Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 SB 220/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 101/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 70/09 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
In Feststellungsverfahren nach § 69 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) beträgt der Gesamt-GdB regelmäßig 40, wenn Funktionsstörungen mit Einzel-GdB-Werten von 30, 20 und 3 x 10 vorliegen (Teil A Rdz. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze – Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung).
I. Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Mai 2006 und die Bescheide vom 5. November 2003 und 16. Dezember 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2004 insoweit abgeändert, als mit Wirkung ab Januar 2005 ein GdB von 40 festzustellen ist.
II. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren zu drei Zehntel.
Tatbestand:
Der 1957 geborene Kläger begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§ 2 Abs.2, 69 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" im Sinne von § 146 Abs.1 SGB IX.
Der Kläger hat mit Erstantrag vom 22.04.2003 auf folgende Gesundheitsstörungen hingewiesen: Bluthochdruck, vergrößerte Schilddrüse, Atembeschwerden, Schlafstörungen, Kreuzschmerzen, Schmerzen in den Kniegelenken, Einschlafen der Hände, Bruch des Fersenbeins und des Sprunggelenks links mit starken Beschwerden beim Gehen.
Dr. S. und Dr. R. haben die ihnen vorliegenden Behandlungsunterlagen übermittelt. Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr.B. vom 03.11.2003 hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Nürnberg vom 05.11.2003 den Grad der Behinderung (GdB) mit 20 bewertet.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens haben die Bevollmächtigten des Klägers das unfallchirurgische Gutachten von Dr. S. vom 19.08.2003 vorgelegt, das dieser im Auftrag der C. Versicherungs-AG gefertigt hat (der Kläger ist als ehemaliger Schreiner am 22.06.2002 von einer Leiter gestürzt und hat hierbei eine Calcaneus- und Sprunggelenksfraktur links erlitten). Im Folgenden hat der Beklagte mit Teilabhilfe-Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. vom 16.02.2003 den GdB für die Zeit ab 10.10.2003 mit 30 bewertet und hierbei nachstehende Gesundheitsstörungen berücksichtigt:
1. Funktionsbehinderung des oberen Sprunggelenkes links, Funktionsbehinderung des unteren Sprunggelenkes links, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Einzel-GdB 30);
2. Bluthochdruck (Einzel-GdB 10);
3. Schilddrüsenvergrößerung (Einzel-GdB 10);
4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10);
5. Mittelnervdruckschädigung (Carpaltunnelsyndrom) (Einzel-GdB 10).
Im Übrigen ist der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 24.02.2004 zurückgewiesen worden.
Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht Nürnberg nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen das Gutachten des Chirurgen Dr. S. vom 13.10.2004 eingeholt. Dieser hat das Vorliegen eines Einzel-GdB von 30 im Bereich der unteren Extremitäten und damit auch einen Gesamt-GdB von insgesamt 30 bestätigt. Auch unter Berücksichtigung der Schmerzen im Bereich der unteren Extremitäten könne der Kläger mit orthopädischen Schuhen und gelegentlich einer Krücke bis zu einer Stunde auf ebenen Wegen gehen. Trotz seines Körpergewichtes von 129 kg bei einer Körpergröße von 173 cm sei er bis 200 Watt belastbar.
Der nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) benannte und beauftragte Sachverständige Dr. K. hat mit Gutachten vom 28.01.2005 auf den sich stets verschlechternden Gesundheitszustand des Klägers hingewiesen und sinngemäß die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft samt Zuerkennung des Merkzeichens "G" befürwortet. Im Vordergrund stünden der schlechte Allgemeinzustand des Patienten, die chronische Schmerzsymptomatik und die aus dem bisher wenig zufriedenstellenden Heilversuch resultierenden Funktionseinschränkungen mit nahezu vollständiger Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit in seinem erlernten Beruf. Mit ergänzender Stellungnahme vom 13.07.2005 hat Dr. K. allein auf orthopädischem Fachgebiet einen GdB von 50 befürwortet und die Einholung eines gesonderten psychiatrischen Fachgutachtens anheim gestellt.
Der Terminsgutachter Dr. hat im Gutachten vom 07.12.2005 anamnestisch festgehalten, dass sich der Kläger weder in einer speziellen Schmerztherapie noch in psychiatrischer Behandlung befinde. Zusammenfassend sei den Ausführungen von Dr. S. mit Gutachten vom 13.10.2004 und nicht dem Votum von Dr. K. mit Gutachten vom 28.01.2005 zu folgen.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 04.01.2006 auf die bevorstehende Schilddrüsen-Operation des Klägers aufmerksam gemacht. Wegen massiver Knotenbildung müsse die komplette Schilddrüse entfernt werden.
Der Versorgungsärztliche Dienst des Beklagten hat mit Stellungnahme der Dr. N. vom 02.02.2006 auf die Problematik der Somatisierungsstörung hingewiesen. Dementsprechend hat das Sozialgericht Nürnberg ein weiteres Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG eingeholt. Die Sachverständige Dr. O. ist mit Gutachten vom 28.02.2006 zu dem Ergebnis gekommen, dass die somatoforme Schmerzstörung in einer Wechselbeziehung mit einer chronischen Depression stehe. Zusammenfassend werde ein Gesamt-GdB von 50 für drei Jahre vorgeschlagen. Dr. F. hat mit nervenärztlicher Stellungnahme vom 27.03.2006 erwidert, dass ein Einzel-GdB von 30 für die leichtere depressive Störung im Sinne einer reaktiven Depression nicht angemessen sei. Dr. O. hat mit nervenärztlicher Stellungnahme vom 21.05.2006 ihre für den Kläger günstige Auffassung bekräftigt.
Das Sozialgericht Nürnberg hat mit Urteil vom 30.05.2006 für Recht erkannt: "Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.11.2003 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 16.12.2003 sowie in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2004 verurteilt, dem Kläger ab Januar 2005 einen Gesamt-GdB von 50 zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen". Hierbei hat sich das Sozialgericht Nürnberg vor allem auf die Ausführungen von Dr. O. gestützt.
Der Beklagte hat mit Berufung vom 03.07.2006 darauf hingewiesen, dass unter Ausnutzung eines ärztlichen Ermessensspielraumes hier maximal ein Gesamt-GdB von 40 zu vertreten sei, da sich der Kläger nicht in nervenärztlicher Behandlung befinde. Dr. O. habe im Übrigen unzulässigerweise eine Doppelbewertung der Funktionsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten aus chirurgisch-orthopädischer und aus nervenfachärztlicher Sicht vorgenommen.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit selbständiger Anschlussberufung vom 26.07.2006 darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits mit Antragstellung auch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" sinngemäß begehrt habe.
Der Senat hat die Schwerbehindertenakten des Beklagten und die erstinstanzlichen Unterlagen beigezogen. Von Dr. R. und Dr. H. wurden Befundberichte mit Fremdbefunden eingeholt. Die Bevollmächtigten des Klägers wiesen mit Schriftsatz vom 22.08.2007 auf das Gutachten der Dipl.-Psych. M. vom 13.07.2007 hin. Aufgrund der nunmehr bestehenden Adipositas permagna und seiner sonstigen Beschwerden leide der Kläger unter Angstanfällen. Seine Stimmung sei gedrückt.
Der Beklagte bekräftigte mit versorgungsärztlicher Stellungnahme von Frau B. vom 25.09.2007, dass der Gesamt-GdB 40 betrage. Die Funktionsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten seien mit einem Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen. Die seelische Störung einschließlich der Essstörung bedinge einen Einzel-GdB von 20. Die übrigen Funktionsstörungen mit Einzel-GdB-Werten von jeweils 10 würden sich nicht auf den Gesamt-GdB von 40 auswirken. Sinngemäß: Dies gelte ab dem Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. O. im Februar 2006.
Der Senat hat Dr. A. und Dr. B. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG zu ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dr. A. ist mit fachorthopädischem Gutachten vom 14.06.2008 zu dem Ergebnis gekommen, dass die auf seinem Fachgebiet bestehenden Funktionsstörungen vor allem im Bereich der unteren Extremitäten mit einem GdB von 30 zu bewerten seien. Dr. B. hat mit neurologisch-psychiatrischem Fachgutachten vom 16.06.2008 ausgeführt, dass Dr. O. nicht zu folgen sei. Die leichte Dysthymia könne allenfalls mit einem Einzel-GdB von 10 aufgeführt werden, der nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB von 30 führe.
Die Bevollmächtigten des Klägers hoben mit Schriftsatz vom 28.07.2008 hervor, dass der Kläger schwerbehindert und erheblich gehbehindert im Sinne von § 146 Abs.1 SGB IX sei. Der Kläger könne ohne Stiefeletten nicht mehr laufen. Entgegen Dr. B. und in Übereinstimmung mit Dr. O. werde nochmals auf die starke Schmerzsymptomatik und die Stimmungsschwankungen hingewiesen.
Dr. B. bekräftigte mit ergänzender Stellungnahme vom 17.10.2008, dass der Gesamt-GdB 30 betrage. Es liege keine undifferenzierte Somatisierungsstörung vor, da die bei dem Kläger bestehenden Schmerzen organischer Ursache seien. Dr. A. führte mit ergänzender Stellungnahme vom 16.10.2008 aus, dass auch aus orthopädischer Sicht die Schwerbehinderteneigenschaft zweifelsfrei nicht erreicht werde. Auch unter Berücksichtigung der Belastungsminderung des linken Sprunggelenkes sei der Kläger in der Lage, ohne erhebliche Schwierigkeiten und ohne Gefahren für sich oder Andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden können.
In der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2009 beantragt der Bevollmächtigte des Klägers,
die Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.05.2006 sowie der Bescheide des Beklagten vom 05.11.2003 und 16.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2004 dahingehend, dass der Beklagte verurteilt wird, beim Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" seit Antragstellung festzustellen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.05.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit eine Verurteilung zur Feststellung eines höheren GdB als 40 erfolgt ist.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 143 ff., 151 SGG statthaft und zulässig. Sie erweist sich auch als begründet. Mit Wirkung ab Januar 2005 ist ein GdB von 40 festzustellen.
Die zulässige selbständige Anschlussberufung des Klägers erweist sich als unbegründet. Der Kläger ist nicht schwerbehindert im Sinne von §§ 2 Abs.2, 69 Abs.1 SGB IX. Ihm steht das Merkzeichen "G" im Sinne von § 146 Abs.1 SGB IX nicht zu.
Gemäß § 69 Abs.1 SGB IX in Verbindung mit § 30 Abs.1 und 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sind zur Beurteilung der jeweiligen Funktionsstörungen und
-beeinträchtigungen die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung) zugrunde zu legen. Sie haben die vormals geltenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 1996 ff., 2008" mit Wirkung zum 01.01.2009 abgelöst. Die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" in ihrer jeweils gültigen Fassung sind einschließlich 31.12.2008 als sogenannte "antizipierte Gutachten" hinsichtlich des Bewertungsrahmens zugrunde gelegt worden (Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 - in NJW 1995, S.3049, 3050; Bundessozialgericht mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R in SGb 2004 S.378 ff.).
Hinsichtlich des orthopädischen Fachgebiets stimmen alle Gutachter bis auf Dr. K. darin überein, dass die Funktionsbehinderung im linken Fußgelenk bei posttraumatischen Verschleißerscheinungen nach Fersenbein- und Außenknöchelbruch samt Funktionsbehinderung beider Kniegelenke einen Einzel-GdB von 30 bedingen. Dr. S. mit Gutachten vom 13.10.2004, Dr. mit Gutachten vom 07.12.2005, Dr. A. mit Gutachten vom 14.06.2008 und ergänzender Stellungnahme vom 16.10.2008 sowie der Versorgungsärztliche Dienst des Beklagten haben hierbei zutreffend den Bewertungsrahmen beachtet, der in Rz.26.18 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" bzw. den nun mehr geltenden "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" in Teil B Rz.18.14 vorgegeben ist. Danach können Bewegungseinschränkungen im oberen Sprunggelenk stärkeren Grades wie bei dem Kläger maximal mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden. Eine Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk bedingt einen Einzel-GdB von 0 bis 10. Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk beidseitig, hier geringen Grades, sind mit einem Einzel-GdB von 10 bis 20 zu bewerten. In der Zusammenschau beträgt der GdB für die Funktionsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten des Klägers somit auch aus der Sicht des erkennenden Senats 30, da sich die jeweiligen Funktionsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten gegenseitig ungünstig beeinflussen. Mit orthopädischen Schuhen ist der Kläger trotz der bestehenden Schmerzsymptomatik noch ausreichend in der Lage zu laufen. Sein Gangbild ist etwas langsam mit einer Schonkomponente links und einem eingeschränkten Abrollverhalten im linken Sprunggelenk. Dies korrespondiert mit einer Minderung der Muskelummantelung im linken Oberschenkel- und Unterschenkelbereich. Ein höherer Einzel-GdB als 30 kommt somit diesbezüglich nicht in Betracht. Der abweichenden Beurteilung von Dr. K. im Gutachten vom 28.01.2005 kann nicht gefolgt werden, da er den vorgegebenen Bewertungsrahmen nicht beachtet hat, wie zutreffend bereits das Sozialgericht Nürnberg mit Urteil vom 30.05.2006 ausgeführt hat.
Die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, der Kläger klagt vor allem über Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule, sind geringen Grades und können nicht höher als mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt werden. Denn Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) werden mit einem GdB von 10 berücksichtigt (vgl. Rz.26.18 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht nach dem Schwerbehindertenrecht" bzw. "Versorgungsmedizinische Grundsätze" in Teil B Rz.18.09).
Leichtere psychovegetative oder psychische Störungen bedingen einen Einzel-GdB von 0 bis 20. Liegen stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), ist ein Einzel-GdB von 30 bis 40 vorgesehen (vgl. Rz.26.3 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" bzw. "Versorgungsmedizinische Grundsätze" Teil B Rz.3.7). Ausweislich des Ergebnisses der Beweisaufnahme werden die auf nervenfachärztlichem Gebiet bestehenden Funktionsstörungen des Klägers von den jeweiligen Gutachtern unterschiedlich bewertet. Die diesbezüglichen unterschiedlichen Voten reichen von einem Einzel-GdB von 10 bis 30. Für den erkennenden Senat sind die Ausführungen der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 15.09.2007 überzeugend, wenn dort für die seelische Störung sowie die Essstörung ein Einzel-GdB von 20 befürwortet wird. Denn bei dem Kläger besteht zum einen eine Schmerzsymptomatik, die organisch den orthopädischen Funktionsstörungen zuzuordnen ist. Entgegen Dr. O. mit Gutachten vom 28.02.2006 hat Dr. B. mit nervenärztlichem Gutachten vom 16.06.2008 nur eine leichte Dysthymie feststellen können. Für den Senat schlüssig und überzeugend hat Dr. B. darauf hingewiesen, dass Dr. O. zu Unrecht eine undifferenzierte Somatisierungsstörung diagnostiziert hat. Kritisch hat Dr. B. angemerkt, dass Dr. O. in ihrem Gutachten keine objektiven psychopathologischen Befunde dargelegt hat, die diese Diagnosen begründen könnte. Sie habe lediglich mehrfach die vom Kläger angegebenen Beschwerden wiederholt und offensichtlich darauf ihre Diagnose gestützt, zusammen mit testpsychologischen Untersuchungen. Auch hier hat Dr. B. kritisch angemerkt, dass Dr. O. selbst die testpsychologischen Ergebnisse recht vage formuliert habe.
Aus der Sicht des Senats sind die Ausführungen des Dr. B. mit Gutachten vom 16.06.2008 jedoch insoweit zu restriktiv, als er die bei dem Kläger bestehende Essstörung nicht ausreichend berücksichtigt hat. Der Vergleich des Befundberichtes von Dr. H. vom 12.03.2006 (Körpergewicht 107 kg, Körpergröße 173 cm) mit dem Gutachten von Dr. S. vom 30.10.2004 (Körpergewicht nunmehr 129 kg) ergibt, dass die schwere Essstörung bei dem Kläger ab Oktober 2004 aktenkundig dokumentiert ist. Ausweislich des Gutachtens von Dr. A. vom 14.06.2008 hat er bei dessen Untersuchung noch 118 kg gewogen. Die Essstörung ist somit noch nicht überwunden. Im Ergebnis ist daher den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 25.09.2007 zu folgen. Ein diesbezüglicher Einzel-GdB von 20 erscheint auch dem Senat angemessen.
Die weiteren Funktionsstörungen "Bluthochdruck", "operierte Schilddrüse" und "Carpaltunnelsyndrom beidseits" sind gering und mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 ausreichend berücksichtigt.
Entsprechend Rz.19 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" bzw. den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" in Teil A Rz.3 besteht bei Einzel-GdB-Werten von 30, 20 und dreimal 10 ein Gesamt-GdB von 40. Denn bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.
Nachdem bei dem Kläger die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorliegt, kann ihm bereits aus rechtlichen Gründen das Merkzeichen "G" nicht zuerkannt werden (§§ 145 Abs.1, 146 Abs.1 SGB IX). Der Kläger ist jedoch erkennbar in seiner Fortbewegungsfähigkeit eingeschränkt. Er hat somit Anspruch auf eine entsprechende Steuerbescheinigung im Sinne von § 33 b des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Nach alledem ist der Berufung des Beklagten stattzugeben gewesen. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.05.2006 war hingegen zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das anteilige Obsiegen bzw. Unterliegen beider Parteien in dem Gesamtverfahren.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
II. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren zu drei Zehntel.
Tatbestand:
Der 1957 geborene Kläger begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§ 2 Abs.2, 69 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" im Sinne von § 146 Abs.1 SGB IX.
Der Kläger hat mit Erstantrag vom 22.04.2003 auf folgende Gesundheitsstörungen hingewiesen: Bluthochdruck, vergrößerte Schilddrüse, Atembeschwerden, Schlafstörungen, Kreuzschmerzen, Schmerzen in den Kniegelenken, Einschlafen der Hände, Bruch des Fersenbeins und des Sprunggelenks links mit starken Beschwerden beim Gehen.
Dr. S. und Dr. R. haben die ihnen vorliegenden Behandlungsunterlagen übermittelt. Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr.B. vom 03.11.2003 hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Nürnberg vom 05.11.2003 den Grad der Behinderung (GdB) mit 20 bewertet.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens haben die Bevollmächtigten des Klägers das unfallchirurgische Gutachten von Dr. S. vom 19.08.2003 vorgelegt, das dieser im Auftrag der C. Versicherungs-AG gefertigt hat (der Kläger ist als ehemaliger Schreiner am 22.06.2002 von einer Leiter gestürzt und hat hierbei eine Calcaneus- und Sprunggelenksfraktur links erlitten). Im Folgenden hat der Beklagte mit Teilabhilfe-Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. vom 16.02.2003 den GdB für die Zeit ab 10.10.2003 mit 30 bewertet und hierbei nachstehende Gesundheitsstörungen berücksichtigt:
1. Funktionsbehinderung des oberen Sprunggelenkes links, Funktionsbehinderung des unteren Sprunggelenkes links, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Einzel-GdB 30);
2. Bluthochdruck (Einzel-GdB 10);
3. Schilddrüsenvergrößerung (Einzel-GdB 10);
4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10);
5. Mittelnervdruckschädigung (Carpaltunnelsyndrom) (Einzel-GdB 10).
Im Übrigen ist der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 24.02.2004 zurückgewiesen worden.
Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht Nürnberg nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen das Gutachten des Chirurgen Dr. S. vom 13.10.2004 eingeholt. Dieser hat das Vorliegen eines Einzel-GdB von 30 im Bereich der unteren Extremitäten und damit auch einen Gesamt-GdB von insgesamt 30 bestätigt. Auch unter Berücksichtigung der Schmerzen im Bereich der unteren Extremitäten könne der Kläger mit orthopädischen Schuhen und gelegentlich einer Krücke bis zu einer Stunde auf ebenen Wegen gehen. Trotz seines Körpergewichtes von 129 kg bei einer Körpergröße von 173 cm sei er bis 200 Watt belastbar.
Der nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) benannte und beauftragte Sachverständige Dr. K. hat mit Gutachten vom 28.01.2005 auf den sich stets verschlechternden Gesundheitszustand des Klägers hingewiesen und sinngemäß die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft samt Zuerkennung des Merkzeichens "G" befürwortet. Im Vordergrund stünden der schlechte Allgemeinzustand des Patienten, die chronische Schmerzsymptomatik und die aus dem bisher wenig zufriedenstellenden Heilversuch resultierenden Funktionseinschränkungen mit nahezu vollständiger Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit in seinem erlernten Beruf. Mit ergänzender Stellungnahme vom 13.07.2005 hat Dr. K. allein auf orthopädischem Fachgebiet einen GdB von 50 befürwortet und die Einholung eines gesonderten psychiatrischen Fachgutachtens anheim gestellt.
Der Terminsgutachter Dr. hat im Gutachten vom 07.12.2005 anamnestisch festgehalten, dass sich der Kläger weder in einer speziellen Schmerztherapie noch in psychiatrischer Behandlung befinde. Zusammenfassend sei den Ausführungen von Dr. S. mit Gutachten vom 13.10.2004 und nicht dem Votum von Dr. K. mit Gutachten vom 28.01.2005 zu folgen.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 04.01.2006 auf die bevorstehende Schilddrüsen-Operation des Klägers aufmerksam gemacht. Wegen massiver Knotenbildung müsse die komplette Schilddrüse entfernt werden.
Der Versorgungsärztliche Dienst des Beklagten hat mit Stellungnahme der Dr. N. vom 02.02.2006 auf die Problematik der Somatisierungsstörung hingewiesen. Dementsprechend hat das Sozialgericht Nürnberg ein weiteres Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG eingeholt. Die Sachverständige Dr. O. ist mit Gutachten vom 28.02.2006 zu dem Ergebnis gekommen, dass die somatoforme Schmerzstörung in einer Wechselbeziehung mit einer chronischen Depression stehe. Zusammenfassend werde ein Gesamt-GdB von 50 für drei Jahre vorgeschlagen. Dr. F. hat mit nervenärztlicher Stellungnahme vom 27.03.2006 erwidert, dass ein Einzel-GdB von 30 für die leichtere depressive Störung im Sinne einer reaktiven Depression nicht angemessen sei. Dr. O. hat mit nervenärztlicher Stellungnahme vom 21.05.2006 ihre für den Kläger günstige Auffassung bekräftigt.
Das Sozialgericht Nürnberg hat mit Urteil vom 30.05.2006 für Recht erkannt: "Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.11.2003 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 16.12.2003 sowie in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2004 verurteilt, dem Kläger ab Januar 2005 einen Gesamt-GdB von 50 zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen". Hierbei hat sich das Sozialgericht Nürnberg vor allem auf die Ausführungen von Dr. O. gestützt.
Der Beklagte hat mit Berufung vom 03.07.2006 darauf hingewiesen, dass unter Ausnutzung eines ärztlichen Ermessensspielraumes hier maximal ein Gesamt-GdB von 40 zu vertreten sei, da sich der Kläger nicht in nervenärztlicher Behandlung befinde. Dr. O. habe im Übrigen unzulässigerweise eine Doppelbewertung der Funktionsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten aus chirurgisch-orthopädischer und aus nervenfachärztlicher Sicht vorgenommen.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit selbständiger Anschlussberufung vom 26.07.2006 darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits mit Antragstellung auch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" sinngemäß begehrt habe.
Der Senat hat die Schwerbehindertenakten des Beklagten und die erstinstanzlichen Unterlagen beigezogen. Von Dr. R. und Dr. H. wurden Befundberichte mit Fremdbefunden eingeholt. Die Bevollmächtigten des Klägers wiesen mit Schriftsatz vom 22.08.2007 auf das Gutachten der Dipl.-Psych. M. vom 13.07.2007 hin. Aufgrund der nunmehr bestehenden Adipositas permagna und seiner sonstigen Beschwerden leide der Kläger unter Angstanfällen. Seine Stimmung sei gedrückt.
Der Beklagte bekräftigte mit versorgungsärztlicher Stellungnahme von Frau B. vom 25.09.2007, dass der Gesamt-GdB 40 betrage. Die Funktionsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten seien mit einem Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen. Die seelische Störung einschließlich der Essstörung bedinge einen Einzel-GdB von 20. Die übrigen Funktionsstörungen mit Einzel-GdB-Werten von jeweils 10 würden sich nicht auf den Gesamt-GdB von 40 auswirken. Sinngemäß: Dies gelte ab dem Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. O. im Februar 2006.
Der Senat hat Dr. A. und Dr. B. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG zu ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dr. A. ist mit fachorthopädischem Gutachten vom 14.06.2008 zu dem Ergebnis gekommen, dass die auf seinem Fachgebiet bestehenden Funktionsstörungen vor allem im Bereich der unteren Extremitäten mit einem GdB von 30 zu bewerten seien. Dr. B. hat mit neurologisch-psychiatrischem Fachgutachten vom 16.06.2008 ausgeführt, dass Dr. O. nicht zu folgen sei. Die leichte Dysthymia könne allenfalls mit einem Einzel-GdB von 10 aufgeführt werden, der nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB von 30 führe.
Die Bevollmächtigten des Klägers hoben mit Schriftsatz vom 28.07.2008 hervor, dass der Kläger schwerbehindert und erheblich gehbehindert im Sinne von § 146 Abs.1 SGB IX sei. Der Kläger könne ohne Stiefeletten nicht mehr laufen. Entgegen Dr. B. und in Übereinstimmung mit Dr. O. werde nochmals auf die starke Schmerzsymptomatik und die Stimmungsschwankungen hingewiesen.
Dr. B. bekräftigte mit ergänzender Stellungnahme vom 17.10.2008, dass der Gesamt-GdB 30 betrage. Es liege keine undifferenzierte Somatisierungsstörung vor, da die bei dem Kläger bestehenden Schmerzen organischer Ursache seien. Dr. A. führte mit ergänzender Stellungnahme vom 16.10.2008 aus, dass auch aus orthopädischer Sicht die Schwerbehinderteneigenschaft zweifelsfrei nicht erreicht werde. Auch unter Berücksichtigung der Belastungsminderung des linken Sprunggelenkes sei der Kläger in der Lage, ohne erhebliche Schwierigkeiten und ohne Gefahren für sich oder Andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden können.
In der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2009 beantragt der Bevollmächtigte des Klägers,
die Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.05.2006 sowie der Bescheide des Beklagten vom 05.11.2003 und 16.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2004 dahingehend, dass der Beklagte verurteilt wird, beim Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" seit Antragstellung festzustellen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.05.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit eine Verurteilung zur Feststellung eines höheren GdB als 40 erfolgt ist.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 143 ff., 151 SGG statthaft und zulässig. Sie erweist sich auch als begründet. Mit Wirkung ab Januar 2005 ist ein GdB von 40 festzustellen.
Die zulässige selbständige Anschlussberufung des Klägers erweist sich als unbegründet. Der Kläger ist nicht schwerbehindert im Sinne von §§ 2 Abs.2, 69 Abs.1 SGB IX. Ihm steht das Merkzeichen "G" im Sinne von § 146 Abs.1 SGB IX nicht zu.
Gemäß § 69 Abs.1 SGB IX in Verbindung mit § 30 Abs.1 und 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sind zur Beurteilung der jeweiligen Funktionsstörungen und
-beeinträchtigungen die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung) zugrunde zu legen. Sie haben die vormals geltenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 1996 ff., 2008" mit Wirkung zum 01.01.2009 abgelöst. Die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" in ihrer jeweils gültigen Fassung sind einschließlich 31.12.2008 als sogenannte "antizipierte Gutachten" hinsichtlich des Bewertungsrahmens zugrunde gelegt worden (Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 - in NJW 1995, S.3049, 3050; Bundessozialgericht mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R in SGb 2004 S.378 ff.).
Hinsichtlich des orthopädischen Fachgebiets stimmen alle Gutachter bis auf Dr. K. darin überein, dass die Funktionsbehinderung im linken Fußgelenk bei posttraumatischen Verschleißerscheinungen nach Fersenbein- und Außenknöchelbruch samt Funktionsbehinderung beider Kniegelenke einen Einzel-GdB von 30 bedingen. Dr. S. mit Gutachten vom 13.10.2004, Dr. mit Gutachten vom 07.12.2005, Dr. A. mit Gutachten vom 14.06.2008 und ergänzender Stellungnahme vom 16.10.2008 sowie der Versorgungsärztliche Dienst des Beklagten haben hierbei zutreffend den Bewertungsrahmen beachtet, der in Rz.26.18 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" bzw. den nun mehr geltenden "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" in Teil B Rz.18.14 vorgegeben ist. Danach können Bewegungseinschränkungen im oberen Sprunggelenk stärkeren Grades wie bei dem Kläger maximal mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden. Eine Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk bedingt einen Einzel-GdB von 0 bis 10. Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk beidseitig, hier geringen Grades, sind mit einem Einzel-GdB von 10 bis 20 zu bewerten. In der Zusammenschau beträgt der GdB für die Funktionsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten des Klägers somit auch aus der Sicht des erkennenden Senats 30, da sich die jeweiligen Funktionsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten gegenseitig ungünstig beeinflussen. Mit orthopädischen Schuhen ist der Kläger trotz der bestehenden Schmerzsymptomatik noch ausreichend in der Lage zu laufen. Sein Gangbild ist etwas langsam mit einer Schonkomponente links und einem eingeschränkten Abrollverhalten im linken Sprunggelenk. Dies korrespondiert mit einer Minderung der Muskelummantelung im linken Oberschenkel- und Unterschenkelbereich. Ein höherer Einzel-GdB als 30 kommt somit diesbezüglich nicht in Betracht. Der abweichenden Beurteilung von Dr. K. im Gutachten vom 28.01.2005 kann nicht gefolgt werden, da er den vorgegebenen Bewertungsrahmen nicht beachtet hat, wie zutreffend bereits das Sozialgericht Nürnberg mit Urteil vom 30.05.2006 ausgeführt hat.
Die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, der Kläger klagt vor allem über Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule, sind geringen Grades und können nicht höher als mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt werden. Denn Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) werden mit einem GdB von 10 berücksichtigt (vgl. Rz.26.18 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht nach dem Schwerbehindertenrecht" bzw. "Versorgungsmedizinische Grundsätze" in Teil B Rz.18.09).
Leichtere psychovegetative oder psychische Störungen bedingen einen Einzel-GdB von 0 bis 20. Liegen stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), ist ein Einzel-GdB von 30 bis 40 vorgesehen (vgl. Rz.26.3 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" bzw. "Versorgungsmedizinische Grundsätze" Teil B Rz.3.7). Ausweislich des Ergebnisses der Beweisaufnahme werden die auf nervenfachärztlichem Gebiet bestehenden Funktionsstörungen des Klägers von den jeweiligen Gutachtern unterschiedlich bewertet. Die diesbezüglichen unterschiedlichen Voten reichen von einem Einzel-GdB von 10 bis 30. Für den erkennenden Senat sind die Ausführungen der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 15.09.2007 überzeugend, wenn dort für die seelische Störung sowie die Essstörung ein Einzel-GdB von 20 befürwortet wird. Denn bei dem Kläger besteht zum einen eine Schmerzsymptomatik, die organisch den orthopädischen Funktionsstörungen zuzuordnen ist. Entgegen Dr. O. mit Gutachten vom 28.02.2006 hat Dr. B. mit nervenärztlichem Gutachten vom 16.06.2008 nur eine leichte Dysthymie feststellen können. Für den Senat schlüssig und überzeugend hat Dr. B. darauf hingewiesen, dass Dr. O. zu Unrecht eine undifferenzierte Somatisierungsstörung diagnostiziert hat. Kritisch hat Dr. B. angemerkt, dass Dr. O. in ihrem Gutachten keine objektiven psychopathologischen Befunde dargelegt hat, die diese Diagnosen begründen könnte. Sie habe lediglich mehrfach die vom Kläger angegebenen Beschwerden wiederholt und offensichtlich darauf ihre Diagnose gestützt, zusammen mit testpsychologischen Untersuchungen. Auch hier hat Dr. B. kritisch angemerkt, dass Dr. O. selbst die testpsychologischen Ergebnisse recht vage formuliert habe.
Aus der Sicht des Senats sind die Ausführungen des Dr. B. mit Gutachten vom 16.06.2008 jedoch insoweit zu restriktiv, als er die bei dem Kläger bestehende Essstörung nicht ausreichend berücksichtigt hat. Der Vergleich des Befundberichtes von Dr. H. vom 12.03.2006 (Körpergewicht 107 kg, Körpergröße 173 cm) mit dem Gutachten von Dr. S. vom 30.10.2004 (Körpergewicht nunmehr 129 kg) ergibt, dass die schwere Essstörung bei dem Kläger ab Oktober 2004 aktenkundig dokumentiert ist. Ausweislich des Gutachtens von Dr. A. vom 14.06.2008 hat er bei dessen Untersuchung noch 118 kg gewogen. Die Essstörung ist somit noch nicht überwunden. Im Ergebnis ist daher den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 25.09.2007 zu folgen. Ein diesbezüglicher Einzel-GdB von 20 erscheint auch dem Senat angemessen.
Die weiteren Funktionsstörungen "Bluthochdruck", "operierte Schilddrüse" und "Carpaltunnelsyndrom beidseits" sind gering und mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 ausreichend berücksichtigt.
Entsprechend Rz.19 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" bzw. den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" in Teil A Rz.3 besteht bei Einzel-GdB-Werten von 30, 20 und dreimal 10 ein Gesamt-GdB von 40. Denn bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.
Nachdem bei dem Kläger die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorliegt, kann ihm bereits aus rechtlichen Gründen das Merkzeichen "G" nicht zuerkannt werden (§§ 145 Abs.1, 146 Abs.1 SGB IX). Der Kläger ist jedoch erkennbar in seiner Fortbewegungsfähigkeit eingeschränkt. Er hat somit Anspruch auf eine entsprechende Steuerbescheinigung im Sinne von § 33 b des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Nach alledem ist der Berufung des Beklagten stattzugeben gewesen. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.05.2006 war hingegen zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das anteilige Obsiegen bzw. Unterliegen beider Parteien in dem Gesamtverfahren.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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