L 10 AS 354/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 168 AS 4081/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 354/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
L 10 AS 310/10 B PKH
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. Februar 2010 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern eine Zusicherung sowohl zu den Aufwendungen für die Wohnung H S, 1. OG, B als auch zur darlehensweisen Übernahme der Mietkaution für diese Wohnung in Höhe von 1413,60 EUR zu erteilen. Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Landessozialgericht wird abgelehnt. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller, Eltern und ihre drei minderjährigen Kinder, beziehen von der Antragsgegnerin Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Beschluss vom 17. Februar 2010 hat das Sozialgericht Berlin ihren Antrag vom 05. Februar 2010 abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihnen eine Zusicherung sowohl zu den Aufwendungen für die von ihnen in Aussicht genommene Wohnung H , 1. OG, B, als auch zur Übernahme der Kaution für diese Wohnung zu erteilen. Zugleich hat es den Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt Schulz zurückgewiesen. Gegen beide Entscheidungen haben die Antragsteller am 23. Februar 2010 Beschwerde eingelegt.

II.

Die statthafte (§ 172 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) und auch im Übrigen zulässige (§ 173 SGG) Beschwerde ist in der Hauptsache begründet. Die Antragsteller haben sowohl einen Anspruch auf die begehrten Zusicherungen zur Anmietung der in Rede stehenden Wohnung als auch die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelungen glaubhaft gemacht (vgl § 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Zunächst ist festzustellen, dass die Antragsgegnerin als mit Blick auf die bisherige wie auch die in Aussicht genommene Wohnung örtlich zuständige Leistungsträgerin die richtige Adressatin für beide Zusicherungsbegehren der Antragsteller ist (vgl § 22 Abs 2 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 2. Halbsatz SGB II).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Zusicherungen liegen vor.

Dies gilt zunächst für die Zusicherung zu den Aufwendungen für die in Aussicht genommene Wohnung. Insofern bestimmt § 22 Abs 2 Satz 2 1. Halbsatz SGB II, dass der Leistungsträger zur Zusicherung verpflichtet ist, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Der Umzug der Antragsteller ist erforderlich (vgl zu der insofern angezeigten Einzelfallbetrachtung und den maßgeblichen Kriterien Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rdnr 100). Ihre aktuelle Wohnsituation ist dadurch gekennzeichnet, dass sich in einer insgesamt 75,70 qm großen Wohnung (davon 60,34 qm beheizte Wohnfläche) fünf Personen zweieinhalb Zimmer teilen, die ausweislich der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Wohnungsskizze – der Senat hat keine Zweifel, dass diese die tatsächlichen Verhältnisse im Wesentlichen zutreffend wiedergibt, zumal die Bevollmächtigte der Antragsteller angegeben hat, an der Wohnungsabmessung beteiligt gewesen zu sein – 7,59, 14,44 und 25,33 qm groß sind. Die Küche ist nach der Skizze ca 8 qm groß und bietet daher nach den glaubhaften Angaben der Antragsteller keinen Platz für einen Esstisch. Die übrigen Quadratmeter entfallen auf einen relativ großen Flur, einen Balkon und ein kleines Badezimmer. Damit liegen für die gegebene familiäre Konstellation beengte Wohnverhältnisse vor, die einen Umzug erforderlich machen. Dabei vermag der Senat der Auffassung des Sozialgerichts und der Antragsgegnerin noch zu folgen, dass für den vierjährigen Antragsteller zu 5. das kleinste Zimmer gegenwärtig ausreichend ist und es den (derzeit noch) zehn- bzw elfjährigen Antragstellerinnen zu 3. und 4., - da sie gleichen Geschlechts sind - zumutbar ist, sich das etwa 14 qm große Zimmer zu teilen. Nicht nachvollziehen kann der Senat indes die nicht näher begründete Auffassung der Antragsgegnerin, es gebe in der Wohnung "auch genügend Rückzugsmöglichkeiten" (Schreiben vom 01. März 2010, Bl 194 der Gerichtsakten). Solche stehen insbesondere den Antragstellern zu 1. und 2. nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung, wenn das restliche, etwa 25 qm große Zimmer sowohl als ihr Schlafzimmer wie auch als Wohn- und Essraum genutzt wird, zumal die Küche zu klein ist, um hinreichend als Ausweichquartier dienen zu können. Im Rahmen einer Gesamtschau sind damit für die Kinder derzeit noch akzeptable Verhältnisse zu konstatieren, wobei allerdings auch aktuell bereits eine gesteigerte Inanspruchnahme der sonstigen Ressourcen der Wohnung anzunehmen ist. Es verbleiben zwei Erwachsene, die im Hinblick auf die in diesem Einzelfall fehlende Entlastungsfunktion der Küche und die grenzwertige Belastung der anderen Räume mit allen Wohnbedürfnissen auf einen Raum verwiesen sind, von dessen Nutzung notwendig (Essen) oder gewollt (gemeinsame Aktivitäten) auch die Kinder nicht ausgeschlossen sind. Dies als Dauerzustand gedacht, begründet die Erforderlichkeit des Umzugs. Nicht überzeugen kann in diesem Zusammenhang auch die weitere Argumentation der Antragsgegnerin im erwähnten Schreiben, es werde durch den geplanten Umzug insofern keine Änderung herbeigeführt, als nach dem vorgelegten Grundriss diese Wohnung gleichermaßen nur über zwei Kinderzimmer verfüge. Nicht das Fehlen eines dritten Kinderzimmers, sondern in erster Linie mangelnde Rückzugsmöglichkeiten für die Antragsteller zu 1. und 2. lassen die gegenwärtigen Wohnverhältnisse der Antragsteller als zu beengt erscheinen; insofern bietet die in Aussicht genommene Vier-Zimmer-Wohnung, die ein separates Elternschlafzimmer bereit hält, eine entscheidende Verbesserung.

Die Aufwendungen für die "neue" Wohnung iHv monatlich 705,00 EUR bruttowarm sind nach derzeitiger Sach- und Rechtslage als angemessen iSv § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu beurteilen, was im Übrigen auch von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt wird. Dieser Betrag übersteigt den Richtwert für einen Fünf-Personen-Haushalt der Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 29 und 34 SGB XII der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales des Landes Berlin vom 10. Februar 2010 nicht und entspricht auch in etwa dem Wert, der sich für das Land Berlin nach der Produkttheorie (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 18/06 R – juris) ergibt (97 qm x (4,64 EUR/qm Nettokaltmiete auf der Grundlage des Berliner Mietspiegels 2009 + 1,79 EUR/qm "kalte Betriebskosten" auf der Grundlage des Betriebskostenspiegels für Deutschland 2007) zzgl 78,41 EUR tatsächliche Heizkosten = 702,12 EUR, vgl zu den Grundlagen der Berechnung Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteile vom 07. Mai 2009 – L 28 AS 848/08 – und vom 10. September 2009 – L 28 AS 2189/08, jeweils juris).

Auch die Voraussetzungen § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II für die Zusicherung der darlehensweise Übernahme der Mietkaution liegen vor. Insbesondere ist der Umzug "aus anderen Gründen" iSv § 22 Abs 3 Satz 2 SGB notwendig. Das ist dann der Fall, wenn Gründe für die Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs 2 SGB II vorliegen, also der Auszug aus der bisherigen Wohnung erforderlich ist und der Umzug in eine angemessene Unterkunft erfolgen soll (Krauß, aaO Rdnr 132). Insofern kann auf die obigen Ausführungen zu § 22 Abs 2 SGB II verwiesen werden. Bei mietrechtskonformer Ausgestaltung, die hier außer Frage steht, ist eine Mietkaution als Zugangsvoraussetzung zu einer Unterkunft regelmäßig darlehensweise zu übernehmen (vgl Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl, § 22 Rdnr 110 mwN). Dass hier etwas anderes gelten müsste, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Antragsgegnerin nicht geltend gemacht.

Die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelungen ist insofern glaubhaft gemacht, als Nachweise dafür vorgelegt worden sind, dass zum einen der in Aussicht genommene Vermieter die in Rede stehende Wohnung nur noch bis Ende der laufenden Woche für die Antragsteller reserviert hält und zum anderen der bisherige Vermieter letztmalig Bereitschaft erklärt hat, das bereits gekündigte Mietverhältnis bis Monatsende zu verlängern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Weder die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten der Antragsteller für das erstinstanzliche Verfahren noch der entsprechende, für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens gestellte Antrag können noch Erfolg haben, nachdem eine den Antragstellern günstige Kosten(grund)entscheidung für beide Rechtszüge des einstweiligen Anordnungsverfahren ergangen ist, aufgrund derer die Antragsteller in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 114 ZPO iVm § 73a Abs 1 Satz 1 SGG).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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