Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 1 KR 141/06
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 70/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine generalisierte Nichtanlage der (bleibenden) Zähne ist auch dann gegeben, wenn diese nahezu vollständig die Milchzähne nicht verdrängen und funktionslos unter diesen verbleiben, da es insoweit maßgeblich auf die funktionellen Auswirkungen (Beeinträchtigung der Kaufunktion) des genetischen Defekts ankommt.
Eine implantologische Versorgung kann nur bei seltenen Ausnahmeindikationen in besonders schweren Fällen beansprucht werden, wenn sie im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgt (im Anschluss an BSG, Urteil v. 19. Juni 2001 - B 1 KR 4/00 R).
Eine implantologische Versorgung kann nur bei seltenen Ausnahmeindikationen in besonders schweren Fällen beansprucht werden, wenn sie im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgt (im Anschluss an BSG, Urteil v. 19. Juni 2001 - B 1 KR 4/00 R).
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 30. April 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2006 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit Zahnimplantaten zu versorgen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt den Einsatz von Implantaten als Leistung der zahnärztlichen Versorgung.
Der Kläger wurde 1977 geboren und ist bei der Beklagten krankenversichert. Ein Heil- und Kostenplan der Zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis Dres. S. und Sa. über eine Implantatversorgung ging im Juli 2004 bei der Beklagten ein. Darin wurde ausgeführt, dass eine Fehlbildung im Sinne einer Dys¬ostosis cleido cranialis vorliege, die sich auf Schultergürtel und Schädel auswirke. Sie führe im Kieferbereich zu Fehlentwicklungen der Zahnanlagen, die sich als Fehlstellungen, Durchbruchsstörungen, Nichtanlage und Doppelanlagen äußern können. Die Gesamtkosten für insgesamt 12 Implantate würden ca. 30.000,00 EUR betragen.
Die Beklagte ließ daraufhin eine Begutachtung durch Dr. P. aus M. durchführen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Vorbehandlungen noch nicht abgeschlossen.
Im Juni 2005 wurde erneut ein Heil- und Kostenplan durch die behandelnden Zahnärzte eingereicht. Die Kosten beliefen sich danach auf 27.600,00 EUR.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten von Dr. H. aus K. vom 28. Juli 2005 ein und lehnte den Kostenübernahmeantrag mit Bescheid vom 16. August 2005 ab. Eine prognostisch wahrscheinlich günstigere kieferorthopädisch kieferchirurgi¬sche Behandlung sollte vorgezogen werden.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 30. Au¬gust 2005. Er machte geltend, dass ihm keine konkrete Alternative vorgeschlagen worden sei. Die Zähne könnten nicht erhalten werden. Bei seiner Mutter seien die Kosten für die jetzt von ihm begehrte Behandlung übernommen worden. Diese leide unter derselben Erkrankung wie er.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten von Dr. W. (MDK) vom 16. November 2005 ein. Danach bestehe keine Ausnahmeindikation für eine Kostenübernahme. Aus diesem Grund lehnte die Beklagte die Kostenübernahme erneut mit Schreiben vom 25. November 2005 ab. Der Kläger führte dazu aus, dass eine kieferorthopädische Behandlung nach Auskunft der behandelnden Ärzte nicht möglich sei.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2006 lehnte die Beklagte erneut eine Kostenübernahme ab, da keine Ausnahmeindikation für die Versorgung mit Implantaten vorliege. Die Prognose sei – auch für eine kieferorthopädische Behandlung - sehr schwierig.
Mit seinem Widerspruch vom 17. Februar 2006 machte der Kläger weiterhin geltend, dass ein konventioneller Zahnersatz nicht möglich sei. Dann bestehe auch die Gefahr einer weiteren Rückbildung des Kiefers. Er reichte ein Gutachten von Prof. Dr. Ma., C., Institut für Medizinische Genetik, vom 30. März 2006 ein, wonach die Diagnose einer Cleidocranialen Dysplasie molekulargenetisch bestätigt sei.
Die Beklagte forderte den Kläger sodann auf, sich im U.klinikum K., Klinik für Kieferorthopädie, vorzustellen. Nach dem anschließend dort erstellten Bericht vom 8. August 2006 liege kein kieferorthopädischer Behandlungsbedarf bei guter Mundhygiene vor. Es müsse eine chirurgische Behandlung mit Knochenaufbau und Einsatz von Implantaten erfolgen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass keine Ausnahmeindikation gemäß den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nach § 28 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) bestehe. Laut Bundessozialgericht seien diese Richtlinien bindend. Eine konventionelle prothetische Versorgung sei möglich.
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 1. November 2006 beim Sozialgericht Itzehoe erhobenen Klage gewendet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass er an einem genetischen Defekt leide, in dessen Folge sämtliche Zähne nicht nutzbar seien. Er könne immer schwerer kauen, der Kiefer bilde sich zurück. Deshalb sei eine Implantatversorgung notwendig. Es handele sich um eine sehr seltene Erkrankung, die aber unter die Richtlinien zu subsumieren sei. Es liege eine angeborene Fehlbildung des Kiefers vor. Auch eine generalisierte Nichtanlage von Zähnen könne angenommen werden, jedenfalls rechtfertigten schwere Erkrankungen, die zum Verlust von Zähnen führten, regelmäßig die Versorgung mit Implantaten. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stehe dem nicht entgegen, da dieses in seinem Urteil vom 19. Juni 2001 (B 1 KR 4/00 R) nur zur Kieferatrophie Stellung genommen habe. Bei ihm sei nur der Zahn 46 dauerhaft vorhanden, so dass von einer generalisierten Nichtanlage auszugehen sei. Die konventionelle Behandlung sei nicht möglich. Schließlich seien erhebliche psychische Störungen auf die Problematik im Kiefer- und Gesichtsbereich zurückzuführen. Hierzu hat der Kläger einen Bericht von Dr. B. vom 14. November 2006 eingereicht. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gebiete die beantragte Versorgung. Anderenfalls bestehe keine Zahnersatzmöglichkeit. Außerdem liege auch ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot vor, da der Befund bei ihm einer generalisierten Nichtanlage der Zähne gleichzusetzen sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2006 seinen Antrag auf Kostenübernahme für die Implantatversorgung zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass eine generalisierte Nichtanlage von Zähnen nicht gegeben sei.
Das Sozialgericht hat ein schriftliches Sachverständigengutachten des Zahnarztes und Oralchirurgen J.-D. R. aus Rendsburg vom 2. Oktober 2007 zu den Gesundheitsstörungen an Zähnen und Kiefer des Klägers und zum Vorliegen einer Ausnahmeindikation im Sinne von § 28 Abs. 2 SGB V sowie zur Möglichkeit einer konventionellen prothetischen Versorgung eingeholt.
Mit Urteil vom 30. April 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Implantatversorgung habe. Implantologische Leistungen seien nur dann von der Krankenkasse zu übernehmen, wenn eine in den Richtlinien des GBA festgelegte Ausnahmeindikation vorliege. Das sei hier nicht der Fall. Insbesondere bestehe keine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen. Es liege eine Durchbruchhemmung der angelegten Zähne vor. Eine erweiternde Auslegung der Richtlinien auf diesen Sachverhalt sei nicht zulässig. Ein Anspruch des Klägers ergebe sich auch nicht daraus, dass seine Krankheit aus medizinischen Gründen nicht anders als mit einer Implantatversorgung geheilt bzw. gelindert werden könne. Es bestehe für den Gesetzgeber ein weites Ermessen bei der Einbeziehung von Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass auch aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Anspruch des Klägers gegeben sei. Das Sozialgericht hat sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 13. Juli 2004 – B 1 KR 37/02 R) berufen.
Gegen dieses dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 25. Juni 2008 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung, die am 25. Juli 2008 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Situation bei ihm der generalisierten Nichtanlage der Zähne gleichzusetzen sei. Es handele sich um einen besonders schweren Fall und um eine seltene Ausnahmeindikation. Sowohl von der U.klinik K. als auch von dem Gerichtsgutachter sei hervorgehoben worden, dass es nur ein mögliches Behandlungskonzept gebe. Dieses bestehe darin, dass nach Entfernung der vorhandenen Zähne und nachfolgendem Knochenaufbau eine Versorgung durch einen herausnehmbaren Zahnersatz mit Abstützung auf entsprechende Implantatpfeiler angezeigt sei. Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, dass er schlechter gestellt werde als die Fälle, die von den Richtlinien erfasst würden. Seine Erkrankung sei sehr selten und deshalb möglicherweise vom Ausschuss übersehen worden. Zu Unrecht habe sich das Sozialgericht auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Juli 2004 (B 1 KR 37/02 R) berufen. Insbesondere die vom Bundessozialgericht geforderte Einbindung in eine Gesamtbehandlung sei hier gegeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 30. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2006 seinen Antrag auf Versorgung mit Implantaten zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2009 Beweis erhoben durch Vernehmung des Zahnarztes und Oralchirurgen J.-D. R. aus Rendsburg als medizinischen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens vom 2. Ok¬tober 2007.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und statthaft; sie ist auch begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Versorgung mit Implantaten.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 dieser Norm erstreckt sich dies auch auf die zahnärztliche Behandlung. Diese wiederum umfasst gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz SGB V die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören nach Satz 9 dieser Norm implantologische Leistungen, es sei denn, es liegen seltene vom GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen der medizinischen Gesamtbehandlung erbringt.
Nach Abschnitt VII Nr. 2 der Richtlinie des GBA für die ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (BehandlRL-ZÄ) vom 4. Juni 2003/24. September 2003 besteht bei Vorliegen von Ausnahmeindikationen Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann, wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. Besonders schwere Fälle liegen danach u. a. vor bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers haben und bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen.
Die beim Kläger vorliegende Erkrankung erfüllt die Voraussetzungen für die Ausnahmeindikation einer genetischen generalisierten Nichtanlage von Zähnen. Eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate ist nicht möglich.
Bei dem Kläger liegt eine Progonie (starkes Vorstehen des Kinns und Unterkiefers) bei gleichzeitiger Unterentwicklung des Mittelgesichts und des Gaumens vor, der massiv abgeflacht ist. Durch die systemische Krankheit der cleido cranialen Dysplasie ist es nur zum Durchbruch von insgesamt drei Zähnen (16, 26 und 46) gekommen, wobei sich der Zahn 16 bereits nicht mehr im Munde befindet und die beiden anderen Zähne massiv parodontal knöchern abgebaut sind. Die noch vorhandenen Milchzähne sind nicht mehr funktionstüchtig. Durch die Störung des Zahndurchbruchs der bleibenden Zähne und deren Verlagerung im Ober- und Unterkiefer ist es zu einer extremen Tiefbisssituation gekommen. Dadurch ist eine normale Nahrungsaufnahme mit entsprechender Kaufunktion nicht mehr ausreichend möglich.
Diese Erkrankung des Klägers ist – wie durch Gutachten der C. Ba. vom 30. März 2006 bestätigt – genetisch bedingt (Mutationen im RUNX2(CBFA1)-Gen).
Nach den übereinstimmenden und überzeugenden Ausführungen des zahnmedizinischen Sacherständigen R., der den Kläger behandelnden Zahnärzte und der Zahnärzte der Universitätsklinik K. ist eine kieferorthopädische Behandlung in diesem Fall nicht möglich. Auch eine konventionelle prothetische Versorgung des Ober- und Unterkiefers des Klägers ist ausgeschlossen, da die durchgebrochenen bleibenden Zähne nicht mehr funktionstüchtig sind und entfernt werden müssen. Die Milchzähne sind ebenfalls nicht mehr funktionstüchtig. Auf der Schleimhaut kann keine konventionelle Prothese angebracht werden, da diese durch den von ihr ausgehenden Druck den Knochenabbau so schnell vorantreiben würde, dass es zu permanenten Schmerzen käme. Erforderlich ist eine Versorgung durch einen herausnehmbaren Zahnersatz mit Abstützung auf entsprechenden Implantatpfeilern.
Bei diesem zahnmedizinischen Befund handelt es sich um eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen im Sinne der BehandlRL-ZÄ. Die genetische Ursache des Defekts ist diagnostisch nachgewiesen und steht fest. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 13. Juli 2004 – B 1 KR 37/02 R) reicht insoweit ein Stadium mit einem ausgeprägten Fehlen von Zähnen aus, das allerdings der vollständigen Zahnlosigkeit eher nahekommen muss als dem Fehlen nur einzelner Zähne bei ansonsten noch regelrecht anzusehenden Gebissverhältnissen. Es muss zumindest die überwiegende Zahl der typischerweise bei einem Menschen angelegten Zähne fehlen. Sind hingegen noch mehrheitlich bleibende Zähne gewachsen und ist somit teilweise – wenn auch unter Einschränkungen – die Kaufunktion bzw. die Möglichkeit zur Zerkleinerung fester Nahrung vorhanden, kann von einer generalisierten Nichtanlage regelmäßig nicht gesprochen werden. Beim Kläger sind die bleibenden Zähne – und nur um die geht es hier – zwar vollständig vorhanden. Von ihnen sind jedoch nur drei funktionell einsetzbar (gewesen). Da es nach den Ausführungen des Bundessozialgerichts, denen der erkennende Senat folgt, auf die funktionellen Auswirkungen des genetischen Defekts ankommt, ist die generalisierte Nichtanlage auch dann gegeben, wenn die Zähne nahezu vollständig die Milchzähne nicht verdrängen und funktionslos unter diesen verbleiben. Denn maßgebend ist die Kaufunktion, die in diesem Fall, ebenso wie bei einem völligen Fehlen der Zähne, nicht gewährleistet ist.
Weiter hat das Bundessozialgericht in dem oben genannten Urteil zutreffend gefordert, dass ein sachlicher Grund für die Differenzierung im Vergleich zu den Versicherten mit einem Anspruch nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V gegeben sein muss. Diesen sieht das Bundessozialgericht darin, dass das Behandlungsziel in den in den Richtlinien konkretisierten Fällen über eine reine Versorgung mit Zahnersatz hinausgeht und eine Einbindung in eine Gesamtbehandlung erfordert. Dieser Gesichtspunkt stellt ein sachliches Merkmal für die Unterscheidung von Versicherten mit einem besonderen Behandlungsbedarf dar und durfte vom Gesetzgeber herangezogen werden, um Ausnahmeindikationen zur Abmilderung von Leistungsausschlüssen zu definieren (dazu schon BSGE 88, 166, 170 f).
Es reicht also nicht aus, dass die Krankheit des Versicherten aus medizinischen Gründen nicht anders als mit einer Implantatversorgung geheilt bzw. gelindert werden kann. Die implantologische Versorgung soll von den Krankenkassen nur bei seltenen Ausnahmeindikationen in besonders schweren Fällen bezahlt werden, wenn sie im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgt. Danach sind von vornherein Fallgestaltungen ausgeschlossen, in denen das Ziel der implantologischen Behandlung nicht über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit hinausreicht (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Juni 2001 – B 1 KR 4/00 R).
Auch unter Berücksichtigung dieser einschränkenden Kriterien ist der Anspruch des Klägers gegeben. Zunächst sind die Beschränkungen aus § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V auf "seltene Ausnahmeindikationen" und "besonders schwere Fälle" zu bejahen.
Eine seltene Ausnahmeindikation liegt nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen R. vor. Möglicherweise liegt gerade in der Seltenheit der Erkrankung der Grund dafür, dass diese – obwohl schwerwiegender als der typische Fall der Nichtanlage von Zähnen – nicht klarstellend ergänzend Eingang in die Richtlinien gefunden hat. Wie der medizinische Sachverständige überzeugend dargelegt hat, ist die vom Kläger begehrte Implantation lediglich ein Teil umfangreicher kieferchirurgischer und orthopädischer Maßnahmen, die hier durchzuführen wären, wie u. a. Beseitigung der Zähne einschließlich der Wurzeln, Einbindung von Knochenmaterial aus der Hüfte sowie Umverlegung der Kiefer. Diese Maßnahmen sind mithin wesentlich aufwendiger als die Einbringung von Implantaten bei einer "echten" generalisierten Nichtanlage von Zähnen. Aus diesem Grunde bejaht der Senat das Vorliegen eines besonders schweren Falls bei gegenwärtig nicht mehr ausreichend vorhandener Kaufunktion und Möglichkeit normaler Nahrungsaufnahme.
Auch das Kriterium der Einbindung in eine "medizinische Gesamtbehandlung" wird damit erfüllt. Mit diesem auslegungsbedürftigen Begriff ist nicht nur eine Behandlung z. B. im Rahmen einer Tumorbehandlung gemeint. Die Funktionslosigkeit der Zähne aufgrund der Durchbruchshemmung steht in einem Behandlungszusammenhang mit der bestehenden Progonie und dem verkürzten Mittelgesicht, der Unterentwicklung des Gaumens sowie der angeborenen Fehlbildung des Kiefers. Letztgenannte stellt nach den Richtlinien zu § 28 Abs. 2 SGB V bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten für sich allein genommen schon einen besonders schweren Fall dar. Insofern liegt hier eine Einbindung der Implantation in eine medizinische Gesamtbehandlung vor, da das Ziel der implantologischen Behandlung deutlich über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit hinausreicht. Gerade dieser Gesichtspunkt ist vom Gesetzgeber herangezogen worden, um bei Versicherten Ausnahmeindikationen zur Abmilderung von Leistungsausschlüssen zu definieren (vgl. oben genanntes Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Juli 2004). Zu dieser Gruppe gehört der Kläger, so dass es gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verstieße, ihn im Vergleich zu diesen Versicherten mit einem Anspruch aus § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V anders zu behandeln.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil Gründe hierfür nicht ersichtlich sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
- - -
Tatbestand:
Der Kläger begehrt den Einsatz von Implantaten als Leistung der zahnärztlichen Versorgung.
Der Kläger wurde 1977 geboren und ist bei der Beklagten krankenversichert. Ein Heil- und Kostenplan der Zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis Dres. S. und Sa. über eine Implantatversorgung ging im Juli 2004 bei der Beklagten ein. Darin wurde ausgeführt, dass eine Fehlbildung im Sinne einer Dys¬ostosis cleido cranialis vorliege, die sich auf Schultergürtel und Schädel auswirke. Sie führe im Kieferbereich zu Fehlentwicklungen der Zahnanlagen, die sich als Fehlstellungen, Durchbruchsstörungen, Nichtanlage und Doppelanlagen äußern können. Die Gesamtkosten für insgesamt 12 Implantate würden ca. 30.000,00 EUR betragen.
Die Beklagte ließ daraufhin eine Begutachtung durch Dr. P. aus M. durchführen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Vorbehandlungen noch nicht abgeschlossen.
Im Juni 2005 wurde erneut ein Heil- und Kostenplan durch die behandelnden Zahnärzte eingereicht. Die Kosten beliefen sich danach auf 27.600,00 EUR.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten von Dr. H. aus K. vom 28. Juli 2005 ein und lehnte den Kostenübernahmeantrag mit Bescheid vom 16. August 2005 ab. Eine prognostisch wahrscheinlich günstigere kieferorthopädisch kieferchirurgi¬sche Behandlung sollte vorgezogen werden.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 30. Au¬gust 2005. Er machte geltend, dass ihm keine konkrete Alternative vorgeschlagen worden sei. Die Zähne könnten nicht erhalten werden. Bei seiner Mutter seien die Kosten für die jetzt von ihm begehrte Behandlung übernommen worden. Diese leide unter derselben Erkrankung wie er.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten von Dr. W. (MDK) vom 16. November 2005 ein. Danach bestehe keine Ausnahmeindikation für eine Kostenübernahme. Aus diesem Grund lehnte die Beklagte die Kostenübernahme erneut mit Schreiben vom 25. November 2005 ab. Der Kläger führte dazu aus, dass eine kieferorthopädische Behandlung nach Auskunft der behandelnden Ärzte nicht möglich sei.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2006 lehnte die Beklagte erneut eine Kostenübernahme ab, da keine Ausnahmeindikation für die Versorgung mit Implantaten vorliege. Die Prognose sei – auch für eine kieferorthopädische Behandlung - sehr schwierig.
Mit seinem Widerspruch vom 17. Februar 2006 machte der Kläger weiterhin geltend, dass ein konventioneller Zahnersatz nicht möglich sei. Dann bestehe auch die Gefahr einer weiteren Rückbildung des Kiefers. Er reichte ein Gutachten von Prof. Dr. Ma., C., Institut für Medizinische Genetik, vom 30. März 2006 ein, wonach die Diagnose einer Cleidocranialen Dysplasie molekulargenetisch bestätigt sei.
Die Beklagte forderte den Kläger sodann auf, sich im U.klinikum K., Klinik für Kieferorthopädie, vorzustellen. Nach dem anschließend dort erstellten Bericht vom 8. August 2006 liege kein kieferorthopädischer Behandlungsbedarf bei guter Mundhygiene vor. Es müsse eine chirurgische Behandlung mit Knochenaufbau und Einsatz von Implantaten erfolgen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass keine Ausnahmeindikation gemäß den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nach § 28 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) bestehe. Laut Bundessozialgericht seien diese Richtlinien bindend. Eine konventionelle prothetische Versorgung sei möglich.
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 1. November 2006 beim Sozialgericht Itzehoe erhobenen Klage gewendet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass er an einem genetischen Defekt leide, in dessen Folge sämtliche Zähne nicht nutzbar seien. Er könne immer schwerer kauen, der Kiefer bilde sich zurück. Deshalb sei eine Implantatversorgung notwendig. Es handele sich um eine sehr seltene Erkrankung, die aber unter die Richtlinien zu subsumieren sei. Es liege eine angeborene Fehlbildung des Kiefers vor. Auch eine generalisierte Nichtanlage von Zähnen könne angenommen werden, jedenfalls rechtfertigten schwere Erkrankungen, die zum Verlust von Zähnen führten, regelmäßig die Versorgung mit Implantaten. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stehe dem nicht entgegen, da dieses in seinem Urteil vom 19. Juni 2001 (B 1 KR 4/00 R) nur zur Kieferatrophie Stellung genommen habe. Bei ihm sei nur der Zahn 46 dauerhaft vorhanden, so dass von einer generalisierten Nichtanlage auszugehen sei. Die konventionelle Behandlung sei nicht möglich. Schließlich seien erhebliche psychische Störungen auf die Problematik im Kiefer- und Gesichtsbereich zurückzuführen. Hierzu hat der Kläger einen Bericht von Dr. B. vom 14. November 2006 eingereicht. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gebiete die beantragte Versorgung. Anderenfalls bestehe keine Zahnersatzmöglichkeit. Außerdem liege auch ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot vor, da der Befund bei ihm einer generalisierten Nichtanlage der Zähne gleichzusetzen sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2006 seinen Antrag auf Kostenübernahme für die Implantatversorgung zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass eine generalisierte Nichtanlage von Zähnen nicht gegeben sei.
Das Sozialgericht hat ein schriftliches Sachverständigengutachten des Zahnarztes und Oralchirurgen J.-D. R. aus Rendsburg vom 2. Oktober 2007 zu den Gesundheitsstörungen an Zähnen und Kiefer des Klägers und zum Vorliegen einer Ausnahmeindikation im Sinne von § 28 Abs. 2 SGB V sowie zur Möglichkeit einer konventionellen prothetischen Versorgung eingeholt.
Mit Urteil vom 30. April 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Implantatversorgung habe. Implantologische Leistungen seien nur dann von der Krankenkasse zu übernehmen, wenn eine in den Richtlinien des GBA festgelegte Ausnahmeindikation vorliege. Das sei hier nicht der Fall. Insbesondere bestehe keine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen. Es liege eine Durchbruchhemmung der angelegten Zähne vor. Eine erweiternde Auslegung der Richtlinien auf diesen Sachverhalt sei nicht zulässig. Ein Anspruch des Klägers ergebe sich auch nicht daraus, dass seine Krankheit aus medizinischen Gründen nicht anders als mit einer Implantatversorgung geheilt bzw. gelindert werden könne. Es bestehe für den Gesetzgeber ein weites Ermessen bei der Einbeziehung von Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass auch aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Anspruch des Klägers gegeben sei. Das Sozialgericht hat sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 13. Juli 2004 – B 1 KR 37/02 R) berufen.
Gegen dieses dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 25. Juni 2008 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung, die am 25. Juli 2008 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Situation bei ihm der generalisierten Nichtanlage der Zähne gleichzusetzen sei. Es handele sich um einen besonders schweren Fall und um eine seltene Ausnahmeindikation. Sowohl von der U.klinik K. als auch von dem Gerichtsgutachter sei hervorgehoben worden, dass es nur ein mögliches Behandlungskonzept gebe. Dieses bestehe darin, dass nach Entfernung der vorhandenen Zähne und nachfolgendem Knochenaufbau eine Versorgung durch einen herausnehmbaren Zahnersatz mit Abstützung auf entsprechende Implantatpfeiler angezeigt sei. Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, dass er schlechter gestellt werde als die Fälle, die von den Richtlinien erfasst würden. Seine Erkrankung sei sehr selten und deshalb möglicherweise vom Ausschuss übersehen worden. Zu Unrecht habe sich das Sozialgericht auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Juli 2004 (B 1 KR 37/02 R) berufen. Insbesondere die vom Bundessozialgericht geforderte Einbindung in eine Gesamtbehandlung sei hier gegeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 30. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2006 seinen Antrag auf Versorgung mit Implantaten zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2009 Beweis erhoben durch Vernehmung des Zahnarztes und Oralchirurgen J.-D. R. aus Rendsburg als medizinischen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens vom 2. Ok¬tober 2007.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und statthaft; sie ist auch begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Versorgung mit Implantaten.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 dieser Norm erstreckt sich dies auch auf die zahnärztliche Behandlung. Diese wiederum umfasst gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz SGB V die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören nach Satz 9 dieser Norm implantologische Leistungen, es sei denn, es liegen seltene vom GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen der medizinischen Gesamtbehandlung erbringt.
Nach Abschnitt VII Nr. 2 der Richtlinie des GBA für die ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (BehandlRL-ZÄ) vom 4. Juni 2003/24. September 2003 besteht bei Vorliegen von Ausnahmeindikationen Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann, wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. Besonders schwere Fälle liegen danach u. a. vor bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers haben und bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen.
Die beim Kläger vorliegende Erkrankung erfüllt die Voraussetzungen für die Ausnahmeindikation einer genetischen generalisierten Nichtanlage von Zähnen. Eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate ist nicht möglich.
Bei dem Kläger liegt eine Progonie (starkes Vorstehen des Kinns und Unterkiefers) bei gleichzeitiger Unterentwicklung des Mittelgesichts und des Gaumens vor, der massiv abgeflacht ist. Durch die systemische Krankheit der cleido cranialen Dysplasie ist es nur zum Durchbruch von insgesamt drei Zähnen (16, 26 und 46) gekommen, wobei sich der Zahn 16 bereits nicht mehr im Munde befindet und die beiden anderen Zähne massiv parodontal knöchern abgebaut sind. Die noch vorhandenen Milchzähne sind nicht mehr funktionstüchtig. Durch die Störung des Zahndurchbruchs der bleibenden Zähne und deren Verlagerung im Ober- und Unterkiefer ist es zu einer extremen Tiefbisssituation gekommen. Dadurch ist eine normale Nahrungsaufnahme mit entsprechender Kaufunktion nicht mehr ausreichend möglich.
Diese Erkrankung des Klägers ist – wie durch Gutachten der C. Ba. vom 30. März 2006 bestätigt – genetisch bedingt (Mutationen im RUNX2(CBFA1)-Gen).
Nach den übereinstimmenden und überzeugenden Ausführungen des zahnmedizinischen Sacherständigen R., der den Kläger behandelnden Zahnärzte und der Zahnärzte der Universitätsklinik K. ist eine kieferorthopädische Behandlung in diesem Fall nicht möglich. Auch eine konventionelle prothetische Versorgung des Ober- und Unterkiefers des Klägers ist ausgeschlossen, da die durchgebrochenen bleibenden Zähne nicht mehr funktionstüchtig sind und entfernt werden müssen. Die Milchzähne sind ebenfalls nicht mehr funktionstüchtig. Auf der Schleimhaut kann keine konventionelle Prothese angebracht werden, da diese durch den von ihr ausgehenden Druck den Knochenabbau so schnell vorantreiben würde, dass es zu permanenten Schmerzen käme. Erforderlich ist eine Versorgung durch einen herausnehmbaren Zahnersatz mit Abstützung auf entsprechenden Implantatpfeilern.
Bei diesem zahnmedizinischen Befund handelt es sich um eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen im Sinne der BehandlRL-ZÄ. Die genetische Ursache des Defekts ist diagnostisch nachgewiesen und steht fest. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 13. Juli 2004 – B 1 KR 37/02 R) reicht insoweit ein Stadium mit einem ausgeprägten Fehlen von Zähnen aus, das allerdings der vollständigen Zahnlosigkeit eher nahekommen muss als dem Fehlen nur einzelner Zähne bei ansonsten noch regelrecht anzusehenden Gebissverhältnissen. Es muss zumindest die überwiegende Zahl der typischerweise bei einem Menschen angelegten Zähne fehlen. Sind hingegen noch mehrheitlich bleibende Zähne gewachsen und ist somit teilweise – wenn auch unter Einschränkungen – die Kaufunktion bzw. die Möglichkeit zur Zerkleinerung fester Nahrung vorhanden, kann von einer generalisierten Nichtanlage regelmäßig nicht gesprochen werden. Beim Kläger sind die bleibenden Zähne – und nur um die geht es hier – zwar vollständig vorhanden. Von ihnen sind jedoch nur drei funktionell einsetzbar (gewesen). Da es nach den Ausführungen des Bundessozialgerichts, denen der erkennende Senat folgt, auf die funktionellen Auswirkungen des genetischen Defekts ankommt, ist die generalisierte Nichtanlage auch dann gegeben, wenn die Zähne nahezu vollständig die Milchzähne nicht verdrängen und funktionslos unter diesen verbleiben. Denn maßgebend ist die Kaufunktion, die in diesem Fall, ebenso wie bei einem völligen Fehlen der Zähne, nicht gewährleistet ist.
Weiter hat das Bundessozialgericht in dem oben genannten Urteil zutreffend gefordert, dass ein sachlicher Grund für die Differenzierung im Vergleich zu den Versicherten mit einem Anspruch nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V gegeben sein muss. Diesen sieht das Bundessozialgericht darin, dass das Behandlungsziel in den in den Richtlinien konkretisierten Fällen über eine reine Versorgung mit Zahnersatz hinausgeht und eine Einbindung in eine Gesamtbehandlung erfordert. Dieser Gesichtspunkt stellt ein sachliches Merkmal für die Unterscheidung von Versicherten mit einem besonderen Behandlungsbedarf dar und durfte vom Gesetzgeber herangezogen werden, um Ausnahmeindikationen zur Abmilderung von Leistungsausschlüssen zu definieren (dazu schon BSGE 88, 166, 170 f).
Es reicht also nicht aus, dass die Krankheit des Versicherten aus medizinischen Gründen nicht anders als mit einer Implantatversorgung geheilt bzw. gelindert werden kann. Die implantologische Versorgung soll von den Krankenkassen nur bei seltenen Ausnahmeindikationen in besonders schweren Fällen bezahlt werden, wenn sie im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgt. Danach sind von vornherein Fallgestaltungen ausgeschlossen, in denen das Ziel der implantologischen Behandlung nicht über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit hinausreicht (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Juni 2001 – B 1 KR 4/00 R).
Auch unter Berücksichtigung dieser einschränkenden Kriterien ist der Anspruch des Klägers gegeben. Zunächst sind die Beschränkungen aus § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V auf "seltene Ausnahmeindikationen" und "besonders schwere Fälle" zu bejahen.
Eine seltene Ausnahmeindikation liegt nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen R. vor. Möglicherweise liegt gerade in der Seltenheit der Erkrankung der Grund dafür, dass diese – obwohl schwerwiegender als der typische Fall der Nichtanlage von Zähnen – nicht klarstellend ergänzend Eingang in die Richtlinien gefunden hat. Wie der medizinische Sachverständige überzeugend dargelegt hat, ist die vom Kläger begehrte Implantation lediglich ein Teil umfangreicher kieferchirurgischer und orthopädischer Maßnahmen, die hier durchzuführen wären, wie u. a. Beseitigung der Zähne einschließlich der Wurzeln, Einbindung von Knochenmaterial aus der Hüfte sowie Umverlegung der Kiefer. Diese Maßnahmen sind mithin wesentlich aufwendiger als die Einbringung von Implantaten bei einer "echten" generalisierten Nichtanlage von Zähnen. Aus diesem Grunde bejaht der Senat das Vorliegen eines besonders schweren Falls bei gegenwärtig nicht mehr ausreichend vorhandener Kaufunktion und Möglichkeit normaler Nahrungsaufnahme.
Auch das Kriterium der Einbindung in eine "medizinische Gesamtbehandlung" wird damit erfüllt. Mit diesem auslegungsbedürftigen Begriff ist nicht nur eine Behandlung z. B. im Rahmen einer Tumorbehandlung gemeint. Die Funktionslosigkeit der Zähne aufgrund der Durchbruchshemmung steht in einem Behandlungszusammenhang mit der bestehenden Progonie und dem verkürzten Mittelgesicht, der Unterentwicklung des Gaumens sowie der angeborenen Fehlbildung des Kiefers. Letztgenannte stellt nach den Richtlinien zu § 28 Abs. 2 SGB V bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten für sich allein genommen schon einen besonders schweren Fall dar. Insofern liegt hier eine Einbindung der Implantation in eine medizinische Gesamtbehandlung vor, da das Ziel der implantologischen Behandlung deutlich über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit hinausreicht. Gerade dieser Gesichtspunkt ist vom Gesetzgeber herangezogen worden, um bei Versicherten Ausnahmeindikationen zur Abmilderung von Leistungsausschlüssen zu definieren (vgl. oben genanntes Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Juli 2004). Zu dieser Gruppe gehört der Kläger, so dass es gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verstieße, ihn im Vergleich zu diesen Versicherten mit einem Anspruch aus § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V anders zu behandeln.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil Gründe hierfür nicht ersichtlich sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
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