L 10 AS 291/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 168 AS 44630/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 291/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 07. Januar 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag der Antragsteller, ihnen für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller, Eltern und ihre beiden minderjährigen Kinder, beziehen von der Antragsgegnerin laufende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie begehren die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Mietrückstände für die von ihnen gegenwärtig bewohnte Wohnung D in B in Höhe von zuletzt etwa 4800,- EUR (ggfs als Darlehen) zu übernehmen.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat den Eilantrag mit Beschluss vom 07. Januar 2010 abgelehnt. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das SG hat den Eilantrag der Antragsteller zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Hier ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen des § 22 Abs 5 SGB II für die – im Regelfall darlehensweise erfolgende (vgl § 22 Abs 5 Satz 3 SGB II) - Übernahme von Mietschulden zur Sicherung der Unterkunft liegen nicht vor.

Nach § 22 Abs 5 Satz 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach Satz 2 der Vorschrift sollen sie übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Die Voraussetzungen der zuletzt genannten Sollvorschrift liegen jedenfalls deshalb nicht vor, weil den Antragstellern keine Wohnungslosigkeit droht. Wohnungslosigkeit droht nur dann, wenn die bisher bewohnte Unterkunft gefährdet ist und eine andere Wohnung auf dem Markt nicht angemietet werden kann mit der Folge, dass eine Unterbringung in einer Not- oder Obdachlosenunterkunft zu gewärtigen ist (vgl die Beschlüsse des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Mai 2009 - L 34 AS 792/09 B ER, vom 08. Juni 2009 - L 20 AS 361/09 B ER und vom 03. Dezember 2009 - L 29 AS 1752/09 B ER; anders Beschluss vom 11. November 2009 L 28 AS 1676/09 B ER, wonach der drohende Verlust der innegehabten Wohnung ausreicht; sämtlich veröffentlicht unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass diese Situation besteht. Um hier zugrunde zu legen, dass die Antragsteller bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie einer Räumung aus ihrer derzeitigen Wohnung ausgesetzt sind, auf dem B Mietwohnungsmarkt – trotz der Perspektive, dass die Leistungen für Unterkunft und Heizung (wie zuletzt bei ihrer jetzigen Wohnung) direkt an den jeweiligen Vermieter überwiesen werden - keine andere, angemessene Wohnung finden können, hätte es konkreten Vortrages und entsprechender Negativatteste insbesondere größerer gemeinnütziger und genossenschaftlicher Anbieter bedurft; daran fehlt es hier. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Übernahme der Mietrückstände der Antragsteller im Sinne von § 22 Abs 5 Satz 1 SGB II gerechtfertigt wäre. Dies ist bereits deshalb nicht der Fall, weil die jetzige Wohnung der Antragsteller kostenmäßig nicht angemessen ist (vgl Lang/Linke in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl, § 22 Rdnr 109 mwN). Ohne Erfolg berufen sich die Antragsteller insofern darauf, dass ihnen die Antragsgegnerin derzeit Leistungen für Unterkunft und Heizung unter vollständiger Berücksichtigung ihrer Miet- und Heizkosten von monatlich 667,96 EUR (abzüglich der Warmwasserpauschalen) bewillige. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Richtwert für die Angemessenheit einer Mietwohnung für einen Vier-Personen-Haushalt nach den Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 29 und 34 SGB XII (AV-Wohnen) vom 20. Februar 2009 619,- EUR beträgt und nur in besonders begründeten Einzelfällen, ua bei wesentlichen sozialen Bezügen, um bis zu 10 % überschritten werden kann. Ob die Antragsgegnerin hier eine solche Einzelfallbesonderheit angenommen hat, erscheint fraglich. Näher liegt die Annahme, dass sie bislang lediglich eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung - auch mit Blick auf die mit einem Umzug verbundenen Kosten - davon abgehalten hat, die Antragsteller zur Senkung ihrer Mietkosten anzuhalten (vgl zum "Kostensenkungsverfahren" die Ziff 4 der AV-Wohnen); es liegt auf der Hand, dass sich die in Rede stehenden Mietrückstände bei einer erneuten Wirtschaftlichkeitsberechnung zum Nachteil der Antragsteller auswirken müssten. Im Übrigen kommt es für die Frage der Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten auf die AV-Wohnen nicht an, da Verwaltungsvorschriften die Gerichte nicht zu binden vermögen – auch nicht bezüglich der dort genannten eine Erhöhung der regelhaften Leistung auslösenden Sachverhalte. Entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vielmehr die so genannte Produkttheorie. Insofern sei zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Beschluss verwiesen (vgl § 142 Abs 2 Satz 3 SGG). Es kann für die hier vorliegende Fallkonstellation dahin stehen, ob das SG die Faktoren des Produktes in jeder Hinsicht zutreffend ermittelt hat. Denn auch wenn man insofern die für die Antragsteller günstigere Rechtsprechung des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Urteile vom 07. Mai 2009 – L 28 AS 848/08 – und vom 10. September 2009 – L 28 AS 2189/08, jeweils juris) heranzieht, von der weiter zugunsten der Antragsteller abzuweichen der hier erkennende Senat für die Belange einstweiligen Rechtsschutzes keinen Anlass sieht, ergibt sich - unter Berücksichtigung der tatsächlichen Heizkosten - ein Betrag, der deutlich unter 667,96 EUR liegt (90qm x (4,64 EUR/qm Nettokaltmiete auf der Grundlage des Berliner Mietspiegels 2009 + 1,79 EUR/qm "kalte Betriebskosten" auf der Grundlage des Betriebskostenspiegels für Deutschland 2007) zzgl 66,56 EUR tatsächliche Heizkosten = 645,26 EUR).

Aber auch unabhängig von der Frage der Angemessenheit der Mietkosten erscheint die Übernahme der Mietschulden hier als nicht gerechtfertigt. Dies gilt zu einen mit Blick darauf, dass die Rückstände während des laufenden Leistungsbezuges - unter Berücksichtigung der vollen Miete (abzüglich Warmwasserpauschalen) - entstanden sind und sie von den Antragstellern lapidar damit erklärt worden sind, der Antragsteller zu 2. habe die für die Miete vorgesehenen Mittel in einer Spielhalle verspielt. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Wohnung in der D den Antragstellern mit drei Zimmern und insgesamt ca 76 qm nur beengte Wohnverhältnisse bietet, die angesichts des mit dem Alter zunehmenden Wohnbedarfs der Antragsteller zu 3. und 4., die unterschiedlichen Geschlechts sind, auf Dauer nicht ausreichen dürften, sodass die Antragsteller in absehbarer Zeit voraussichtlich ohnehin umziehen müssen. Dass gesundheitliche Beeinträchtigungen bzw Entwicklungsdefizite des Antragstellers zu 3. einen Umzug der Familie gegenwärtig entgegen stehen, ist auch mit den zuletzt vorgelegten Bescheinigungen der Schulbehörde von 02. Juli 2008, der Kindertagesstätte vom 23. April 2008, des Dr P vom 19. Mai 2008 und der Ergotherapeutin vom 19. Mai 2008 (Bl 64 ff der Gerichtsakten) nicht glaubhaft gemacht. Diese verhalten sich zur Frage der Zumutbarkeit eines Umzugs nicht und sind zudem nicht aktuell. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Antragsteller im weiteren Umfeld der P-B-Schule in N, die der Antragsteller zu 3. inzwischen besucht, keine Wohnung finden könnten, die ihren Wohnbedarf auf angemessene Weise, auch unter Berücksichtigung der Beeinträchtigungen des Antragstellers zu 3., deckt.

Im Übrigen stünde die Übernahme der Mietschulden gemäß § 22 Abs 5 Satz 1 SGB II bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen in behördlichem Ermessen und ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin dieses unter den gegebenen Umständen zwingend im Sinne des Antragsbegehrens auszuüben hätte (so genannte Ermessensreduktion auf Null).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war nach den obigen Ausführungen mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Beschwerde abzulehnen, § 73a SGG iVm § 114 ZPO.

Der Beschluss kann nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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