L 10 AL 310/09 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 264/09
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 310/09 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zu den Erfolgsaussichten eines Klageverfahrens
I. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.10.2009 aufgehoben.

II. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren S 1 AL 246/09 vor dem Sozialgericht Nürnberg ohne Ratenzahlung bewilligt.

III. Dem Kläger wird Frau Rechtsanwältin W., B-Stadt, beigeordnet.

Gründe:

I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG), in dem die Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) im Streit steht.

Am 19.09.2008 beantragte der Kläger für seine am 01.09.2008 beginnende Ausbildung zum Metallbauer die Bewilligung von BAB.

Den Bedarf des Klägers ermittelte die Beklagte - nach dessen Angaben - mit 680,60 EUR (487,00 EUR bei auswärtiger Unterbringung; 72,00 EUR Zusatzbedarf für Unterkunft; 109,60 EUR Fahrtkosten; 12,00 EUR Arbeitskleidung mangels näherer Angaben pauschal).

Diesem Bedarf stellte sie das zu berücksichtigende Einkommen des Klägers aus dessen Ausbildung in Höhe von 380,73 EUR gegenüber. Hierbei lagen der Einkommensberechnung die zu erwartenden Einkünfte des Klägers im voraussichtlichen Bewilligungszeitraum (01.09.2008 bis 28.02.2010) von insgesamt 8.730,00 EUR zugrunde [12 x 450,00 EUR (01.09.2008 bis 31.08.2009) + 6 x 500,00 EUR (01.09.2009 bis 28.02.2010) zzgl. Einmalzahlungen im November 2008 (100,00 EUR), Juli 2009 (80,00 EUR) und November 2009 (150,00 EUR)]. Von den durchschnittlichen Einkünften von 485,00 EUR (= 8.730,00 EUR: 18) zog die Beklagte die durchschnittliche Sozialpauschale (21,5 vH) in Höhe von 104,28 EUR (= 8.730,00 EUR x 0,215: 18) ab.

Zusätzlich rechnete die Beklagte - auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheides des Jahres 2006 - Einkommen der Mutter auf den Anspruch des Klägers in Höhe von 301,13 EUR an. Ausgehend von den Einkünften der Mutter des Klägers (33.052,00 EUR) und den Gesamteinkünften der Eltern des Klägers (62.872,00 EUR) errechnete die Beklagte aus der Gesamtsteuerlast (11.546,75 EUR) den Steueranteil der Mutter des Klägers mit 6.070,17 EUR (= 33.052,00 EUR: 62.872,00 EUR x 11.546,75 EUR). Nach Abzug der vermögenswirksamen Leistungen (Arbeitgeberanteil: 214,80 EUR) ermittelte die Beklagte das maßgebliche Einkommen der Mutter mit monatlich 1.642,25 EUR [jährlich: 19.707,03 EUR (= 33.052,00 EUR - 214,80 EUR - 6.070,17 EUR (Steuern) - 7.060,00 (Sozialpauschale: 21,5 vH aus 32.837,20 EUR)]. Hiervon brachte sie den Grundfreibetrag (§ 25 Abs 1 BAföG) in Höhe von 1.040,00 EUR in Abzug, so dass ein übersteigendes Einkommen von 602,25 EUR vorhanden sei, das nach § 25 Abs 4 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zur Hälfte (301,13 EUR) angerechnet werden müsse. Einkommen des Vaters des Klägers blieb - wegen des fehlenden Bezuges aktueller Einkünfte - unberücksichtigt.

Mit Bescheid vom 11.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2009 lehnte die Beklagte die Bewilligung der BAB ab, nachdem das zu berücksichtigende Einkommen (681,86 EUR = 380,73 EUR + 301,13 EUR) den Bedarf (680,60 EUR) übersteige.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 29.05.2009 Klage zum SG erhoben und die Bewilligung von PKH beantragt. Die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass seine Mutter einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 301,13 EUR zu erbringen habe. Das Einkommen seiner Mutter sei in unzutreffender Weise auf der Grundlage des Jahres 2008 errechnet worden. Zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Jahr 2006, habe seine Mutter eine andere Steuerklasse gehabt. Zudem seien bei der Feststellung des maßgeblichen (elterlichen) Einkommens Werbungskosten, eine Sozialpauschale für Versicherungsbeiträge sowie weitere entsprechende Abzüge vorzunehmen. Ein Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern sei ebenfalls nicht gegeben, denn aufgrund der monatlichen Belastungen stünde seinen Eltern der angemessene Selbstbehalt von 1.100,00 EUR nicht zur Verfügung.

Das SG hat mit Beschluss vom 26.10.2009 die Bewilligung von PKH abgelehnt, weil der Kläger - nach eigenen Angaben neben seinen Einkünften aus der Ausbildung - tatsächlich auch Unterhalt von seiner Mutter beziehe (230,00 EUR monatlich) und ihm das Kindergeld (164,00 EUR monatlich) ausgezahlt werde, wodurch sein Bedarf zu decken sei. Auch habe die Beklagte einen Grundfreibetrag von 1.040,00 EUR berücksichtigt, obgleich der Wert nach der Düsseldorfer Tabelle lediglich 770,00 EUR betrage und nach der Rechtsprechung des BSG möglicherweise nur der Betrag nach § 850d Zivilprozessordnung (ZPO) zugrunde zu legen sei.

Gegen diesen Beschluss hat der Kläger am 26.11.2009 Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und vorgebracht, dass die derzeitigen Zahlungen seiner Mutter lediglich eine Notfalllösung darstellten und nicht mehr weiter erbracht werden könnten. Seiner Mutter habe - im Hinblick auf deren finanzielle Belastungen - ein angemessener Selbstbehalt in Höhe von 1.100,00 EUR zu verbleiben. Insofern seien die genannten Beträge von 770,00 EUR bzw. 1.040,00 EUR nicht nachvollziehbar.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wir auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Rechtsmittel ist begründet. Dem Antrag auf Bewilligung von PKH vom 29.05.2009 ist stattzugeben.

Nach § 73a Absatz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 ZPO erhält PKH eine Partei (im sozialgerichtlichen Verfahren: Beteiligter), die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht zwar nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (BSG vom 17.02.98 - B 13 RJ 83/97 R). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 73a RdNr 7) ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKH-Beantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen. Allerdings müssen dabei letzte Zweifel an der rechtlichen Beurteilung nicht ausgeschlossen werden, denn eine endgültige und abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Regel nicht möglich und auch nicht notwendig (Peters/Sautter/Wolff, SGG, 4.Aufl, Stand 1/2008, § 73a Ziff.13.2 a).

Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Kläger Anspruch auf PKH für das Verfahren vor dem SG, denn im vorliegenden Rechtsstreit ist zumindest ein Teilerfolg nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, so dass die Rechtsverfolgung auch nicht mutwillig erscheinen muss.

Der Kläger geht zwar fehl in der Annahme, die Beklagte habe das anrechnungsfähige Einkommen seiner Mutter in unzutreffender Weise ermittelt.

Die Beklagte hat vorliegend das anrechnungsfähige Elterneinkommen auf der Grundlage der geltenden Rechtslage, des § 71 Abs 2 SGB III unter Verweis auf die Regelungen des BAföG sowie weitergehend des Einkommensteuergesetzes (EStG), zutreffend ermittelt. Entgegen der Darstellung des Klägers hat die Beklagte für die Berechnung des Einkommens der Mutter die Angaben des Einkommensteuerbescheides des Jahres 2006 herangezogen. In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis auf die geänderte Steuerklasse unbehelflich, denn die Regelungen des BAföG stellen ausnahmslos auf eine jahresanteilige Berechnung der Einkommensverhältnisse unter Berücksichtigung der Einkünfte innerhalb eines Veranlagungszeitraumes ab, so dass die - durch die Wahl einer Steuerklasse - individuelle Gestaltung der monatlichen Einkünfte im Berücksichtungszeitraum ohne Relevanz ist. Das weitere Vorbringen des Klägers, es seien Werbungskosten in Abzug zu bringen, geht ebenso fehl wie der Einwand, es müsse eine Sozialpauschale für Versicherungsbeiträge Berücksichtigung finden. Beides ist geschehen, denn ausweislich des Bescheides vom 11.02.2009 und des Einkommenssteuerbescheides 2006 hat die Beklagte die Summe der positiven Einkünfte, d.h. die Einnahmen nach Abzug der Werbungskosten, der Einkommensermittlung zugrunde gelegt. Die vom Kläger eingeforderte Sozialpauschale wurde entsprechend den gesetzlichen Regelungen (§ 21 Abs 2 Nr 1 BAföG) in Höhe von 21,5 vH der positiven Einkünfte berücksichtigt.

Weitergehende Abzüge vom Einkommen seiner Mutter, die der Kläger einfordert, sind nicht nachvollziehbar. Der Vortrag ist insoweit unsubstantiiert geblieben, so dass die Einkommensermittlung der Beklagten in Bezug auf die Mutter des Klägers nicht zu beanstanden ist ebenso wenig wie die weitergehende Ermittlung der Freibeträge (§ 25 Abs 1, Abs 4 BAföG).

Soweit der Kläger geltend macht, seiner Mutter habe ein angemessener Selbstbehalt (von 1.100,00 EUR) zu verbleiben, ist diese nicht im Rahmen der Einkommensermittlung zu berücksichtigen, sondern im Rahmen der Frage zu klären, ob ein (familienrechtlicher) Unterhaltsanspruch besteht (§ 71 Abs 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III), der gegebenenfalls über § 72 Abs 2 SGB III durchzusetzen wäre. Dies kann jedoch bislang offen bleiben, denn der Kläger ist auch in diesem Zusammenhang seiner Darlegungslast noch nicht einmal ansatzweise nachgekommen.

Eine hinreichende (Teil-)Erfolgssaussicht des Klageverfahrens ergibt sich jedoch daraus, dass die Beklagte - nach Auffassung des Senates zu Unrecht - ohne nähere Prüfung davon ausgegangen ist, dass das voraussichtliche Einkommen des Klägers im Bewilligungszeitraum (01.09.2008 bis 28.02.2010) heranzuziehen sei. Mit der Verlängerung des Bewilligungszeitraumes - im Vergleich zum BAföG - von 12 auf 18 Monate war durch den Gesetzgeber im Wesentlichen beabsichtigt, das Verwaltungsverfahren zu straffen und durch eine geringe Zahl von Verwaltungsverfahren Bürokratie abzubauen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass beabsichtigt war, Leistungsansprüche der Auszubildenden zu kürzen, wie dies die Praxis der Beklagten regelmäßig nach sich zieht. Hierbei geht die Beklagte - ohne nachvollziehbare Rechtsgrundlage - davon aus, dass das zu erwartende durchschnittliche Einkommen im Bewilligungszeitraum, dem Bedarf in diesem Zeitraum gegenüber zu stellen sei, was - bei einem regelmäßigen Ausbildungsbeginn im September eines Jahres - dazu führt, dass Auszubildende einen aktuellen Bedarf regelmäßig durch in der Zukunft liegende Einkünfte zu decken haben, weil sowohl das höhere Einkommen des zweiten Ausbildungsjahres als auch - soweit zu beanspruchen - eine Jahressonderzahlung das - nach Auffassung der Beklagten maßgebliche - Durchschnittseinkommen zu ungunsten des Auszubildenden beeinflussen (vgl. hierzu ausführlich: Fuchsloch in Gagel, SGB III, Stand 2009, § 71 RdNr 70ff) oder - wie im Falle des Klägers - ausschließen.

Unter Berücksichtigung der von der Beklagten ermittelten Rechnungsansätze erschiene daher denkbar, den Leistungsanspruch bezogen auf die Ausbildungsabschnitte zu berechnen, so dass sich zumindest für das erste Ausbildungsjahr des Klägers ein Leistungsanspruch errechnen könnte.

Hierbei wären - auf der Grundlage der Berechnung der Beklagten - die zu erwartenden Einkünfte des Klägers im Zeitraum 01.09.2008 bis 31.08.2009 von insgesamt 5.580,00 EUR zugrunde zu legen [12 x 450,00 EUR (01.09.2008 bis 31.08.2009) zzgl. Einmalzahlungen (soweit berücksichtigungsfähig; vgl. Fuchsloch aaO § 71 RdNr 71b) im November 2008 (100,00 EUR) und Juli 2009 (80,00 EUR)]. Von den durchschnittlichen Einkünften von 465,00 EUR (= 5.580,00 EUR: 12) wäre die durchschnittliche Sozialpauschale (21,5 vH) in Höhe von 99,98 EUR (= 5.580,00 EUR x 0,215: 12) abzuziehen, so dass sich ein anrechnungsfähiges Einkommen von 365,02 EUR ergäbe. Zusammen mit dem berücksichtungsfähigen Einkommen der Mutter der Klägers (301,13 EUR) verbliebe - zumindest im ersten Ausbildungsjahr - ein ungedeckter Bedarf von (mindestens) 14,45 EUR monatlich (= 680,60 EUR - 301,13 EUR - 365,02 EUR).

In diesem Zusammenhang wird das SG jedoch auch zu prüfen haben, ob und seit welchem Zeitpunkt der Kläger tatsächlich Unterhaltsleistungen - auch in der Form von Weiterleitung des Kindergeldes - erhalten hat, und in welchem Umfang die Anrechnung dieser Leistungen - soweit sie den Anrechnungsbetrag aus elterlichem Einkommen überschreiten - im Rahmen des § 23 Abs 3 Nr 4 BAföG erforderlich ist. Dies hat die Beklagte bislang ebenso wenig geprüft wie die Anrechnung von Einkommen des Vaters des Klägers.

Nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gegeben, denn der Kläger verfügt weder über Einkommen noch über Vermögen, das er in zumutbarer Weise verwerten könnte, um die Kosten des Prozesses aufzubringen (vgl. Anlage).

Ist die Vertretung durch Anwälte, wie im sozialgerichtlichen Verfahren, nicht vorgeschrieben, so wird dem Beteiligten auf dessen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, § 202 SGG iVm § 121 Abs 2 ZPO.

Der Senat hält im vorliegenden Fall die Beiordnung eines Rechtsanwaltes für erforderlich, § 121 Abs 2 ZPO, weil neben tatsächlichen Umständen rechtliche Fragen komplexer Natur zu klären sind, die einen juristischen Laien regelmäßig überfordern.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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