L 7 AS 81/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 32 AS 391/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 81/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 45/10 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Der Kläger hat die Klage zurückgenommen. Damit ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.02.2009 abgeändert. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 08.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2007 und der Änderungsbescheide vom 20.09.2007, 15.10.2007 und 13.11.2007 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2007 Leistungen nach dem SGB II ohne die Anrechnung der ihm gezahlten Nachtarbeitszuschläge als Einkommen zu gewähren. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Leistungen für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2007 nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.

Der 1947 geborene Kläger ist geschieden. Er trug in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum nachts Zeitungen (Westfälische Rundschau) aus. Im Rahmen dieser Tätigkeit erzielte er ein etwa zwischen 160,00 EUR bis 180,00 EUR monatlich schwankendes Einkommen, in dem steuerfreie Nachtarbeitszuschläge enthalten waren.

Die Leistungsgewährung regelte die Beklagte dergestalt, dass sie dem Kläger in ihren Leistungsbescheiden zunächst für den gesamten Bewilligungszeitraum einen feststehenden Einkommensbetrag anrechnete und diesen dann nach Erhalt der jeweiligen monatlichen Lohnabrechnungen durch Änderungsbescheide korrigierte.

Mit Bescheid vom 22.05.2007 gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2007 bis zum 31.12.2007 in Höhe von monatlich 562,08 Euro, wobei sie als Kosten der Unterkunft und Heizung einen Betrag in Höhe von 319,08 Euro bewilligte und bei der Regelleistung nach Anrechnung von Erwerbseinkommen einen Betrag in Höhe von 243,00 Euro gewährte. Sie wies darauf hin, dass als Erwerbseinkommen zunächst 230,00 Euro angerechnet werde. Nach Vorlage der monatlich einzureichenden Lohnabrechnungen erfolge eine Neuberechnung der Leistungen.

Mit Bescheid vom 08.08.2007 änderte die Beklagte die ursprüngliche Leistungsbewilligung dahingehend ab, dass sie für die Zeit vom 01.07.2007 bis 31.07.2007 Leistungen in Höhe von 607,65 Euro, vom 01.08.2007 bis 31.08.2007 in Höhe von 612,34 Euro und ab 01.09.2007 bis 31.12.2007 in Höhe von monatlich 586,08 Euro unter Anrechnung von Erwerbseinkommen bewilligte. Dabei rechnete sie nunmehr für die Monate Juli und August 2007 lediglich das in den Monaten Juni und Juli erzielte und in dem jeweiligen Folgemonat ausgezahlte Erwerbseinkommen in Höhe von 173,04 Euro bzw. 167,18 Euro an. Ab September 2007 ging die Beklagte von einem monatlichen Netto-Erwerbseinkommen in Höhe von 200,00 Euro aus. Bei der Anrechnung des Einkommens gewährte sie dem Kläger einen pauschalen Freibetrag in Höhe von 100,00 Euro und einen weiteren einkommensabhängigen Freibetrag gemäß § 30 SGB II. Die in den Gesamtbeträgen enthaltenen Nachtzuschläge (Verdienstabrechnung Juni 2007: steuerfreier Nachtzuschlag 27,63 Euro und steuerfreier Feiertagszuschlag 2,25 Euro; Verdienstabrechnung Juli 2007: steuerfreier Nachtzuschlag 27,05 Euro) berücksichtigte die Beklagte weiterhin als Einkommen. Das in den Abrechnungen enthaltene Kilometergeld von jeweils 6,25 Euro blieb als zweckbestimmte Einnahme anrechnungsfrei.

Gegen den Bescheid vom 08.08.2007 legte der Kläger am 15.08.2007 Widerspruch ein. Er sei mit der Festsetzung des Arbeitslosengeldes II bezüglich seines Erwerbseinkommens nicht einverstanden. Nach seinem Kenntnisstand habe das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Nachtzuschlag, das Wartegeld und der Feiertagszuschlag bei der Berechnung nicht berücksichtigt werden dürfe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte im Wesentlichen aus, dass es sich bei den Nacht- und Feiertagszuschlägen u. a. um nicht zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des Gesetzes handele. Zweckgebundene Einnahmen, die dem gleichen Zweck wie das Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld dienen, seien grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen. Hierzu gehören zum Beispiel steuerfrei geleistete Nacht-, Sonntags- oder Feiertagszuschläge. Soweit diese zweckbestimmt seien, weil damit zum Beispiel Verpflegungsmehraufwendungen wegen eines Dienstes zu ungünstigen Zeiten abgedeckt werden sollen, rechtfertige dies nicht eine ungeminderte Alg II-Zahlung, da Leistungen für Verpflegung in der Regelleistung enthalten seien.

Dagegen hat der Kläger am 27.09.2007 beim Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben, mit der er ursprünglich neben der Anrechnung der Nachtzuschläge als Einkommen ursprünglich auch die vorläufige Zugrundelegung eines Einkommens in Höhe von 200,00 Euro angegriffen hatte, da er dieses Einkommen tatsächlich nicht erzielt habe. Er ist der Auffassung, dass die Nachtzuschläge nicht als Einkommen angerechnet werden dürfen, weil diese zweckbestimmt seien. Ihm entstehe durch seine Tätigkeit während der Nachtstunden ein Verpflegungsmehrbedarf. Er gehe etwa um 22:30 Uhr zu Bett und müsse dann um 02:30 Uhr wieder aufstehen. Das Austragen der Zeitungen dauere dann etwa von 03:10 Uhr bis 04:00 Uhr, manchmal auch bis 04:30 Uhr. Danach könne er nicht mehr schlafen. Aufgrund der längeren Wachzeiten müsse er mehr essen als zum Beispiel ein am Tage arbeitender Arbeitnehmer. Außerdem müsste sich die Erschwerung, die er aufgrund der Nachtarbeit habe, in irgendeiner Form zu seinen Gunsten niederschlagen.

Mit Änderungsbescheiden vom 20.09.2007, 15.10.2007 und 13.11.2007 hat die Beklagte die Leistungsbewilligung sodann dahingehend abgeändert, dass sie bei der Berechnung der Leistungen für die Monate September, Oktober und November 2007 nunmehr das tatsächlich erzielte Einkommen in Höhe von 175,88 Euro, 172,50 Euro und 162,37 Euro zugrunde gelegt hat. Die Nachtzuschläge wurden bei der Berechnung des Einkommens weiterhin berücksichtigt. Das in den Abrechnungen enthaltene Kilometergeld von jeweils 6,25 Euro blieb als zweckbestimmte Einnahme unberücksichtigt.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 08.08.2007 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2007 und der Änderungsbescheide vom 20.09.2007, 15.10.2007 und 13.11.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2007 Leistungen nach dem SGB II ohne die Anrechnung von Nachtzuschlägen als Einkommen zu gewähren, hilfsweise die Berufung zuzulassen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 20.02.2009 abgewiesen. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers vom 02.04.2009 gegen das ihm am 27.03.2009 zugestellte Urteil des SG hat der Senat mit Beschluss vom 06.07.2009 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die steuerfreien Nachtarbeitszuschläge nicht zu berücksichtigen seien. Er hat klargestellt, sich nicht gegen die Anrechnung des Feiertagszuschlages zu wenden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.02.2009 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 08.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2007 und der Änderungsbescheide vom 20.09.2007, 15.10.2007 und 13.11.2007 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2007 Leistungen nach dem SGB II ohne die Anrechnung der ihm gezahlten Nachtarbeitszuschläge als Einkommen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Streitgegenstand ist lediglich die Höhe der für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2007 gewährten Regelleistung, insbesondere die Anrechnung von Nachtzuschlägen als Einkommen. Nicht zu entscheiden war, ob die Beklagte die Feiertagszuschläge zu Recht als Einkommen berücksichtigt hat, da sich der Kläger gegen die Anrechnung des Feiertagszuschlages nicht gewandt und diesbezüglich keine höheren Leistungen begehrt hat.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG sind die dem Kläger gezahlten steuerfreien Nachtarbeitszuschläge bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

Nach § 7 Abs. 1 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger hat das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, er ist erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Hilfebedürftigkeit des Klägers liegt ebenfalls vor.

Hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Was als Einkommen im Sinne von § 9 SGB II zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus § 11 SGB II. Gemäß § 11 Abs. 1 SGB II sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen. Gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II sind Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellen die dem Kläger gewährten steuerfreien Nachtzuschläge zweckbestimmte Einnahmen im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II dar (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II, § 11 Rn. 231; Brühl in LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 11 Rn. 68; zweifelnd Mecke in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage 2008, § 11 Rn. 39). Sie zählen nicht zum einzusetzenden Nettoeinkommen. Auch wenn der Nachtarbeitszuschlag die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verteuern und Nachtarbeit dadurch für den Arbeitgeber weniger attraktiv machen soll, mit dem Ziel, diese Form der Arbeit einzudämmen, deckt der Nachtarbeitszuschlag zur Überzeugung des Senats auch einen besonderen Aufwand (Verpflegungsmehraufwand) ab. Nachtarbeit beansprucht den Menschen physisch stärker als Arbeit, die am Tage geleistet wird, und erfordert deshalb zusätzliche Mahlzeiten und insoweit besondere Aufwendungen (vgl. BSGE 17, 242, 244 zu § 33 Bundesversorgungsgesetz - BVG -). Diese allgemeine Erfahrung findet im Wesentlichen Bestätigung in den bei dem Kläger bestehenden Verhältnissen. Er hat unter Darlegung seiner Nachtarbeitszeit von 03.10 Uhr bis maximal 04.30 Uhr verdeutlicht, dass er dazu um 02.30 Uhr aufstehen muss und erst gegen 05.00 Uhr wieder zu Hause ist, ohne erneut zum Nachtschlaf zu finden. Es liegt auf der Hand, dass diese Abweichung vom normalen Lebensrhythmus, wie der Kläger auf seine Situation bezogen geschildert hat, mit einem veränderten bzw. vermehrten Verpflegungsaufwand verbunden ist.

Von einer zweckgebundenen Leistung bei Zuschlägen für Nachtarbeit ging auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung zu § 138 Abs. 3 Nr. 3 Arbeitsförderungsgesetz - AFG - aus (BSG, Urteil vom 21.03.1990 - 7 RAr 86/87 -, SozR 3-4100 § 138 Nr. 2)

Der Beurteilung des Senats steht nicht entgegen, dass Leistungen zur Verpflegung grundsätzlich in der Regelleistung enthalten und durch diese abgedeckt sind. Wie insbesondere der Regelung des § 21 SGB II (Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt) entnommen werden kann, gilt diese Regel nur für den Grundbedarf; sie gilt gerade nicht für beschäftigungsbedingte Mehrbedarfe bzw. einen beschäftigungsbedingten Mehraufwand für besondere Verpflegung zu bestimmten Zeiten (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteile vom 29.10.2009, - L 2 AS 99/08 -, - L 2 AS 100/08 -, - L 2 AS 101/08 -). Die Zuschläge kompensieren nach Auffassung des Senats gerade Sonderbedarfe, die über dasjenige hinausgehen, welches durch die Leistungen nach dem SGB II gesichert werden soll. Würde eine Anrechnung erfolgen, ginge die beabsichtigte Kompensation verloren. Die nach § 3b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerrechtlich privilegierten Nachtzuschläge dienen damit einem anderen Zweck als die Regelleistungen nach dem SGB II (ebenso Sächsisches Landessozialgericht, a.a.O.; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 08.03.2005 - L 7 AS 112/05 ER -; Sozialgericht Chemnitz, Urteil vom 20.06.2008 - S 22 AS 4269/07 -).

Nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte von dem zu berücksichtigenden Einkommen gemäß § 11 Abs. 2 SGB II einen Pauschalbetrag in Höhe von 100,00 Euro monatlich sowie einen weiteren Freibetrag nach § 30 SGB II, der für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100,00 Euro übersteigt und nicht mehr als 800,00 Euro beträgt, sich auf 20 vom Hundert beläuft, abgezogen hat.

Bei der Berechnung der Leistungen wird die Beklagte die Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II zu beachten haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da zu der Frage, ob vom Arbeitgeber gewährte Zuschläge für Nachtarbeit, soweit diese steuerlich privilegierte Aufwandsentschädigungen im Sinne des § 3b Abs. 1 EStG darstellen, als zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II anzusehen sind, bislang keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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