Nach dem von dem anwaltlich vertretenen Kläger in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts am 23. März 2005 gestellten Antrag hat dieser nur einen Anspruch dieses Inhalts erhoben. Wie in der Begründung des Urteils des Sozialgerichts verdeutlicht worden ist, hat der Kläger bewusst weitere Schädigungsfolgen nicht geltend gemacht.

Für die vorliegende Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage die mündliche Verhandlung des Senats.

1. In dem am 1. September 2001 beginnenden streitgegenständlichen Zeitraum sind die maßgeblichen Vorschriften geändert worden. Die Änderungen haben aber auf den vorliegenden Fall in der Sache keine Auswirkungen.

Durch eine Änderung des § 30 Abs. 1 BVG durch das Gesetz vom 13. 12. 2007 (BGBl. I S. 2904) ist die Bezeichnung des Schweregrades als "Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)" durch die Bezeichnung "Grad der Schädigungsfolgen (GdS)" ersetzt worden. Mit der Änderung der Begrifflichkeit hat der Gesetzgeber keine Änderung in der Sache beabsichtigt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drucks. 541/07, S. 68, 80). Daher wird im Folgenden grundsätzlich die neue Bezeichnung verwendet.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG richtet sich der Anspruch auf Versorgung nach dem BVG in entsprechender Anwendung. Rechtsgrundlage für den vom Kläger in diesem Verfahren erhobenen Anspruch auf Beschädigtenrente ist § 31 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 BVG. Diese Vorschriften sind durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. 12. 2007 (a.a.O.) geändert worden. Da das Gesetz keine Übergangsvorschriften enthält, sind diese Vorschriften vom 21. Dezember 2007 an in der neuen Fassung (n.F.) und für den vorangegangenen streitgegenständlichen Zeitraum in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. 1. 1982 (BGBl. I S. 21) und der nachfolgenden Änderungen (a.F.) anzuwenden.

Nach § 31 Abs. 1 BVG a.F. erhielten Beschädigte bei einer MdE um mindestens 30 v.H. eine monatliche Grundrente. Nach Absatz 2 der Vorschrift stellten die nach Absatz 1 für die Höhe der Rente maßgeblichen Vomhundertsätze Durchschnittssätze dar, von denen eine um fünf v.H. geringere MdE mit umfasst wurde. Nach § 31 Abs. 1 BVG n.F. setzt die Gewährung einer Grundrente einen GdS von mindestens 30 voraus.

In der bis zum 21. Dezember 2007 geltenden Fassung des § 30 Abs. 1 BVG waren und in der seitdem geltenden Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz vom 13. 12. 2007 sind die Grundsätze geregelt, nach denen die Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beurteilen war und nach der Neufassung der Grad der Schädigungsfolgen zu beurteilen ist. Nach der alten Fassung des § 30 Abs. 1 BVG war die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren (Satz 1). Für die Beurteilung war maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt waren (Satz 2). Nach der Neufassung ist der Grad der Schädigungsfolgen nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2). Demnach reicht – wie zuvor nach § 31 Abs. 2 BVG a.F. – ein GdS von 25 zur Rentenberechtigung aus.

Als Grundlage für die Beurteilung der für die Bemessung der MdE erheblichen medizinischen Sachverhalte dienten der Praxis die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG v. 18. 9. 2003 – B 9 SB 3/02 RSozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Um verfassungsrechtliche Einwände gegen die Legitimation der "Anhaltspunkte" auszuräumen, ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in § 30 Abs. 17 BVG, der durch das Änderungsgesetz vom 13. 12. 2007 (a.a.O.) angefügt worden ist, zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt worden. Auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassen. Nach ihrem § 1 regelt diese Verordnung unter anderem die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung ihres Schweregrades im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 2 VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" als deren Bestandteil festgelegt. Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind – inhaltlich unverändert – in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 1996, 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden.

2. Der Kläger hat nicht schon, wie das Sozialgericht meint, aufgrund des in dem früheren Verfahren in der mündlichen Verhandlung des Landessozialgerichts am 23. Mai 2001 geschlossenen Teilvergleichs oder aufgrund des Urteils vom selben Tage einen Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 30.

Eine Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger eine Beschädigtenrente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren, ist weder in dem Teilvergleich vereinbart noch in der Entscheidungsformel des Urteils ausgesprochen worden. Sie kann auch weder dem Teilvergleich noch dem Urteil durch Auslegung entnommen werden.

Maßstab für die Auslegung ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Beteiligten bei der Vereinbarung des Teilvergleichs bzw. der Senat bei Erlass des Urteils nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in die getroffene Regelung einbezogen haben (vgl. zur Auslegung eines Verwaltungsakts BSG v. 28. 6. 1990 4 RA 57/89SozR 3-1300 § 32 Nr. 2, S. 11, m.w.N.). Hier war der Senat in der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2001 aufgrund der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die Kopfverletzung infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs erlitten hatte. Dies hat der Senat in dem Urteil eingehend begründet. Wie in der Sitzungsniederschrift festgehalten worden ist, hat sich der Senat nach der Beweisaufnahme zu einer Zwischenberatung zurückgezogen. Daran anschließend ist nach Erörterung der Sach- und Rechtslage von den Beteiligten der Teilvergleich geschlossen worden. Wie der an der vorliegenden Entscheidung als Vorsitzender und an der damaligen Entscheidung als Beisitzer beteiligte Richter in seiner handschriftlichen Mitschrift der mündlichen Verhandlung notiert hat, hat der damalige Vorsitzende nach der Zwischenberatung und vor Abschluss des Teilvergleichs dargelegt, dass nach Überzeugung des Senats ein vorsätzlicher Angriff vorliege. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des Bundessozialgerichts müsse aber über den Versorgungsanspruch als solchen entschieden werden. Der medizinische Sachverhalt sei jedoch noch nicht ausreichend aufgeklärt.

Demnach hat sich der Senat die Frage, ob der Kläger am 16. November 1991 infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hatte, als eine Vorfrage angesehen, über die er aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht isoliert entscheiden dürfe (vgl. die Rechtsprechung des 9. Senats des BSG, nach der im sozialen Entschädigungsrecht im Wege der Feststellungsklage nur nach Nummer 3 des § 55 Abs. 1 SGG die Feststellung begehrt werden kann, ob eine Gesundheitsstörung die Folge einer Schädigung im Sinne des BVG ist; etwa Urt. v. 15. 12. 1999 – B 9 VS 2/98 RSozR 3-3200 § 81 Nr. 16, S. 73 f.). Ob diese Rechtsauffassung zutrifft (a.A. LSG Niedersachsen-Bremen v. 12. 12. 2007 – L 5 VG 15/05 – in juris Rn. 25; vgl. die Rechtsprechung zur gesetzlichen Unfallversicherung, nach der die Klage eines Versicherten auf Feststellung, dass bei ihm der Versicherungsfall einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls eingetreten ist, nach Nummer 1 des § 55 Abs. 1 SGG auch unabhängig von aktuellen Leistungsansprüchen zulässig ist; s. BSG v. 27. 6. 2006 – B 2 U 77/06 BSozR 4-1500 § 55 Nr. 4, Rdnr. 9 m.w.N.), ist hier unerheblich. Entscheidend ist, dass der Senat bei dem Vorschlag des Teilvergleichs für die Beteiligten erkennbar von dieser Rechtsauffassung ausgegangen ist. In dieser Sicht sollte durch den Teilvergleich und die gerichtliche Entscheidung über den vom Kläger im Teilvergleich beschränkten Antrag eine Bindung des Beklagten an die Beurteilung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch den Senat erreicht werden (Ziff. 3 des Vergleichs). Nach Ziff. 2 des Vergleichs sollte der Beklagte aber nicht nur über die vollständigen Schädigungsfolgen, sondern auch über die MdE erst noch in einem weiteren Bescheid entscheiden. Der Beklagte hat sich in dem Teilvergleich weder ausdrücklich noch schlüssig verpflichtet, dabei von einer MdE um wenigstens 30 v.H. auszugehen.

Durch das Urteil des Landessozialgerichts ist der Beklagte, wie vom Kläger beantragt, verurteilt worden, den als "mit Defekt verheilte offene Schädelimpressionsfraktur mit zwei intrakraniell verbliebenen Knochensplittern" bezeichneten Gesundheitsschaden ab 1. November 1991 als Schädigungsfolge anzuerkennen und "dem Kläger dafür Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren". Mit diesem Entscheidungsausspruch hat der Senat dem Kläger nicht einen Anspruch auf eine Beschädigtenrente zuerkannt. Denn nach dem hier gemäß § 1 Abs. 1 OEG entsprechend anzuwendenden § 9 BVG umfasst die Versorgung die dort aufgezählten sechs Leistungsarten, darunter nicht nur die Beschädigtenrente (Ziff. 9), sondern auch Heilbehandlung nach Ziffer 1, die der Beklagte dem Kläger schon mit dem "Ausführungsbescheid" vom 14. Dezember 2001 gewährt hat. Zwar sind zur Auslegung der Entscheidungsformel die Entscheidungsgründe heranzuziehen. Auch diesen ist aber nicht zu entnehmen, dass dem Kläger durch das Urteil eine Beschädigtenrente zuerkannt werden sollte. Als Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung ist lediglich am Anfang der Entscheidungsgründe § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG angeführt worden. Weder § 31 noch § 30 Abs. 1 BVG sind genannt worden, auch nicht bei den Ausführungen zu dem Anspruch auf Versorgung am Schluss der Entscheidungsgründe. Die Entscheidungsgründe enthalten auch keinerlei Ausführungen zur durch die anzuerkennende Schädigungsfolge bedingten MdE. Zwar ist der Entscheidungsausspruch deswegen zu unbestimmt (vgl. BSG v. 27. 2. 2002 – 9 VJ 1/01 R – in juris Rn. 12). Dies hat aber zur Folge, dass das Urteil insoweit nicht vollziehbar ist und der Kläger seinen geltend gemachten Anspruch auf eine Beschädigtenrente nicht auf das Urteil stützen kann.

3. Die Schädigungsfolge, die der Beklagte in Ausführung des Urteils des Landessozialgerichts vom 23. Mai 2001 in dem – insoweit durch den Widerspruchsbescheid vom 24. April 2003 bestätigten – Bescheid vom 14. Dezember 2001 unter der Bezeichnung "mit Defekt verheilte offene Schädelimpressionsfraktur mit zwei intrakraniell verbliebenen Knochensplittern" im Sinne der Entstehung anerkannt hat, bedingt keinen GdS von 30.

Als Schädigungsfolge anerkannt ist demnach ein Gesundheitsschaden am Kopf, dessen Schweregrad nach Nr. 2 der "Versorgungsmedizinischen Grundsätze", Teil B, (S. 18 f.) bzw. nach Nr. 26.2 der Anhaltspunkte (S. 49 der Ausgabe von 1996, S. 38 der Ausgaben von 2004 und 2008) zu bewerten ist.

Die Tabelle sieht die folgenden Einstufungen des Schweregrades vor:

Kleinere Knochenlücken, Substanzverluste (auch größere gedeckte) am knöchernen Schädel ... 0 – 10

Schädelnarben am Hirnschädel mit erheblichem Verlust von Knochenmasse ohne Funktionsstörung des Gehirns (einschließlich entstellender Wirkung) ... 30 Hierzu gehören insbesondere alle traumatisch entstandenen erheblichen (nicht gedeckten) Substanzverluste am Hirnschädel, die auch das innere Knochenblatt betreffen.

Der Senat ist davon überzeugt, dass beim Kläger jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum am Schädel ein nicht gedeckter Substanzverlust tatsächlich nicht mehr vorgelegen hat. Dies ist durch das CT und das MRT vom 27. August 2001 nachgewiesen und von dem Sachverständigen Dr. G., dessen Gutachten der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, im Einzelnen dargelegt worden. Auch die auf Antrag des Klägers gutachtlich gehörte Sachverständige Prof. Dr. K. hat festgestellt, der Knochendefekt sei inzwischen bindegewebig organisiert. Sie meint nur, die relativ gute Heilung schließe nicht sicher aus, dass durch den Hammerschlag das Hirn geschädigt worden sei.

Der Senat ist an dieser Feststellung nicht durch die Bindung des Beklagten an die Anerkennung des in dem Bescheid vom 14. Dezember 2001 bezeichneten Schädelschadens als Schädigungsfolge gehindert. Der beim Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum am Schädel vorliegende Schaden wird zwar durch die Beschreibung der Schädigungsfolge in dem Bescheid nicht richtig bezeichnet. Die Bezeichnung der Schädigungsfolge in dem Bescheid ist aber nicht aussagekräftig genug, um als solche die Grundlage für eine Bemessung des Schweregrads bilden zu können.

Die Bezeichnung der Schädigungsfolge kann nicht anhand des Urteils des Landessozialgerichts vom 23. Mai 2001 so ausgelegt werden, dass sie für die Beurteilung des Schweregrades ausreichen könnte. Wie dargelegt, ist in den Entscheidungsgründen des Urteils die Frage der MdE ausgeklammert geblieben. Dem entsprechend sind in dem Urteil die Anhaltspunkte nicht einmal erwähnt worden. Die Bezeichnung kann auch nicht dahin ausgelegt werden, dass noch zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Landessozialgericht eine "offene Schädelimpressionsfraktur" vorgelegen haben soll. Diese Worte sind aus dem kurz nach der Operation verfassten Gutachten des Oberarztes Dr. B. übernommen worden. Nach den vom Senat ebenfalls herangezogenen Befunden in dem Gutachtenheft der Bundesknappschaft ergab sich aber, dass dieser Schaden inzwischen "mit Defekt verheilt" war. Gemeint ist also eine bei der Operation offene, inzwischen aber mit Defekt verheilte Schädelimpressionsfraktur. Wie lange die Schädelfraktur "offen" war, hat der Senat nicht entschieden. Insoweit ist auch der Entscheidungsausspruch zu der Schädigungsfolge zu unbestimmt und nicht vollziehbar.

Auch der Ausführungsbescheid vom 14. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2003 bietet keine Grundlage für eine Auslegung der in dem Bescheid anerkannten Schädigungsfolge, nach der diese zwingend dem in den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" bzw. den Anhaltspunkten mit einem Schweregrad von 30 bewerteten Schädelschaden zuzuordnen wäre. Ein Ausführungsbescheid hat als solcher nur insoweit eine eigene Regelungsfunktion, als er durch die Ausführung des Urteils die Gestaltungsfunktion der Rechtskraft des Urteils in die Bestandskraft des Bescheides umsetzt (vgl. BSG v. 2. 7. 1997 – 9 RV 21/95SozR 3-3200 § 88 Nr. 2, S. 8).

Der Beklagte hat zunächst in seinem Ausführungsbescheid vom 14. Dezember 2001 lediglich die Bezeichnung der Schädigungsfolge, zu deren Anerkennung er durch das Landessozialgericht verurteilt worden war, übernommen. Die Begründung des Bescheids betrifft nur die Ablehnung der Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und hat damit keine Relevanz für die Auslegung der Bezeichnung der anerkannten Schädigungsfolge. Im Widerspruchsbescheid hat der Beklagte dagegen die anerkannte Schädigungsfolge ohne Änderung ihrer Bezeichnung für den Zeitraum vom 1. November 1991 bis zum 31. August 2001 mit einer MdE um 30 v.H. bewertet, für den streitgegenständlichen anschließenden Zeitraum aber mit einer nicht rentenberechtigenden MdE um unter 25 v.H. Demnach hat er der unveränderten Bezeichnung für den Zeitraum bis zum 31. August 2001 einen anderen Sinn unterlegt als für den anschließenden Zeitraum. In der Begründung des Widerspruchsbescheids hat er darauf abgestellt, durch die CT- und MRT-Befunde vom August 2001 werde eine fast vollständige Schließung der Knochenlücke belegt. Damit hat er aber lediglich den in der Bezeichnung der Schädigungsfolge unbestimmt gebliebenen Zeitpunkt festgelegt, zu dem die zunächst offene Schädelimpressionsfraktur in einem solchen Umfang mit Defekt verheilt war, dass die Bewertung mit einem Schweregrad von 30 nicht mehr gerechtfertigt war. In der Gestalt des Widerspruchsbescheides leidet somit die Bezeichnung der anerkannten Schädigungsfolge nicht mehr an dem Mangel einer unklaren zeitlichen Abgrenzung zwischen offener und mit Defekt verheilter Schädelimpressionsfraktur.

4. Im vorliegenden Verfahren ist nicht zu prüfen, ob beim Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum eine Funktionsstörung des Gehirns vorliegt und ob gegebenenfalls bei deren Einbeziehung ein GdS von 30 erreicht wird. Die Anerkennung eines Schädelschadens und eines Hirnschadens als Schädigungsfolge in der Rechtsform eines Verwaltungsakts ist teilbar. Die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" bzw. die Anhaltspunkte enthalten eine entsprechende Aufteilung. Die Beurteilung des Schweregrades von Hirnschäden richtet sich nach Nummer 3 der "Versorgungsmedizinischen Grundsätze", Teil B, bzw. Nummer 26.3 der Anhaltspunkte. Zwar war in den Anhaltspunkten Nr. 26.2 der Tabelle die folgende Vorbemerkung vorangestellt:

Substanzverluste am knöchernen Schädel und Schädelbrüche sind selten isoliert, vielmehr meist im Zusammenhang mit den Störungen durch die vom Schädel eingeschlossenen Organe zu bewerten.

Diese Regel, die zudem in die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" nicht übernommen worden ist, schließt es aber nicht aus, zunächst den Schädelschaden allein nach der Tabelle in Nummer 26.2 zu bewerten und den danach ermittelten Schweregrad gegebenenfalls wegen Funktionsstörungen des Hirns, deren Schweregrad nach Nummer 26.3 der Anhaltspunkte zu ermitteln ist, zu erhöhen.

Hier hat der Kläger seine Klage ausdrücklich auf die Gewährung einer Beschädigtenrente wegen der anerkannten Schädigungsfolge beschränkt. Schon nach der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2003 kann kein Zweifel daran bestehen, dass die anerkannte Schädigungsfolge die vom Kläger wiederholt angegebenen Funktionsstörungen des Gehirns nicht umfasst. In der Begründung des Urteils des Sozialgerichts ist dies nochmals klargestellt worden.

Nach alledem konnte das Urteil des Sozialgerichts keinen Bestand haben. Die Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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