L 14 R 813/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 R 573/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 813/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die verspätete Weiterleitung eines in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Rentenantrags ist kein dem deutschen Rentenversicherungsträger zuzurechnendes objektives Fehlverhalten.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 27. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Mai 1997 bis 1. September 2001.

Der 1950 geborene Kläger, ein italienischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Italien, hat in Deutschland zwischen August 1968 und Juni 1988 sowie in Italien zwischen September 1976 und April 1978 und zwischen März 1988 und September 1999 mit Unterbrechungen Versicherungszeiten zurückgelegt. Er bezieht seit 1. September 2001 wegen einer Invalidität in Höhe von 70 v.H. eine italienische Invalidenrente nach dem Gesetz Nr. 222 vom 12. Juni 1984. Für die Zeit vor dem 1. September 2001 besteht nach einem Urteil des Arbeitsgerichts N. vom 6. Februar 2002 kein Anspruch auf diese Rente, weil beim Kläger lediglich eine Invalidität in Höhe von 30 v.H. vorgelegen hat.

Am 9. März 2003 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei der Beklagten für den Kläger eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsminderung und bat um Mitteilung, falls der Kläger bereits über den italienischen Versicherungsträger einen solchen Antrag gestellt habe. In Italien hatte der Kläger bereits am 30. April 1997 und 27. September 2001 Anträge auf Rente gestellt, die der Beklagten jedoch erst am
17. März 2004 (Antrag vom 27. September 2001) und 2. Juni 2004 (Antrag vom 30. April 1997) zugingen.

Den Antrag vom 27. September 2001 lehnte die Beklagte nach Auswertung eines vom italienischen Versicherungsträger übersandten Gutachtens des Dr. P. vom 27. Februar 2002 (E 213 - Grad der Invalidität 85 v.H.) mit der Begründung ab, der Kläger sei zwar seit 29. August 2001 auf Dauer teilweise erwerbsgemindert und habe (bereits vor dem 1. Januar 1984) die allgemeine Wartezeit erfüllt, jedoch seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht gegeben (Bescheid vom 6. Mai 2003).

Im Verlauf des anschließenden Widerspruchsverfahrens lehnte die Beklagte den Antrag vom 30. April 1997 nach Auswertung eines vom italienischen Versicherungsträger übersandten Gutachtens der Dres. Z. und P. vom 7. August 1997 (E 213 - Grad der Invalidität 20 v.H.) sowie diverser vom Prozessbevollmächtigten des Klägers übermittelter medizinischer Unterlagen aus der Zeit ab 1997 mit der Begründung ab, beim Kläger liege unter Berücksichtigung der bei ihm festgestellten Gesundheitsstörungen (insulinpflichtiger Diabetes mellitus, reaktive Depression, Fettleber) keine verminderte Erwerbsfähigkeit vor (Bescheid vom 25. Juni 2004).

Nach Mitteilung weiterer italienischer Versicherungszeiten (E 205 I vom 31. Juli 2003) bewilligte die Beklagte dem Kläger aufgrund eines Leistungsfalles vom 29. August 2001 (Beginn einer stationären Behandlung in Italien wegen dekompensierter Leberzirrhose) für die Zeit ab 1. September 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer (Bescheid vom 1. März 2005). Der Entscheidung lagen Stellungnahmen des ärztlichen Dienstes der Beklagten vom 23. August 2004 und 29. September 2004 zu Grunde, wonach sich erst mit der am 29. August 2001 beschriebenen Dekompensation der Leberzirrhose eine schwerwiegende Verschlechterung des Krankheitsbildes ergeben habe, die zur Annahme eines unter dreistündigen Leistungsvermögens führe. Bezüglich der weiteren Gesundheitsstörungen (in den medizinischen Unterlagen aus Italien wurden Diabetes mellitus mit sensibler Polyneuropathie, endgradige Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule, Gelenkbeschwerden am linken Ellenbogen und der linken Schulter, Nierensteine und Prostataentzündung angegeben) lägen keine Befunde vor, aus denen sich eine (frühere) zeitliche Leistungseinschränkung ableiten lasse.

Den bezüglich der Zeit vom 1. Mai 1997 bis 31. August 2001 aufrechterhaltenen Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. April 2005, zur Post gegeben am 27. April 2005), weil beim Kläger nach den für die Zeit ab 1997 vorliegenden zahlreichen medizinischen Unterlagen erst im August 2001 eine die Erwerbsminderung begründende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes eingetreten sei. Auch das Arbeitsgericht N. habe dem Kläger erst ab September 2001 eine Invalidenrente zugesprochen. Eine Berufsunfähigkeit komme beim Kläger nicht in Betracht, da er in Deutschland ausschließlich als Arbeiter des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig gewesen und daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei.

Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am Montag, 1. August 2005 (Eingang bei Gericht) beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen geltend gemacht, der Kläger sei spätestens seit Anfang 1997 nicht mehr in der Lage gewesen, einer Arbeitstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nachzugehen. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten könne weder auf das Urteil des Arbeitsgerichts N. vom 6. Februar 2002 noch auf das vom italienischen Versicherungsträger eingeholte Gutachten vom 7. August 1997 gestützt werden. Es bestehe die Besorgnis, dass Dres. Z. und P. nur mangelnde Kenntnis auf nicht allgemeinmedizinischen Fachgebieten hätten und sie aufgrund ihres Beschäftigungsverhältnisses zum italienischen Versicherungsträger nicht unabhängig seien. Im Übrigen sei die Untersuchung bei ihnen unzureichend gewesen. Dass sich der damalige Gesundheitszustand des Klägers durch eine erneute Begutachtung (2005) nur noch bedingt ermitteln lasse, dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen. Der italienische Versicherungsträger habe den Rentenantrag vom 30. April 1997 pflichtwidrig erst 2004 an die Beklagte weitergeleitet. Dieses Versäumnis müsse sich die Beklagte zurechnen lassen. Der italienische Träger sei mit Wissen und Willen der Beklagten bei der Erfüllung der ihr obliegenden Feststellung der Leistungspflicht als Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) tätig geworden. Auch die Beklagte selbst habe ihre Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger verletzt, denn aufgrund der vorgelegten medizinischen Unterlagen habe sie ernsthaft an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom italienischen Träger angegebenen medizinischen Beurteilung zweifeln müssen. Nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) dürfe die Beweisführung durch den Gegner nicht erschwert werden. Deshalb komme es hier zur Umkehr der Beweislast. Der Kläger habe durch die von ihm vorgelegten medizinischen Unterlagen dargelegt, dass sein Leistungsvermögen bereits 1997 erheblich eingeschränkt gewesen sei. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass der Kläger diese Leistungseinschränkungen nicht mehr nachweisen könne. Sie müsse vielmehr den Negativbeweis erbringen. Dem Kläger sei ab Mai 1997 jedenfalls wegen des für ihn verschlossenen Arbeitsmarktes Rente zu gewähren, da er sich in Italien arbeitssuchend gemeldet habe und es unmöglich gewesen sei, ihm einen seinem Gesundheitszustand entsprechenden Arbeitsplatz zu vermitteln.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat weitere ärztliche Unterlagen, darunter ein für das Arbeitsgericht N. erstelltes Gutachten der Dr. M. vom 12. Dezember 2001 mit den Diagnosen depressives Syndrom, insulinpflichtiger Diabetes mellitus und Fettleber, vorgelegt und darauf hingewiesen, Ärzte in Italien führten in der Regel keine Krankenblätter. Der Kläger selbst hat angegeben, er habe keine berufliche Fachausbildung und sei als Landarbeiter und Metallarbeiter beschäftigt gewesen. Auf die Frage, ob in den letzten Jahren eine stationäre Krankenhausbehandlung stattgefunden habe, hat der Kläger lediglich die bereits dokumentierte stationäre Behandlung vom 29. August bis 1. September 2001 (wegen dekompensierter Leberzirrhose) angegeben. Die Frage, ob eine Kurmaßnahme durchgeführt worden sei, hat er verneint und mitgeteilt, am 30. April 1997 sei ein Grad der Behinderung von 67 v.H. und am 13. Februar 1998 von 70 v.H. festgestellt worden.

Das SG hat Befundberichte der vom Kläger für die Zeit ab 1996 benannten Ärzte Dr. F. (Chirurg), Dr. C. (Orthopäde) und Dr. T. (Nervenarzt) beigezogen und Gutachten nach Aktenlage von dem Internisten, Sportmediziner, Sozialmediziner und Betriebsarzt Dr. K. (vom 20. November 2006), dem Orthopäden Dr. L. (vom 7. Dezember 2006) sowie dem Neurologen Dr. E. (vom 9. Februar 2007) eingeholt. Dr. L. und Dr. K. haben für die Zeit von Mai 1997 bis August 2001 eine zeitliche Verminderung des Leistungsvermögens verneint. Dr. E. hat neurologisch eine zeitliche Leistungsminderung ausgeschlossen und ausgeführt, eine Aussage dazu, ob das Leistungsvermögen durch psychische Gesundheitsstörungen zeitlich eingeschränkt werde, könne ohne differenzierte psychiatrische und psychotherapeutische Befundbeschreibung nicht getroffen werden.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2007). Es hat ausführlich zur Frage der Beweiserleichterung und Beweislastumkehr Stellung genommen und dargelegt, dass nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. K., Dr. L. und Dr. E. eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens beim Kläger für die Zeit vor September 2001 nicht nachgewiesen sei. Angesichts des weit zurückliegend zu prüfenden Zeitraums (1997 bis 2001) sei eine Beurteilung nur nach Aktenlage möglich gewesen. Zwar sei das Leistungsvermögen bezüglich der psychischen Gesundheitsstörungen des Klägers nicht eindeutig zu beurteilen, doch gehe diese letztlich auf unzureichenden Befunden aus dem streitigen Zeitraum beruhende fehlende Aufklärbarkeit zu Lasten des Klägers.

Mit der am 7. November 2007 (Eingang bei Gericht) beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Berufung macht der Kläger weiterhin geltend, er sei bereits im Zeitpunkt der Antragstellung 1997 nicht mehr erwerbsfähig gewesen. Zur Begründung wird unter anderem auf Feststellungen der italienischen Gesundheitsbehörde vom 30. April 1997 und 13. Februar 1998 zum Grad der Zivilinvalidität verwiesen und vorgetragen, die vom SG eingeholten Gutachten seien nur auf Vermutungen gestützt. Dr. E. habe den Kläger nicht persönlich befragt, obwohl dies nach telefonischer Auskunft des mit dem Sachverständigen in Gemeinschaftspraxis tätigen Dr. C. erforderlich gewesen wäre.

Der Senat hat ein weiteres Gutachten nach Aktenlage der Neurologin und Psychiaterin Dr. D. (vom 15. April 2008) eingeholt. Die Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Kläger in der Zeit seit 1997 eine überwiegend sensible Polyneuropathie sowie ein reaktives depressiv-ängstliches Syndrom bestanden habe, sein Leistungsvermögen hierdurch jedoch zeitlich nicht eingeschränkt worden sei. Eine persönliche Befragung und Untersuchung des Klägers sei nicht erforderlich, weil für den streitigen Zeitraum fachärztliche Befunde, Bescheinigungen und Gutachten von italienischen Fachärzten vorlägen (ergänzende Stellungnahme vom 4. Februar 2009).

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat nochmals geltend gemacht, nach Auskunft Dr. D. sei eine ambulante Begutachtung des Klägers erforderlich. Dr. C. hat dies auf Anfrage des Senats nicht bestätigt.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 27. Juli 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. Juni 2004 in der Fassung des Bescheides vom 1. März 2005 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2005 zu verurteilen, dem Kläger aufgrund seines Antrags vom 30. April 1997 für die Zeit vom 1. Mai 1997 bis 31. August 2001 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Rente wegen Erwerbsminderung, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 105 Abs. 2 S. 1, 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 25. Juni 2004 in der Fassung des Bescheides vom 1. März 2005 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2005 nur insoweit, als es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger aufgrund eines Antrags vom 30. April 1997 für die Zeit vom 1. Mai 1997 bis 31. August 2001 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung) oder Erwerbsminderung (§§ 43, 240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung) zu zahlen. Das SG hat die dagegen erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2007 zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsminderung.

Zur Begründung wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Das SG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Eintritt der einen Rentenanspruch begründenden Leistungsminderung nachgewiesen sein muss und selbst bei einem vorwerfbaren Fehlverhalten des Versicherungsträgers kein geringerer Beweismaßstab oder gar eine Beweislastumkehr in Betracht kommt. Dies bedarf indes keiner weiteren Erörterung, da es bereits an einem solchen eigenen oder zurechenbaren Fehlverhalten der Beklagten fehlt.

Ein eventuelles Fehlverhalten des italienischen Versicherungsträgers wegen der verzögerten Weiterleitung der 1997 und 2001 in Italien gestellten Rentenanträge wäre der Beklagten nicht zuzuordnen. Der italienische Versicherungsträger ist weder bundesrechtlich noch durch (zwischenstaatliches oder) überstaatliches Recht in das deutsche Rentenverfahren in einer die Zurechnung seines Fehlverhaltens begründenden Art und Weise einbezogen. Die nationalen Versicherungsträger erfüllen die ihnen nach EG-Recht (Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern - EWGV 1408/71 - und die hierzu erlassene Durchführungsverordnung 574/72) obliegenden Aufgaben in eigener Verantwortung. Die Verordnungen dienen lediglich der Koordinierung der nationalen Sicherungssysteme und schaffen weder einen gemeinschaftsrechtlichen Rentenanspruch noch führen sie zu einem von den Versicherungsträgern der Mitgliedstaaten gemeinsam geführten Rentenverfahren. Selbst in Fällen zwischenstaatlicher Rentenberechnung liegt ein solches gemeinschaftliches Rentenverfahren nicht vor. Die nationalen Versicherungsträger werden lediglich im Sinne der Amtshilfe (insbesondere durch Weiterleitung von Anträgen und Unterlagen, durch Auskünfte und Auftragsbegutachtungen) für die Versicherungsträger anderer Mitgliedstaaten tätig. Eine weitergehende Funktion kommt auch der Antragsfiktion des Art. 44 Abs. 2 EWGV 1408/71 nicht zu (vgl. zu entsprechenden zwischenstaatlichen Antragsfiktionen BSG SozR 4-1200, § 44 Nr. 2).

Es ist auch kein eigenes Fehlverhalten der Beklagten ersichtlich. Diese erlangte erstmals im März 2004 Kenntnis von einer Rentenantragstellung des Klägers in Italien. Aufgrund des vom italienischen Versicherungsträger übermittelten Gutachtens vom 27. Februar 2002, dem eine wesentliche gesundheitliche Verschlechterung im August 2001 zu entnehmen war, und dem mitgeteilten Zeitpunkt der Rentenantragstellung (27. September 2001) bestand objektiv keine Veranlassung, den Gesundheitszustand des Klägers durch eine aktuelle Begutachtung weiter aufzuklären. Ein früherer Eintritt der Leistungsminderung war nach Aktenlage nicht naheliegend. Auch die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Widerspruchsverfahren übersandten umfangreichen ärztlichen Unterlagen gaben keinen Hinweis hierauf. Die diesbezügliche Ansicht des sozialärztlichen Dienstes der Beklagten wurde im Verfahren vor dem SG durch die Sachverständigen Dr. K., Dr. L. und Dr. E. bestätigt. Dabei haben Dr. K. und Dr. L. in Auswertung auch der in der Folgezeit beigezogenen weiteren ärztlichen Unterlagen und Befundberichte behandelnder Ärzte dargelegt, dass die dokumentierten Gesundheitsstörungen auf internistischem und orthopädischem Fachgebiet bis zur Dekompensation der Leberzirrhose im August 2001 das Leistungsvermögen des Klägers lediglich qualitativ eingeschränkt haben. Insoweit beruhen die Entscheidungen der Beklagten und des SG nicht auf einem Beweismangel, sondern auf gutachtlichen Feststellungen der beim Kläger vorliegenden Leistungsbeeinträchtigungen, die in Einklang stehen mit dem Ergebnis der ambulanten Begutachtung im sozialversicherungsrechtlichen Gutachten des italienischen Versicherungsträgers vom 7. August 1997 und der ambulanten Begutachtung durch die Arbeitsmedizinerin Dr. M. für das Arbeitsgericht N. in deren Gutachten vom 12. Dezember 2001.

Bei Dr. Z. hatte der Kläger angegeben, er leide an Diabetes mellitus mit vorwiegend nächtlichen Parästhesien, Kribbeln und Schmerzen an den Extremitäten, an Arthralgien der linken Schulter und des rechten Ellenbogens, depressiver Beklemmung nach zurückliegendem familiären Trauerfall und unklaren Bauchschmerzen. Dr. Z. diagnostizierte Diabetes mellitus, reaktiv-depressives Syndrom und Fettleber. Weder orthopädisch noch internistisch oder psychiatrisch fanden sich wesentliche Leistungseinschränkungen. Dementsprechend beurteilte sie den Kläger als arbeitsfähig. Lediglich bezüglich der zuletzt ausgeübten Beschäftigung als Arbeiter bei der Wohnungsinstandhaltung stellte sie eine um 20 v.H. verminderte Arbeitsfähigkeit fest.

Bei Dr. M. hatte der Kläger als Beschwerden persistierende Übelkeit mit Erbrechen und Gewichtsabnahme (seit einigen Monaten und damit erkennbar im Zusammenhang mit der Dekompensation der Leberzirrhose), verbreitete Arthralgie, starke Asthenie und Tremor an den Gliedmaßen angegeben. Dr. M. führte in ihrem Gutachten dazu unter anderem aus, der Rentenantrag von 22. Juli 1997 sei mit der Diagnose insulinabhängiger Diabetes mellitus, Leberzirrhose, Nierensteine rechts, Prostatitis, beidseitige Presbyopie, mittelmäßiger Angstzustand und reaktive Depression gestellt worden. Sie beschrieb den Kläger nach eingehender Untersuchung als vorgealtert. Der Allgemeinzustand sei nicht gut, die Leber erheblich vergrößert und im Lungenbereich bestünden Knistergeräusche. Die Funktion der Wirbelsäule war bei der Untersuchung endgradig eingeschränkt, an den Gelenken bestanden dagegen keine wesentlichen Auffälligkeiten. Hinweise auf Störungen des zentralen Nervensystems fanden sich nicht. Die Stimmung des Klägers war normal ohne Zeichen der Angst und ohne Beeinträchtigung des Bewusstseins. Dementsprechend benannte Dr. M. in Übereinstimmung mit dem Vorgutachter Dr. P. (Gutachten vom 27. Februar 2002) als Haupterkrankung des Klägers den Diabetes mellitus (Erstdiagnose 1988, seit 1997 insulinpflichtig und verbunden mit Zeichen einer klinisch unbedeutenden Polyneuropathie), die Lebervergrößerung und ein ängstlich-depressives Syndrom. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund der dekompensierten Leberzirrhose seit August 2001 nicht mehr erwerbsfähig sei. Dagegen verursachten die weiteren Diagnosen keine wesentliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit, so dass bis zum August 2001 nur eine 30 %ige Minderung der Arbeitsfähigkeit bestanden habe.

Danach liegen auch bezüglich des psychischen Gesundheitszustandes des Klägers keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass er vor August 2001 bereits nur noch über ein untervollschichtiges Leistungsvermögen verfügt hat. Dies wird durch das vom Senat eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. D. bestätigt. Diese hat unter Hinweis auf die in den medizinischen Unterlagen aus Italien enthaltenen Angaben über die beim Kläger festgestellte Neuropathie und eine ängstlich-depressive Störung sowie die angegebene niedrige Medikation und die unauffälligen Befunde im Gutachten vom 12. Dezember 2001 überzeugend ausgeführt, dass die neurologisch- psychiatrischen Gesundheitsstörungen des Klägers keine zeitliche Leistungsminderung begründen.

Dem stehen die Feststellungen der italienischen Gesundheitsbehörde zur Zivilinvalidität des Klägers nicht entgegen. Zum einen war Gegenstand dieser Feststellungen nicht die rentenrechtliche Arbeitsfähigkeit des Klägers nach dem Gesetz Nr. 122, sondern die Beurteilung nach dem Gesetz Nr. 118 für die Bewilligung einer Beihilfe bei Zivilinvalidität. Dass insoweit nach italienischem Recht (vergleichbar dem Schwerbehindertenrecht in Deutschland) andere Kriterien gelten als bei der Beurteilung der rentenrechtlichen Arbeitsfähigkeit, zeigt das vom Arbeitsgericht N. im dortigen Rentenverfahren eingeholte Gutachten vom 12. Dezember 2001, in dem für die Zeit vor August 2001 lediglich eine Minderung der rentenrechtlichen Arbeitsfähigkeit um 30 v.H. festgestellt worden ist. Daher stehen auch die vom SG zur rentenrechtlichen Leistungsfähigkeit des Klägers eingeholten Gutachten nicht im Widerspruch zu den Feststellungen der italienischen Gesundheitsbehörde, zumal letzteren für den streitigen Zeitraum keine Gesundheitsstörungen zu entnehmen sind, die bei der rentenrechtlichen Beurteilung unberücksichtigt geblieben wären. Die Feststellungen der Gesundheitsbehörde enthalten keinerlei medizinische Befunde, die Feststellung vom 27. Juni 1997 auch keine Diagnose und die Feststellung vom 13. Februar 1998 lediglich die Diagnose eines Diabetes mellitus Typ I, die spätere Feststellung vom 16. Oktober 2001 lediglich die Diagnose Leberzirrhose. Es ist daher objektiv schon nicht nachvollziehbar, auf welcher medizinischen Grundlage diese hinsichtlich der Diagnosestellung offenkundig unvollständigen Feststellungen getroffen wurden.

Demgegenüber wurden bei der Begutachtung durch Dr. M. und den Begutachtungen nach Aktenlage in Deutschland, bei denen die Sachverständigen erkennbar auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig übersetzte medizinische Unterlagen aus Italien inhaltlich ausgewertet haben, die beim Kläger dokumentierten Gesundheitsstörungen umfassend berücksichtigt.

Nach alledem steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger vor August 2001 noch in der Lage war, einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Die von den Sachverständigen genannten qualitativen Leistungseinschränkungen (zu vermeiden sind danach schwere Arbeiten, besondere nervliche Belastungen wie Akkordarbeit, Fließbandarbeit, Wechsel- oder Nachtschicht, unfallgefährdete Arbeiten zum Beispiel auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr, Arbeiten überwiegend im Freien und unter Einfluss von Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe oder Zugluft, häufiges Heben, Tragen und Bewegen schwerer Lasten, häufiges Bücken sowie Arbeiten in oder über Kopfhöhe, Wirbelsäulenzwangshaltung, Erschütterungen der Arme oder häufiges Besteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten) beinhalten weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung, die die Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in besonderer Weise einschränken und daher die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden (vgl. Bundessozialgericht - BSG - SozR3-2200 § 1246 Nr. 50).

Da der Kläger keine Berufsausbildung absolviert hat und nach eigenen Angaben stets als Landarbeiter und Maschinenarbeiter beschäftigt war, kommt auch eine Berufsunfähigkeit bei ihm nicht in Betracht. Er ist innerhalb des vom BSG entwickelten Mehrstufenschemas (vgl. BSGE 55, 45; 57, 291) als allenfalls einfach angelernter Arbeitnehmer auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, so dass es auch insoweit keiner Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 109).

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass wegen des Auslandswohnsitzes des Klägers auch im Falle eines untervollschichtiges Leistungsvermögens ein Anspruch auf Rente für den streitigen Zeitraum nur bestehen könnte, wenn der Kläger ohne Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage aus medizinischen Gründen außer Stande gewesen wäre, einer Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit (seit 1. Januar 2001 mindestens 3 Stunden täglich) nachzugehen (§ 112 S. 1 SGB VI). Da für die Frage der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes der deutsche Arbeitsmarkt maßgebend ist, findet insoweit - ebenso wie bei deutschen Staatsangehörigen mit Auslandswohnsitz - keine zwischen- oder überstaatliche Gebietsgleichstellung statt.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass der Kläger mit seinem Klagebegehren auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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