Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 SB 272/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 07.02.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2008 verurteilt, ab 07.02.2008 einen GdB von 100 festzustellen. 2.Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der 1935 geborene Kläger begehrt die Aufhebung eines Bescheides, mit dem der GdB von 100 auf 70 herabgesetzt wurde.
Mit Bescheid vom 29.05.2002 stellte das Versorgungsamt Düsseldorf einen GdB von 100 und folgende Behinderungen fest:
1.Entfernung des Enddarmes mit vorübergehender Anlage eines künstlichen Darmausgangs, Entfernung von Prostata und Blase mit Anlage einer Darmneoblase im Stadium der Heilungsbewährung (Einzel-GdB 100)
2.Schilddrüsenfunktionsstörung (Einzel-GdB 20).
Im Januar 2003 erfolgte die Rückverlegung des Anus präter.
Im Februar 2007 leitete das Versorgungsamt Düsseldorf eine Nachuntersuchung von Amts wegen ein. Auf Anfrage gab der Kläger an, sein Zustand hätte sich seit der letzten Darmoperation wesentlich verschlechtert. Er könne nur noch flüssige Nahrung oder Nahrung in kleinen Mengen zu sich nehmen. Des Weiteren hätte sich die Fuß- und Zehenheberschwäche verschlechtert. Nach Einholung von Befundberichten der Ärztin für Allgemeinmedizin H und des Internisten A bewertete der Versorgungsärztliche Dienst in seiner Stellungnahme vom 22.05.2007 den Zustand nach Entfernung des Enddarms wegen Ablaufs der Heilungsbewährung mit einem Einzel-GdB von 50, die Fuß- und Zehenheberschwäche und den lumbalen Bandscheibenschaden mit einem Einzel-GdB von 20 und ein Krampfaderleiden mit Stauungsbeschwerden ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 und schlug einen Gesamt-GdB von 60 vor. Mit Schreiben vom 14.06.2007 informierte das Versorgungsamt Düsseldorf den Kläger über die beabsichtigte Herabsetzung des GdB s.
Der Kläger wandte demgegenüber ein, sein physischer und psychischer Zustand hätte sich gegenüber 2002 wesentlich verschlechtert. Insgesamt leide er unter Stuhlinkontinenz, chronischer Diarrhö, Erschöpfung nach kurzer Zeit und nach kleinen Wegstrecken, ununterbrochen mäßigen bis starken Schmerzen im Afterbereich, Gleichgewichtsstörungen und Schwindel beim Gehen sowie fortschreitender Gewichtsabnahme. In der weiteren Versorgungsärztlichen Stellungnahnme vom 24.09.2007 wurde bei unverändert gebliebenen Einzel-GdB-Werten ein Gesamt-GdB von 70 vorgeschlagen.
Mit Bescheid vom 07.02.2008 stellte die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 29.05.2002 einen GdB von 70 fest.
Den dagegen am 06.03.2008 erhobenen Widerspruch hat der Kläger unter anderem damit begründet, dass im Mai 2005 eine erneute Operation stattgefunden hätte und der Verdauungsweg erneut verkürzt worden wäre. In dem darauf eingeholten Versorgungsärztlichen Gutachten kam der Gutachter T zu dem Ergebnis, dass die Behinderung Teilentfernung des Enddarms, Stuhlinkontinenz nach Anus präter Rückverlagerung, Entfernung der Prostata und Blase mit Anlage eine Darmneoblase einen Einzel-GdB von 60 rechtfertige. Das Krampfaderleiden und die Fuß- und Zehenheberschwäche links mit lumbalen Bandscheibenschaden seien jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten und insgesamt sei ein Gesamt-GdB von 70 gerechtfertigt.
Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2008 als unbegründet zurück. Wegen Ablaufs der Heilungsbewährung sei der Gesamt-GdB von 100 auf 70 zu reduzieren gewesen.
Dagegen hat der Kläger am 23.12.2008 Klage erhoben. Die bei ihm bestehende chronische Stuhlinkontinenz und Diarrhö sei erheblich unterbewertet. Diese Beschwerden seien so unkontrollierbar, dass er nie sicher sei, ob er Termine einhalten könne. Des Weiteren leide er unter Gleichgewichtsstörungen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides von 07.02.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2008 zu verurteilen, einen GdB von 100 festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass ein GdB von 80, nicht jedoch von 100 gerechtfertigt wäre. Die Beklagte sei auch bereit, die Hälfte der erstattungsfähigen Kosten zu übernehmen. Ein GdB von 100 sei jedoch nicht gerechtfertigt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Gutachtens des X vom 25.06.2009. X bewertet das Funktionssystem Verdauung mit einem Einzel-GdB von 70, das Funktionssystem Harnorgane mit einem Einzel-GdB von 30, Herz-Kreislauf mit 20, Rumpf mit 10 und Beine mit 30. Insgesamt sei ein Gesamt-GdB von 100 gerechtfertigt. Auf den Inhalt des Gutachtens wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger ist gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die angefochtenen Bescheide beschwert, da die Beklagte es zu Unrecht abgelehnt hat, über den 07.02.2008 hinaus einen GdB von 100 festzustellen. In den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 29.05.2002 zugrundegelegen haben, ist zwar einerseits eine wesentliche Besserung eingetreten, insofern als die Heilungsbewährung für die Behinderung: Teilentfernung des Enddarms ... abgelaufen ist, andererseits ist jedoch eine wesentliche Verschlechterung eingetreten, als weitere Behinderungen hinzugetreten sind.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung abzuändern, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche Änderung im Ausmaß der Behinderung ist nach den ab 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008) dann gegeben, wenn der veränderte Gesundheitszustand mehr als 6 Monate angehalten hat oder voraussichtlich anhalten wird und die Änderung des GdB s wenigstens 10 beträgt.
Für die Behinderung Darmteilresektion mit vorübergehender Anlage eines künstlichen Darmausgangs, Entfernung der Prostata und Blase mit Anlage einer Darmneoblase ist die fünfjährige Heilungsbewährung abgelaufen. Bis zum Ablauf der Heilungsbewährung war entsprechend den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen hierfür ein GdB von 100 anzusetzen, worin die Rückfallgefahr mitbewertet wurde. Nach Ablauf der fünfjährigen Heilungsbewährung muss der GdB dem Maß der funktionellen Beeinträchtigung angepasst werden. Der Sachverständige X hat in seinem Gutachten vom 25.06.2009 die sich im Einzelnen ergebenden funktionellen Beeinträchtigungen genau dargelegt. Im End- und Dickdarmbereich besteht eine chronische Schleimhautentzündung, derentwegen der Kläger eine Dauertherapie mit einem entzündungshemmenden Medikament einnehmen muss. An Funktionsstörungen sind Darmspasmen und Durchfälle zu beklagen. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind chronische Darmstörungen und Durchfälle nach Teilresektion des Darmes mit stärkeren und häufig rezidivierenden und anhaltenden Symptomen mit GdB-Werten von 20 bis 30 zu bewerten. Aufgrund der bei dem Kläger bestehenden Intensität sei hier ein Wert von 30 anzusetzen.
Darüber hinaus bestünden Bauchfellverwachsungen mit häufigen rezidivierenden Ileuserscheinungen (Darmlähmungen). Hierfür sei ein Einzel-GdB von 50 anzusetzen. Die beim Kläger bestehenden ausgeprägten Bauchfellverwachsungen hätten zu Strangulierungen größerer Dünndarmabschnitte geführt. Diese Verwachsungen hätten operativ nicht befriedigend gelöst werden können und hätten an den operativ nicht sanierbaren Darmabschnitten vorbei zur Anlegung von zwei Bypässen des Darmes geführt, wodurch ein funktionelles Kurzdarmsyndrom resultiere. Hierdurch leide der Kläger unter chronisch dünnflüssigen Stühlen mit agressiven Begleitstoffen, die zu einer chronischen Reizung des Enddarms und der Perianalhaut führten. Aus diesen Gründen sei der Kläger als chronischer Schmerzpatient einzustufen und eine entsprechende Schmerztherapie mit einem Morphinpräparat werde durchgeführt. Nach den Versorungsmedizinischen Grundsätzen würden Bauchfellverwachsungen mit häufigen rezidivierenden Ileuserscheinungen mit GdB-Werten von 40 bis 50 bewertet und hier sei der obere Bewertungsrahmen mit einem GdB von 50 anzusetzen. Die Bewertung in der Versorgungsärztlichen Stellungnahme der Beklagten vom 21.07.2009 wird den vom Sachverständigen geschilderten Einzelheiten nicht gerecht: In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme geht die Ärztin C davon aus, dass die Bauchfellverwachsungen operativ behandelt worden wären und daher nur noch als verbleibende Funktionsstörungen die Darmkrämpfe und Durchfälle zu berücksichtigen wären. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, wurden jedoch die Bauchfellverwachsungen nicht vollständig operativ behoben, sondern durch die Anlage von zwei Bypässen käme es zu einem funktionellen Kurzdarmsyndrom, was zu weiteren funktionellen Beeinträchtigungen führe. In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme wird unzulässigerweise das bei dem Kläger bestehende komplexe Beschwerdebild verglichen mit dauerhaften Funktonsstörungen im Bereich des Magen- und Darmtraktes und hierfür ein Einzel-GdB von 40 angesetzt, obwohl, wie der Sachverständige ausgeführt hat, für die einzelnen funktionellen Beeinträchtigungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen konkrete Bewertungen vorgesehen sind. Eine Vergleichsbewertung ist nur dann zulässig, wenn die Versorgungsmedizinischen Grundsätze konkrete Werte nicht vorgeben.
Die Darmneoblase ist vom Sachverständigen X mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet worden. Dies stimmt insofern mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen überein, als unter Punkt B 12.2.4 eine Darmneoblase mit ausreichendem Fassungsvermögen ohne Harnstau und ohne wesentliche Entleerungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet wird. Im vorliegenden Fall ist jedoch zusätzlich zu berücksichtigen, dass die Neoblase über eine Öffnung im rechten Unterbauch in einen Auffangbeutel entleert wird. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen ist eine künstliche Harnableitung nach außen mit guter Versorgungsmöglichkeit mit einem Einzel-GdB von 50 anzusetzen. Hierauf hat zutreffend Frau C in der Versorgungsärztlichen Stellungahme vom 21.07.2009 hingewiesen. Daher ist für die Darmneoblase mit künstlicher Harnableitung nach außen ein Einzel-GdB von 50 anzusetzen, wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich hier um einen starken 50-er Wert handelt, da zusätzlich zu der künstlichen Harnableitung nach außen eine Darmneoblase besteht.
Die bei dem Kläger gegenüber 2002 hinzugekommene Muskelschwäche mit Osteoporose der Lendenwirbelsäule bedingt einen Einzel-GdB von 30. Hervorgerufen durch eine Osteoporose der Lendenwirbelsäule und daraus resultierender lokaler Schmerzsymptomatik mit Ausstrahlung in beide Oberschenkel und Muskelschwund bei Mangelversorgung infolge Darmresorptionsstörung besteht bei dem Kläger ein unsicheres Gangbild mit Neigung zu Taumel und vorzeitiger Ermüdung. Außerdem wird diese Funktionsstörung verstärkt durch eine Kontrakturbildung zweier Zehen am linken Fuß. Der Sachverständige führt hierzu weiter aus: Die genannten Handykaps bedingen im Zusammenspiel ein unsicheres Gangbild, vergleichbar mit einer Muskelschwäche der unteren Extremitäten mit geringen Auswirkungen im Sinne vorzeitiger Ermüdung und gebrauchsabhängiger Unsicherheit. Nach Punkt B 18.6 der GdB-Tabelle ist hierfür ein GdB-Rahmen von 20 bis 40 vorgesehen. Der vom Sachverständigen vorgeschlagene Wert von 30 ist daher überzeugend und angemessen. Stattdessen greift der von FrauC in der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.07.2009 vorgeschlagene Wert von 20 zu gering. Eine Begründung für die tiefere Bewertung gibt sie jedoch nicht ab.
Für die chronisch venöse Insuffizienz beider Beine bei Krampfadern und Leberfunktions- störung mit erheblicher Ödembildung und pigmentierten Hautveränderungen ist hier ein GdB von 20 anzusetzen, da noch keine höhergradigen Hautschäden resultieren. Bezüglich dieser Bewertung besteht Übereinstimmung zwischen dem Sachverständigen und der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.07.2009.
Bezogen auf die einzelnen Funktionssysteme ergibt sich somit entsprechend den obigen Ausführungen für das Funktionssystem Verdauung ein GdB von 70, für die Harnorgane ein GdB von 50, Herz-Kreislauf 20, Beine 30 und Rumpf 10.
Bei der Bildung des Gesamt-GdB s ist ausgehend von der schwerwiegenden Gesundheitsstörung zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderungen durch die weiteren Beeinträchtigungen vergrößert wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass leichte Gesundheitsstörungen, die einen GdB von 10 bedingen, regelmäßig nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesundheitsbeeinträchtigungen führen und dass es vielfach bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 nicht gerechtfertigt ist, eine Erhöhung vorzunehmen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB s dürfen die Einzel-GdB-Werte nicht addiert werden. Maßgebend sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Funtionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Dabei ist zu beachten, ob die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig sind und verschiedene Bereiche des täglichen Lebens betreffen oder ob sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt oder ob sich Funktionsbeeinträchtigungen teilweise überschneiden.
Auszugehen ist daher hier von dem GdB von 70 für das Funktionssystem Verdauung. Dieser Wert erhöht sich bei einem GdB von 50 für die Harnorgane auf einen Wert von 90. Wie der Sachverständige überzeugend ausführt, behindert der Verlust der Harnblase mit Notwendigkeit einer Neoblase den Kläger in anderen Bereichen des täglichen Lebens als die beim Funktionssystem Verdauung auftretende Symptomatik. Als weitere Erschwerung ist hier der künstliche Ausgang der Harnblase zu berücksichtigen. Durch die weitere Beeinträchtigung im Bereich der Beine und die venöse Insuffizienz der Beine erhöht sich der Gesamtgrad auf 100,
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Der 1935 geborene Kläger begehrt die Aufhebung eines Bescheides, mit dem der GdB von 100 auf 70 herabgesetzt wurde.
Mit Bescheid vom 29.05.2002 stellte das Versorgungsamt Düsseldorf einen GdB von 100 und folgende Behinderungen fest:
1.Entfernung des Enddarmes mit vorübergehender Anlage eines künstlichen Darmausgangs, Entfernung von Prostata und Blase mit Anlage einer Darmneoblase im Stadium der Heilungsbewährung (Einzel-GdB 100)
2.Schilddrüsenfunktionsstörung (Einzel-GdB 20).
Im Januar 2003 erfolgte die Rückverlegung des Anus präter.
Im Februar 2007 leitete das Versorgungsamt Düsseldorf eine Nachuntersuchung von Amts wegen ein. Auf Anfrage gab der Kläger an, sein Zustand hätte sich seit der letzten Darmoperation wesentlich verschlechtert. Er könne nur noch flüssige Nahrung oder Nahrung in kleinen Mengen zu sich nehmen. Des Weiteren hätte sich die Fuß- und Zehenheberschwäche verschlechtert. Nach Einholung von Befundberichten der Ärztin für Allgemeinmedizin H und des Internisten A bewertete der Versorgungsärztliche Dienst in seiner Stellungnahme vom 22.05.2007 den Zustand nach Entfernung des Enddarms wegen Ablaufs der Heilungsbewährung mit einem Einzel-GdB von 50, die Fuß- und Zehenheberschwäche und den lumbalen Bandscheibenschaden mit einem Einzel-GdB von 20 und ein Krampfaderleiden mit Stauungsbeschwerden ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 und schlug einen Gesamt-GdB von 60 vor. Mit Schreiben vom 14.06.2007 informierte das Versorgungsamt Düsseldorf den Kläger über die beabsichtigte Herabsetzung des GdB s.
Der Kläger wandte demgegenüber ein, sein physischer und psychischer Zustand hätte sich gegenüber 2002 wesentlich verschlechtert. Insgesamt leide er unter Stuhlinkontinenz, chronischer Diarrhö, Erschöpfung nach kurzer Zeit und nach kleinen Wegstrecken, ununterbrochen mäßigen bis starken Schmerzen im Afterbereich, Gleichgewichtsstörungen und Schwindel beim Gehen sowie fortschreitender Gewichtsabnahme. In der weiteren Versorgungsärztlichen Stellungnahnme vom 24.09.2007 wurde bei unverändert gebliebenen Einzel-GdB-Werten ein Gesamt-GdB von 70 vorgeschlagen.
Mit Bescheid vom 07.02.2008 stellte die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 29.05.2002 einen GdB von 70 fest.
Den dagegen am 06.03.2008 erhobenen Widerspruch hat der Kläger unter anderem damit begründet, dass im Mai 2005 eine erneute Operation stattgefunden hätte und der Verdauungsweg erneut verkürzt worden wäre. In dem darauf eingeholten Versorgungsärztlichen Gutachten kam der Gutachter T zu dem Ergebnis, dass die Behinderung Teilentfernung des Enddarms, Stuhlinkontinenz nach Anus präter Rückverlagerung, Entfernung der Prostata und Blase mit Anlage eine Darmneoblase einen Einzel-GdB von 60 rechtfertige. Das Krampfaderleiden und die Fuß- und Zehenheberschwäche links mit lumbalen Bandscheibenschaden seien jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten und insgesamt sei ein Gesamt-GdB von 70 gerechtfertigt.
Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2008 als unbegründet zurück. Wegen Ablaufs der Heilungsbewährung sei der Gesamt-GdB von 100 auf 70 zu reduzieren gewesen.
Dagegen hat der Kläger am 23.12.2008 Klage erhoben. Die bei ihm bestehende chronische Stuhlinkontinenz und Diarrhö sei erheblich unterbewertet. Diese Beschwerden seien so unkontrollierbar, dass er nie sicher sei, ob er Termine einhalten könne. Des Weiteren leide er unter Gleichgewichtsstörungen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides von 07.02.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2008 zu verurteilen, einen GdB von 100 festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass ein GdB von 80, nicht jedoch von 100 gerechtfertigt wäre. Die Beklagte sei auch bereit, die Hälfte der erstattungsfähigen Kosten zu übernehmen. Ein GdB von 100 sei jedoch nicht gerechtfertigt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Gutachtens des X vom 25.06.2009. X bewertet das Funktionssystem Verdauung mit einem Einzel-GdB von 70, das Funktionssystem Harnorgane mit einem Einzel-GdB von 30, Herz-Kreislauf mit 20, Rumpf mit 10 und Beine mit 30. Insgesamt sei ein Gesamt-GdB von 100 gerechtfertigt. Auf den Inhalt des Gutachtens wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger ist gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die angefochtenen Bescheide beschwert, da die Beklagte es zu Unrecht abgelehnt hat, über den 07.02.2008 hinaus einen GdB von 100 festzustellen. In den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 29.05.2002 zugrundegelegen haben, ist zwar einerseits eine wesentliche Besserung eingetreten, insofern als die Heilungsbewährung für die Behinderung: Teilentfernung des Enddarms ... abgelaufen ist, andererseits ist jedoch eine wesentliche Verschlechterung eingetreten, als weitere Behinderungen hinzugetreten sind.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung abzuändern, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche Änderung im Ausmaß der Behinderung ist nach den ab 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008) dann gegeben, wenn der veränderte Gesundheitszustand mehr als 6 Monate angehalten hat oder voraussichtlich anhalten wird und die Änderung des GdB s wenigstens 10 beträgt.
Für die Behinderung Darmteilresektion mit vorübergehender Anlage eines künstlichen Darmausgangs, Entfernung der Prostata und Blase mit Anlage einer Darmneoblase ist die fünfjährige Heilungsbewährung abgelaufen. Bis zum Ablauf der Heilungsbewährung war entsprechend den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen hierfür ein GdB von 100 anzusetzen, worin die Rückfallgefahr mitbewertet wurde. Nach Ablauf der fünfjährigen Heilungsbewährung muss der GdB dem Maß der funktionellen Beeinträchtigung angepasst werden. Der Sachverständige X hat in seinem Gutachten vom 25.06.2009 die sich im Einzelnen ergebenden funktionellen Beeinträchtigungen genau dargelegt. Im End- und Dickdarmbereich besteht eine chronische Schleimhautentzündung, derentwegen der Kläger eine Dauertherapie mit einem entzündungshemmenden Medikament einnehmen muss. An Funktionsstörungen sind Darmspasmen und Durchfälle zu beklagen. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind chronische Darmstörungen und Durchfälle nach Teilresektion des Darmes mit stärkeren und häufig rezidivierenden und anhaltenden Symptomen mit GdB-Werten von 20 bis 30 zu bewerten. Aufgrund der bei dem Kläger bestehenden Intensität sei hier ein Wert von 30 anzusetzen.
Darüber hinaus bestünden Bauchfellverwachsungen mit häufigen rezidivierenden Ileuserscheinungen (Darmlähmungen). Hierfür sei ein Einzel-GdB von 50 anzusetzen. Die beim Kläger bestehenden ausgeprägten Bauchfellverwachsungen hätten zu Strangulierungen größerer Dünndarmabschnitte geführt. Diese Verwachsungen hätten operativ nicht befriedigend gelöst werden können und hätten an den operativ nicht sanierbaren Darmabschnitten vorbei zur Anlegung von zwei Bypässen des Darmes geführt, wodurch ein funktionelles Kurzdarmsyndrom resultiere. Hierdurch leide der Kläger unter chronisch dünnflüssigen Stühlen mit agressiven Begleitstoffen, die zu einer chronischen Reizung des Enddarms und der Perianalhaut führten. Aus diesen Gründen sei der Kläger als chronischer Schmerzpatient einzustufen und eine entsprechende Schmerztherapie mit einem Morphinpräparat werde durchgeführt. Nach den Versorungsmedizinischen Grundsätzen würden Bauchfellverwachsungen mit häufigen rezidivierenden Ileuserscheinungen mit GdB-Werten von 40 bis 50 bewertet und hier sei der obere Bewertungsrahmen mit einem GdB von 50 anzusetzen. Die Bewertung in der Versorgungsärztlichen Stellungnahme der Beklagten vom 21.07.2009 wird den vom Sachverständigen geschilderten Einzelheiten nicht gerecht: In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme geht die Ärztin C davon aus, dass die Bauchfellverwachsungen operativ behandelt worden wären und daher nur noch als verbleibende Funktionsstörungen die Darmkrämpfe und Durchfälle zu berücksichtigen wären. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, wurden jedoch die Bauchfellverwachsungen nicht vollständig operativ behoben, sondern durch die Anlage von zwei Bypässen käme es zu einem funktionellen Kurzdarmsyndrom, was zu weiteren funktionellen Beeinträchtigungen führe. In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme wird unzulässigerweise das bei dem Kläger bestehende komplexe Beschwerdebild verglichen mit dauerhaften Funktonsstörungen im Bereich des Magen- und Darmtraktes und hierfür ein Einzel-GdB von 40 angesetzt, obwohl, wie der Sachverständige ausgeführt hat, für die einzelnen funktionellen Beeinträchtigungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen konkrete Bewertungen vorgesehen sind. Eine Vergleichsbewertung ist nur dann zulässig, wenn die Versorgungsmedizinischen Grundsätze konkrete Werte nicht vorgeben.
Die Darmneoblase ist vom Sachverständigen X mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet worden. Dies stimmt insofern mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen überein, als unter Punkt B 12.2.4 eine Darmneoblase mit ausreichendem Fassungsvermögen ohne Harnstau und ohne wesentliche Entleerungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet wird. Im vorliegenden Fall ist jedoch zusätzlich zu berücksichtigen, dass die Neoblase über eine Öffnung im rechten Unterbauch in einen Auffangbeutel entleert wird. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen ist eine künstliche Harnableitung nach außen mit guter Versorgungsmöglichkeit mit einem Einzel-GdB von 50 anzusetzen. Hierauf hat zutreffend Frau C in der Versorgungsärztlichen Stellungahme vom 21.07.2009 hingewiesen. Daher ist für die Darmneoblase mit künstlicher Harnableitung nach außen ein Einzel-GdB von 50 anzusetzen, wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich hier um einen starken 50-er Wert handelt, da zusätzlich zu der künstlichen Harnableitung nach außen eine Darmneoblase besteht.
Die bei dem Kläger gegenüber 2002 hinzugekommene Muskelschwäche mit Osteoporose der Lendenwirbelsäule bedingt einen Einzel-GdB von 30. Hervorgerufen durch eine Osteoporose der Lendenwirbelsäule und daraus resultierender lokaler Schmerzsymptomatik mit Ausstrahlung in beide Oberschenkel und Muskelschwund bei Mangelversorgung infolge Darmresorptionsstörung besteht bei dem Kläger ein unsicheres Gangbild mit Neigung zu Taumel und vorzeitiger Ermüdung. Außerdem wird diese Funktionsstörung verstärkt durch eine Kontrakturbildung zweier Zehen am linken Fuß. Der Sachverständige führt hierzu weiter aus: Die genannten Handykaps bedingen im Zusammenspiel ein unsicheres Gangbild, vergleichbar mit einer Muskelschwäche der unteren Extremitäten mit geringen Auswirkungen im Sinne vorzeitiger Ermüdung und gebrauchsabhängiger Unsicherheit. Nach Punkt B 18.6 der GdB-Tabelle ist hierfür ein GdB-Rahmen von 20 bis 40 vorgesehen. Der vom Sachverständigen vorgeschlagene Wert von 30 ist daher überzeugend und angemessen. Stattdessen greift der von FrauC in der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.07.2009 vorgeschlagene Wert von 20 zu gering. Eine Begründung für die tiefere Bewertung gibt sie jedoch nicht ab.
Für die chronisch venöse Insuffizienz beider Beine bei Krampfadern und Leberfunktions- störung mit erheblicher Ödembildung und pigmentierten Hautveränderungen ist hier ein GdB von 20 anzusetzen, da noch keine höhergradigen Hautschäden resultieren. Bezüglich dieser Bewertung besteht Übereinstimmung zwischen dem Sachverständigen und der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.07.2009.
Bezogen auf die einzelnen Funktionssysteme ergibt sich somit entsprechend den obigen Ausführungen für das Funktionssystem Verdauung ein GdB von 70, für die Harnorgane ein GdB von 50, Herz-Kreislauf 20, Beine 30 und Rumpf 10.
Bei der Bildung des Gesamt-GdB s ist ausgehend von der schwerwiegenden Gesundheitsstörung zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderungen durch die weiteren Beeinträchtigungen vergrößert wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass leichte Gesundheitsstörungen, die einen GdB von 10 bedingen, regelmäßig nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesundheitsbeeinträchtigungen führen und dass es vielfach bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 nicht gerechtfertigt ist, eine Erhöhung vorzunehmen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB s dürfen die Einzel-GdB-Werte nicht addiert werden. Maßgebend sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Funtionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Dabei ist zu beachten, ob die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig sind und verschiedene Bereiche des täglichen Lebens betreffen oder ob sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt oder ob sich Funktionsbeeinträchtigungen teilweise überschneiden.
Auszugehen ist daher hier von dem GdB von 70 für das Funktionssystem Verdauung. Dieser Wert erhöht sich bei einem GdB von 50 für die Harnorgane auf einen Wert von 90. Wie der Sachverständige überzeugend ausführt, behindert der Verlust der Harnblase mit Notwendigkeit einer Neoblase den Kläger in anderen Bereichen des täglichen Lebens als die beim Funktionssystem Verdauung auftretende Symptomatik. Als weitere Erschwerung ist hier der künstliche Ausgang der Harnblase zu berücksichtigen. Durch die weitere Beeinträchtigung im Bereich der Beine und die venöse Insuffizienz der Beine erhöht sich der Gesamtgrad auf 100,
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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