L 13 R 49/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 4389/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 49/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Volle/teilweise Erwerbsminderung - Beweiswürdigung
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 20. November 2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Das Berufungsverfahren betrifft die Frage, ob der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) über den 31.08.2006 hinaus zusteht.

Die 43-jährige ledige Klägerin durchlief von 1982 bis 1985 erfolgreich eine Ausbildung zur Steuerfachgehilfin. Ab 1985 arbeitete sie als Sekretärin, von 1993 bis 1995 bei der AOK. Danach kam es nur noch zu vereinzelten kürzeren Beschäftigungen.

Im Mai 1990 erlitt die Klägerin einen Reitunfall. Sie trug eine traumatische Luxation L 5/S 1 mit knöcherner Absprengung am linken Gelenkfortsatz bei S 1, einen traumatischen Bandscheibenvorfall L 4/5 sowie Brüche mehrerer Rippen davon. Im Segment L 5/S 1 wurde eine Spondylodese-Operation durchgeführt, der Bandscheibenvorfall revidiert. Im Oktober 2001 stürzte sie unter Einfluss von Drogen so schwer, dass sie vorübergehend ins Koma fiel. Sie erlitt ein Blutgerinnsel im Kopf, das sich zwar von selbst wieder zurückbildete, jedoch den rechten Sehnerv schädigte. Seitdem leidet die Klägerin unter dem Sehen von Doppelbildern. Der aktuelle Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrecht beträgt 50 (Einzel-GdB 30 für Augen, 30 für Wirbelsäule).
Im Januar 2002 kam es zu einer stationären Entgiftung wegen Heroinabhängigkeit.
Im März 2003 erfolgte eine Begutachtung durch die Agentur für Arbeit A-Stadt mit dem Ergebnis, über die Sehnervschädigung hinaus gehe es der Klägerin zufriedenstellend, sie habe keine behandlungsbedürftigen Beschwerden.

Auf einen Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung vom 05.05.2003 hin erstellte der niedergelassene Nervenarzt Dr. U. B. im Verwaltungsverfahren ein medizinisches Gutachten nach persönlicher Untersuchung. Er kam in dem Gutachten vom 19.08.2003 zum Ergebnis, seit dem Unfall 2001 in Kombination mit der Suchterkrankung bestehe kein positives Leistungsvermögen mehr. Es habe eine Suchtverlagerung zu Nikotin- und Alkoholabusus stattgefunden. Bei der Klägerin liege eine nur äußerst schwer beeinflussbare neurotische Verweigerungshaltung vor, die Ausdruck der schweren psychischen Störung sein dürfte. Er, Dr. B., nehme eine schwer wiegende Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und dependenten sowie selbstschädigenden Zügen (Borderline-Syndrom) an. Innerhalb von drei Jahren sei auch bei einer Therapie keine Verbesserung zu erzielen. Daraufhin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 23.02.2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.12.2003 befristet bis 31.05.2006.

Am 21.11.2005 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Rente ab Juni 2006. Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der niedergelassene Arzt Dr. C. R. ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 02.02.2006. Im Rahmen der persönlichen Untersuchung gab die Klägerin an, sie sei derzeit bei keinen Ärzten in Behandlung; nur ab und an gehe sie wegen einer Grippe zum Hausarzt. Auch Medikamente nehme sie derzeit nicht. Der Sachverständige kam zum Ergebnis, das berufliche und erwerbsmäßige Leistungsvermögen der Klägerin sei weder für den Beruf der Sekretärin noch für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts gemindert. Auf Grund der langen Zeit ohne Beschäftigung sei eine stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben angebracht.

Mit Bescheid vom 30.05.2006 entschied die Beklagte, sie zahle die Rente wegen Erwerbsminderung vorerst bis 31.08.2006 weiter, da ihre Ermittlungen erst dann abgeschlossen sein würden.

Der von der Beklagten eingeschaltete Orthopäde Dr. K. W. sah in seinem Gutachten vom 16.06.2006 die Klägerin in der Lage, noch leichte Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen sowie ohne Arbeiten in Zwangshaltung mindestens sechs Stunden täglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Zur gleichen Leistungseinschätzung kam die Augenärztin Dr. E. S. in ihrem Gutachten vom 29.06.2006. Beim Lesen oder bei Arbeiten am Bildschirm, so die Ärztin, träten Doppelbilder auf, die nicht kompensierbar seien. Es kämen Berufe mit geringer Lesetätigkeit in Betracht.

Mit Bescheid vom 25.07.2006 lehnte es die Beklagte ab, die Rente ab September 2006 weiterzuzahlen, weil keine relevante Erwerbsminderung vorliege. Auf den dagegen eingelegten Widerspruch holte die Beklagte neue Befundberichte ein, die nach Ansicht des medizinischen Dienstes der Beklagten die bisherige Leistungseinschätzung bestätigten. Sodann wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2006 als unbegründet zurück.

Am 23.11.2006 hat die Klägerin beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben. Dieses hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung durch Prof. Dr. B. W. veranlasst. Der Gutachter hat in seinem Gutachten vom 23.04.2007 folgende Diagnosen gestellt:
- Okulomotoriuslähmung rechtes Auge nach traumatischer Blutung des oberen Hirnstamms
- Dysthymie mit ängstlich-depressiv gefärbten Körpersymptomen auf dem Boden einer asthenisch-histrionischen Persönlichkeit
- Derzeit offensichtlich hinreichend kompensierte Polytoxikomanie mit "lediglich" Tranquilizerkonsum
- Versorgungswunsch.

Prof. Dr. W. hat zusammenfassend die Einschätzung geäußert, dass Arztbesuche in den vergangenen Jahren vor allem jeweils in zeitlichem Zusammenhang mit Rentenanträgen bzw. Anträgen zur Wiedererlangung des Führerscheins erfolgt seien. Angesichts des weit gehenden Fehlens von Therapiemaßnahmen erscheine über die unbefriedigende soziale Situation hinaus kein entsprechender Leidensdruck vorzuliegen. Der neurologische Untersuchungsbefund sei mit Ausnahme des rechten Auges völlig unauffällig. Für eine organische Wesensänderung hätten sich keine Hinweise ergeben. Die Klägerin sei in der Lage, mindestens sechs Stunden körperlich leichte Tätigkeiten auszuüben. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit ganztägiger Bildschirmarbeit sowie mit besonderem Stress oder erhöhter Verantwortlichkeit. Er, Prof. Dr. W., habe keinen Zweifel, dass die gesundheitliche Situation spätestens seit Mai 2006 im Wesentlichen unverändert vorliege.

Mit Bescheid vom 19.07.2007 hatte die Beklagte eine ambulante, orthopädisch ausgerichtete Maßnahme der medizinischen Rehabilitation mit einer voraussichtlichen Dauer von drei Wochen bewilligt. Der Entlassungsbericht der M. Reha GmbH, A-Stadt, vom 27.08.2007 geht von einem "unter vollschichtigen" Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus. Daraufhin hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. W. vom 23.01.2008 eingeholt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 20.11.2008 hat die Klägerin geäußert, eine stationäre psychiatrische Begutachtung komme für sie nicht in Betracht, da nicht davon auszugehen sei, dass dabei etwas "rauskomme". Mit Urteil vom gleichen Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr. W. gestützt. Eine weitere Aufklärung, so das Sozialgericht, sei nicht möglich, da sich die Klägerin ausdrücklich und endgültig gegen eine stationäre psychiatrische Begutachtung ausgesprochen habe. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen sei nicht gegeben.

Die am 29.12.2008 eingelegte Berufung hat die Klägerin zunächst ausschließlich mit ihren Rückenproblemen begründet. Wenn sie, so die Klägerin, lediglich psychisch oder an den Augen erkrankt wäre, könnte sie wahrscheinlich sechs Stunden arbeiten.

Der Senat hat einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden eingeholt. Weiter hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines fachchirurgisch-orthopädischen Gutachtens von Dr. D ... Im Gutachten vom 03.09.2009 hat dieser diagnostiziert:
- Chronisches LWS-Syndrom bei Zustand nach Versteifungsoperation L 5/S 1 leichter bis mittelschwerer Prägung mit sich daraus ergebendem Funktionsdefizit ohne Zeichen eines peripher-neurogenen Defekts
- Beginnende Arthrose rechtes Schultereckgelenk bei freier Funktion des Schultergelenks
- Beginnende Heberden-Arthrose D-V links bei Ausübbarkeit der Grob- und Feingriffformen, rezidivierende Tendovaginitis der Beugesehnen des 3. und 4. linken Fingers unter Ausschluss eines Funktionsdefizits
- Senkspreizfüße beidseits.
Seit der letzten Begutachtung durch Dr. W., so der Sachverständige, habe sich eine verbesserte Funktion des Achsorgans gezeigt. Die Klägerin sei in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich leichte, kurzfristig mittelschwere (Anteil zwei bis drei Stunden) Arbeiten auszuüben. Gefordert werde der regelmäßige Wechsel der Körperpositionen von Gehen, Stehen und Sitzen mit Regelmäßigkeit ohne prozentuale Zuordnung. Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord, am Fließband, in Wechselschicht und bei Nacht sollten unterbleiben. Entfallen sollten Arbeiten mit ständiger Zwangshaltung, das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg sowie häufiges Bücken. An die Gebrauchsfähigkeit der Hände dürften normale Anforderungen gestellt werden. Es lägen keine außergewöhnlichen gesundheitlichen Defizite im Hinblick auf ihre besondere Qualität oder ihre besondere Häufung vor. Betriebsunübliche Pausen seien nicht notwendig. Ein weiteres nervenärztliches Gutachten sei nicht erforderlich, das Problem eines schnellenden Fingers problemlos therapierbar und die angekündigte Gebärmutterentfernung sozialmedizinisch nicht relevant.

Auf dieses Gutachten hat die Klägerin erwidert, sie sei nun gern bereit, sich einer stationären psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen. Das genaue Ausmaß ihrer psychischen und nervlichen Erkrankungen könne sie selbst nicht in einer Selbstdiagnose ermitteln.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 20. November 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2006 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. August 2006 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Akten des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.08.2006 hinaus hat.

Die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung liegen ab September 2006 nicht mehr vor. Folgende materiell-rechtliche Regelungen sind maßgebend:

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebens- jahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind und die im Gesetz genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie neben der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen voll erwerbsgemindert sind. Das ist nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI dann der Fall, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Senat ist davon überzeugt, dass bei der Klägerin - trotz aller gesundheitlichen Beeinträchtigungen - im Zeitraum ab 01.09.2006 weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung gegeben ist oder war. Die Klägerin ist vielmehr in der Lage, unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der Senat stützt sich insoweit in erster Linie auf die übereinstimmenden medizinischen Gutachten von
Dr. R., Prof. Dr. W. und Dr. D. sowie auf das ophthalmologische Gutachten von Dr. S ... Betrachtet man alle genannten Gutachten in einer Zusammenschau, so sind sehr sorgfältig Befunde erhoben und einfühlsam bewertet worden. Keines der Gutachten lässt fachliche oder methodische Schwächen erkennen, die sich negativ auf die Überzeugungskraft auswirken könnten.

Die Klägerin selbst hat den Schwerpunkt ihrer Gesundheitsstörungen bis zur Bekanntgabe des Gutachtens des Dr. D. stets im orthopädischen Bereich gesehen. Diese Selbsteinschätzung entspricht dem Ergebnis der behördlichen und gerichtlichen medizinischen Ermittlungen. Im Hinblick auf ihren Stütz- und Bewegungsapparat ist die Klägerin in der Tat nicht unerheblich gesundheitlich beeinträchtigt. Diese Erkenntnis folgt aus dem Gutachten des Dr. W., dem Reha-Entlassungsbericht vom 27.08.2007 und auch aus dem Gutachten des Dr. D ... Die orthopädischen Probleme der Klägerin bedingen jedoch nur qualitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit in dem Sinn, dass ihr hinsichtlich der Art der Verrichtungen nur ein reduziertes Tätigkeitsspektrum offen steht - zumutbar sind ihr im Wesentlichen nur noch leichte Tätigkeiten. Das führt aber nicht dazu, dass der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung zuzuerkennen wäre. Denn in quantitativer Hinsicht - darauf kommt es an - kann sie noch Tätigkeiten unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich verrichten.
Sofern daran angesichts des Reha-Entlassungsberichts vom 27.08.2007 noch gewisse Restzweifel verblieben sein mögen, sind diese mit dem überzeugenden Gutachten des Dr. D. ausgeräumt. Die funktionellen Defizite am Stütz- und Bewegungsapparat halten sich noch in Grenzen. Insbesondere ist die Wirbelsäule der Klägerin gut umkrümmungsfähig, eine Schmerzsymptomatik ist nicht erkennbar gewesen; Dr. D. hat sogar von einer Befundverbesserung gesprochen. Die frühere Bruchstelle, die operativ versteift wurde, ist sehr stabil. Die Bewegungsabläufe beim Ent- und Bekleiden sind flink und flüssig, der Einbeinstand ist ausübbar gewesen. Die initialen Probleme an Schulter und Fingern bewirken noch keine Funktionsbeeinträchtigungen. An die Gebrauchsfähigkeit der Hände dürfen normale Anforderungen gestellt werden. So ist es plausibel, dass der Sachverständige die Klägerin im Stande gesehen hat, leichte, kurzfristig mittelschwere (Anteil zwei bis drei Stunden) Arbeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen auszuüben.

An der Richtigkeit dieses Ergebnisses bestehen keine Zweifel, zumal Dr. D. der Klägerin deren geäußerte Beschwerden durchaus geglaubt hat - er hat Verdeutlichungstendenzen ausgeschlossen -, aber dennoch nur vergleichsweise maßvolle Einschränkungen gesehen hat.

Es ist auffallend, dass sich die Klägerin keineswegs mit Regelmäßigkeit in orthopädischer Behandlung befindet, was auch Dr. D. hervorgehoben hat. Aktuell hat sie in der mündlichen Verhandlung bestätigt, sie sei gegenwärtig nicht bei Ärzten in Behandlung und nehme auch keine Medikamente; gegen ihre Beschwerden könne sie nichts machen. Den Orthopäden Dr. C., von dem der Senat einen Befundbericht eingeholt hat, hat die Klägerin augenscheinlich zu Zwecken des Rentenverfahrens aufgesucht. Denn dieser hat angegeben, die Klägerin sei seit 23.03.2009 bei ihm in Behandlung (abgefragter Zeitraum ab Juli 2005), die letzte Behandlung habe am 30.03.2009 stattgefunden. Offensichtlich sieht die Klägerin keine Notwendigkeit für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen, obwohl Dr. C. im Attest vom 02.04.2009 für die "Ausschöpfung sämtlicher konservativer Therapiemaßnahmen" plädiert hat.

Dass Dr. C. die Klägerin praktisch kaum kennt, entwertet seine Stellungnahme vom 02.04.2009, bei der er sich nicht im Stande gesehen hat, ein vollschichtiges Leistungsvermögen zu attestieren, erheblich. Außerdem beruht seine Einschätzung auf "subjektiven Schmerzannahmen". Der Senat sieht auch keine Veranlassung, der Leistungseinschätzung im Reha-Entlassungsbericht vom 27.08.2007 zu folgen. Unabhängig davon, dass dieser lediglich ein "unter vollschichtiges" Leistungsvermögen nennt, wird er durch die Ungereimtheit der Überzeugungskraft beraubt, dass in ihm als Diagnose eine Schädigung des Rückenmarks angegeben ist, obwohl in dem Wirbelsäulenbereich, in dem die Klägerin operiert worden war, kein Rückenmarksstrang mehr verläuft. Dies hat Prof. Dr. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23.01.2008 überzeugend dargestellt.

Im ophthalmologischen Bereich finden sich keine Anhaltspunkte, die vorhandene unfallbedingte Sehstörung sei geeignet, das Leistungsvermögen der Klägerin in quantitativer Hinsicht zu beeinflussen. Das Gutachten von Dr. S. begegnet insoweit keinen Zweifeln. Das gilt umso mehr, als die Klägerin selbst in der Berufungsbegründung geäußert hat, wegen der Probleme mit dem rechten Auge könne sie sechs Stunden täglich arbeiten. Auch im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, hat sie diese nicht mehr erwähnt.

Neurologisch bestehen bis auf die Schädigung des rechten Sehnervs komplett unauffällige Befunde. Insbesondere gibt es keine Anzeichen für eine Nervenwurzelreizerscheinung. Die vorhandenen nervenärztlichen Gutachten, insbesondere das des Prof. Dr. W., sprechen insoweit für sich.

Auch die Psyche der Klägerin lässt eine zeitlich nicht eingeschränkte Erwerbstätigkeit zu. Die beiden in diese Richtung weisenden Gutachten von Dr. R. und Prof. Dr. W. überzeugen ohne Einschränkung. Besonders Dr. R. hat eine außerordentlich gründliche psychische Befunderhebung und -darstellung vorgenommen. Die Befunde zeigen, dass bei der Klägerin keine wesentlichen relevanten Einschränkungen vorliegen: Der mimische und gestische Ausdruck der Klägerin geht mit der affektiven Stimmungslage einher. Es bestehen keine Einengung oder Schwankung der Aufmerksamkeit, keine Unaufmerksamkeit, keine erhöhte Ablenkbarkeit oder sonstige Konzentrationsstörung. In der Umstellungsfähigkeit ist die Klägerin nicht eingeschränkt, sie verfügt über ausreichende Flexibilität. Zwar sind eine leichtgradige Minderung der interpersonellen Distanz und eine subdepressive Affektlage feststellbar, jedoch liegen keine Hinweise auf Ambivalenz, Ambitendenz oder Anhedonie, auch nicht auf Affektlabilität oder Affektinkontinenz vor. Beim Antrieb besteht eine regelrechte Grundaktivität; das Handeln gemäß einer frei getroffenen Willensentscheidung ist jederzeit möglich. Das Aggressions- und Impulssteuerungsverhalten ist ausgeglichen. Nennenswerte Störungen des formalen Denkens fehlen. In der Wahrnehmung sind keine kognitiven Störungen feststellbar, das Ich-Erleben ist intakt (u.a. gefestigtes Selbstkonzept und Persönlichkeit), ebenso das Gedächtnis. Die Intelligenz liegt im Normbereich. Eine ausreichende soziale Kompetenz ist vorhanden, eine Persönlichkeitsstörung oder neurotische Entwicklung existiert nicht. Aktuell hat Dr. R. keinen Hinweis auf Suchtstoffkonsum gesehen. Er hat darauf hingewiesen, die Klägerin habe ausreichenden und erholsamen Schlaf. Es bestünden weder Ein- oder Durchschlafstörungen noch Früherwachen.

Prof. Dr. W. ist die Klägerin keineswegs verwahrlost erschienen. Ein depressives oder wahnhaftes Erleben ist trotz eingehender Befragung von ihm nicht zu eruieren gewesen. Auch Gedächtnisstörungen haben sich nicht bestätigen lassen. Die Klägerin ist vor Prof. Dr. W. zu jeder Zeit gut steuerbar gewesen und hat auch provozierende Fragen gezielt pariert. Prof. Dr. W. hat das Bild einer asthenisch-histrionischen Primärpersönlichkeit gesehen, die vermutlich als Folge des Reitunfalls 1990 Krankheitsängste entwickelt hat, welche in eine somatoforme Schmerzstörung gemündet sind. Das äußere Erscheinungsbild der Klägerin hat es für den Sachverständigen glaubhaft erscheinen lassen, dass seit Jahren kein harter Drogenkonsum mehr vorliegt. Aufgrund der guten Steuerbarkeit und Reaktionsfähigkeit hat Prof. Dr. W. die Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin am Ehesten deren Primärpersönlichkeit zugerechnet. Zudem hat er ausgeprägte Versorgungswünsche bei appellativem Verhalten konstatiert.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die kognitiven Fähigkeiten der Klägerin in hinreichendem Maß erhalten sind. Auch der Antrieb ist nicht wesentlich gestört. Dr. R. und Prof. Dr. W. haben eine ausreichende soziale Kompetenz bescheinigt. Daraus folgert der Senat, dass die Klägerin trotz ihrer zweifellos vorliegenden, für einen Arbeitgeber möglicherweise nur schwer akzeptablen wesensmäßigen Eigenheiten im Arbeitsleben hinreichend integrationsfähig ist. Sie ist eine Person, die sich "im Griff hat". Weiter ist hervorzuheben, dass keine Zeichen von Verwahrlosung bestehen; Dr. D. hat sogar formuliert, die Klägerin sei gepflegt gewesen. Bezüglich der behaupteten psychischen Probleme fällt des weiteren stark ins Gewicht, dass sich die Klägerin aktuell weder in psychiatrischer noch in psychotherapeutischer Behandlung befindet; das spricht für einen nur schwach ausgeprägten Leidensdruck. Dass für psychische Probleme kein Einzel-GdB nach dem Schwerbehindertenrecht festgestellt ist, deutet in die gleiche Richtung.

Auch im gerichtlichen Verfahren hat sich gezeigt, dass die Klägerin mit Energie, Überlegung, Umsicht, Struktur und Kalkül zu handeln in der Lage ist. Auf das Gutachten des Prof. Dr. W. hat sie einen achtseitigen gut strukturierten, auf das Wesentliche konzentrierten, sachlichen und informativen Schriftsatz angefertigt. Das bestätigt die Einschätzung Prof. Dr. W., wonach die Klägerin spontan und adäquat auf veränderte Situationen reagieren könne. Auch die Erwiderung der Klägerin auf das Gutachten des Dr. D. zeigt deren Geschick und Wendigkeit. Nachdem sie ihren Vortrag im orthopädischen Bereich entkräftet gesehen hat, hat sie ihrer Argumentation umgestellt. Sie wäre nun sogar bereit, sich stationär psychiatrisch begutachten zu lassen, was sie bis dato abgelehnt hatte. In der Berufungsbegründung hatte sie geäußert, allein wegen der Psyche könne sie sechs Stunden arbeiten. Überlegt und umsichtig hat sie zuletzt wiederholt versucht, diese aus ihrer Sicht nachteilige Selbsteinschätzung mit dem Hinweis zu relativieren, sie sei zu einer Selbstdiagnose gar nicht in der Lage.

Nach alldem erweist sich die Leistungseinschätzung von Dr. R. und Prof. Dr. W. als richtig. Dagegen ist die des Dr. B. nicht aussagekräftig. Zum Einen liegt das Gutachten über sechs Jahre zurück und wurde in zeitlicher Nähe zur Phase des Drogenkonsums erstellt. Zudem ist für den Senat nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund Dr. B. sich zu einer derart drastischen Leistungsbeurteilung in der Lage gesehen hat, obwohl doch die Klägerin am Untersuchungstag betrunken war. Seine Annahme, es liege ein nicht verbesserungsfähiger Demenzzustand vor, hatte keine tragfähige Grundlage und ist durch sämtliche späteren Untersuchungsbefunde widerlegt worden.

Eine weitere psychiatrische Begutachtung, insbesondere eine stationäre, ist nicht erforderlich. Die Feststellungen von Dr. R. und Prof. Dr. W. lassen in Zusammenschau mit dem verfahrensbezogenen Verhalten der Klägerin keinen Zweifel offen. Auch Prof. Dr. W. hat nicht die Notwendigkeit einer stationären Begutachtung gesehen. Er hat lediglich vorgeschlagen, falls eine neue Begutachtung aus welchen Gründen auch immer erforderlich werden sollte, würde er die stationäre Form empfehlen. Beide Psychiater haben hinreichende und definitive Feststellungen getroffen haben, um die Leistungsfähigkeit der Klägerin bejahen zu können. Dr. R. hat einen nahezu völlig unauffälligen, sehr ausführlichen psychischen Befund erhoben, und Prof. Dr. W. ist sich sehr sicher gewesen, dass die ungewöhnlichen Wesenszüge der Klägerin ihrer Primärpersönlichkeit zuzuordnen sind. Aktuell ist auch Dr. D. an der Klägerin in psychischer Hinsicht nichts aufgefallen; er hat keine Notwendigkeit für eine erneute nervenärztliche Begutachtung gesehen.

Dafür, dass der Klägerin der Arbeitsmarkt unter dem Aspekt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung verschlossen sein könnte, bestehen auch bei einer Gesamtschau aller gesundheitlichen Probleme keine Anhaltspunkte. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände ist nicht beeinträchtigt, zusätzliche Arbeitspausen sind nicht erforderlich. Die Sehbehinderung der Klägerin führt allenfalls dazu, dass nur Berufe mit geringer Lesetätigkeit in Betracht kommen. Insgesamt liegt kein Leistungsvermögen vor, wofür der Arbeitsmarkt möglicherweise schlechthin keine Arbeitsstelle bereit hält. Es kann davon ausgegangen werden, dass es eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen für die Klägerin gibt; es bestehen keine ernsten Zweifel, ob diese in einem Betrieb einsetzbar ist (vgl. BSGE 80, 24 ; Bundessozialgericht, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R).

Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit scheidet schon wegen des Lebensalters der Klägerin aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und berücksichtigt, dass die Klägerin auch vor dem Bayerischen Landessozialgericht ohne Erfolg geblieben ist.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved