S 83 KA 221/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 221/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Beigeladenen zu 2). Die Beigeladene zu 1) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen den vom beklagten Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in der Richtlinie über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie) bestimmten Ausschluss von Insulinanaloga von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2.

Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen. Sie stellt unter dem Handelsnamen A (Wirkstoff Insulin Glulisin) ein kurzwirksames Insulinanalogon her und vertreibt es in Deutschland. Das Arzneimittel ist zur Behandlung von Erwachsenen mit Diabetes mellitus zugelassen. Bei einem Insulinanalogon sind im Gegensatz zu – ebenfalls zur Behandlung des Diabetes mellitus zugelassenem – kurzwirksamem Humaninsulin einzelne Aminosäuren modifiziert. Der Apothekenabgabepreis der kurzwirksamen Insulinanaloga übersteigt den der Humaninsulinpräparate um bis zu 30 %.

Mit Beschluss vom 18. Januar 2005 beauftragte der Beklagte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), unter anderem zu Diabetes mellitus Typ 2 folgende Frage zu beantworten: "Gibt es Belege dafür, dass die Behandlung mit schnell wirkenden Insulinanaloga im Vergleich zu einer Behandlung mit einem kurz wirksamen Humaninsulin zu einer klinisch relevanten Beeinflussung patientenrelevanter Eckpunkte führt?" (Nr. 2.1 b) des Beschlusses vom 18. Januar 2005; wegen der weiteren Einzelheiten des Auftrags wird auf den Beschluss verwiesen). Das IQWiG teilte den Gesamtauftrag in einzelne Aufträge auf und führte im Folgenden unter der Auftragsnummer A05-04 eine Nutzenbewertung kurzwirksamer Insulinanaloga durch. Zu dem Berichtsplan des IQWiG vom 9. Juni 2005 nahm der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) am 5. August 2005 unaufgefordert gegenüber dem IQWiG Stellung. Am 1. August 2005 veröffentlichte das IQWiG den Vorbericht, zu dem Stellungnahmen bis 28. August 2005 abgegeben werden konnten und unter anderem auch von der Klägerin abgegeben wurden. Am 8. September 2005 führte das IQWiG eine wissenschaftliche Anhörung durch, bei der auch zwei Vertreter der Klägerin anwesend waren. Im Abschlussbericht vom 15. Dezember 2005 kam das IQWiG nach Durchführung einer Metaanalyse unter Einschluss von sieben wissenschaftlichen Publikationen zu folgendem Fazit: "Es existieren keine überzeugenden Belege für eine Überlegenheit kurzwirksamer Insulinanaloga gegenüber Humaninsulin hinsichtlich patientenrelevanter Therapieziele bei der Behandlung des Typ 2 Diabetes mellitus. Hinsichtlich ihrer langfristigen, potenziellen, nützlichen und schädlichen Effekte sind kurzwirksame Insulinanaloga nicht ausreichend untersucht."

Am 21. Februar 2006 legte der Beklagte einen Beschlussentwurf zum Ausschluss der Insulinanaloga von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV vor und leitete das Stellungnahmeverfahren ein. Im Anhörungsverfahren rügten der BPI, der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. und die Klägerin im Kern das methodische Vorgehen des IQWiG und stellten seine Ergebnisse in Frage. Am 18. Juli 2006 beschloss der Beklagte die Änderung der Arzneimittel-Richtlinie, die das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit der Maßgabe nicht beanstandete, dass der Kostenvergleich unter Berücksichtigung von Rabatten nach § 130a Abs. 1 und 8 erfolge (Schreiben des BMG vom 8. September 2006). In seiner Sitzung vom 19. September 2006 setzte der Beklagte die Maßgabe des BMG um. Der Beschluss des Beklagten zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie vom 18. Juli 2006/19. September 2006 wurde am 28. September 2006 im Bundesanzeiger veröffentlicht. Er hat folgenden – für den vorliegenden Rechtsstreit relevanten – Inhalt:

"II. Der Arzneimittel-Richtlinie wird zum Zwecke der Konkretisierung von Abschnitt I folgende Anlage 10 angefügt: Folgende Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen sind unter Beachtung der dazu gegebenen Hinweise nicht verordnungsfähig: 1. Kurzwirksame Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. Hierzu zählen: - Insulin Aspart - Insulin Glulisin - Insulin Lispro Diese Wirkstoffe sind nicht verordnungsfähig, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zu kurzwirksamem Humaninsulin verbunden sind. Das angestrebte Behandlungsziel ist mit Humaninsulin ebenso zweckmäßig, aber kostengünstiger zu erreichen. Für die Bestimmung der Mehrkosten sind die der zuständigen Krankenkasse tatsächlich entstehenden Kosten maßgeblich."

Die Tragenden Gründe zu dem Beschluss veröffentlichte der Beklagte im Internet. Mit Beschluss vom 10. April 2008 (veröffentlicht im Bundesanzeiger am 9. Juli 2008) ergänzte der Beklagte die Nummer 1 Anlage 10 der Arzneimittel-Richtlinie um folgenden Satz:

"Dies gilt nicht für Patienten - mit Allergie gegen den Wirkstoff Humaninsulin - bei denen trotz Intensivierung der Therapie eine stabile adäquate Stoffwechsellage mit Humaninsulin nicht erreichbar ist, dies aber mit kurzwirksamen Insulinanaloga nachweislich gelingt - bei denen aufgrund unverhältnismäßig hoher Humaninsulindosen eine Therapie mit kurzwirksamen Insulinanaloga im Einzelfall wirtschaftlicher ist."

Nach der Neufassung der Arzneimittel-Richtlinie vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009 (veröffentlicht im Bundesanzeiger 2009, Nr. 49a) befinden sich die Regelungen nunmehr im Anhang III Nr. 33 der Arzneimittel-Richtlinie.

Am 26. März 2007 hat die Klägerin gegen den Ausschluss von Insulinanaloga Klage zum Sozialgericht (SG) Frankfurt/Main erhoben. Sie hält den Ausschluss für rechtswidrig und rügt insbesondere folgende Punkte: Eine isolierte Entscheidung über die Leistungspflicht der GKV für kurzwirksame Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 habe nicht rechtmäßig getroffen werden können, bevor der Bewertungsauftrag Diabetes mellitus Typ 2 vom IQWiG in einer den Anforderungen von § 35b Abs. 1 SGB V i.d.F. des GKV-WSG genügenden Weise abgeschlossen worden sei. Es verstoße gegen die gesetzlichen Anforderungen in § 139 Abs. 4 und § 92 Abs. 1 SGB V sowie das Demokratieprinzip, dass der Beklagte die IQWiG-Nutzenbewertung ohne eigenständige inhaltliche Prüfung nach bloßer Plausibilitätskontrolle übernommen habe. Der Leistungsausschluss verstoße gegen § 92 Abs. 1 S. 1 3. Hs. SGB V, weil nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse therapeutischer Nutzen, medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 mit kurzwirksamen Insulinanaloga nachgewiesen seien. Der Leistungsausschluss sei auch deswegen rechtswidrig, weil der Beklagte die gesetzlichen Kriterien und den Stand der medizinischen Erkenntnisse unter zahlreichen Gesichtspunkten verkenne. Schließlich verstoße der Leistungsausschluss gegen das Übermaßverbot und stelle eine rechtswidrige Ausübung des dem Beklagten eingeräumten Ermessens dar.

Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass Nr. 33 Anlage III der Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung nichtig ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er tritt den Einwänden der Klägerin entgegen. Insbesondere habe das IQWiG seine Nutzenbewertung entsprechend den gesetzlichen Vorgaben nach den Publikationen mit den höchsten verfügbaren Evidenzen vorgenommen. Die Empfehlung des IQWiG habe er nur auf Einhaltung der Verfahrensvorschriften und auf Plausibilität zu prüfen, aber keine erneute vollständige Bewertung vorzunehmen. Der Verordnungsausschluss sei auch verhältnismäßig, weil es ein milderes, gleich wirksames Mittel nicht gegeben habe.

Der Beigeladene zu 2) schließt sich der Auffassung des Beklagten an und beantragt, die Klage abzuweisen.

Das SG Frankfurt/Main hat sich mit Beschluss vom 13. Mai 2008 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Berlin verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Inhalts der genannten Dokumente wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf den vom Beklagten eingereichten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Nr. 33 der Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie ist rechtmäßig, die Klägerin wird hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt.

A. Das SG Berlin ist aufgrund des Verweisungsbeschlusses des ursprünglich angerufenen SG Frankfurt/Main gem. §§ 98 S. 1 SGG, 17a Abs. 2 S. 3 GVG zuständiges Gericht. Es ist auch instanzlich zuständig. Die erstinstanzliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 8 SGG, wonach die Sozialgerichte, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, im ersten Rechtszug über alle Streitigkeiten entscheiden, für die der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit offen steht. Diese Voraussetzungen liegen hier trotz Einführung des § 29 Abs. 4 Ziff. 3 SGG, wonach das LSG Berlin-Brandenburg im ersten Rechtszug über Klagen gegen Entscheidungen und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (§§ 91, 92 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) entscheidet, vor. Denn die Regelung ist erst durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGÄndG) mit Wirkung ab dem 1. April 2008 eingeführt worden, während die vorliegende Klage bereits mit Klageeingang am 26. März 2007 beim SG Frankfurt/Main rechtshängig geworden ist (§ 94 SGG). Nach dem Grundsatz der perpetuatio fori (§ 98 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 1 SGG), wird die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs – bzw. hier die instanzliche Zuständigkeit – durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt. Dies gilt auch im Fall von Rechtsänderungen (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 29, Rn. 4; Gummer, in: Zöller, ZPO, § 17 GVG, Rn. 1). Besondere Übergangsregelungen, die den § 17 Abs. 1 S. 1 GVG verdrängen würden, sehen weder das SGGArbGÄndG noch die dazugehörige Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/7716, S. 16) vor.

Die Kammer ist als mit Vertragsarztangelegenheiten befasste Kammer für die Entscheidung über den Rechtstreit zuständig. Gemäß § 10 Abs. 2 SGG sind für Streitigkeiten aufgrund der Beziehungen zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten, Psychotherapeuten, Vertragszahnärzten (Vertragsarztrecht) einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände eigene Kammern zu bilden. Bei Klagen, die Entscheidungen des Beklagten betreffen, handelt es sich um eine Streitigkeit des Vertragsarztrechts, weil der Beklagte als gemeinsames Gremium der Selbstverwaltung von Ärzten/Zahnärzten und Krankenkassen institutionell im Vertragsarztrecht verortet ist (st. RSpr. des für Vertragsarztangelegenheiten zuständigen 6. Senats des Bundessozialgerichts (BSG); BSG, Urteil v. 6. Mai 2009, -B 6 A 1/08 R-, juris, Rn. 20 ff., insb. Rn. 26; vgl. auch BSG, Urteil v. 31. Mai 2006, -B 6 KA 13/05 R-, SozR 4-2500 § 92 Nr. 5 = BSGE 96, 261-284, mit dem der 6. Senat über die Klage eines Arzneimittelherstellers gegen den Erlass von Therapiehinweisen in der Arzneimittel-Richtlinie entschieden hat; zuletzt BSG 6.Senat, Urteile v. 3. Februar 2010, -B 6 KA 30/09 R- und -B 6 KA 31/09 R-, vgl. Terminsbericht vom 3. Februar 2010 unter www.bundessozialgericht.de). Auch in dem seit dem 1. Januar 2010 geltenden Geschäftsverteilungsplan des SG Berlin i.d.F. vom 8. Dezember 2009 ist bestimmt, dass die mit Angelegenheiten des Vertragsarztrechts befassten Kammern für Streitigkeiten zuständig sind, die "aufgrund von Entscheidungen der gemeinsamen Gremien von Ärzten oder Zahnärzten, Psychotherapeuten und Krankenkassen entstehen" (I. Abschnitt Abs. 6 des Geschäftsverteilungsplans). Die Kammer ist daher gehindert, dem 1. und 3. Senat des BSG zu folgen, die die Auffassung vertreten, dass es sich bei Klagen, die Entscheidungen des G-BA betreffen, um Angelegenheiten der Sozialversicherung i.S.d. § 10 Abs. 1 SGG, nämlich der Krankenversicherung, handelt, und zwar unabhängig davon, wer sich auf Klägerseite gegen den G-BA wendet (BSG, Beschluss vom 18. November 2009, -B 1 KR 74/08 B-, juris, Rn. 4 ff. und BSG, Urteil vom 12. August 2009, -B 3 KR 10/07 R-, juris, Rn. 10 ff.).

Die Kammer hat in der Besetzung mit einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen und einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der Vertragsärzte entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts i.S.d. § 12 Abs. 3 S. 1 SGG handelt.

Die Klage ist in der von der Klägerin gewählten Form der Feststellungsklage gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Mit der Feststellungsklage ist es möglich, die Anwendung und Wirksamkeit untergesetzlicher Rechtsnormen wie der Arzneimittel-Richtlinie überprüfen zu lassen, weil im Geltungsbereich des SGG nur auf diese Weise wirksamer Rechtsschutz erlangt werden kann (BSG, Urteil v. 31. Mai 2006, a.a.O., Rn. 24 ff.). Auch das erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor, denn der Beklagte greift mit der zur Überprüfung gestellten Regelung mit berufsregelnder Tendenz in die Marktposition des von der Klägerin hergestellten Präparats A und damit in die Rechte der Klägerin aus Art. 12 Abs. 1 GG ein (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 31).

B. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Beschluss des Beklagten über den Ausschluss von Insulinanaloga von der vertragsärztlichen Versorgung ist rechtmäßig. Die Einwände der Klägerin greifen nicht durch.

Das Verfahren und die Entscheidungsbefugnisse des Beklagten sind zunächst ausreichend demokratisch legitimiert. Die Kammer schließt sich insoweit dem BSG an, das in ständiger Rechtsprechung von der hinreichenden demokratischen Legitimation des G-BA ausgeht (vgl. etwa BSG, Urteil v. 31. Mai 2006, a.a.O., Rn. 59 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG), und zwar auch gegenüber den Herstellern von Arzneimitteln.

Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beklagten ist § 92 Abs. 1 S. 1 3. Hs. SGB V in der seit dem 1. Mai 2006 geltenden Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG). Danach kann der G-BA in den Richtlinien die Erbringung oder Verordnung von Leistungen einschließlich Arzneimitteln oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind sowie wenn insbesondere ein Arzneimittel unzweckmäßig oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Beklagte durfte kurzwirksame Insulinanaloga – so lange damit Mehrkosten für die Krankenkassen verbunden waren – ausschließen, weil eine andere, nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem therapeutischem Nutzen – nämlich Humaninsulin – verfügbar ist. Dies ergibt sich aus dem vom IQWiG im Abschlussbericht ermittelten Ergebnis, nach dem keine überzeugenden Belege für eine Überlegenheit kurzwirksamer Insulinanaloga gegenüber Humaninsulinen hinsichtlich patientenrelevanter Therapieziele bei der Behandlung des Typ 2 Diabetes mellitus existieren. Die Kammer hat keinen Grund, an der Rechtmäßigkeit der Durchführung der Untersuchung des IQWiG, noch an dem gefundenen Ergebnis – soweit dies überhaupt gerichtlich überprüfbar ist – noch sonst an der Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Beklagten zu zweifeln.

I. In formeller Hinsicht ist der Beklagte zunächst seinen Pflichten aus § 92 Abs. 3a SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes nachgekommen. Danach ist den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer und der Apotheker sowie den maßgeblichen Dachverbänden der Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen auf Bundesebene vor der Entscheidung über die Richtlinien zur Verordnung von Arzneimitteln nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Aus der Dokumentation des Stellungnahmeverfahrens in den Tragenden Gründen ergibt sich, dass die stellungnahmeberechtigten Organisationen mit Schreiben vom 1. März 2006 zur Stellungnahme aufgefordert wurden. Alle abgegebenen Stellungnahmen – ob von stellungnahmeberechtigten Organisationen oder nicht – wurden durch den Unterausschuss Arzneimittel bzw. der vom Unterausschuss beauftragten Arbeitsgruppe (vgl. S. 12 der Tragenden Gründe) ausgewertet und beraten. Ausweislich des Anhangs 6.3 der Tragenden Gründe ("Beratung der Stellungnahmen") hat auch eine Auseinandersetzung mit den geltend gemachten Einwänden und damit die gesetzlich geforderte Einbeziehung stattgefunden. Zu jedem den Stellungnahmen entnommenen Einwand hat der Beklagte Stellung bezogen und seine diesbezügliche Ansicht zumindest stichpunktartig, meistens jedoch ausführlicher, dargelegt. Soweit die Darlegungen nur Stichpunkte umfassen beziehungsweise die Klägerin die Darlegungen inhaltlich nicht teilt, kann daraus aber nicht der Schluss gezogen werden, eine "echte" inhaltliche Auseinandersetzung habe nicht stattgefunden. Der Beklagte hat sich im Übrigen auch mit den Einwänden zu den wissenschaftlichen Grundlagen des Verordnungsausschlusses auseinandergesetzt (vgl. Nr. 30 ff. des Anhangs 6.3 zu den Tragenden Gründen, insbesondere Nr. 37 und 38 zur Einbeziehung von Studien). Deshalb kann die Kammer nicht nachvollziehen, dass nach Auffassung der Klägerin insoweit keine Anhörung stattgefunden haben soll.

II. In materiell-rechtlicher Hinsicht durfte der Beklagte die Nutzenbewertung des IQWiG seiner Entscheidung zugrunde legen. Diese ist nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen (dazu 1.) Der Beklagte durfte seine Entscheidung (nur) auf die Nutzenbewertung stützen (dazu 2.). Das IQWiG und dem folgend der Beklagte haben die gesetzlichen Anforderungen an den Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht verkannt. Das Ergebnis der Nutzenbewertung ist nicht zu beanstanden, auch nicht im Hinblick auf den Spritz-Ess-Abstand (dazu 3.). Der Beschluss des Beklagten ist verhältnismäßig (dazu 4.).

1. Rechtsgrundlage für die Durchführung der Nutzenbewertung ist § 35 b Abs. 1 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG). Danach bewertet das IQWiG bei Beauftragung nach § 139b Abs. 1 und 2 SGB V den Nutzen von Arzneimitteln (Satz 1). Nutzenbewertungen nach Satz 1 können für jedes erstmals verordnungsfähige Arzneimittel sowie für andere Arzneimittel, die von Bedeutung sind, erstellt werden (Satz 2). Das Institut bestimmt einheitliche Methoden für die Erarbeitung der Bewertungen und veröffentlicht diese abruffähig im Internet (Satz 3). Das IQWiG hat die streitgegenständliche Nutzenbewertung zu Recht auf Grundlage dieser Vorschrift durchgeführt und abgeschlossen. Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Nutzenbewertung am 1. April 2007, an dem die Änderungen des § 35b Abs. 1 SGB V durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) in Kraft traten, bereits abgeschlossen (dazu sogleich), so dass die in § 35b Abs. 1 S. 3 bis 7 SGB V eingefügten Ergänzungen – insbesondere die von der Klägerin verlangte Anhörung zum Berichtsplan gem. § 35b Abs. 1 S. 6 SGB V – nicht mehr zu berücksichtigen waren (§ 35b Abs. 1 S. 8 i.d.F. des GKV-WSG).

Der Beschluss über die Beauftragung des IQWiG beruht auf § 139b Abs. 1 S. 1 SGB V i.d.F. des GMG. Danach beauftragt der Beklagte das IQWiG mit Arbeiten nach § 139a Abs. 3 SGB V. Nach § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V i.d.F. des GMG wird das IQWiG zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der GKV erbrachten Leistungen insbesondere auf dem Gebiet der Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln tätig. Mit Beschluss vom 18. Januar 2005 hat der Beklagte von diesen gesetzlichen Ermächtigungen Gebrauch gemacht und das IQWiG beauftragt, zu verschiedenen Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2, aber auch Bluthochdruck, Asthma bronchiale und anderes mehr) bestimmte Fragen zu beantworten. Zu Diabetes mellitus Typ 2 benannte der Beklagte verschiedene Themen, die für die Versorgungslage relevant seien, unter anderem die Behandlung mit schnell wirkenden Insulinanaloga (vgl. die Aufzählung unter Nr. 2 des Beschlusses vom 18. Januar 2005). Unter Nr. 2.1 des Beschlusses formulierte der Beklagte konkrete Fragen, die das IQWiG beantworten sollte. Darunter befand sich auch die bereits im Tatbestand genannte Frage nach dem Vergleich von schnell wirkenden Insulinanaloga mit dem kurz wirksamen Humaninsulin. Die vom IQWiG vorgenommene Aufteilung des Auftrags vom 18. Januar 2005 in einzelne Unteraufträge ist nicht zu beanstanden. Das Gesetz gibt in §§ 139b Abs. 1 S. 1 und 35b Abs. 1 SGB V i.d.F. des GKV-WSG keine weiteren Vorgaben an die Ausgestaltung der vom Beklagten an das IQWiG zu erteilenden Aufträge. Diese liegt daher im Ermessen des Beklagten. Allein aus der Gliederung des Beschlusses vom 18. Januar 2005 kann nicht auf das Vorliegen eines einheitlichen Auftrags geschlossen werden, der erst dann abgeschlossen wäre, wenn alle vom Beklagten zur Beantwortung gestellten Fragen abschließend bearbeitet wären. Würde man der Auffassung der Klägerin folgen, könnte dies – bei weiter Auslegung – sogar dazu führen, dass der Auftrag vom 18. Januar 2005 erst dann als abgeschlossen und die Ergebnisse vom Beklagten für verwertbar erachtet werden würde, wenn sämtliche Themen und Erkrankungen abgearbeitet wären, also auch Bluthochdruck, Asthma bronchiale usw. Weil diese Themen miteinander nicht in Beziehung stehen, wäre dies erkennbar sinnlos. Aber auch bezogen auf das Thema Nr. 2 (Diabetes mellitus Typ 2) mussten nicht erst alle Fragen gemeinsam beantwortet werden. Vielmehr stellt sich die Kammer auf den Standpunkt, dass es sich bei den einzelnen Fragen um einzelne Aufträge i.S.d. § 139b Abs. 1 S. 1 SGB V handelt, jedenfalls soweit diese von den anderen Fragen deutlich abgegrenzt werden können und die Beantwortung keine überschneidende oder gemeinsame wissenschaftliche Erarbeitung notwendig macht. Dies ist hinsichtlich der Frage nach dem Vergleich von kurz wirksamen Insulinanaloga mit kurz wirksamem Humaninsulin der Fall. Keine andere Frage – abgesehen von den allgemein auf alle Fragen a) bis g) bezogenen Fragen i), j) und k) nach Besonderheiten der jeweiligen Behandlung wegen Alters, Begleiterkrankungen und Lebensführung – befasst sich mit dieser Art der Behandlung. Auch in methodisch-fachlicher Hinsicht hat die Klägerin nichts vorgetragen, das auf die Notwendigkeit der Beantwortung aller Fragestellungen schließen ließe. Vielmehr erscheint die Abarbeitung der Fragestellungen nach Indikationen und Behandlungsweise in methodisch-fachlicher Hinsicht sinnvoll. Schließlich ist unter Würdigung des Verhaltens des Beklagten anzunehmen, dass auch dieser insoweit von einem eigenständigen Auftrag i.S.d. § 139b Abs. 1 S. 1 SGB V ausging. Denn er hat den Auftrag selbst als beendet angesehen und auf Grundlage des Abschlussberichts des IQWiG die streitgegenständliche Änderung der Arzneimittel-Richtlinie beschlossen. Im Hinblick auf das Ermessen des Beklagten bei der Ausgestaltung der Beauftragung kann aus diesem Verhalten geschlossen werden, dass der Auftrag, so wie ihn der Beklagte verstanden und erteilt hat, abgeschlossen war. Der Beklagte konnte und musste den Abschlussbericht des IQWiG dementsprechend auch gem. § 139b Abs. 4 S. 2 SGB V bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen.

Die Besorgnis der Befangenheit der an der Nutzenbewertung des IQWiG beteiligten Mitarbeiter und Sachverständigen besteht nicht. Gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 SGB X muss dafür zunächst ein Grund vorliegen, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen oder ein solcher Grund von einem Beteiligten behauptet werden. Unabhängig von der Frage, ob die Regelungen des SGB X auf das Bewertungsverfahren überhaupt unmittelbar oder zumindest entsprechend anwendbar sind, ist kein Grund ersichtlich, die Befangenheit des Leiters des IQWiG oder der an der Nutzenbewertung mitarbeitenden Personen im Sinne des § 17 Abs. 1 S. 1 SGB X anzunehmen. Die Besorgnis der Befangenheit verlangt einen gegenständlichen vernünftigen Grund, der die Beteiligten von ihrem Standpunkt aus befürchten lassen kann, dass der Amtsträger nicht unparteiisch sachlich entscheiden werde (von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 17 Rn. 4). Dies ist hier nicht der Fall. Die Klägerin macht die Voreingenommenheit des Leiters und der übrigen mit der Nutzenbewertung befassten Personen geltend, weil diese sich bereits im Vorfeld im Rahmen wissenschaftlicher Äußerungen als kritisch gegenüber dem Nutzen von Insulinanaloga gezeigt hätten. Die frühere Kundgabe einer wissenschaftlichen Meinung, die in Beziehung zum Gegenstand des Verwaltungsverfahrens steht, ist jedoch nicht ausreichend, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (von Wulffen, a.a.O.). Denn daraus kann nicht abgeleitet werden, dass die Betroffenen nicht bereit und in der Lage sind, die vorliegende Nutzenbewertung objektiv und nur auf Grundlage rein wissenschaftlicher Kriterien durchzuführen. Insbesondere kann auch nicht auf eine Parteilichkeit gegenüber den Herstellern der Insulinanaloga geschlossen werden. Schließlich sind die Mitarbeiter und die externen Sachverständigen vom IQWiG verpflichtet worden, ihre möglichen Interessenkonflikte offenzulegen. Auch hat der Beklagte dargelegt, dass dem IQWiG keine weiteren Bewerbungen anderer Sachverständigen vorgelegen haben, so dass keinerlei Absagen erteilt wurden. Eine gezielte Auswahl der Mitarbeiter und Sachverständigen kann dementsprechend nicht stattgefunden haben.

Die europäische Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 2008 (TransparenzRL) ist auf die Nutzenbewertung durch das IQWiG nicht anwendbar, so dass sich insoweit keine Fehler bei der Durchführung der Nutzenbewertung ergeben können. Die Regelungen der TransparenzRL betreffen ausweislich ihres Art. 1 Abs. 1 "einzelstaatliche Maßnahmen in Form von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zur Kontrolle der Preise von Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch oder zur Einschränkung der unter ihre staatlichen Krankenversicherungssysteme fallenden Arzneimittel". Geregelt sind dann jeweils Grundzüge der Umsetzung entsprechender Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten zur Herstellung der notwendigen Transparenz, um einen Überblick über die einzelstaatlichen Maßnahmen zur Preisfestsetzung zu erhalten (vgl. Abs. 4 der Präambel zur TransparenzRL). Die TransparenzRL erfasst daher nur Rechtsakte mit für alle Betroffenen verbindlicher Außenwirkung. Dies ergibt sich ebenso aus dem Wortlaut des Art. 7 TransparenzRL, der den Ausschluss bestimmter Arzneimittel oder einer Arzneimittelkategorie von dem stattlichen Krankenversicherungssystem betrifft. Dort ist jeweils von Entscheidungen die Rede, mit denen Arzneimittel (-kategorien) ausgeschlossen werden, womit nur die Rechtsakte selbst erfasst werden. Nutzenbewertungen des IQWIG stellen jedoch keine Rechtsakte mit verbindlicher Außenwirkung dar. Sie haben keinerlei Rechtsqualität, sondern sind lediglich Empfehlungen (§§ 139b Abs. 4 S. 1, 35 b Abs. 2 S. 1 SGB V). Daran ändert auch nichts, dass sie vom Beklagten bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind (§ 139b Abs. 4 S. 2 SGB V). Vielmehr verbleibt es bei der rechtsverbindlichen Entscheidung allein durch den G-BA. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 12. Juni 2003 -C-229/00- und vom 26. Oktober 2006, -C-317/05- (dokumentiert bei juris). Die Urteile betreffen zweistufige Verfahren zur Festlegung der Höhe der Kostenerstattung durch die staatliche Krankenversicherung (-C-229/00-) beziehungsweise die Frage, ob überhaupt Kosten übernommen werden (-C-317/05). Anders als im vorliegenden Fall enden beide Verfahrensstufen jedoch jeweils mit einer rechtsverbindlichen Entscheidung mit Außenwirkung, ohne die eine (höhere) Leistungspflicht der staatlichen Krankenversicherung nicht gegeben ist. Dies wird insbesondere deutlich im Verfahren C-317/05, in dem sich der EuGH mit den in Deutschland bestehenden Voraussetzungen zur Erstattungspflicht von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auseinandergesetzt hat (erster Schritt: die nach der BSG-Rechtsprechung erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung; zweiter Schritt: Feststellung des G-BA gem. § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V i.d.F. des GMG, dass das Arzneimittel Therapiestandard zur Behandlung einer schwerwiegenden Krankheit ist). Hier stellen nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl die arzneimittelrechtliche Zulassungsentscheidung als auch die Bewertung durch den G-BA Entscheidungen im Sinne der TransparenzRL dar und müssen ihren Anforderungen genügen. Im Gegensatz dazu fehlt dem IQWiG aber jegliche Kompetenz, über die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zu entscheiden. Da sich die Nichtanwendbarkeit der TransparenzRL ohne Weiteres aus der Richtlinie selbst herleiten lässt, war eine Befassung des EuGH im Wege der Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV (früher Art. 234 EGV) nicht erforderlich.

2. Es ergibt sich auch kein Verstoß gegen § 139b Abs. 4 S. 2 SGB V, wonach der G-BA die Empfehlungen des IQWiG im Rahmen seiner Aufgabenstellung zu berücksichtigen hat. Die Klägerin leitet aus dem Gesetzeswortlaut ab, dass der Beklagte selbst noch den anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse durch Sichtung des vorhandenen Informationsmaterials ermitteln und eine eigenständige Nutzenbewertung vornehmen müsse. Die Empfehlung des IQWiG sei nur eine von mehreren Erkenntnisquellen. Bei anderem Verständnis sei die demokratische Legitimation nicht gegeben, weil anderenfalls das IQWiG – ohne hinreichende demokratische Legitimation – die Entscheidung des G-BA vorbestimme. Der Beklagte habe hier aber nur eine nicht ausreichende Plausibilitätskontrolle vorgenommen. Dieses Normverständnis teilt die Kammer nicht. Angesichts der vom Gesetzgeber des GMG dem IQWiG zuerkannten Stellung als – vom Beklagten weisungsunabhängiges – Institut reicht es aus, dass sich der Beklagte auf die vom IQWiG vorgelegte Nutzenbewertung bezieht und prüft, ob die Angaben in der Empfehlung mit dem Auftrag übereinstimmen, die Bearbeitung entsprechend der Verfahrensordnung des Beklagten und dem Methodenpapier des IQWiG eingehalten und die inhaltlichen Ausführungen schlüssig sind. Eine eigenständige Nutzenbewertung brauchte er nicht durchzuführen. Dies folgt aus dem vom Gesetzgeber in § 139a Abs. 3 SGB V vorgesehenen Aufgabenfeld des IQWiG. Nach der Gesetzesbegründung zum GMG (BT-Drucks. 15/1525, S. 127) obliegt die Aufgabe der unabhängigen wissenschaftlichen Bewertung des medizinischen Nutzens, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit zukünftig dem Institut. Der Beklagte sollte von dieser Aufgabe entlastet werden. Auch widerspräche es der vom Gesetzgeber gewollten Unabhängigkeit des IQWiG, wenn der Beklagte weiterhin eine eigenständige Nutzenbewertung durchzuführen hätte. Dann würde es die ihm zugedachten Aufgaben nur unzureichend und wenig effektiv ausführen können. Andererseits verbleibt es aber bei der sachlichen Letztentscheidungsbefugnis des Beklagten in Bezug auf den Normsetzungsakt gem. § 92 SGB V. Eine Bindung an die Empfehlungen des IQWiG sieht das Gesetz nicht vor (BSG, Urteil v. 31. Mai 2006, a.a.O., Rn. 72), ebenso wenig eine Pflicht zur Umsetzung der Empfehlung in der Arzneimittel-Richtlinie. Der Beklagte verfügt weiterhin über einen Ermessensspielraum, ob und wie er die Empfehlungen des IQWiG umsetzt. Das Demokratieprinzip ist insoweit nicht betroffen, weil der Rechtsakt durch den hinreichend demokratisch legitimierten Beklagten vorgenommen wird. Die vorgenommene Plausibilitätskontrolle durch den Beklagten ist ausreichend.

3. In der Sache unterliegt das vom IQWiG gefundene Ergebnis nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Das BSG hat im Urteil vom 31. Mai 2006, a.a.O., Rn. 73 ff. entschieden, dass bei einer im Streit stehenden (Kosten-) Nutzenbewertung durch den G-BA von den Gerichten die Frage zu überprüfen ist, ob der G-BA die maßgeblichen Auffassungen der medizinischen Wissenschaft zur Wirkstoffbewertung vollständig ermittelt und alle vorhandenen relevanten Studien ausgewertet hat. Dabei ist herauszuarbeiten, in welcher Hinsicht die Wirkstoffe vergleichbar sind. Auch ist von Bedeutung, ob die vorgenommene Würdigung der Studien und die Gründe, aus denen von der Einbeziehung von Studien abgesehen wurde, nachvollziehbar sind. Diese für vom G-BA durchgeführte Nutzenbewertungen festgelegten Grundsätze sind nach Auffassung der Kammer auch auf die Nutzenbewertung durch das IQWiG zu übertragen, jedenfalls dann, wenn der Beklagte sich insoweit – wie im vorliegenden Fall – im Grunde ausschließlich auf die Ergebnisse des IQWiG stützt. Auch der Gesetzgeber hat vorgesehen, dass die Überprüfung der Tätigkeit des IQWiG in das gerichtliche Verfahren gegen Beschlüsse des Beklagten einbezogen wird (§ 35b Abs. 4 SGB V; vgl. auch die Gesetzesbegründung zum GMG, BT-Drucks. 15/1525, S. 89). Die auf Grundlage des zutreffend festgestellten Standes der medizinischen Erkenntnisse und einer zutreffenden Auswertung getroffene Bewertung der untersuchten Therapiealternativen ist von den Gerichten aber hinzunehmen, wenn sie nicht ersichtlich fehlerhaft ist und nicht auf eine Verkennung der gesetzlich vorgegebenen Bewertungsmaßstäbe hindeutet. Denn insoweit hat der Gesetzgeber die Bewertung zunächst dem mit besonderer Fachkunde und Unabhängigkeit ausgestatteten IQWiG und die anschließende Entscheidung dem fachkundig und interessenpluralistisch zusammengesetzten G-BA übertragen, dem insofern ein zu berücksichtigender Ermessensspielraum zukommt (BSG a.a.O., Rn. 75).

Nach diesem Maßstab ist die vom IQWiG durchgeführte Untersuchung nicht zu beanstanden. Das IQWiG hat auf Grundlage der evidenzbasierten Medizin die maßgeblichen Auffassungen der medizinischen Wissenschaft zur Wirkstoffbewertung vollständig ermittelt und alle vorhandenen relevanten Studien ausgewertet. In Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben hat es in seine Nutzenbewertung nur randomisierte klinische Studien einbezogen (vgl. 4.1.4 des Abschlussberichts, S. 12). Auch ist nicht zu beanstanden, dass dabei nur solche Studien eingeschlossen wurden, die eine Laufzeit von mindestens 24 Wochen hatten.

Die Methodik der evidenzbasierten Medizin als medizinischer Bewertungsmaßstab hat mittlerweile an verschiedenen Stellen Eingang in das Gesetz gefunden (z.B. §§ 31 Abs. 2a S. 8, 35 Abs. 1b S. 4, 35b Abs. 1 S. 5 SGB V; 73b Abs. 2 Nr. 2, 137f Abs. 2 S. 2 Nr. 1, 139a Abs. 4 SGB V). Der Gesetzgeber hat dieses Verfahren damit als Standard-Methode zur Überprüfung der Wirksamkeit und des Nutzens medizinischer Verfahren etabliert. Die Methodik der evidenzbasierten Medizin beinhaltet die Sammlung, Sichtung, Zusammenfassung und Bewertung der weltweiten Fachliteratur, wobei sich für die Evaluation eine international anerkannte Evaluationsgraduierung herausgebildet hat. Die höchste Evidenzstufe Ia bildet die Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien; die Evidenzstufe Ib bedeutet Evidenz aufgrund mindestens einer randomisierten kontrollierten Studie (vgl. Engelmann, Die Kontrolle medizinischer Standards durch die Sozialgerichtsbarkeit, MedR 2006, 245, 251, mit weiteren Hinweisen). Der Gesetzgeber des AVWG hat bezüglich der Bewertungsmethodik zur Bildung von Festbetragsgruppen festgelegt, dass Studien der Evidenzstufe I der Vorrang vor anderen Erkenntnisquellen mit geringerer Evidenz gebührt. In § 35 Abs. 1b S. 5 SGB V i.d.F. des AVWG ist geregelt, dass vorrangig klinische Studien, insbesondere direkte Vergleichsstudien mit anderen Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe mit patientenrelevanten Endpunkten, insbesondere Mortalität, Morbidität und Lebensqualität zu berücksichtigen sind. Auch im Rahmen strukturierter Behandlungsprogramme bei chronischen Erkrankungen gibt der Gesetzgeber vor, dass Anforderungen an die Behandlung unter Berücksichtigung von evidenzbasierten Leitlinien oder nach der jeweils besten, verfügbaren Evidenz zu benennen sind (§ 137f Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB V i.d.F. des GMG). Diese Maßstäbe sind nach Auffassung der Kammer auf die Nutzenbewertungen der vorliegenden Art gem. § 35b Abs. 1 SGB V zu übertragen, weil in der Vorschrift – jedenfalls in der hier maßgeblichen Fassung des GMG – selbst keine Vorgaben zum Bewertungsmaßstab gemacht werden. Denn es ist davon auszugehen, dass für alle im Gesetz vorgesehenen Nutzenbewertungen einheitliche Maßstäbe zu gelten haben. Insofern ist auch auf die allgemeine Vorschrift des § 2 SGB V und die dazu ergangene Rechtsprechung zurückzugreifen. Nach § 2 Abs. 1 S 3 SGB V haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist es danach für den Nachweis des Nutzens einer medinizinschen Behandlungsmethode erforderlich, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg einer Therapie muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und Wirksamkeit der Methode ablesen lassen (BSG, Urteil v. 16. Juni 1999, -B 1 KR 4/98 R-, BSGE 84, 90, hier zit. n. juris, Rn. 22). Damit meint das BSG in erster Linie klinische Studien der Phase III, also kontrollierte, doppelblinde Studien der Evidenzstufe I, wie insbesondere aus den Entscheidungen zur Leistungspflicht der GKV beim zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln (Off-Label-Use) zum Ausdruck gebracht wird (BSG, Urteil v. 19. März 2002, -B 1 KR 37/00 R-, BSGE 89, 184). Engelmann (a.a.O., S.253) hat herausgearbeitet, dass der vom BSG insoweit geforderte wissenschaftliche Konsens in den einschlägigen Fachkreisen nicht im Gegensatz zur Evidenz steht, sondern der Konsens dann als gegeben angesehen wird, wenn er durch Evidenz belegt ist. Schließlich hat auch das SG Berlin im Rahmen einer Entscheidung zur Bildung von Festbetragsgruppen bereits entschieden, dass die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin verlangen, für den medizinischen Erkenntnisgewinn die gegenwärtig beste externe wissenschaftliche Evidenz, also randomisierte, doppelblinde Studien heranzuziehen (Urteil vom 22. November 2005, -S 81 KR 3778/04-, zit. n. juris, Rn. 112). Sofern also randomisierte, kontrollierte klinische Studien mit Aussagekraft für die anzustellende Nutzenbewertung vorliegen, sind allein diese zu berücksichtigen und auszuwerten. Medizinische Erkenntnisse auf niedrigerem Evidenzniveau dürfen dann unbeachtet bleiben. Lediglich in Fällen, in denen keine Untersuchungen der Evidenzklasse I vorliegen und in anderen begründeten Ausnahmefällen (z.B. Nichtdurchführbarkeit einer randomisierten kontrollierten Studie), ist auf Studien niedrigerer Evidenzen zurückzugreifen (vgl. dazu auch § 20 Abs. 2 S. 2 der Verfahrensordnung des Beklagten in der Fassung v. 20. September 2005, jetzt Kapitel 2, § 13 Abs. 2 S. 2 der Verfahrensordnung; ebenso Methodenpapier des IQWiG, Version 1.0 v. 1. März 2005, Nr. 2.2 bzw. heute 3.3.2 des Methodenpapiers, Version 3.0 v. 27. Mai 2008).

Im vorliegenden Fall hat das IQWiG die veröffentlichten randomisierten, kontrollierten Studien ausfindig gemacht und seiner Meta-Analyse – nach Berücksichtigung des Ausschlusskriteriums der Mindeststudiendauer von 24 Wochen (hierzu sogleich) – sieben Studien der Evidenzklasse I zugrunde gelegt. Erkenntnisquellen mit geringerer Evidenz waren daher nicht zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere auch für internationale und nationale Behandlungsleitlinien. Unabhängig davon, dass diese hinsichtlich der vorliegend interessierenden Indikation Diabetes mellitus Typ 2 nicht auf einen eindeutigen Nutzenvorteil kurzwirksamer Insulinanaloga gegenüber Humaninsulin schließen lassen, entsprechen sie nicht der gesetzlich geforderten höchsten Evidenzklasse. Dies ist auch der Rechtsprechung des BSG zu entnehmen, das klargestellt hat, dass Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften keine Aussagekraft hinsichtlich des Umfangs der Leistungsansprüche der Versicherten haben (BSG, Urteil v. 30. Juni 2009, -B 1 KR 5/09 R-, zit. n. juris, Rn. 47).

Auch der Umstand, dass nur randomisierte klinische Studien mit einem Beobachtungszeitraum von mindestens 24 Wochen in die Analyse des IQWiG eingeschlossen wurden, ist für die Kammer nachvollziehbar. Bei Diabetes mellitus handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die einer lebenslangen Behandlung bedarf. Diesem für die Versorgung der Patienten wesentlichen Umstand muss bei der Nutzenbewertung Rechnung getragen werden, denn sie muss dem Versorgungsalltag der Patienten folgen. Dementsprechend ist Langzeitstudien eine besondere Bedeutung für die Beurteilung der Wirksamkeit der Therapien beizumessen. Das IQWiG kann sich für sein Vorgehen auf die Vorgaben der europäischen Behörde für Arzneimittelzulassung EMEA stützen, die für die Zulassung von Insulin-Arzneimitteln zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 regelmäßig konfirmatorische Studien mit einer gewöhnlichen Mindeststudiendauer von sechs Monaten vorsieht (Nr. 3.3.3.3 der "Note for Guidance on clinical investigation of medical products in the treatment of diabetes mellitus" vom 30. Mai 2002). Auch der Verordnungsgeber der Risikostrukturausgleichsverordnung (RSAV i.d.F. der 12. RSA-ÄndV [BGBl. 2005, I S. 2457]) sieht in den Therapieempfehlungen der Anlage 1 zum Disease-Management-Programm Diabetes mellitus Typ 2 vor, dass vorrangig Medikamente zur Blutzuckersenkung verwendet werden, deren positiver Effekt und Sicherheit in prospektiven, randomisierten, kontrollierten Langzeitstudien nachgewiesen wurden. Im Übrigen dürfte das vom IQWiG gewählte Zeitkriterium von 24 Wochen noch relativ kurz bemessen sein. So hat der Beklagte in den Tragenden Gründen, S. 10-11, dargelegt, dass sich verschiedene Studien zu Diabetes mellitus Typ 2 finden lassen, die über Zeiträume von drei bis hin zu 10,4 Jahren geführt worden sind. Auch wenn diese Studien nicht zur Nutzenbewertung von Insulinanaloga geführt wurden, ist ihnen zu entnehmen, dass Langzeitstudien sinnvoll, erforderlich und grundsätzlich auch möglich sind.

Die auf dieser Grundlage einbezogenen Studien lassen den Schluss auf das vom IQWiG festgehaltene Ergebnis zu. Die Kammer verweist insofern auf die Darstellung der Studienergebnisse unter der Nr. 5.3 des Abschlussberichts (S. 39 ff.) und die Zusammenfassung unter 6. des Abschlussberichts (S. 62 f.). Eine ersichtliche Fehlerhaftigkeit, die es dem Gericht erlauben würde, das gefundene Ergebnis in Zweifel zu ziehen, konnte die Kammer nicht erkennen. Auch die Klägerin hat die Auswertung der in die Metaanalyse einbezogenen Studien als solche nicht gerügt.

In der Fachinformation zu A ist unter dem Stichwort "Art der Anwendung" ein Spritz-Ess-Abstand von 0 bis 15 Minuten vor einer Mahlzeit oder eine Gabe unmittelbar nach einer Mahlzeit angegeben. Der Spritz-Ess-Abstand ist die Zeitspanne zwischen Injizierung des Insulins und dem anschließenden Beginn der Nahrungsaufnahme. Bei schnell wirkenden Humaninsulinen liegt der empfohlene Spritz-Ess-Abstand bei ca. 20-30 Minuten vor einer Mahlzeit (vgl. etwa Actrapid®: 30 Minuten; Insuman Rapid®: 15-20 Min [laut von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingereichten Beurteilungsberichten der EMEA]; Insulin B. Braun Rapid®: innerhalb von 30 vor einer Mahlzeit [laut Roter Liste 2009]). Die Klägerin ist der Meinung, dass aufgrund des empfohlenen verkürzten Spritz-Ess-Abstands sich im Hinblick auf die Lebensqualität ein patientenrelevanter Vorteil ergebe, der vom IQWiG und dem Beklagten bewusst ausgeblendet und negiert worden sei und zu einer unzutreffenden Nutzenbewertung geführt habe. Dem vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Das IQWiG hat die relevanten Endpunkte Lebensqualität und Behandlungszufriedenheit in Bezug auf Insulin Lispro und Insulin Glulisin untersucht (Nr. 5.3.5 des Abschlussberichts). Soweit die Klägerin rügt, dass die hierzu herangezogenen Studien geringerer Qualität als die ansonsten einbezogenen klinischen Studien seien, ist dem zu entgegnen, dass sie Studien zur Behandlungszufriedenheit mit besserer Evidenz nicht benennt. Wenn Studien mit höheren Evidenzgraden aber nicht vorliegen, kann – wie bereits ausgeführt – auf Studien mit geringerer Qualität zurückgegriffen werden. Das IQWiG zeigt in dem Abschlussbericht zunächst die geringe Belastbarkeit der Untersuchungen auf und kommt dann zu dem Ergebnis, dass sich in Bezug auf Lebensqualität und Therapiezufriedenheit kein Vorteil für eine der beiden Behandlungsoptionen ergibt.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Aussagegehalt der in den Fachinformationen festgehaltenen Art und Weise der Anwendung (Applikationsschema) im Hinblick auf den therapeutischen Nutzen eingeschränkt ist. Denn Fachinformationen folgen in der Regel dem Design der Zulassungsstudien, deren Applikationsschema übernommen wird. Relevant ist dies vorliegend insbesondere im Hinblick auf einen möglicherweise kürzeren Spritz-Ess-Abstand bei der Gabe von Humaninsulin. Ein Nachweis im Hinblick auf einen therapeutischen Vorteil eines längeren Spritz-Ess-Abstands könnte nur durch direkte Vergleichsstudien erbracht werden, die offenbar bisher nicht vorliegen. So weist das IQWiG auf Seite 65 des Abschlussberichts darauf hin, dass für die Notwendigkeit der Einhaltung eines festen Spritz-Ess-Abstands von 30-40 Minuten bei einer Therapie mit Humaninsulin zur Verbesserung der Stoffwechselkontrolle, gemessen anhand des HbA1c-Werts und/oder zur Reduktion des Risikos für Diabeteskomplikationen, ein Nachweis fehle. Dieser habe auch im Rahmen der Stellungnahmen oder der wissenschaftlichen Anhörung vor dem IQWiG, bei dem auch Vertreter der Klägerin anwesend waren, nicht vorgelegt werden können.

An der Einschätzung der Kammer ändern im Übrigen auch die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingereichten Beurteilungsberichte der EMEA zu A und Novorapid® (Wirkstoff Insulin Aspart) nichts. Der Zulassungsentscheidung der EMEA liegen ausweislich der Beurteilungsberichte Vergleichsstudien mit Humaninsulinen zugrunde, in denen die Konzentration des glykolisierten Hämaglobin (HbA1c) gemessen wurde, die anzeigt, wie gut der Blutzucker eingestellt ist. Dazu führt die EMEA aus, dass Novorapid® nahezu die gleichen Ergebnisse zeigte wie Humaninsulin bzw. dass mit A die Einstellung des Blutzuckers mindestens so wirksam wie die mit Vergleichsinsulinen gewesen sei. In allen Studien sei die bei A beobachtete Änderung der HbA1c-Konzentration ähnlich wie bei Vergleichsinsulinen ausgefallen. Auch bei den Nebenwirkungen, insbesondere den von der Klägerin thematisierten Hypoglykämien (Unterzuckerungen, wenn die Insulindosis den Insulinbedarf überschreitet), finden sich keine wesentlichen Unterschiede in den Feststellungen der EMEA. Ebenso wie bei der Gabe von Humaninsulin sind auch bei den Innsulinanaloga Hypoglykämien die häufigste Nebenwirkung (mehr als 1 von 10 Patienten bei Insulin Glulisin und 1 bis 10 von 100 Patienten bei Insulin Aspart). Unter diesen Gegebenheiten kann die Kammer keinen wesentlichen Vorteil des verkürzten Spritz-Ess-Abstands für die Behandlung der Patienten erkennen und vermag die vom IQWiG gefundenen Ergebnisse nicht in Frage zu stellen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber unter dem in § 35 Abs. 1b S. 5 SGB V genannten Studien-Endpunkt Lebensqualität insbesondere therapierelevante Verringerungen von Nebenwirkungen meint (siehe Gesetzesbegründung zum AVWG, BT-Drucks. 16/194, S. 9).

Doch selbst wenn man nach alledem in Hinblick auf den Spritz-Ess-Abstand Insulinanaloga noch einen relevanten Vorteil gegenüber einer Therapie mit Humaninsulin beimessen wollte, ist zu beachten, dass der Beklagte bei der Bewertung dieses Vorteils einen Einschätzungsspielraum hat. Nach der Rechtsgrundlage des § 92 Abs. 1. S. 1 3. Hs. SGB V ist der Ausschluss bereits möglich, wenn eine Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem Nutzen verfügbar ist. Das bedeutet, dass ein Ausschluss nicht erst zulässig ist, wenn die in Frage kommende, wirtschaftlichere Therapiealternative den identischen Nutzen wie das auszuschließende Arzneimittel hat. Vielmehr ist eine weitgehende therapeutische Gleichwertigkeit ausreichend. Ob eine solche gegeben ist, unterliegt der – von den Gerichten nur auf ersichtliche Fehlerhaftigkeit überprüfbaren – Einschätzung des Beklagten. Von diesem Einschätzungsspielraum hat der Beklagte Gebrauch gemacht. So führt er in Nr. 98 der Tragenden Gründe aus, dass er eine Organisation des beruflichen Alltags im Hinblick auf den Spritz-Ess-Abstand bei Humaninsulin für möglich hält. In Nr. 68 der Tragenden Gründe ist festgehalten, dass der Spitz-Ess-Abstand als alleiniger Parameter nicht die Lebensqualität bestimmen kann. Insoweit bringt der Beklagte – neben seinen aus dem IQWiG-Abschlussbericht übernommenen Zweifeln an der klinischen Relevanz des Spritz-Ess-Abstands (vgl. Nr. 38 der Tragenden Gründe) – zum Ausdruck, dass er dem bei der Anwendung von Insulinanaloga verkürzten Spritz-Ess-Abstand nur einen geringfügigen Nutzen in Bezug auf die Lebensqualität beimisst. Eine Fehlerhaftigkeit dieser Einschätzung kann die Kammer nicht erkennen. Denn tatsächlich ist die Frage der Einhaltung des Spitz-Ess-Abstands bei der Anwendung von Humaninsulin in erster Hinsicht eine Frage der Organisationsfähigkeit, des Organisationswillens und der Compliance der Patienten. Diesen sind entsprechende Vorkehrungen aber möglich und zumutbar. Dass die Anwendung von Insulinanaloga möglicherweise in mancherlei Hinsicht weniger aufwändig ist, braucht vom Beklagten nicht als entscheidender Vorteil der Therapie angesehen zu werden.

4. Die Entscheidung des Beklagten ist schließlich verhältnismäßig. Sie ist an den Vorgaben des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG zu messen. Die Maßnahme muss zunächst geeignet sein, das mit ihr verfolgte Ziel zu erreichen, und sie muss erforderlich sein, das heißt es darf kein milderes, gleich wirksames Mittel zur Zielerreichung geben. Schließlich muss der Grundrechtseingriff im Hinblick auf den verfolgten Zweck angemessen sein. Da es sich um eine Berufsausübungsregelung handelt, sind insoweit keine überhöhten Anforderungen an die Angemessenheit zu stellen. Jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls reicht aus, wenn Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl. Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, 10. Auflage 2009, Art. 12 Rn. 36 m.w.N. zur RSpr. des Bundesverfassungsgerichts). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Ziel des vom Beklagten festgelegten Ausschlusses der Insulinanaloga ist die Sicherung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung mit Arzneimitteln und damit die Stabilisierung und der Erhalt der Finanzierbarkeit der GKV. Dies kann durch den generellen Ausschluss der gegenüber Humaninsulin erheblich teureren Insulinanaloga erreicht werden. Dass der Beklagte zunächst auf Seite 10 der Tragenden Gründe, später durch Ergänzung der Arzneimittel-Richtlinie durch Beschluss vom 10. April 2008, drei Fallgruppen aufgezählt hat, für die der Ausschluss nicht gilt, ändert daran nichts. Insbesondere sind die beiden medizinischen Rückausnahmen nicht systemwidrig, sondern haben nach Auffassung der Kammer lediglich klarstellenden Charakter. Denn insoweit wird nur positiv festgehalten, was auch ohne ausdrückliche Regelung durch den Beklagten von Gesetzes wegen gemäß § 31 Abs. 1 S. 5 SGB V i.d.F. des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG; zuvor § 34 Abs. 1 S. 4 SGB V i.d.F. des GMG) gilt. Danach kann der Vertragsarzt Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. So bleibt die Leistungspflicht der GKV in Fällen, in denen sich entgegen dem abstrakt-generellen Ausschluss in der Arzneimittel-Richtlinie die Versorgung mit dem ausgeschlossenen Medikament als unbedingt notwendig erweist, stets erhalten. Wenn der G-BA hier Fälle benennt, die seiner Meinung nach diesen Voraussetzungen entsprechen, erleichtert diese Klarstellung den betroffenen Ärzten und Patienten die Ausnahmeentscheidung, steht aber dem generellen Ausschluss nicht entgegen. Aber auch die dritte Fallgruppe, wonach der Ausschluss nicht gilt, wenn sich die Therapie mit Insulinanaloga im Einzelfall als wirtschaftlicher gegenüber der Therapie mit Humaninsulin darstellt, dient dem Ziel der Sicherung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung.

Ein dem Ausschluss gleich wirksames, milderes Mittel stand dem Beklagten nicht zur Verfügung, weshalb die Ausübung seines Auswahlermessens in Bezug auf die gewählte Maßnahme nicht zu beanstanden ist. Die Aufnahme eines Therapiehinweises in die Arzneimittel-Richtlinie gem. § 92 Abs. 2 S. 7 SGB V i.d.F. des AVWG ist weniger wirksam als der grundsätzlich gegenüber allen Versicherten und Vertragsärzten geltende Leistungsausschluss. Denn bei Therapiehinweisen verbleibt dem Vertragsarzt ein gewisser Beurteilungsspielraum bei der Auswahl der Therapie (BSG, Urteil v. 31. Mai 2006, a.a.O., in dem Therapiehinweise als Rat an den Arzt, im Normalfall ein Arzneimittel mit einem bestimmten, günstigeren Wirkstoff zu verordnen [Rn. 44] bzw. als Bindung der Vertragsärzte an ein Regel-Ausnahme-Verhältnis [Rn. 32] qualifiziert werden). Im Übrigen enthielt die Arzneimittel-Richtlinie bereits seit 16. Mai 1999 einen Therapiehinweis zum Analoginsulin Insulin Lispro, nach dem vorzugsweise Humaninsulin zu verordnen sei, ohne dass damit ein Anstieg der Verordnungskosten verhindert werden konnte. Selbst bei einer Verschärfung der Formulierung käme einem Therapiehinweises wegen dessen geringerer Bindungswirkung gegenüber dem Ausschluss des Arzneimittels nicht die gleiche Wirkung zu. Selbst die Klägerin geht davon aus, dass die durch einen Therapiehinweis bewirkten Umsatzeinbußen niedriger wären als bei einem Ausschluss vom GKV-Markt und die Maßnahme. Damit erweist sich ein Therapiehinweis aber als weniger effektiv.

Auch die Bildung einer Festbetragsgruppe nach § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V kommt nicht als milderes Mittel Betracht, weil sie nicht auf die Indikation Diabetes mellitus Typ 2 beschränkt werden kann. So lange der Patentschutz für das von der Klägerin vertriebene Arzneimittel noch besteht, steht die Bildung einer Festbetragsgruppe unter dem Vorbehalt des § 35 Abs. 1 S. 3 2. Hs. SGB V i.d.F. des AVWG, wonach Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, deren Wirkungsweise neuartig ist oder die ein therapeutische Verbesserung, auch wegen der Nebenwirkungen, bedeuten, von den Festbetragsgruppen ausgenommen sind. Bezugspunkt für die Feststellung einer therapeutischen Verbesserung sind dabei die gemeinsamen Anwendungsgebiete der Arzneimittel der (potentiellen) Festbetragsgruppe (§ 35 Abs. 1b S. 2 SGB V i.d.F. des AVWG). Eine therapeutische Verbesserung führt gemäß § 35 Abs. 1b S. 1 SGB V auch dann zu einer Freistellung von den Festbeträgen, wenn diese nur für einen Teil der Indikationsgebiete im gemeinsamen Anwendungsgebiet mit anderen Arzneimitteln der Wirkstoffgruppe belegt ist (Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, Band II, Stand: Erg.-Lfg. 5/09; § 35 Rn. 60-61). Dies kann vorliegend auf die Indikation Diabetes mellitus Typ 1 zutreffen, der ebenfalls mit kurzwirksamen Insulinanaloga und schnell wirkendem Humaninsulin behandelt werden kann. Ob kurzwirksame Insulinanaloga gegenüber Humaninsulin in Bezug auf diese Indikation eine therapeutische Verbesserung bedeuten oder nicht, ist vom Beklagten beziehungsweise vom IQWiG noch nicht abschließend untersucht worden. Möglicherweise können sich hier unterschiedliche Ergebnisse ergeben, worauf auch das BMG in seinem Schreiben vom 8. September 2006 hinweist. Allerdings war der Beklagte nicht gehalten, die bereits mit Beschluss vom 18. Januar 2005 beim IQWiG in Auftrag gegebene Nutzenbewertung von kurzwirksamen Insulinanaloga im Vergleich zu Humaninsulin bei Diabetes mellitus Typ 1 abzuwarten. Vielmehr konnte er zum Zeitpunkt seiner Entscheidungsfindung auf das ihm zur Verfügung stehende Handlungsinstrument nach § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 3 SGB V zurückgreifen. Dieses Vorgehen ist auch in § 35 Abs. 1b S. 9 SGB V vorgesehen. Dort wird geregelt, dass ein Arzneimittel, das von einer Festbetragsgruppe freigestellt ist, weil es einen therapierelevanten höheren Nutzen nur für einen Teil der Patienten oder Indikationsbereiche des gemeinsamen Anwendungsgebiets hat, nur für diese Anwendungen wirtschaftlich ist; das Nähere ist in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V zu regeln.

Schließlich ist die Maßnahme auch angemessen. Sie dient mit dem Erhalt und der Stabilisierung der Finanzierung und damit der Leistungsfähigkeit der GKV einem überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (st. RSpr. des Bundesverfassungsgerichts, zuletzt BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009, -1 BvR 706/08- u.a., zit. n. juris, Rn. 233 m.w.N.). Zu berücksichtigen ist auch, dass die Verordnungsfähigkeit von kurzwirksamen Insulinanaloga nicht grundsätzlich und ausnahmslos ausgeschlossen wurde. Der Ausschluss gilt nur, solange und soweit mit der Verordnung dieser Präparate ein finanzieller Mehraufwand der Krankenkassen gegenüber schnell wirkenden Humaninsulinen verbunden ist. Der Klägerin ist es damit möglich, ihre Produkte über allgemeine Preissenkungen oder über Rabattverträge nach § 130 a Abs. 8 SGB V im Markt der GKV zu halten und ihre Umsatzeinbußen in Grenzen zu halten. Auch hat der Beklagte mit der angegriffenen Regelung letztlich nur konkretisiert und transparent gemacht, was bereits aus dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V folgt, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Denn bereits danach ist der Vertragsarzt verpflichtet, bei zwei zur Behandlung einer bestimmten Gesundheitsstörung zur Verfügung stehenden, medizinisch gleichwertigen Therapieansätzen den kostengünstigeren zu wählen (sog. Minimalprinzip; vgl. BSG, Urteil v. 31. Mai 2006, a.a.O., Rn. 44).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene zu 2) durch Antragstellung ein Kostenrisiko auf sich genommen hat, ist es angemessen, der Klägerin die Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Rechtskraft
Aus
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