L 9 U 3878/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 2123/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3878/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. Juni 2008 und der Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2007 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 10. Juli 2006 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 6.5.2006.

Der 1969 geborene Kläger, damals Controller bei der AOK Baden-Württemberg, war Trainer in der Volleyball-Abteilung der Turn- und Sportfreunde (TSF) Ditzingen. Am 5./6.5.2006 nahm er an einem Trainerlehrgang in der Sportschule Ruit teil. Bei einer Volleyballübung, bei der er zum Ball laufen wollte, riss die Achillessehne rechts. Die Erstversorgung erfolgte in der Notfallpraxis des Marienhospitals Stuttgart. Bei der am 8.6.2005 durchgeführten Operation zeigte sich eine Ruptur ca. 3 cm proximal des Tuber calcanei mit ausgesprochen ausgefranzten Sehnenenden. Nach Glätten der Sehnenstümpfe und Spülen erfolgte eine Naht (Operationsbericht vom 8.5.2005). Die pathologisch-anatomische Untersuchung zeigte eine frische Ruptur einer deutlich degenerativ veränderten Achillessehne rechts (Befundbericht vom 10.5.2006).

Die TSF zeigte den Unfall des Klägers der Beklagten am 7.7.2006 an. Diese zog zunächst den Notfallschein bei und befragte den Kläger schriftlich. Dieser gab unter dem 31.7.2006 an, die Achillessehne sei plötzlich und unerwartet beim ersten Schritt vom Stehen zum Laufen gerissen. Zuvor habe er keine Achillessehnenbeschwerden gehabt. Er sei vom 6.5. bis 9.7.2006 krankgeschrieben gewesen. Seit 10.7.2006 gehe er wieder seiner hauptberuflichen Tätigkeit nach; als Übungsleiter könne er noch nicht arbeiten. Der Orthopäde Dr. W. berichtete am 22.8.2006 über eine Reruptur der Achillessehne am 8.8.2006 am Urlaubsort. Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme bei dem Chirurgen Dr. Sch. vom 9.10.2006 ein, der ausführte, aufgrund der Schilderung des Klägers sei ein Unfallereignis nicht erkennbar.

Mit Bescheid vom 18.10.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ein Anspruch auf Rente wegen des Versicherungsfalles vom 6.5.2006 bestehe nicht. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit werde bis zum 13.5.2006 anerkannt. Als Folgen des Versicherungsfalls werde eine ohne wesentliche Folgen ausgeheilte Zerrung der rechten Achillessehne anerkannt; nicht anerkannt werde ein operativ versorgter Achillessehnenriss rechts.

Hiergegen legte der Kläger am 20. 11. 2006 Widerspruch ein und machte geltend, die Achillessehne sei nicht ausgeheilt. Es hätten bis jetzt zwei weitere Operationen stattgefunden. Beim ersten Schritt vom Stehen zum Laufen habe es sich beim Volleyball um einen schnellen energischen Sprint zum Ball gehandelt. Der Lehrgang habe am Freitag, den 5.5.2006 um 16:00 Uhr begonnen und bis in die Abendstunden angedauert; am Samstag sei es um 9:00 Uhr bis 21:30 Uhr weitergegangen. Sein Unfall sei nach 21:00 Uhr passiert; kurz zuvor hätten sie ein Krafttraining absolviert. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.2.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 15.3.2007 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart, mit der er die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 v.H. begehrte.

Das SG hörte Dr. W. schriftlich als sachverständigen Zeugen, der über Behandlungen des Klägers vom 27.2.2001 bis 24.7.2007 berichtete (Auskunft vom 30.7.2007) und zahlreiche Arztbriefe über die Behandlung der Reruptur der Achillessehne vorlegte. Anschließend beauftragte es Prof. Dr. B., Chefarzt der Sportklinik Stuttgart, mit der Begutachtung des Klägers. In dem zusammen mit Oberarzt Dr. B. erstatteten Gutachten vom 16.10.2007 führte Prof. Dr. B. aus, der Kläger habe angegeben, am 5.5.2006 habe intensives Hallentraining über 5 Stunden stattgefunden. Am 6.5.2006 sei es nach 12 Stunden intensiven Volleyballsports um ca. 21:15 Uhr zu der Achillessehnenruptur gekommen. Der Kläger habe sich im Rückwärtslauf befunden, einen Ball vor ihm erreichen wollen und versucht, nach vorne zu sprinten, wobei es zu dem akuten Schmerzereignis in der betreffenden Ferse gekommen sei. Seit 8.10.2006 (gemeint wohl: 8.10.2007) sei der Kläger wieder voll arbeitsfähig. Der vom Kläger beschriebene Hergang sei als plötzliche passive Bewegung eines muskulär festgestellten Gelenks zu beurteilen. Hierbei sei die Sehne plötzlich einer Spitzenbelastung unterworfen; dabei werde die der muskulären Belastung eigentümliche, nacheinander ablaufende Spannung der elastischen Fasern (des Muskels) vor dem Kollagen (der Sehne) zeitlich unterlaufen. Die volle Last treffe von Anfang an die Kollagenfasern in der Sehne. Zum anderen wurde durch die überraschende Überlastung die Bremsfunktion der Muskulatur ausgeschaltet. Durch die ruckartige Belastung entfalle das verzögerte Moment der allmählichen Aufladung der Last auf die Sehne. Die Sehne zerreiße unter dieser überfallartigen Spitzenbelastung, da sie in ihrem Bauplan nicht Vorgeplantes erleide. Er komme zum Schluss, dass die Einwirkung (Unfallereignis) und die Degeneration zumindest gleichwertige Teilursachen seien. Als Unfallfolgen lägen noch vor: Bewegungseinschränkung des rechten Sprunggelenks, geringe Kraftminderung für Plantarflexion rechts und Hypästhesie im Narbengebiet des rechten distalen Unterschenkel. Die MdE schätze er vom 10.7.2006 bis 22.3.2007 auf 100 v.H. und vom 23.3.2007 bis 22.3.2008 auf 20 v.H. Danach sollte eine erneute Begutachtung erfolgen.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 7.1.2008 führte der Chirurg Dr. Sp. aus, bei dem geschilderten Hergang habe es sich um eine physiologische Bewegung gehandelt, für die die Achillessehne gebaut und funktionell vorgesehen sei. Da danach eine Gewalteinwirkung auszuschließen sei, die zu einer unphysiologischen Belastung der Sehne geführt habe, sei der Hergang auch nicht geeignet gewesen, eine Zusammenhangstrennung einer deutlich degenerativ veränderten Achillessehne zu bewirken. Das Ereignis habe eine deutlich degenerativ veränderte Achillessehne in dem Sehnenabschnitt getroffen, bei dem die Blutversorgung als kritisch angesehen werde. Die Zusammenhangsbeurteilung gelte auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass vor dem Ereignis keine Funktionsbeeinträchtigungen, keine Behandlungsbedürftigkeit und auch keine Arbeitsunfähigkeit wegen einer Sehnenschädigung bekannt geworden sei. Die Tatsache einer Einblutung in Gewebsstrukturen wäre nur dann zu berücksichtigen, wenn die übrigen Parameter mit Wahrscheinlichkeit überwiegend für einen Zusammenhang sprächen, was beim Kläger nicht der Fall sei. Unabhängig davon, dass ein Kausalzusammenhang mit den Unfall nicht wahrscheinlich sei, sei eine MdE von 20 v.H. nicht ohne weiteres nachzuvollziehen.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 27.2.2008 führten Prof. Dr. B. und Dr. B. aus, als Vorschaden werde eine Gesundheitsstörung bezeichnet, die bereits zu einer subjektiv wahrgenommenen und objektiv mit Funktionsminderung einhergehenden krankhaften Veränderung vor dem Unfallereignis geführt habe. Dies sei beim Kläger nicht der Fall gewesen. Durch die Histologie sei nachgewiesen, dass es sich um eine frische Ruptur bei deutlich degenerativ veränderter Achillessehne gehandelt habe. Das Ereignis sei nach 12-stündiger, für den Kläger gänzlich ungewohnter intensiver Belastung auf dem Hallenboden abends um 21:15 Uhr geschehen, wobei sich der Kläger in einer Spielsituation auf dem Volleyballfeld 2 gegen 2 im Rückwärtslauf befunden und dann zu einem Sprint nach vorne angesetzt habe, um einen Ball zu erreichen. Der Antritt aus rückwärtiger Bewegung nach vorne zum Sprint sei bereits ohne ermüdete Muskulatur nach 12-stündigem Training als Maximalbelastung der Achillessehne anzusehen. Ohne diese Belastung wäre es bei lebensalltäglichen Belastungsvorgängen nicht zum Riss gekommen. Die MdE für die Unfallfolgen betrage 20 v.H. Die MdE-Angaben von Dr. Sp. bezögen sich nicht auf Sehnen, sondern Gelenkverletzungen des Fußes. Mit Urteil vom 18.6.2008 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.10.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.7.2007 verurteilt, unter Anerkennung des Geschehens vom 6.5.2006 als gesetzlich versicherten Arbeitsunfall dem Kläger Verletztenrente entsprechend einer MdE in Höhe von 20 % in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das jähe Abbremsen des Klägers aus dem Rückwärtslauf mit dem Beginn eines Sprints nach vorne habe bei ihm zu einer zeitlich begrenzten Einwirkung von außen - das Unfallereignis - geführt. Dies sei zumindest gleichwertige Teilursache für den nachfolgenden Riss der rechten Achillessehne gewesen. Das SG schließe sich der Bewertung von Prof. Dr. B./Oberarzt Dr. B. an. Die Darlegungen von Dr. Sp. überzeugten dagegen nicht.

Gegen das am 31.7.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.8.2008 Berufung eingelegt und vorgetragen, das Urteil des SG vermöge nicht zu überzeugen, da es sich im Wesentlichen auf ein Gutachten stütze, in dem von einem nicht bewiesenen Geschehensablauf ausgegangen werde. Der Kläger habe ausführlich in seinem Schreiben vom 31.3.2006 dargestellt, dass die Sehne beim ersten Schritt nach vorne aus dem Stehen gerissen sei. Dieser Hergang sei nicht geeignet, einen Riss der Achillessehne rechtlich wesentlich zu verursachen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das SG den 17 Monate später bei der Begutachtung am 4.10.2007 geschilderten Hergang unkritisch akzeptiere. Wenn man die Erstangaben des Klägers i.V.m. dem histologischen Befund betrachte, könne das Gutachten der Sportklinik nicht überzeugen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. Juni 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, aus all seinen Äußerungen ergebe sich, dass er nach vorne gesprintet sei, um den Ball zu erreichen. Auch habe die Beklagte seinen Mitspieler zum Beweis dieser Tatsache nicht vernommen. Neue Gesichtspunkte würden von der Beklagten nicht vorgetragen.

Der Senat hat Dr. H. mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat im Gutachten vom 5.8.2009 ausgeführt, ausgehend von den Fakten gebe es keinerlei Hinweise auf eine Vorschädigung der rechten Achillessehne vor dem Ereignis vom 6.5.2006. Nach dem Ereignis sei eine umfassende Achillessehnenzerreißung nachgewiesen. Die Achillessehne sei während des Trainerlehrgangs, also einer versicherten Tätigkeit, gerissen. Bis zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger sportlich aktiv und belastbar gewesen. Spontane Achillessehnenrupturen bei Alltagsbelastungen seien bei einem 36-jährigen Mann extreme Raritäten, sofern es diese überhaupt gebe. Am Unfalltag bzw. am Tag zuvor habe der Kläger nach eigenen Angaben insgesamt 17 Stunden im Rahmen des Lehrgangs in der Sporthalle verbracht. Während dieser Zeit seien immer wieder praktische Übungen durchgeführt worden. Die Achillessehnenruptur habe sich nach ungefähr 12 Stunden Lehrgang ereignet. Seitens der linken Achillessehne sei es bis jetzt zu keinerlei teilweisen oder vollständigen Zerreißungen gekommen. Eine kausale Verknüpfung zwischen dem Arbeitsunfall und dem Sehnenschaden erscheine sehr wahrscheinlich. Das Unfallereignis habe zu einer schmerzhaften Funktionsstörung der rechten Achillessehne i.V.m. einer diskreten Bewegungseinschränkung des rechten unteren Sprunggelenks und einer mäßiggradigen Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenks sowie regionalen Gefühlsstörungen nach mehrfachen operativen Eingriffen bei zweifacher Achillessehnenruptur und lokaler Infektion geführt. Der Kläger sei vom 6.5.2006 bis 9.7.2006 arbeitsunfähig gewesen. Nach der erneuten Rissbildung am 8.8.2006 sei er bis zum 7.10.2007 arbeitsunfähig gewesen. Er schätze die MdE für die Zeit vom 10.7.2006 bis 8.8.2006 mit 30 v.H. und ab 8.10.2007 mit 20 v.H. ein.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Mit dem angefochtenen Urteil hat das SG dem Kläger zu Recht eine Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 6.5.2006 zugesprochen.

Das SG hat - ohne dass ein entsprechender Antrag vom Kläger gestellt wurde und damit, weil über das Begehren des Klägers hinausgehend - im Urteil zu Unrecht die Beklagte verurteilt, das Geschehen vom 6.5.2006 als gesetzlich versicherten Arbeitsunfall anzuerkennen. Unabhängig davon, dass der Kläger einen solchen Antrag nicht gestellt hat, hätte hierfür auch ein Rechtsschutzinteresse gefehlt. Denn die Beklagte hat mit Bescheid vom 13.10.2006 das Ereignis vom 6.5.2006 konkludent als Arbeitsunfall anerkannt, da sie dieses Ereignis als Versicherungsfall bezeichnet, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis 13.5.2006 sowie eine ohne wesentliche Folgen ausgeheilte Zerrung der rechten Achillessehne als Folge dieses Versicherungsfalls anerkannt hat.

Streitgegenstand war nach dem zuletzt im Klageverfahren gestellten Antrag lediglich die Gewährung von Verletztenrente sowie implizit die Frage, ob der Achillessehnenriss rechts durch den anerkannten Arbeitsunfall vom 6.5.2006 verursacht wurde.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (BSG, Urteil vom 2.4.2009 - B 2 U 29/07 R m.w.N. in Juris).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Darüber hinaus hat ein Versicherter, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, auch einen Anspruch auf Feststellung der Unfallfolgen.

Voraussetzung für die Anerkennung bzw. Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles und auch ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung der MdE bzw. der Verletztenrente ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich- philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17= BSGE 96, 196-209).

Ausgehend hiervon gelangt der Senat zum Ergebnis, dass ein wesentlich mitursächlicher Zusammenhang zwischen dem vom Kläger am 6.5.2006 erlittenen und von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall und dem Achillessehnenriss rechts besteht. Hierbei stützt sich der Senat auf die im Wesentlichen übereinstimmenden Sachverständigengutachten von Prof. Dr. B./Dr. B. vom 16.10.2007 (nebst ergänzender Stellungnahme vom 27.2.2008) sowie Dr. H. vom 5.8.2009.

Auf der ersten Stufe der Kausalitätsprüfung stellt der Senat fest, dass, vor dem Hintergrund eines von Freitagnachmittag bis Samstagabend dauernden 17-stündigen Trainerlehrgangs mit intensivem Hallentraining (Krafttraining, Volleyballspiel) und erheblichen Belastungen für Muskulatur und Sehnen, der Kläger am Samstagabend gegen 21.15 Uhr im Rahmen einer vorher besprochenen Übung beim raschen Übergang vom Stehen zum Laufen einen Achillessehnenriss erlitten hat. Dies ist - neben den ärztlichen Feststellungen um 22.00 Uhr am Unfalltag in der Notfallpraxis des Marienhospitals (Zehenspitzenstand und Belastung nicht möglich, Lücke im Sehnenbereich tastbar) - auch nachgewiesen durch den pathologisch-anatomischen Befundbericht vom 10.5.2006, wonach es sich um eine frische Ruptur mit Einblutungen gehandelt hat. Das Ereignis, nämlich der schnelle Antritt vom Stehen zum Laufen, war auch conditio sine qua non für den Achillessehnenriss, denn es kann nicht hinweg gedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele.

Ebenfalls aufgrund des pathologisch-anatomischen Befundberichts vom 10.5.2006 stellt der Senat fest, dass die Achillessehne rechts im Zeitpunkt des Reißens deutlich degenerativ verändert war. Die degenerativen Veränderungen hatten beim Kläger bis zum Unfallereignis zu keinen klinischen Beschwerden geführt, vielmehr war der Kläger vor dem Unfallereignis sportlich aktiv und belastbar, wie Dr. H. zu Recht ausgeführt hat. Diese bereits vorhandene Krankheitsanlage und die kausale Bedeutung des dargestellten Ereignisses sind auf der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung zu vergleichen und abzuwägen. Hierbei ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen (hier der Riss der Achillessehne) aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Diese Abwägung hat im Übrigen auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen.

Hinsichtlich des Unfallereignisses haben Prof. Dr. B. und Dr. B. überzeugend darauf hingewiesen, dass es nach einer 12-stündigen, für den Kläger völlig ungewohnten intensiven Belastung von Muskeln und Sehnen aufgetreten ist und dass das schnelle Antreten zu einem Sprint nach vorne - schon auch ohne die ermüdete Muskulatur nach 12-stündigem Training - als Maximalbelastung für die Achillessehne betrachtet werden muss. Er hat dies unter Hinweis auf die Ausführungen von Schönberger/Mehrtens/Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Seite 495) zur sog. mechanischen Theorie als Ursache von Sehnenrissen als einen Mechanismus bezeichnet, welcher die Sehne unter Belastungsspitzen setzt, ohne dass sich die Zugspannung - koordiniert, gesteuert und "gebremst" von der vorgeschalteten Muskulatur - systematisch aufbauen konnte. In der neuen Auflage (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 401/402) wird die Sicht auf den schnellen Antritt (im Sinne eines Abstoßes) mit fußsohlenwärtiger Belastung im oberen Sprunggelenk bei gleichzeitiger Streckung des Kniegelenks allerdings differenziert und ausgeführt, dass es sich bei dem schnellen Antritt im Grundsatz nicht um eine unphysiologische Bewegung handele, da die Achillessehne hierfür gebaut und funktionell vorgesehen sei. Allerdings gilt auch weiterhin, dass als Ursache der Sehnenruptur bei Gesunden ein Versagen des neuromuskulären Regler- und Sicherheitssystems angesehen wird, das - im Falle einer Ruptur - überwunden wird durch hohe Belastungsspitzen bestimmter Muskeln und Sehnen bei zunächst physiologischem Bewegungsablauf durch äußere Störfaktoren (Boden, Hindernisse, Kälte, Nässe) oder innere Störfaktoren (Müdigkeit, Fehlinnervation). Dr. H. hat zu Recht darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die äußeren Störfaktoren - neben unterschiedlichen Beschreibungen des Unfallereignisses selbst - eine Vielzahl von Fakten zu berücksichtigen wären wie z.B. Bodenbelag, Härtegrad, Feuchtigkeitszustand, Abnutzungszustand, getragenes Schuhwerk. Unabhängig davon, dass diese Faktoren im Einzelnen im Nachhinein kaum noch feststellbar sein dürften, können diese im Falle des Klägers dahingestellt bleiben, da sowohl Prof. Dr. B. und Dr. B. als auch Dr. H. beim Kläger als inneren Störfaktor die Ermüdung der Unterschenkelmuskulatur des Klägers nach der vorangegangene 12-stündigen, für den Kläger völlig ungewohnten intensiven Belastung von Sehnen und Muskel durch den Lehrgang benennen. Die Bemerkung von Dr. H., dass bei einer optimal vorgewärmten und gedehnten "betriebsbereiten" Unterschenkelmuskulatur bei der gleichen Bewegung die Belastung, die durch die Achillessehne hindurchgeht, deutlich geringer ist als bei einer völlig erschöpften und verkrampften Unterschenkelmuskulatur, leuchtet unmittelbar ein.

Angesichts dieser übereinstimmenden Feststellung der Sachverständigen kann der Senat auch nicht feststellen, dass die degenerative Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass es für das Reißen der Achillessehne nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Dr. H. hat ausgeführt, dass eine spontane Achillessehnenruptur bei Alltagsbelastungen bei einem 36-Jährigen eine extreme Rarität ist, sofern es diese überhaupt gibt. Auch sind beim Kläger seitens der linken Achillessehne bisher keine teilweisen oder vollständigen Zerreißungen aufgetreten. Mithin überzeugen den Senat die übereinstimmenden Beurteilungen von Professor Dr. B./Dr. B. und Dr. H., dass der schnelle Antritt vor dem Hintergrund der Einwirkungen des insgesamt 17-stündigen Trainings bzw. Volleyballspiels, mitursächlich für die Zerreißung der Achillessehne rechts war. Überzeugende Argumente, dass es auch ohne die 17-stündige Trainingsbelastung aufgrund des Zustandes der Achillessehne rechts in etwa zu derselben Zeit in gleichem Ausmaß zu dem Achillessehnenriss gekommen wäre, sind nicht ersichtlich. Soweit Dr. Sp. in seiner Stellungnahme darauf abstellt, dass Achillessehnenschäden zwar in der Regel jenseits des 40. Lebensjahres auftreten, beim Kläger aufgrund seiner sportlichen Aktivitäten jedoch von einer Vorverlagerung des Zeitpunkts der Achillessehnendegeneration auszugehen sei, ist dies lediglich eine nicht bewiesene Vermutung und belegt nicht, dass es auch bei alltäglichen Belastungen zu dem Achillessehnenriss gekommen wäre.

Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass die Hergangsschilderungen des Klägers voneinander abweichen würden und Prof. Dr. B./Dr. B. - ausgehend von den ersten Angaben des Klägers - zu einem anderen Ergebnis gekommen wären, ist dies nicht überzeugend. Selbst Prof. Dr. Sp. differenziert in seiner Stellungnahme vom 7.1.2008 nicht nach den Schilderungen des Klägers.

Angesichts der beim Kläger verbliebenen Unfallfolgen (schmerzhafte Funktionsstörung der rechten Achillessehne, diskrete Bewegungseinschränkung des rechten unteren Sprunggelenks, mäßiggradige Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenks, Gefühlsstörungen) hält der Senat eine MdE um 20 v.H., wie von Prof. Dr. B./Dr. B. und Dr. H. geschätzt, für zutreffend. Eine Rente nach dieser MdE steht dem Kläger ab 10.7.2006, dem erstmaligen Eintritt der Arbeitsfähigkeit, zu (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Da das SG - wie oben dargelegt - die Beklagte zu Unrecht zur Anerkennung des Geschehens vom 6.5.2006 als Arbeitsunfall verurteilt hat, hat der Senat das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte verurteilt, die Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab 10.7.2006 zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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