Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KR 1/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme der Kosten für die zwischenzeitlich erfolgte Anschaffung eines sogenannten Hochton-Therapiegerätes der Serie HiToP® streitig.
Am 10.11.2008 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und beantragte sinngemäß die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines solchen Gerätes. Sie fügte ihrem Antrag eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. I., einen Kostenvoranschlag der gbo-Medizintechnik AG zum Kauf eines HiToP® 191, eine von ihr selbst verfasste "detaillierte Aufzeichnung" ihres Diabetes, eine Produktinformation der Firma gbo-Medizintechnik AG für Patienten, einen Zeitungsausschnitt vom 04.04.1997 sowie den Entwurf eines Mietvertrages zwischen ihr und der gbo-Medizintechnik AG sowie zweier unterschiedlicher Ratenkaufverträge bei. Die Beklagte leitete den Antrag an ihren beratenden Arzt Dr. H. vom MDK Aachen weiter. Dieser vertrat in einer kurzen Stellungnahme die Auffassung, die Spezifität des Gerätes sei sehr fraglich. Es handele sich um eine unkonventionelle Methode. Eine Notwendigkeit der Versorgung der Klägerin mit dem Gerät ergebe sich nicht.
Mit Bescheid vom 12.11.2008 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für das Gerät ab. Hiergegen legte die Klägerin am 03.12.2008 Widerspruch ein. Die Methode sei bei ihr überaus erfolgreich. Am 05.01.2009 erstellte Dr. N. vom MDK Nordrhein ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage. In diesem stellt er zunächst fest, die Klägerin leide unter distaler symmetrischer Polyneuropathie beider Beine bei Diabetes mellitus (G 63.2). Die von der Klägerin begehrte Kostenübernahme für die Anschaffung eines Hochton-Therapiegerätes komme trotz dieser Erkrankung gleichwohl nicht in Betracht. Nach Angaben des Erfinders der Hochtontherapie handele es sich bei der Hochton-Therapie um eine Weiterentwicklung der Elektro-Therapie, speziell der Mittelfrequenz-Therapie, die als Ganzkörperbehandlung, kombiniert mit einer oder mehreren lokalen Behandlungen, durchgeführt werde. Das Besondere der HiToP® im Vergleich zur klassischen Elektrotherapie sei die gleichzeitige Modulation von Amplitude und Frequenz des Stromes. Die Modulation könne entweder gleich oder gegensinnig eingestellt werden, um die Reizung nach Bedarf härter oder weicher zu gestalten. Jegliche Reizung könne auf ein Minimum beschränkt oder sogar in seltenen Fällen völlig weggelassen werden. Die Geräte der HiToP®-Serie arbeiteten in Frequenzbereichen zwischen 4096 bis 32768 Hz. Die klassische Elektrotherapie stimuliere Nerven und Muskeln, die HiToP® hingegen wirke mehr direkt auf den Zellstoffwechsel, sie schließe Energie im Körper ein, um das Energiepotential der Zellen zu steigern. Aufgrund dieser vom Hersteller hervorgehobenen Unterschiede müsse das HiToP® als neues Heilmittel angesehen werden. Dieses sei indes durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht anerkannt. Es seien bisher auch keine belastbaren Ergebnisse von klinischen Studien veröffentlicht, die die Wirksamkeit diese Behandlungsverfahrens belegten.
Mit Schreiben vom 15.01.2009 wandte sich der behandelnde Arzt Dr. I. an die Beklagte und führte aus, es sei zutreffend, dass es sich bei der Hochton-Therapie um eine unkonventionelle Behandlungsmethode handele. Dass diese kein anerkanntes Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sei, sei ihm auch bekannt. Allerdings sei durchaus Fakt, dass sich die Beschwerden bei der Klägerin unter Anwendung der entsprechenden Hochton-Therapie gebessert hätten, was beim Einsatz von Medikamenten nicht der Fall gewesen sei. Mit Schreiben vom 23.01.2009 wandte sich auch die gbo-Medizintechnik AG an die Beklagte und führte aus, es gebe eine Vielzahl nationaler und internationaler Studien, die die Wirksamkeit und die Effekte der Therapie klar und nachvollziehbar belegten. Am 09.02.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Am 18.02.2009 übersandte die gbo-Medizintechnik AG der Beklagten ein Schreiben, wonach jedenfalls teilweise auch gesetzliche Krankenversicherung Kosten - wenn auch nur teilweise - übernommen hätten. Ebenfalls beigefügt war eine Aufstellung von Studien zur Hochtontherapie mit dem HiToP®.
Am 03.03.2009 hat die Klägerin, vertreten durch ihren Ehemann, Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
Sie beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2009 zu verurteilen, die Kosten für die Anschaffung eines Hochton-Therapiegerätes der Serie HiTop in Höhe von 1.550,00 EUR zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auch sie wiederholt und vertieft zur Begründung ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. I. sowie einer Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschuss.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für das Hochtton-Therapiegerät HiToP® 191. Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches reicht nämlich in keinem Fall weiter als der primär bestehende Sachleistungsanspruch. Er setzt also voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zur den Leistungen gehört, die die Beklagte zu erbringen hätte (vgl. BSG, Urteil vom 24.09.1996, 1 RK 33/95 = BSGE 79, 125 ff; Urteil vom 22.03.2005, B 1 KR 11/03 R, Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 ff.). Ein solcher Anspruch bestand für die Klägerin aber nicht.
Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheiten oder Krankheitsbeschwerde zu lindern. Aufgrund der bei de Klägerin unstreitig vorliegenden beidseitigen diabetischen Polyneuropathie ist die Beklagte zweifelsohne zur Krankenbehandlung der Klägerin verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch der Klägerin unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen der Zweckmäßig- und Wirtschaftlichkeit. Die Krankenkassen sind daher nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn eine bestimmte Therapie - im vorliegenden Fall die Hoch-Tontherapie mit dem HiToP® 191 - nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode. Die Kammer schließt sich insoweit den Ausführungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse, aber auch der Einschätzung des Dr. I. an. Zwar ist die Therapie mit dem HiToP® 191 in gewisser Weise vergleichbar mit der - entsprechend dem Heilmittelkatalog bei Polyneuropathie grundsätzlich als ergänzendes Heilmittel anzuwendenden - Elektro-Therapie. Während diese allerdings lediglich Nerven und Muskeln stimuliert, wirkt das Geräte HiToP® 191 nach Angaben des Herstellers direkt auf den Zellstoffwechsel ein und steigert das Energiepotential der Zellen. In diesem beschriebenen Wirkmechanismus ist ein wesentlicher Unterschied zu der klassischen Elektro-Therapie zu sehen. Es handelt sich nach alledem um eine neue Behandlungsmethode. Gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht um die Erbringung vertragsärztlicher Versorgung. Durch die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird aber darüber hinaus auch allgemein der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16.09.1997, 1 RK 28/95 = BSGE 81,54 ff.; Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 ff.; K. Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 135 SGB V Rn. 19). Zur Hochton-Therapie hat der Gemeinsame Bundesausschuss indes bislang keine Empfehlung - weder positiv noch negativ - abgegeben (vgl. dazu die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung). Es wurde bislang von keiner Seite - auch nicht vom Hersteller selbst - ein entsprechender Antrag nach § 135 SGB V gestellt, wie sich aus der im Verfahren eingeholten Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21.10.2009 ergibt. In diesem Zusammenhang geht die Kammer auch davon aus, dass es – entgegen der Darstellung der Klägerin und der gbo Medizintechnik AG - belastbare wissenschaftliche, Studien über die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlungsmethode zur Zeit nicht gibt. Die von der Klägerin und der gbo Medizintechnik angeführten Studien genügen nach Auffassung der Kammer diesen Anforderungen jedenfalls nicht. Es handelte sich jeweils um Studien mit einer sehr eingeschränkten Zahl der Probanden. So haben an der von Reichstein et al. 2005 durchgeführten randomisierten Studie lediglich 41 Probanden teilgenommen (vgl. Reichstein et al., Effective treatment of symptomatic diabetic polyneuropathy by high-frequency external muscle stimulation, Diabetologica 2005, 824 ff., abrufbar unter http://www.springerlink.com/content/u77p620327126u21/fulltext.pdf). Die übrigen benannten Studien arbeiteten demgegenüber nicht hinreichend mit Vergleichsgruppen, so dass sich auch diesen gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit nicht entnehmen lassen. Die Kammer stellt nicht in Abrede, dass die Behandlung mit dem HiToP® 191 bei der Klägerin positive Wirkungen zeitig. Darauf kommt es indes - wie oben bereits ausgeführt - für die Frage der Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Kosten nicht an.
Es ist freilich in der Rechtsprechung des Bundessozialgericht anerkannt, dass trotz der Regelung des § 135 Abs. 1 SGB V eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen kann, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R; K. Schneider, a.a.O., § 135 Rn. 19; sog. "Systemversagen"). Ein solches Systemversagen liegt nicht vor. Es ist bislang noch nicht einmal ein entsprechender Antrag gestellt. Der Hersteller weist in seinen "Wichtigen Informationen für Patientin" dementsprechend vielmehr folgerichtig darauf hin, dass es sich der Hoch-Tontherapie nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse handelt.
Schließlich ergibt sich ein Anspruch auch nicht unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bei Vorliegen einer notstandsähnlichen Krankheitssituation. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = BverfGE 115, 25 ff.) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: 1.) es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Bezüglich dieser Krankheit steht 2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode steht 3.) eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Bei der Klägerin liegt schon keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Selbst die von der Klägerin benannte – bei diabetischer Polyneuropathie in der Tat nicht fernliegende Gefahr einer möglichen medizinisch indizierten Amputation – wäre, trotz der damit verbundenen empfindlichen Einschränkung der Lebenqualität, nicht mit dem Ausnahmekriterium einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung gleichzusetzen (so auch SG Aachen, Urteil vom 29.09.2009, S 13 KR 125/09). Des Weiteren steht zur Behandlung der diabetischen Polyneuropathie auch eine allgemein anerkannt und medizinischem Standard entsprechende Behandlung - Medikation in Verbindung ggf. mit Krankengymnastik - grundsätzlich zur Verfügung.
Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich schlussendlich auch nicht aus § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch unter anderem auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Diese Erforderlichkeit besteht nach obigen Ausführungen vorliegend aber gerade nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme der Kosten für die zwischenzeitlich erfolgte Anschaffung eines sogenannten Hochton-Therapiegerätes der Serie HiToP® streitig.
Am 10.11.2008 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und beantragte sinngemäß die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines solchen Gerätes. Sie fügte ihrem Antrag eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. I., einen Kostenvoranschlag der gbo-Medizintechnik AG zum Kauf eines HiToP® 191, eine von ihr selbst verfasste "detaillierte Aufzeichnung" ihres Diabetes, eine Produktinformation der Firma gbo-Medizintechnik AG für Patienten, einen Zeitungsausschnitt vom 04.04.1997 sowie den Entwurf eines Mietvertrages zwischen ihr und der gbo-Medizintechnik AG sowie zweier unterschiedlicher Ratenkaufverträge bei. Die Beklagte leitete den Antrag an ihren beratenden Arzt Dr. H. vom MDK Aachen weiter. Dieser vertrat in einer kurzen Stellungnahme die Auffassung, die Spezifität des Gerätes sei sehr fraglich. Es handele sich um eine unkonventionelle Methode. Eine Notwendigkeit der Versorgung der Klägerin mit dem Gerät ergebe sich nicht.
Mit Bescheid vom 12.11.2008 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für das Gerät ab. Hiergegen legte die Klägerin am 03.12.2008 Widerspruch ein. Die Methode sei bei ihr überaus erfolgreich. Am 05.01.2009 erstellte Dr. N. vom MDK Nordrhein ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage. In diesem stellt er zunächst fest, die Klägerin leide unter distaler symmetrischer Polyneuropathie beider Beine bei Diabetes mellitus (G 63.2). Die von der Klägerin begehrte Kostenübernahme für die Anschaffung eines Hochton-Therapiegerätes komme trotz dieser Erkrankung gleichwohl nicht in Betracht. Nach Angaben des Erfinders der Hochtontherapie handele es sich bei der Hochton-Therapie um eine Weiterentwicklung der Elektro-Therapie, speziell der Mittelfrequenz-Therapie, die als Ganzkörperbehandlung, kombiniert mit einer oder mehreren lokalen Behandlungen, durchgeführt werde. Das Besondere der HiToP® im Vergleich zur klassischen Elektrotherapie sei die gleichzeitige Modulation von Amplitude und Frequenz des Stromes. Die Modulation könne entweder gleich oder gegensinnig eingestellt werden, um die Reizung nach Bedarf härter oder weicher zu gestalten. Jegliche Reizung könne auf ein Minimum beschränkt oder sogar in seltenen Fällen völlig weggelassen werden. Die Geräte der HiToP®-Serie arbeiteten in Frequenzbereichen zwischen 4096 bis 32768 Hz. Die klassische Elektrotherapie stimuliere Nerven und Muskeln, die HiToP® hingegen wirke mehr direkt auf den Zellstoffwechsel, sie schließe Energie im Körper ein, um das Energiepotential der Zellen zu steigern. Aufgrund dieser vom Hersteller hervorgehobenen Unterschiede müsse das HiToP® als neues Heilmittel angesehen werden. Dieses sei indes durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht anerkannt. Es seien bisher auch keine belastbaren Ergebnisse von klinischen Studien veröffentlicht, die die Wirksamkeit diese Behandlungsverfahrens belegten.
Mit Schreiben vom 15.01.2009 wandte sich der behandelnde Arzt Dr. I. an die Beklagte und führte aus, es sei zutreffend, dass es sich bei der Hochton-Therapie um eine unkonventionelle Behandlungsmethode handele. Dass diese kein anerkanntes Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sei, sei ihm auch bekannt. Allerdings sei durchaus Fakt, dass sich die Beschwerden bei der Klägerin unter Anwendung der entsprechenden Hochton-Therapie gebessert hätten, was beim Einsatz von Medikamenten nicht der Fall gewesen sei. Mit Schreiben vom 23.01.2009 wandte sich auch die gbo-Medizintechnik AG an die Beklagte und führte aus, es gebe eine Vielzahl nationaler und internationaler Studien, die die Wirksamkeit und die Effekte der Therapie klar und nachvollziehbar belegten. Am 09.02.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Am 18.02.2009 übersandte die gbo-Medizintechnik AG der Beklagten ein Schreiben, wonach jedenfalls teilweise auch gesetzliche Krankenversicherung Kosten - wenn auch nur teilweise - übernommen hätten. Ebenfalls beigefügt war eine Aufstellung von Studien zur Hochtontherapie mit dem HiToP®.
Am 03.03.2009 hat die Klägerin, vertreten durch ihren Ehemann, Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
Sie beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2009 zu verurteilen, die Kosten für die Anschaffung eines Hochton-Therapiegerätes der Serie HiTop in Höhe von 1.550,00 EUR zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auch sie wiederholt und vertieft zur Begründung ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. I. sowie einer Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschuss.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für das Hochtton-Therapiegerät HiToP® 191. Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches reicht nämlich in keinem Fall weiter als der primär bestehende Sachleistungsanspruch. Er setzt also voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zur den Leistungen gehört, die die Beklagte zu erbringen hätte (vgl. BSG, Urteil vom 24.09.1996, 1 RK 33/95 = BSGE 79, 125 ff; Urteil vom 22.03.2005, B 1 KR 11/03 R, Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 ff.). Ein solcher Anspruch bestand für die Klägerin aber nicht.
Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheiten oder Krankheitsbeschwerde zu lindern. Aufgrund der bei de Klägerin unstreitig vorliegenden beidseitigen diabetischen Polyneuropathie ist die Beklagte zweifelsohne zur Krankenbehandlung der Klägerin verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch der Klägerin unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen der Zweckmäßig- und Wirtschaftlichkeit. Die Krankenkassen sind daher nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn eine bestimmte Therapie - im vorliegenden Fall die Hoch-Tontherapie mit dem HiToP® 191 - nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode. Die Kammer schließt sich insoweit den Ausführungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse, aber auch der Einschätzung des Dr. I. an. Zwar ist die Therapie mit dem HiToP® 191 in gewisser Weise vergleichbar mit der - entsprechend dem Heilmittelkatalog bei Polyneuropathie grundsätzlich als ergänzendes Heilmittel anzuwendenden - Elektro-Therapie. Während diese allerdings lediglich Nerven und Muskeln stimuliert, wirkt das Geräte HiToP® 191 nach Angaben des Herstellers direkt auf den Zellstoffwechsel ein und steigert das Energiepotential der Zellen. In diesem beschriebenen Wirkmechanismus ist ein wesentlicher Unterschied zu der klassischen Elektro-Therapie zu sehen. Es handelt sich nach alledem um eine neue Behandlungsmethode. Gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht um die Erbringung vertragsärztlicher Versorgung. Durch die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird aber darüber hinaus auch allgemein der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16.09.1997, 1 RK 28/95 = BSGE 81,54 ff.; Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 ff.; K. Schneider, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 135 SGB V Rn. 19). Zur Hochton-Therapie hat der Gemeinsame Bundesausschuss indes bislang keine Empfehlung - weder positiv noch negativ - abgegeben (vgl. dazu die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung). Es wurde bislang von keiner Seite - auch nicht vom Hersteller selbst - ein entsprechender Antrag nach § 135 SGB V gestellt, wie sich aus der im Verfahren eingeholten Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21.10.2009 ergibt. In diesem Zusammenhang geht die Kammer auch davon aus, dass es – entgegen der Darstellung der Klägerin und der gbo Medizintechnik AG - belastbare wissenschaftliche, Studien über die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlungsmethode zur Zeit nicht gibt. Die von der Klägerin und der gbo Medizintechnik angeführten Studien genügen nach Auffassung der Kammer diesen Anforderungen jedenfalls nicht. Es handelte sich jeweils um Studien mit einer sehr eingeschränkten Zahl der Probanden. So haben an der von Reichstein et al. 2005 durchgeführten randomisierten Studie lediglich 41 Probanden teilgenommen (vgl. Reichstein et al., Effective treatment of symptomatic diabetic polyneuropathy by high-frequency external muscle stimulation, Diabetologica 2005, 824 ff., abrufbar unter http://www.springerlink.com/content/u77p620327126u21/fulltext.pdf). Die übrigen benannten Studien arbeiteten demgegenüber nicht hinreichend mit Vergleichsgruppen, so dass sich auch diesen gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit nicht entnehmen lassen. Die Kammer stellt nicht in Abrede, dass die Behandlung mit dem HiToP® 191 bei der Klägerin positive Wirkungen zeitig. Darauf kommt es indes - wie oben bereits ausgeführt - für die Frage der Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Kosten nicht an.
Es ist freilich in der Rechtsprechung des Bundessozialgericht anerkannt, dass trotz der Regelung des § 135 Abs. 1 SGB V eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen kann, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R; K. Schneider, a.a.O., § 135 Rn. 19; sog. "Systemversagen"). Ein solches Systemversagen liegt nicht vor. Es ist bislang noch nicht einmal ein entsprechender Antrag gestellt. Der Hersteller weist in seinen "Wichtigen Informationen für Patientin" dementsprechend vielmehr folgerichtig darauf hin, dass es sich der Hoch-Tontherapie nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse handelt.
Schließlich ergibt sich ein Anspruch auch nicht unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bei Vorliegen einer notstandsähnlichen Krankheitssituation. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = BverfGE 115, 25 ff.) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: 1.) es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Bezüglich dieser Krankheit steht 2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode steht 3.) eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Bei der Klägerin liegt schon keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Selbst die von der Klägerin benannte – bei diabetischer Polyneuropathie in der Tat nicht fernliegende Gefahr einer möglichen medizinisch indizierten Amputation – wäre, trotz der damit verbundenen empfindlichen Einschränkung der Lebenqualität, nicht mit dem Ausnahmekriterium einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung gleichzusetzen (so auch SG Aachen, Urteil vom 29.09.2009, S 13 KR 125/09). Des Weiteren steht zur Behandlung der diabetischen Polyneuropathie auch eine allgemein anerkannt und medizinischem Standard entsprechende Behandlung - Medikation in Verbindung ggf. mit Krankengymnastik - grundsätzlich zur Verfügung.
Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich schlussendlich auch nicht aus § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch unter anderem auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Diese Erforderlichkeit besteht nach obigen Ausführungen vorliegend aber gerade nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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